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Entscheidungen

StPO

Zustellung, Zustellungsbevollmächtigter, Zeitpunkt der Zustellung, Wiedereinsetzung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Kempten, Beschl. v. 20.12.2022 - 2 Qs 194/22

Eigener Leitsatz:

Gemäß der Entscheidung des EuGH vom 22.04.2017, Az.C-124/16, C-188/16 und C-213/16, C-124/16, C-188/16, C-213/16, sind die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund des Art. 6 der Richtlinie 2012/13 richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Beschuldigter keinen festen Wohnsitz hat und daher einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, und an diesen dann ein Strafbefehl zugestellt wird, in dem Moment, in dem der Beschuldigte vom Strafbefehl tatsächlich Kenntnis erlangt, durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand über die volle Einspruchsfrist verfügen können muss.


Landgericht Kempten (Allgäu)

2 Qs 194/22

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:


wegen Vergehen nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 BtMG

hier: sofortige Beschwerde der Wahlverteidigerin

erlässt das Landgericht Kempten (Allgäu) - 2. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 20. Dezember 2022 folgenden

Beschluss

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 22.11.2022 wird dieser aufgehoben und dem Angeklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 22.06.2022 gewährt.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Mit dem Beschluss vom 22.11.2022 hat das Amtsgericht Kempten (Allgäu) den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Versäumung der Einspruchsfrist gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) vom 22.06.2022 abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Verteidigerin vom 25.11.2022, begründet am 06.12.2022. Das Amtsgericht Kempten hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Der Angeklagte war am 29.08.2021 mit Betäubungsmitteln aufgefunden wurden, bezüglich derer er noch vor Belehrung angab, diese in den Niederlanden erworben und eingeführt zu haben. Die Betäubungsmittel hatten einen Wirkstoffgehalt von insgesamt 5,905 g THC.

Er gab damals an, in einigen Tagen ohne festen Wohnsitz zu sein.

Die Staatsanwaltschaft ordnete daher ausweislich des Aktenvermerks der PI Kempten vom 23.11.2021 (Bl. 3/6 d.A.) die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten an.

Der Angeklagte unterschrieb ausweislich Bl. 15 der Akte noch am 29.08.2021 ein vorformuliertes Formular zur Zustellungsvollmacht, in dem er „Herrn/Frau pp., POKin, pp., Kempten (Allgäu)“ die Vollmacht „zum Empfang sämtlicher gerichtlicher/staatsanwaltschaftlicher Mitteilungen, Zustellungen oder Ladungen“ erteilte.

Das Amtsgericht Kempten erließ mit Datum vom 22.06.2022 Strafbefehl wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln. Der Strafbefehl sieht eine Geldstrafe von 270 Tagessätzen à 10 Euro vor.

Der Strafbefehl wurde der Zustellungsbevollmächtigten der Polizeiinspektion Kempten, pp., am 29.06.2022 zugestellt.

Der Angeklagte wurde am 21.10.2022 in anderer Sache (460 Js 20391/22) festgenommen. Am 22.10.2022 erging ein entsprechender Haftbefehl. Die Untersuchungshaft wurde am 23.10.2022 unterbrochen und mit der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe aus einem anderen Strafverfahren begonnen (Az. 460 VRs 14510/21). Die Vollstreckung aus dem hier vorliegenden Strafverfahren ist derzeit ab dem 22.04.2023 vorgesehen.

Mit Schreiben vom 04.11.2022 übersandte die Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) dem Ange-klagten auf dessen Bitte den verfahrensgegenständlichen Strafbefehl. Mit Schreiben vom 10.11.2022, zugegangen per beA am selben Tag, legte seine Verteidigerin Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist statthaft und auch sonst zulässig, § 306 Abs. 1 StPO.

Gemäß der Entscheidung des EuGH vom 22.04.2017, Az.C-124/16, C-188/16 und C-213/16, C-124/16, C-188/16, C-213/16, sind die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund des Art. 6 der Richtlinie 2012/13 richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass in einem Fall, in dem ein Beschuldigter keinen festen Wohnsitz hat und daher einen Zustellungsbevollmächtigten benennt, und an diesen dann ein Strafbefehl zugestellt wird, in dem Moment, in dem der Beschuldigte vom Strafbefehl tatsächlich Kenntnis erlangt, durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand über die volle Einspruchsfrist verfügen können muss.“

Art. 6 der Richtlinie 2012/13 sieht in seinem ersten Absatz folgendes vor: „ Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Verdächtige oder beschuldigte Personen über die strafbare Handlung unterrichtet werden, deren sie verdächtigt oder beschuldigt werden. Diese Unterrichtung erfolgt umgehend und so detailliert, dass ein faires Verfahren und eine wirksame Ausübung ihrer Verteidigungsrechte gewährleistet werden.“ Als Sicherstellung der Unterrichtung in diesem Sinne genügt es nicht, dass der Beschuldigte die Möglichkeit hat, sich bei einer Stelle zu informieren, ob eine Straftat gegen ihn vorliegt oder nicht. Hierzu ist es vielmehr notwendig, dass ihm, wenn er - wie hier - durch den Zustellungsbevollmächtigten innerhalb der Einspruchsfrist keine tatsächliche Kenntnis von dem Strafbefehl er langt hat, die Wiedereinsetzung gewährt wird und die Einspruchsfrist neu zu laufen beginnt.

Einer Glaubhaftmachung bedurfte es vorliegend nicht, da sich alle notwendigen Tatsachen aus der Akte ergeben. Eine persönliche Bekanntgabe des Strafbefehls an den Angeklagten durch die Zustellungsbevollmächtigte ist in den Akten nirgends vermerkt, so dass davon ausgegangen wer-den kann, dass eine solche auch nicht erfolgte, sondern, wie vom Angeklagten angegeben, erst mit der formlosen Übersendungen an ihn in die JVA.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: RAin F. Nißle, Kempten (Allgäu)

Anmerkung:


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