Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Urt. v. 29.01.2024 – 2 ORs 38/23
Leitsatz des Gerichts:
Zum Begriff der Schmähkritik und den Voraussetzungen eines Angriffs auf die Menschenwürde bei der Bezeichnung einer Bundestagsabgeordneten als „es“
2 ORs 38/23 – 161 Ss 154/23
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Beleidigung
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin aufgrund der Hauptverhandlung vom 29. Januar 2024, an der teilgenommen haben:
für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. Juni 2023 wird verworfen.
Die Landeskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten inso-weit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Angeklagten am 2. März 2023 wegen Be-leidigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 60,00 Euro. Das Landgericht Berlin hob das Urteil am 26. Juni 2023 auf seine Berufung hin auf und sprach den Angeklagten frei. Die Berufungskammer traf Feststellungen zum Hintergrund des Angeklagten und der betroffenen Bundestagsabgeordneten T Ga sowie zum Sach-verhalt. Zum Geschehensablauf lauten die Urteilsgründe wie folgt:
„Am 7. April 2022 fand im Bundestag die Abstimmung zur Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 statt. Der Angeklagte hielt sich im Rahmen seiner Tätigkeit als „Go“-Journalist – gemeinsam mit dem gesondert verfolgten R B – auf dem Platz der Republik vor dem Reichstagsgebäude auf und führte mehrere Interviews mit Bundestagsabgeord-neten, unter anderem mit Ar La (CDU) und C Li (FDP), die er jeweils auf Video auf-zeichnete und später auf seinem Telegramkanal veröffentlichte. Ebenso filmte er mit seiner Kamera, wie die Bundestagsabgeordnete T Ga auf dem Weg zur parlamenta-rischen Abstimmung das Reichstagsgebäude betrat. Während die Abgeordnete sich dem Eingang des Gebäudes näherte, äußerte der Angeklagte in deren Richtung: „Haben Sie sich umoperieren lassen? Mann ist Mann und Frau ist Frau, vergessen Sie das nicht! Menschenskinder, ich find das oberpeinlich, was Sie abziehen. Und das von meinen Steuergeldern, was soll der Scheiß? Hörn Sie mal auf damit, Mann ist Mann und Frau ist Frau. [...] Wir beobachten Sie ganz genau, Schritt für Schritt.“ In dem folgenden Gespräch mit dem gesondert verfolgten B äußerte der Angeklagte sodann in Bezug auf T Ga: „Ja, das ist dieser umoperierte Typ da. [...] Das ist ’n Bundestagsabgeordneter, der hat sich zur Frau umoperieren lassen.“ Daraufhin be-kundete der gesondert verfolgte B: „Der hat seinen Dödel noch“, woraufhin der An-geklagte antwortete: „Ach der hat den noch, ja, ok. Ja es ist ’n Mann. Mann ist Mann und Frau ist Frau.“ Dies kommentierte der gesondert verfolgte B mit den Worten: „Es fühlt sich als Frau“, die der Angeklagte anschließend zustimmend – und in die Kame-ra lächelnd – wiederholte.
Das Video mit den vorgenannten Worten des Angeklagten in Richtung der Abgeord-neten Ga und dem anschließenden Dialog zwischen ihm und dem gesondert verfolg-ten B veröffentlichte der Angeklagte am selben Tag gegen 18.00 Uhr auf seinem für jedermann frei abrufbaren Telegramkanal „Ak Man“. Am Folgetag löschte er das Vi-deo. Es konnte nicht näher festgestellt werden, wie viele Personen das Video in der Zeit der Veröffentlichung sahen.“
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte, auch im Übrigen zulässige und von der Gene-ralstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg. Der Freispruch des Angeklagten aus Rechtsgründen ist nicht zu beanstanden.
1. Entgegen der Rechtsansicht der Revision hat das Landgericht zurecht bereits den objektiven Tatbestand des § 185 StGB verneint. Beleidigung im Sinne dieser Vor-schrift ist die Kundgabe von Nichtachtung oder Missachtung gegenüber einem ande-ren in der Weise, dass dem Betroffenen der ethische, personale und soziale Gel-tungswert ganz oder teilweise abgesprochen und dadurch dessen grundsätzlich un-eingeschränkter Ehr- und Achtungsanspruch verletzt oder gefährdet wird. Dies kann durch Äußerung eines herabsetzenden Werturteils unmittelbar gegenüber dem Be-troffenen oder auch durch Äußerung eines solchen in Bezug auf diesen gegenüber einer dritten Person geschehen (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2015 – [2] 121 Ss 160/15 [57/15], 2 Ws 215/15 – mwN; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 18. September 2015 – 1 [8] Ss 654/14 –, juris).
Ob eine Äußerung beleidigenden Inhalt hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Der Inhalt ist dabei unter Berücksichtigung aller das Tatgeschehen maßgeblich prägen-den äußeren und – soweit diese nach außen erkennbar geworden sind – inneren Umstände des Einzelfalls allein nach dem objektiven Sinngehalt der Äußerung zu bestimmen. Maßstab für die insoweit vorzunehmende Auslegung ist, wie ein alle maßgeblichen tatprägenden Umstände kennender unbefangener verständiger Dritter die Äußerung versteht. Auf die subjektive Sicht und Bewertung des Adressaten so-wie auf nach außen nicht hervorgetretene Vorstellungen, Absichten und Motive des sich Äußernden kommt es nicht an (vgl. BVerfGE 93, 266; BGHSt 19, 235; OLG Karlsruhe aaO; KG NJW 2005, 2872). Bloße Ungehörigkeiten, Distanzlosigkeiten, Taktlosigkeiten und auch grobe Unhöflichkeiten im Umgang mit anderen stellen noch keine Missachtung im Sinne des § 185 StGB dar. Vielmehr muss eine eindeutige Abwertung des Betroffenen mit einem gewissen Gewicht vorliegen.
Lassen der sprachliche Zusammenhang und die bestimmenden außertextlichen Be-gleitumstände der inkriminierten Äußerung mehrere Auslegungen zu, sind alle in Frage kommenden, nicht von vornherein fernliegenden alternativen Deutungsmög-lichkeiten in Betracht zu ziehen (vgl. BVerfGE 93, 266; BayObLG NJW 2005, 1291). Dabei ist bereits bei der Prüfung und Bewertung der objektiven Tatbestandsmäßig-keit der Beleidigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf freie Mei-nungsäußerung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE aaO; OLG Karlsruhe aaO).
Die Auslegung, ob und inwieweit eine Äußerung nach ihrem – allein maßgeblichen – objektiven Erklärungsinhalt ehrverletzenden Charakter hat, fällt in den alleinigen Ver-antwortungsbereich des Tatrichters (vgl. BGHSt 21, 371; OLG Frankfurt am Main NStZ-RR 2022, 181). Dem Revisionsgericht ist insoweit, ebenso wie bei der Beweis-würdigung, eine eigene Wertung versagt. Ihm obliegt lediglich die Prüfung, ob der Tatrichter sich bei der Bewertung von zutreffenden rechtlichen Erwägungen hat leiten lassen (vgl. BGHSt 37, 55), ob die Auslegung auf einem Rechtsirrtum beruht, gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze und allgemeine Auslegungsregeln ver-stößt oder ob sie lückenhaft ist, weil nicht alle tatprägenden Begleitumstände berück-sichtigt und nicht alle in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten geprüft sind (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO mwN; OLG Karlsruhe aaO mwN).
2. Der Angeklagte hat mit der Äußerung „Es fühlt sich als Frau“ nach der revisions-rechtlich nicht zu beanstandenden Wertung der Berufungskammer eine als Ehrkrän-kung der Betroffenen anzusehende Meinung geäußert.
Das Landgericht hat die Äußerung des Angeklagten ausgehend von deren objekti-vem Sinngehalt ausgelegt. Es hat sich damit auseinandergesetzt, inwieweit die Äu-ßerung – insbesondere der Teil „fühlt sich als Frau“ – einen Bezug zur Person, zu Bekundungen und zu politischen Aktivitäten der betroffenen Bundestagsabgeordne-ten hat. Des Weiteren hat es in der Verwendung des Wortes „es“ einen Bezug zu aktuellen Debatten um die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen gesehen. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung hat das Landgericht dann den Schluss gezogen, dass der Angeklagte aus Sicht des alle maßgeblichen tatprägenden Umstände ken-nenden unbefangenen verständigen Dritten der Betroffenen mit seinen Worten ab-gesprochen hat, Mann oder Frau zu sein. Zurecht, ohne dass ein Verstoß gegen Auslegungsregeln oder eine Außerachtlassung weiterer Deutungsmöglichkeiten zu erkennen wäre, hat die Berufungskammer in der Äußerung daher ein ehrverletzen-des Werturteil gesehen.
3. Die Berufungskammer hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die verfahrensge-genständliche Äußerung keine Schmähkritik, keine Formalbeleidigung und keinen Angriff auf die Menschenwürde darstellt. Sie hat erkannt, dass eine Verurteilung auf der Grundlage des § 185 StGB daher eine Abwägung zwischen der Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch ihr Verbot andererseits erfordert (vgl. BVerfG NJW 2016, 2870 mwN; Burkhardt/Pfeier, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl., Kap. 5 Rn. 192; Mann, Die Strafbarkeit wegen Beleidigung im „Kampf ums Recht“, in: FS für Alexander Ignor, S. 191ff).
a) Soweit die Revision vorträgt, dass in der Äußerung des Angeklagten eine Schmä-hung zu sehen sei, hinter der die Meinungsfreiheit ohne eine Einzelfallabwägung zu-rücktritt (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622 mwN; BVerfGE 82, 43), hat das Landgericht eine solche zutreffend verneint.
aa) Die Rechtsprechung hat den Begriff der Schmähkritik eng definiert (vgl. BVerfG EuGRZ 2013, 637; BVerfGE 93, 266). Auch eine überzogene, völlig unverhältnismä-ßige oder sogar ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung, so dass selbst eine Strafbarkeit von Äußerungen, die die persönliche Ehre erheblich herabsetzen, in aller Regel eine Abwägung erfordert (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622; BVerfG NJW 2020, 2631). Denn gerade Kritik darf auch grundlos, pointiert, pole-misch und überspitzt geäußert werden, und die Grenze zulässiger Meinungsäuße-rung liegt nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist oder wo Gründe für die geäußerte kritische Bewertung nicht gegeben werden (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622 mwN).
Im verfassungsrechtlichen Sinn ist Schmähung danach anzunehmen, wenn eine Äu-ßerung unter Berücksichtigung ihres Anlasses und Kontextes (vgl. BVerfG NJW 2009, 749 mwN) keinen irgendwie nachvollziehbaren Bezug mehr zu einer sachlichen Auseinandersetzung hat und es bei ihr im Grunde nur um das grundlose Verächt-lichmachen der betroffenen Person als solcher geht. Davon abzugrenzen sind Fälle, in denen die Äußerung, auch wenn sie gravierend ehrverletzend und damit unsach-lich ist, letztlich als (überschießendes) Mittel zum Zweck der Kritik eines Sachverhal-tes dient. Dann geht es dem Äußernden nicht allein darum, den Betroffenen als sol-chen zu diffamieren, sondern stellt sich die Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung dar (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622; NJW 2020, 2636 mwN).
b) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hat das Landgericht zurecht angenom-men, dass die Äußerung des Angeklagten in ihrem Kontext keine Schmähung dar-stellt. Der Revision ist dabei zuzugeben, dass die Worte des Angeklagten (auch) auf den persönlichen Geltungsanspruch der Betroffenen abzielen. Dem steht jedoch – entgegen der Revisionsbegründung – ein vom Landgericht unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Urteilsgründe knapp, aber zutreffend beschriebener Sachbezug gegenüber.
Betroffen von der verfahrensgegenständlichen Äußerung des Angeklagten ist eine Bundestagsabgeordnete, die sich nach den Urteilsfeststellungen in der Vergangen-heit unter anderem öffentlich zu ihrem Personenstand und ihrer persönlichen Haltung zu Verfahren für Namens- und Personenstandsänderungen erklärt hat. Sie hat sich zudem zum geltenden Transsexuellengesetz geäußert. Sie betrat das Reichstagsge-bäude zur Abstimmung, als der Angeklagte, der sich vor Ort befand und verschiede-ne andere Politiker interviewte, sie filmte, sich in ihre Richtung äußerte und schließ-lich das Gespräch mit der verfahrensgegenständlichen Bemerkung aufnahm. Es liegt daher ersichtlich kein Fall vor, in dem eine vorherige Auseinandersetzung nur äußer-lich zum Anlass für eine diffamierende Bemerkung dient oder in dem aus dem Schutz der Anonymität des Internets heraus Verunglimpfungen getätigt worden sind (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622). Auch die Revisionsbegründung weist auf keinen der-artigen Sachverhalt hin.
Das Landgericht hat anhand des Videos zudem festgestellt, dass sich der Redebei-trag des Angeklagten nicht in den inkriminierten Worten erschöpfte. Vielmehr äußer-te er sich mehrfach – in Richtung der Betroffenen sowie im Gespräch mit dem ge-sondert verfolgten B – und brachte dabei insgesamt polemisch, überspitzt und un-sachlich zum Ausdruck, dass er die von ihrem rechtlichen Personenstand differieren-de geschlechtliche Identität der Betroffenen nicht anerkennt. Dass die Betroffene ihm gerade aufgrund ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete bekannt war und er die-ser Tätigkeit Bedeutung zumaß, ergibt sich ebenfalls aus seinem Redebeitrag. Die für strafwürdig befundene Äußerung dient damit entgegen der Revisionsbegründung nicht allein der abschätzigen Bewertung des äußeren Erscheinungsbildes und der gelebten Geschlechtsidentität der Betroffenen. Vielmehr steht sie auch (noch) im Zusammenhang mit deren Wirken in der öffentlichen Meinungsbildung zu einer Neu-regelung von Rechten für transgeschlechtliche Menschen.
Dem steht nicht entgegen, dass der vom Landgericht festgestellte Anlass für den Angeklagten, sich vor dem Bundestag aufzuhalten, die anstehende Abstimmung zur Impfpflicht gegen Sars-CoV-2 gewesen ist. Denn eines Grundes für eine geäußerte Kritik bedarf es gerade nicht. Die abfällige Äußerung des Angeklagten ist daher nicht schon deshalb als Schmähung zu qualifizieren, weil sich kein inhaltlicher Zusammen-hang zu dem Thema der anstehenden Abstimmung herstellen lässt.
b) Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht zudem verneint, dass die Äußerung des Angeklagten die Menschenwürde angreift, die als Fundament aller Grundrechte mit keinem Einzelgrundrecht abwägungsfähig ist (vgl. BVerfG 93, 266; BVerfGE 107, 275; KG, Beschluss vom 26. November 2019 – [5] 161 Ss 165/19 [34/19] – mwN). Da das Berufungsgericht auch insofern alle Feststellungen zum Tatsachverhalt voll-ständig getroffen hat, kann der Senat diese Beurteilung vornehmen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. August 2023 – 204 StRR 202/23 –, juris).
aa) Die verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistete Menschenwürde schützt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts den sozialen Wert- und Achtungsanspruch des Menschen, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (vgl. BVerfGE 87, 209). Sie ist nicht schon immer dann angegriffen, wenn durch eine Äußerung die Ehre oder das allge-meine Persönlichkeitsrecht eines anderen tangiert ist. Erforderlich ist vielmehr, dass der angegriffenen Person ihr Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen und sie als minderwertiges Wesen behan-delt wird. Der Angriff muss sich mithin gegen den ihre menschliche Würde ausma-chenden Kern der Persönlichkeit und nicht lediglich gegen einzelne Persönlichkeits-rechte richten (vgl. BVerfG NJW 2001, 61 mwN; BGHSt 40, 97).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegt ein Angriff auf die Menschenwürde nicht vor, obwohl der Angeklagte die Betroffene herabwürdigt, wenn er das Prono-mens „es“ verwendet, um über sie zu sprechen.
Zum einen gehört die geschlechtliche Identität einer Person nach ständiger Recht-sprechung des Bundesverfassungsgerichts zur engeren persönlichen Lebenssphäre, die nicht primär durch Art. 1 Abs. 1 GG, sondern durch das Grundrecht der freien Persönlichkeitsentfaltung als allgemeines Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG iVm Art. 1 Abs. 1 GG) geschützt wird (vgl. BVerfGE 115, 1 [14] mwN; BVerfGE 96, 56 [61]). Art. 2 Abs. 1 iVm Art 1 Abs. 1 GG garantiert insoweit als Teil dieser Lebens-sphäre den intimen Sexualbereich, der die sexuelle Selbstbestimmung de Menschen und damit das Finden und Erkennen der eigenen geschlechtlichen Identität sowie der eigenen sexuellen Orientierung umfasst (BVerfGE 128, 109 [124]; BVerfGE 115, 1 [14]). Zwar nimmt die Zuordnung zu einem Geschlecht typischerweise eine Schlüs-selposition sowohl im Selbstverständnis einer Person als auch dabei ein, wie die be-troffene Person von anderen wahrgenommen wird. Ihr kommt für die individuelle Identität unter den gegebenen Bedingungen herausragende Bedeutung zu und auch in alltäglichen Lebensvorgängen spielt sie eine wichtige Rolle (vgl. BVerfGE 147, 1 [19]). Dennoch wird die geschlechtliche Identität in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung regelmäßig als „ein“ konstituierender Aspekt der eigenen Persön-lichkeit (vgl. BVerfGE 147, 1 [19]; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17. Novem-ber 2023 – 1 BvR 1915/23 –, juris), nicht als der die menschliche Würde ausma-chende Kern bezeichnet. Durch die Bezeichnung einer Person als „gleichsam ge-schlechtsloses Wesen“ (UA S. 5) wird daher nicht per se die Menschenwürde ange-griffen.
Zum anderen ergibt auch die erforderliche Gesamtschau der Umstände (vgl. KG, Beschluss vom 27. Dezember 2001 – [4] 1 Ss 297/01 [166/01] –, juris mwN), dass kein Angriff auf die Menschenwürde vorliegt. Einzubeziehen ist, dass der Angeklagte der Betroffenen zunächst vorwirft, sich „oberpeinlich“ zu verhalten, und unter ande-rem – unsachlich und mit diskriminierender Konnotation – ausdrückt, dass er einen Wechsel der Geschlechtsidentität ablehnt. Die insoweit von ihm verwendete Anspra-che „Sie“ mag überspitzte Höflichkeit und ebenfalls herabwürdigend gemeint gewe-sen sein. Der Redebeitrag in seiner Gesamtheit adressiert die Betroffene aber als Person. Unter Berücksichtigung ihres Gesamtzusammenhangs ist die Äußerung da-mit nicht dahingehend zu verstehen, dass der Angeklagte der Betroffenen mit dem Wort „es“ das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeit in der staatlichen Ge-meinschaft abspricht.
4. Die von der Strafkammer vor dem Hintergrund der Verneinung der Fallkonstellati-onen der Schmähung, der Formalbeleidigung und des Menschenwürdeangriffs vor-genommene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht der betroffenen Bundes-tagsabgeordneten und der Meinungsfreiheit des Angeklagten hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand.
a) Liegt keine Schmähkritik, keine Formalbeleidigung oder kein Angriff auf die Men-schenwürde vor, begründet dies bei Äußerungen, mit denen eine Person in ihrer Eh-re herabgesetzt wird, kein Indiz für den Vorrang der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfG NJW 2022, 1523). Voraussetzung einer strafrechtlichen Sanktion ist dann allerdings – wie es der Normalfall für den Ausgleich von Meinungsfreiheit und Persönlichkeits-recht ist – eine grundrechtlich angeleitete Abwägung, die an die wertungsoffenen Tatbestandsmerkmale und Strafbarkeitsvoraussetzungen des Strafgesetzbuchs, ins-besondere die Begriffe der „Beleidigung“ und der „Wahrnehmung berechtigter Inte-ressen“ anknüpft. Hierfür bedarf es einer umfassenden Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Falls und der Situation, in der die Äußerung erfolgte (vgl. BVerfG aaO; NJW 2020, 2622 jeweils mwN).
Zu den hierbei zu berücksichtigenden Umständen können insbesondere Inhalt, Form, Anlass und Wirkung der betreffenden Äußerung sowie Person und Anzahl der Äu-ßernden, der Betroffenen und der Rezipienten gehören. Das bei der Abwägung an-zusetzende Gewicht der Meinungsfreiheit ist umso höher, je mehr die Äußerung da-rauf zielt, einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, und umso gerin-ger, je mehr es hiervon unabhängig lediglich um die emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne Personen geht (vgl. BVerfG NJW 2020, 2622; BayObLG, Beschluss vom 15. August 2023 – 204 StRR 292/23 –, juris).
Bei der Gewichtung der durch eine Äußerung berührten grundrechtlichen Interessen ist zudem davon auszugehen, dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet. Teil dieser Freiheit ist, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträgerinnen und Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente sol-cher Äußerungen aus diesem Kontext herausgelöst werden und die Grundlage für einschneidende gerichtliche Sanktionen bilden. In die Abwägung ist daher einzustel-len, ob die Privatsphäre der Betroffenen oder ihr öffentliches Wirken mit seinen – unter Umständen weitreichenden – gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äuße-rung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität der Betroffenen von einer Äußerung ausgehen können (vgl. BVerfG aaO mwN; KG, Beschluss vom 1. Juni 2023 – 4 ORs 37/23 –).
b) Entsprechend diesen Grundsätzen hat die Berufungskammer eine Abwägung vor-genommen, in die sie die maßgeblichen Tatumstände, insbesondere Inhalt und Form der betreffenden Äußerung sowie die Person des Äußernden, der Betroffenen und die Anzahl der Rezipienten, eingestellt hat.
aa) Das Landgericht hat zutreffend berücksichtigt, dass der Angeklagte die Äuße-rung des gesondert verfolgten B wiederholte. Die Äußerung sei einerseits spontan und mündlich erfolgt, durch die Veröffentlichung auf dem Telegramkanal des Ange-klagten jedoch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Das Landgericht hat diesbezüglich zudem festgestellt, dass der Angeklagte das Video nach einem Tag löschte. Die sich daraus ergebende Würdigung des Landgerichts, dass die Zugänglichkeit des Videos nur für einen begrenzten Zeitraum und für einen begrenzten Personenkreis bestand, ist möglich und weder lückenhaft noch unklar oder widersprüchlich.
bb) Das Landgericht hat zudem in seine Abwägung einbezogen, dass der Angeklagte vor dem Bundestag zu der damals unmittelbar bevorstehenden Abstimmung zur Corona-Impfpflicht mehrere Politiker interviewte und die verfahrensgegenständliche Äußerung im Rahmen dieser Beschäftigung tätigte. Er habe sich dort „zur kritischen Auseinandersetzung mit dem parlamentarischen Handeln aufgehalten“ (UA S. 9). Insoweit hat das Landgericht angenommen, dass der Angeklagte auch auf das öf-fentliche Wirken der Betroffenen als Bundestagsabgeordnete abzielte. Es hat daraus unter erschöpfender Würdigung der dazu getätigten Feststellungen den nachvoll-ziehbaren Schluss gezogen, dass es sich bei der Äußerung um zulässige Machtkritik handelt; zumal der Angeklagte die Betroffene nach den Urteilsgründen auch als mit (seinen) Steuergeldern finanzierte Abgeordnete ansprach.
In diesem Zusammenhang berücksichtigt die Kammer zutreffend, dass unter dem Gesichtspunkt der Machtkritik nicht jede auch ins Persönliche gehende Beschimp-fung von Amtsträgern erlaubt ist (vgl. BVerfG NJW 2022, 680; BVerfG NJW 2022, 1523). Gerichte haben unter dem Aspekt der Machtkritik aber Auslegung und An-wendung des Art. 10 Abs. 2 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Men-schenrechte zu berücksichtigen, der in ständiger Rechtsprechung betont, dass die Grenzen zulässiger Kritik an Politikerinnen und Politikern, die bewusst in die Öffent-lichkeit treten, weiter zu ziehen sind als bei Privatpersonen (vgl. BVerfG NJW 2022, 680 mwN). Dies gilt mithin auch für die Betroffene, deren persönliche Herabwürdi-gung das Landgericht ebenso gewürdigt hat wie die Tatsache, dass sie als Bundes-tagsabgeordnete weithin bekannt ist und erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit be-ansprucht.
cc) Revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Berufungskammer in einer Gesamtbetrachtung die herabwürdigende Äußerung des Angeklagten als einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung betrachtet hat, hinter den der Ehr-schutz der Betroffenen im Ergebnis zurücktritt. Denn die Berufungskammer hat ins-besondere die maßgeblichen tatprägenden Begleitumstände rechtsfehlerfrei festge-stellt und in ihrer Abwägung berücksichtigt. Soweit das Landgericht zuletzt darauf verweist, dass die Benutzung des Wortes „es“ auch einen „Bezug zur aktuellen De-batte um die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen“ aufweist (UA S. 11), ist auch diese Wertung ohne Verstoß gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssät-ze und allgemeine Auslegungsregeln. Zwar wäre dagegen einzuwenden, dass es die aktuellen Debatten nicht gäbe, wenn das Pronomen „es“ geschlechtliche Identitäten hinreichend abbilden würde, und erkennt auch die Berufungskammer an, dass der Angeklagte mit „es“ gerade kein (gängigeres) geschlechtsneutrales Pronomen ver-wendet hat. Allerdings ist die sprachliche Entwicklung hinsichtlich verschiedener ge-schlechtlicher Identitäten weder in Bezug auf die Selbstbezeichnung noch in Bezug auf die Fremdbezeichnung bisher abgeschlossen. Die Würdigung des Landgerichts hält daher revisionsrechtlicher Prüfung stand.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: RiKG D. Neumann, Berlin
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