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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Erstreckung, Pflichtverteidiger, Rechtsmittel, Beschwer, Klarstellung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 25.06.2024 – 13 Qs 17/24

Leitsatz des Gerichts mit Ergänzungen/Änderungen:

1. Eine Beschwerde des Pflichtverteidigers gegen die Ablehnung der rückwirkenden Beiordnung für das hinzuverbundene Verfahren ist mangels Beschwer unzulässig, wenn die Verfahrensverbindung nach Beiordnung im führenden Verfahren erfolgt ist und das Gericht nach Verfahrensverbindung beschlossen hat, dass sich die Verteidigerbestellung auch auf das hinzuverbundene Verfahren erstreckt.
2. Nach der zum 01.01.2021 erfolgten Ergänzung von § 48 Abs. 6 S. 3 RVG ist klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Beiordnung nach der Verbindung nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 S. 1 StPO unmittelbar gilt.


In pp.

1. Die sofortige Beschwerde des Verteidigers Dr. S. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 24.05.2024, Geschäftsnummer: 473 Gs 705/24, wird als unzulässig verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Beschuldigten zunächst ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte unter dem Aktenzeichen 953 Js 161130/24 sowie ein weiteres Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung unter dem Aktenzeichen 953 Js 161667/24.

Mit Beschluss vom 10.03.2024 bestellte das Amtsgericht anlässlich der Haftbefehlseröffnung den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger des Beschuldigten für das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren mit dem (später vergebenen) Aktenzeichen 953 Js 161130/24.

Mit Schriftsätzen vom 11.03.2024 zeigte sich der Beschwerdeführer auch für weitere Ermittlungsverfahren der Polizeiinspektionen Fürth, Nürnberg-Mitte und Erlangen-Stadt als Verteidiger an und stellte im Namen des Beschuldigten den Antrag bei der jeweiligen Polizeiinspektion, als dessen Pflichtverteidiger bestellt zu werden.

Die polizeilichen Aktenzeichen wurden nach Eingang der Verfahren bei der Staatsanwaltschaft den staatsanwaltschaftlichen Verfahren Az. 953 Js 161130/24 und 953 Js 161667/24 zugeordnet.

Mit Verfügung vom 15.04.2024 hat die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren Az. 953 Js 161667/24 zum Verfahren Az. 953 Js 161130/24 verbunden (Bl. 91 Rs. d. Beiakte).

Mit Beschluss vom 18.04.2024, Geschäftsnummer 473 Gs 584/24, hat das Amtsgericht Fürth festgestellt, dass sich die Bestellung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger des Beschuldigten für das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren Az. 953 Js 161130/24 auch auf das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren Az. 953 Js 161667/24 erstreckt.

Mit Verfügung vom 02.05.2024 hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren Az. 953 Js 161667/24 zum Verfahren Az. 953 Js 161130/24 verbunden wurde (Bl. 212 d.A).

Mit Verfügung vom 10.05.2024 hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er in den Verfahren, welche unter dem staatsanwaltlichen Az. 953 Js 161667/24 erfasst wurden, bereits wegen des Erstreckungsbeschlusses des Amtsgerichts Fürth vom 18.04.2024 zum Pflichtverteidiger bestellt wurde (Bl. 217 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 15.05.2024 erklärte der Beschwerdeführer, dass er seinen Beiordnungsantrag zum staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren Az. 953 Js 161667/24 vom 11.03.2024 trotz zwischenzeitlicher Verbindung zum Verfahren Az. 953 Js 161130/24 aufrechterhalte und teilte mit, dass nach seinem Kenntnisstand über seinen Antrag vom 11.03.2024 noch nicht entschieden worden sei. Er äußerte in diesem Schriftsatz die Ansicht, dass eine rückwirkende Bestellung als Pflichtverteidiger jedenfalls dann zulässig sei, wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt worden sei und die Entscheidung über die Beiordnung aufgrund behördeninterner Vorgänge unterblieben sei.

Mit Verfügung vom 15.05.2024 hat die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht beantragt, die Beiordnungsanträge abzulehnen, da der Beschwerdeführer bereits in allen Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt sei (Bl. 256 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 23.05.2024 teilte der Beschwerdeführer dem Amtsgericht auf dessen Nachfrage mit, dass er seine Beiordnungsanträge nicht zurücknehme.

Mit dem beschwerdegegenständlichen Beschluss vom 24.05.2024 (dem Beschwerdeführer zugestellt am 27.05.2024) hat das Amtsgericht Fürth, Geschäftsnummer: 473 Gs 705/24, den Antrag des Beschwerdeführers, ihn „erneut zum Pflichtverteidiger des Beschuldigten zu bestellen“, abgelehnt (Bl. 257/258 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 03.06.2024, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, hat der Beschwerdeführer gegen den Beschluss vom 24.05.2024 „sofortige Beschwerde“ eingelegt (Bl. 265 d.A.).

II.

1. Die gemäß § 304 StPO statthafte Beschwerde ist mangels Beschwer des Beschwerdeführers bereits unzulässig.

a) Statthaft ist vorliegend nicht die sofortige Beschwerde gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO, sondern die einfache Beschwerde des Beschwerdeführers im eigenen Namen gemäß § 304 StPO. Zwar hat der Beschwerdeführer ausgeführt, er beantrage eine rückwirkende Beiordnung im hinzuverbundenen Verfahren. Eine weitere Begründung erfolgte nicht, die „sofortige Beschwerde“ wurde auch nicht im Namen des Beschuldigten eingelegt. Hätte der Beschwerdeführer tatsächlich eine sofortige Beschwerde im eigenen Namen gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1 StPO eingelegt, wäre eine solche nicht statthaft, weil der nicht beigeordnete Rechtsanwalt kein Beschwerderecht hat (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 142, Rn. 63, m.w.N.). Es kann jedoch dahinstehen, ob die Beschwerde im Namen des Beschuldigten eingelegt wurde und dieser ein eigenes Antragsrecht gemäß § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO hat (vgl. hierzu Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 142, Rn. 63, 19, 20, m.w.N.). Denn der Beschuldigte wäre jedenfalls ersichtlich nicht beschwert. Aufgrund der Verfahrensverbindung gilt die Pflichtverteidigerbestellung für das gesamte Verfahren (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 5, Rn. 1; § 140, Rn. 4).

Das Beschwerdeziel kann vorliegend nur darin bestehen, dem Beschwerdeführer sein Kosteninteresse zu sichern. Da das RVG keinen besonderen Rechtsbehelf für Anträge nach § 48 RVG vorsieht, ist die einfache Beschwerde gemäß § 304 StPO statthaft (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27.09.2011 – 1 Ws 64/10 –, juris Rn. 2). Dem Pflichtverteidiger steht ein eigenes Beschwerderecht etwa dann zu, wenn die Erstreckung der Wirkungen der Pflichtverteidigerbestellung nach § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG auf hinzuverbundene Verfahren abgelehnt wird (Kroiß in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., RVG, § 48, Rn. 126).

Dass das Amtsgericht aufgrund der Auslegung des eingelegten Rechtsbehelfs als sofortige Beschwerde der Ansicht war, zu einer Abhilfeentscheidung nicht befugt zu sein, führt nicht zu einer Zurückweisung zur Nachholung des Nichtabhilfeverfahrens. Diese kommt nämlich nur in Betracht, wenn dadurch das Verfahren beschleunigt wird (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 306, Rn. 10, m.w.N.). Da die Beschwerde vorliegend bereits mangels Beschwer unzulässig ist, kann es auch nicht zu einer Beschleunigung des Verfahrens durch die Durchführung des Abhilfeverfahrens kommen.

b) Allerdings ist der Beschwerdeführer durch den beschwerdegegenständlichen Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 24.05.2024 nicht beschwert. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits ein Erstreckungsbeschluss gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 StPO vor. Mit seiner Beschwerde kann der Beschwerdeführer daher keine Verbesserung seiner (gebührenrechtlichen) Position erreichen. Für eine weitere rückwirkende Beiordnung im hinzuverbundenen Verfahren besteht kein Raum.

aa) Eine Beschwer setzt gem. § 304 Abs. 2 StPO voraus, dass der Beschwerdeführer durch die Entscheidung unmittelbar in seinen eigenen Rechten und der Wahrnehmung geschützter Interessen nachteilig betroffen wird (BGH, Beschluss vom 07.04.2020 – StB 8/20 –, juris Rn. 8; OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.03.2020 – 1 Ws 19/20 –, juris Rn. 6; Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 304, Rn. 6; Neuheuser in: MüKoStPO, 2. Aufl., § 304, Rn. 38).

Das ist vorliegend nicht der Fall, da der Beschwerdeführer aufgrund des Erstreckungsbeschlusses des Amtsgerichts Fürth vom 18.04.2024 auch für das zum staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren Az. 953 Js 161130/24 hinzuverbundene Verfahren Az. 953 Js 161667/24 auch hinsichtlich seines Kosteninteresses als Pflichtverteidiger anzusehen ist, da bereits durch den Erstreckungsbeschluss die Wirkungen des § 48 Abs. 6 Sätze 1 und 3 RVG eintreten.

bb) Konstellationen, in denen Verfahren abgeschlossen werden, ohne dass es jemals zu einer Pflichtverteidigerbestellung kommt, unterscheiden sich vom vorliegenden Fall. Hier kam es zur Erledigung des Verfahrens (Az. 953 Js 161667/24) durch Hinzuverbindung zu einem anderen Verfahren (Az. 953 Js 161130/24), in dem bereits eine Bestellung zum Pflichtverteidiger bestand, und der anschließenden Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung auf das hinzuverbundene Verfahren. In dieser Situation gilt für die Pflichtverteidigerbestellung die gebührenrechtliche Rückwirkungsfiktion nach § 48 Abs. 6 Sätze 1 und 3 RVG (vgl. OLG Hamburg, Beschluss vom 17.09.2012 – 3 Ws 93/12 –, juris Rn. 11; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., § 48, Rn. 171). Eine Vergütung des beigeordneten Verteidigers aus der Staatskasse ist für das hinzuverbundene Verfahren jedenfalls bei Vorliegen eines Erstreckungsbeschlusses gemäß § 48 Abs. 6 S. 3 RVG auch im hinzuverbundenen Verfahren gewahrt, soweit er im hinzuverbundenen Verfahren tätig geworden war.

cc) Soweit der Beschwerdeführer sich auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Bamberg vom 29.04.2021, Az. 1 Ws 260/21, beruft, ist anzumerken, dass es in dem vom Oberlandesgericht Bamberg entschiedenen Fall nicht um eine Verfahrensverbindung ging, sondern um einen Fall, in dem das Verfahren gegen den Beschwerdeführer schon vor Entscheidung über den Beiordnungsantrag rechtskräftig abgeschlossen wurde und damit die Notwendigkeit seiner Verteidigung entfallen ist. Für diesen Fall, in dem das Erstgericht eine Bestellung des Pflichtverteidigers abgelehnt hatte, hat das Oberlandesgericht Bamberg das Vorliegen einer Beschwer bejaht (OLG Bamberg, Beschluss vom 29.04.2021 – 1 Ws 260/21 –, juris Rn. 6). Umstritten ist, ob die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers in Betracht kommt, wenn der Antrag auf gerichtliche Beiordnung vor Verfahrensabschluss gestellt wurde, die Voraussetzungen des § 140 StPO vorgelegen haben und aufgrund justizinterner Umstände eine rechtzeitige Bescheidung des Antrags unterblieben ist (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 08.02.2022 – 12 Qs 5/22 –, juris Rn. 4, m.w.N.).

dd) Ein solcher Fall liegt hier gerade nicht vor. Die vorliegende Konstellation wurde durch die Änderung des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG im Jahr 2021 geregelt. Jedenfalls bei Vorliegen des entsprechenden Erstreckungsbeschlusses ist es auch aus der Sicht des Pflichtverteidigers unerheblich, ob dieser zutreffend erlassen wurde und ob beim Erlass des Beschlusses geprüft wurde, ob der Pflichtverteidiger im hinzuverbundenen Verfahren bereits als Wahlverteidiger tätig geworden war (vgl. hierzu OLG Rostock, Beschluss vom 25.11.2013 – Ws 359/13 –, juris Rn. 11). Liegt ein Erstreckungsbeschluss gemäß § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG vor, fehlt es jedenfalls an einer Beschwer des Pflichtverteidigers.

Die Regelung in § 48 Abs. 6 RVG, welche auch für hinzuverbundene staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gilt, in denen anwaltliche Tätigkeiten erbracht wurden (Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., § 48, Rn. 183), enthält Ausnahmen zu dem Grundsatz, dass Vergütungsansprüche gegen die Staatskasse erst ab Bestellung bzw. Beiordnung entstehen (Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., § 48, Rn. 171). Hierbei tritt die Rückwirkung entweder nach § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG automatisch oder gem. § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG durch Erstreckungsbeschluss ein. Während es früher umstritten war, inwiefern bei Verfahrensverbindung ein Erstreckungsbeschluss notwendig ist, stellt § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG nunmehr klar, dass bei der Verbindung von Verfahren nach der Beiordnung in einem der Verfahren die Erstreckung von einer gerichtlichen Feststellung abhängt (LG Osnabrück, Beschluss vom 27.12.2023 – 1 Qs 70/23 –, juris Rn. 14; Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., § 48, Rn. 183; Ahlmann in: Ahlmann/Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz, RVG, 11. Aufl., § 48 Rn. 43). Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der die Ergänzung des § 48 Abs. 6 Satz 3 RVG im Jahr 2021 („und ist der Rechtsanwalt nicht in allen Verfahren bestellt oder beigeordnet“) ausdrücklich für Fälle der nach der Beiordnung oder Bestellung erfolgten Verfahrensverbindungen vorgesehen hat. Durch die Neuregelung wird indirekt auch klargestellt, dass die Anordnung einer Erstreckungswirkung bei einer anwaltlichen Bestellung oder Beiordnung nach der Verbindung deshalb nicht erforderlich ist, weil § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG unmittelbar gilt (BT-Drucks. 19/23484, S. 78/79).

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


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