Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 04.06.2024 - 203 StRR 184/24
Eigener Leitsatz:
1. Die Formulierung "entwendete" in den Urteilsgründen ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft.
2. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO gestattet nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt.
3. Bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung hat der Tatrichter zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren.
4. In Fällen einer Kumulation von Alkohol und Betäubungsmitteln ist in der Regel die Hinzuziehung eines Sachverständigen sachdienlich.
Bayerisches Oberstes Landesgericht
203 StRR 184/24
In dem Strafverfahren
gegen pp.
wegen Diebstahls
erlässt das Bayerische Oberste Landesgericht - 3. Strafsenat - durch die unterzeichnenden Richter am 4. Juni 2024 folgenden
Beschluss
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21 .
November 2023 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte wendet sich mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision gegen ein Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21. November 2023. Das Landgericht hat darin die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg unbegründet verworfen mit der Maßgabe, dass der Angeklagte wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt worden ist. Der Generalstaatsanwalt in München beantragt, auf die Revision des Angeklagten das Urteil wegen ungenügender Feststellungen aufzuheben.
Die Revision des Angeklagten erweist sich als zulässig und begründet.
1. Die Feststellungen des Landgerichts genügen nicht, um eine Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Diebstahls zu tragen. Das Landgericht hat außer Acht gelassen, dass die in den Urteilsgründen gewählte Formulierung "entwendete" ohne nähere Darlegung der Vorgehensweise des Täters nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an die Darstellung eines vollendeten Diebstahls in einem Ladengeschäft genügt.
a) Der Begriff des Entwendens lässt offen, wie sich die Tat abgespielt hat und ob die Wegnahme im Rechtssinne vollendet wurde (St. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juli 2023 - 203 StRR 255/23 -, unveröffentlicht; BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 — 202 StRR 33/21 —, juris; KG Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 2019 — 3 Ss 89/19 —, juris Rn. 8 ff.; OLG Dresden, Beschluss vom 12. März 2015 — 2 OLG 22 Ss 14/15 —, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 - III-5 RVs III/13 juris; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 - III-5 RVs 38/13 juris; Quentin in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 318 Rn. 39). Für eine vollendete Wegnahme ist erforderlich, dass der Täter hinsichtlich der zuzueignenden Sache fremden Gewahrsam gebrochen und neuen begründet hat (St. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 6. März 2019 - 5 StR 593/18-, juris m.w.N.; Schmitz in MüKo-StGB, 4. Aufl. § 242 Rn. 83 ff.; Bosch in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 242 Rn. 37 ff.; Fischer, StGB, 71. Aufl., § 242 Rn. 16 ff.). Für die Frage des Wechsels der tatsächlichen Sachherrschaft bei einem Ladendiebstahl ist entscheidend, dass der Täter diese derart erlangt, dass er sie ohne Behinderung durch den alten Gewahrsamsinhaber ausüben kann und dieser über die Sache nicht mehr verfügen kann, ohne seinerseits die Verfügungsgewalt des Täters zu brechen (BGH, Urteil vom 6. März 2019 — 5 StR 593/18 —, juris Rn. 3). Maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalls (vgl. zu den möglichen Fallkonstellationen beim Ladendiebstahl Vogel/Brodowski in: Leipziger Kommentar zum StGB, 13. Aufl., § 242 Rn. 100 ff.; Bosch a.a.O. Rn. 39). Allein der Umstand, dass die Sache zurückgegeben wurde, lässt noch keinen verlässlichen Schluss auf die Begründung von Gewahrsam von Seiten des Täters zu (vgl. BayObLG, Beschluss vom 7. April 2021 a.a.O. Rn. 5). Entsprechendes gilt für die Feststellung der gewerbsmäßigen Begehungsweise. Weder der Verweis auf ein Geständnis des Angeklagten noch die Darlegung seiner Absicht kann die fehlenden Ausführungen zu den Gewahrsamsverhältnissen kompensieren (zum Geständnis vgl. Senat a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2013 - III-5 RVs III/13 -, juris Rn. 9; OLG Hamm, Beschluss vom 6. Mai 2013 — III-5
RVs 38/13 juris).
b) Auch die in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgte Bezugnahme auf mehrere Lichtbilder, die die entwendeten Parfums zeigen, vermag die fehlenden Feststellungen nicht zu ersetzen. Nach § 267 Abs. 1 §. 1 und §. 3 StPO müssen die Urteilsgründe im Falle einer Verurteilung die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden; wegen der Einzelheiten kann auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, verwiesen werden. Satz 3 der Vorschrift gestattet jedoch nur die ergänzende Heranziehung von Abbildungen, nicht jedoch eine Verweisung auf ein Schriftstück, soweit es auf den Wortlaut ankommt (BGH, Urteil vom 20. Oktober 2021 — 6 StR 319/21 juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 20. Januar 2021 —2 StR 242/20 —, juris Rn. 19, 21). Da der Tatrichter nur auf die - eine Wegnahme nicht belegenden - Lichtbilder verwiesen hat, könnte der Senat aus den Abbildungen einen Gewahrsamsbruch nicht ableiten. Dass auch ein außerhalb der Lichtbilder befindlicher Text Gegenstand der Inaugenscheinnahme gewesen wäre und vom Gericht und den Beteiligten wahrgenommen worden ist, lässt sich den Ausführungen im Urteil nicht entnehmen. Der Senat darf daher die Bildunterschrift in der Revision nicht zur Kenntnis nehmen. Auf die in der Rechtsprechung nicht endgültig geklärte Frage, inwieweit ein Text innerhalb einer Abbildung von der Regelung des § 267 Abs. 1 §. 3 StPO erfasst ist (vgl. BayObLG5 Beschluss vom 31 . Januar 2022 - 202 ObOWi 106/22 juris; KG, Beschluss vom 23. April 2021BeckRS 2021, 12952; BeckOK StPO/Peglau, 51. Ed. 1.4.2024, StPO § 267 Rn. 9; Bartel in KK-StPO, 9. Aufl., § 267 Rn. 43), kommt es daher nicht an.
c) Der Aussagegehalt des verlesenen Strafantrags vom 13. März 2023, auch in Verbindung mit der Würdigung der Berufungskammer, dass der — im Urteil nicht wiedergegebene - Inhalt des Strafantrags mit dem Geständnis des Angeklagten übereinstimme, steht dem Senat für eine Ergänzung der Urteilsgründe nicht zur Verfügung. Denn die Tat bezieht sich nicht auf eine geringwertige Sache im Sinne von § 248a StGB, so dass der Strafantrag keine von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmende Verfahrensvoraussetzung darstellt (vgl. zur Verwertung von zulässig in das Revisionsverfahren eingeführten Inhalten BGH, Beschluss vom 20. September 2022 — 3 StR 203 StRR 184/24 200/22 -, juris Rn. 6 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 21. März 1996 - 4 StR 79/96 —, juris Rn. 5; BayObLG, Urteil vom 16. Dezember 2022 - 202 StRR 1 10/22 -, juris Rn. 6).
2. Die Annahme des Landgerichts, die Schuldfähigkeit des Angeklagten sei vollständig erhalten gewesen, ist ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet. Nach den Feststellungen der Berufungskammer fand der Diebstahl am 13. März 2023 zwischen 16.25 und 16.35 Uhr statt. Eine bei dem betäubungsmittelabhängigen Angeklagten am Tattag um 20.58 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,38 Promille im Mittelwert. Zudem waren im Blut des Angeklagten Metamphetamin, Cannabis und 11-Hydroxy-THC nachweisbar. Der untersuchende Arzt stellte eine verwaschene Sprache und geringe Ausfallerscheinungen beim Romberg-Steh-Test und beim Seiltänzer-Test fest. Nach den damaligen Angaben des Angeklagten wäre eine vollständige Erinnerung an den zugrundeliegenden Vorfall vorhanden gewesen. In der Hauptverhandlung hat der geständige Angeklagte behauptet, nur verschwommene Erinnerungen an den Diebstahl zu haben. Die Ware hätte der Finanzierung des Emerbs von Metamphetamin dienen sollen. Die Ausführungen der Berufungskammer, die auf der Grundlage dieser Feststellungen ohne die Hinzuziehung eines Sachverständigen zu dem Ergebnis gekommen ist, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat uneingeschränkt schuldfähig war, genügen nicht den Anforderungen der Rechtsprechung.
a) Bei der Schuldfähigkeitsbeurteilung hat der Tatrichter zwischen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit zu differenzieren (St. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15-, juris; vom 15. Februar 2008 - 2 StR 22/08, juris Rn. 4; Fischer a.a.O. § 20 Rn. 44b m.w.N.). Nach der gefestigten Rechtsprechung gibt es keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration die Schuldfähigkeit regelmäßig aufgehoben ist (BGH, Urteil vom 11. Januar 2024 — 3 StR 280/23 —, juris Rn. 20 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 30. April 2015 — 2 StR 444/14 —, juris; BGH, Beschluss vom 13. Februar 2013 — 4 StR 557/12 juris Rn, 9; streng in MüK0-StGB, 4. Aufl. § 20 Rn. 68; Verrel/Linke/Koranyi in Leipziger Kommentar 13. Aufl., § 20 Rn. 101). Dies gilt insbesondere, wenn eine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit durch Rückrechnung aus dem Wert einer später entnommenen Blutprobe bestimmt worden ist. Eine ermittelte Blutalkoholkonzentration kann ein - bei hohen Werten auch gewichtiges - Beweisanzeichen für eingeschränkte oder aufgehobene Schuldfähigkeit, aber keinesfalls ein für sich genommen entscheidendes Indiz sein (St. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 21 f.; streng a.a.O. § 20 Rn. 69; NK-StGB/Schild/Zabel, 6. Aufl. 2023, StGB § 20 Rn. 80; Verrei/Linke/Koranyi a.a.O. § 20 Rn. 95, 99 ff.).
b) Für die Beurteilung der Schuldfähigkeit maßgeblich ist vielmehr eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände, die sich auf das Erscheinungsbild des Täters vor, während und nach der Tat beziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Mai 2023 1 StR 41/23, juris Rn. 23; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 21; Fischer a.a.O. § 20 Rn. 17; streng a.a.O. § 20 Rn. 69; Schild/Zabel a.a.O. Rn. 82; BeckOK StGB/EscheIbach, 60. Ed. 1.2.2024, StGB § 20 Rn. 26; Perron/Weißer in Schönke/Schröder a.a.O. § 20 Rn. 16e). In die Gesamtwürdigung sind sowohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration als auch psychodiagnostische Kriterien einzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juni 2021 - 2 StR 168/21, juris Rn. 8; vom 29. Mai 2012 - 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247 Rn. 22 f.). Bei entsprechenden Ausfallerscheinungen, spezieller persönlicher Disposition, affektiver Erregung oder sonstigen Auffälligkeiten in Person und Tat können die Voraussetzungen des § 20 StGB auch schon bei einer Blutalkoholkonzentration unter 3,0 Promille vorliegen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2007 — 5 StR 26/07 —, juris; Fischer a.a.O. Rn. 20a; Verrel/Linke/Koranyi a.a.O. § 20 Rn. 100 ff.). Stand ein nicht unerheblich alkoholisierter Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln, bedarf diese Mischintoxikation einer Einstellung in die Gesamtwürdigung.
aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung begründet zwar die bloße Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein noch keine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit (BGH, Urteil vom 8. April 1997 - 1 StR 65/97-, juris; streng a.a.O. § 20 Rn. 105). Diese Folge ist bei einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, zum Beispiel wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines akuten Rausches verbunden etwa mit Realitätsverlust, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen verübt (vgl. BGH a.a.O. m.w,N.; Streng a.a.O. Rn. 105; Schild/Zabel a.a.O. Rn. 84; Eschelbach a.a.O. § 20 Rn. 28; Verrei/Linke/Koranyi a.a.O. § 20 Rn. 116).
bb) Stand der Täter jedoch zur Tatzeit nicht nur unter dem Einfluss von Alkohol, sondern weiterer Substanzen, darf sich der Tatrichter nicht darauf beschränken, den Einfluss der Substanz(en) und die Alkoholisierung jeweils isoliert zu betrachten. Denn der kombinierte Genuss von Alkohol und Drogen oder Medikamenten kann das Hemmungsvermögen weiter verringern als der bloße Alkoholkonsum (BGH, Beschluss vom 26. Mai 2000 — 4 StR 131/00 —, juris). Der Tatrichter hat daher in einer Gesamtbetrachtung die Kombinations- und Wechselwirkung der Stoffe zu würdigen (Fischer a.a.O. § 20 Rn. 26a; Streng a.a.O. § 20 Rn. 71; Perron/Weißer a.a.O. § 20 Rn. 16e; Verrel/Linke/Koranyi a.a.O. Rn. 180 ff.). Dazu muss die Strafkammer konkret feststellen, in welchem Umfang der Betäubungsmittelgenuss die Alkoholverträglichkeit eines Angeklagten beeinflusst und ob er das Hemmungsvermögen zusätzlich gemindert hat (BGH, Beschluss vom 12. Mai 2021 —2 StR 452/20-, juris zu kombiniertem Konsum und psychischer Erkrankung; BGH, Beschluss vom 26. Mai 2000 —4 StR 131/00 —, juris zu Alkohol und Kokain; BGH, Beschluss vom 15. März 2000 — 1 StR 35/00 —, juris Rn. 11 zu Kokainbeikonsum; BGH, Beschluss vom 15. Mai 1992 - 2 StR 186/92 -, juris zu Heroin und Alkohol; streng a.a.O. § 20 Rn, 71).
cc) Im vorliegenden Fall hat die Berufungskammer zwar die gebotene Hochrechnung der Blutalkoholkonzentration vorgenommen. Auch die Erwägungen, dass der Angeklagte Alkohol und Drogen gewöhnt war (vgl. BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015 — 2 StR 1 15/15 juris) und nach eigenen Angaben unter keinen Entzugserscheinungen litt, sind grundsätzlich nicht zu beanstanden. Ein durchgreifender Rechtsfehler liegt aber darin, dass die Berufungskammer eine mögliche Kombinations- und verstärkende Wirkung der Betäubungsmittel nicht in ihre Überlegungen miteingestellt hat. Dazu hätte hier Veranlassung bestanden, da zum einen auch die Einnahme von Metamphetamin eine Erhöhung der Risikobereitschaft und eine Enthemmung bewirken kann (Patzak in Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., Vorbem zu SS 29 ff. BtMG Rn. 408; zur Ähnlichkeit der Wirkung von Kokain und Metamphetamin Priemer in Buck/Gieg, Sachverständigenbeweis im Verkehrs- und Strafrecht, 3. Aufl., Teil 4 § 9 Rn. 198) und zum anderen der Angeklagte auch noch unter der Wirkung einer dritten Stoffgruppe, nämlich THC, stand.
dd) Ein Fall, dass das Tatbild ein Geschehen mit komplexen Handlungsanforderungen an den Angeklagten wiedergeben würde, deren Bewältigung für eine erhaltene Schuldfähigkeit sprechen könnte, ist in den Urteilsgründen nicht dargelegt. Mangels Feststellungen zur Wegnahme lässt sich nämlich keine Aussage zum konkreten Vorgehen des Angeklagten treffen. Die Erwägung der Strafkammer zu „zumeist vorhandenen Sicherungsmechanismen" und einem verhältnismäßig gut gesicherten Umfeld ist für den Senat ohne Tatsachengrundlage nicht nachzuvollziehen. Zudem können bei erheblich alkoholgewöhnten Menschen äußeres Leistungsverhalten und innere Steuerungsfähigkeit weit auseinanderfallen. Aus planvollem oder situationsgerechtem Vorgehen allein, das lediglich die Verwirklichung des Tatvorsatzes darstellt, lassen sich regelmäßig keine tragfähigen Schlüsse in Bezug auf die Steuerungsfähigkeit des Täters ziehen (St. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juni 2021 -2 StR 168/21 — juris Rn. 1 1 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 12. Juni 1996 — 2 StR 202/96 juris; Fischer a.a.O. § 20 Rn. 24, 25; Verrel/Linke/Koranyi a.a.O. § 20 Rn. 104 m.w.N.).
ee) Wie verlässlich und detailliert die Erinnerung des Angeklagten an den Tatablauf zum Zeitpunkt der mehrere Stunden nachfolgenden Blutentnahme war, kann der Senat mangels Feststellungen zum Tathergang und mangels Wiedergabe der Schilderung des Angeklagten nicht nachprüfen. Dem Erinnerungsvermögen käme zudem nur eine bedingte Aussagekraft zu (vgl. BGH, Beschluss vom 2. November 2021 — 1 StR 291/21-, juris; Fischer a.a.O. § 20 Rn. 24a).
ff.) Der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Blutentnahme nur geringe Ausfallerscheinungen dokumentiert wurden, kann ohne die Expertise eines Sachverständigen für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nur beschränkt herangezogen werden, da die ärztliche Untersuchung erst mehrere Stunden nach der Tat erfolgte.
gg) Soweit das Landgericht aus der Schilderung der Beweggründe und Motive in der Hauptverhandlung einen Rückschluss auf den Zustand des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat gezogen hat, hätte es die Möglichkeit einer prozesstaktischen Einlassung bedenken müssen.
3. Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass in Fällen einer Kumulation von Alkohol und Betäubungsmitteln in der Regel die Hinzuziehung eines Sachverständigen sachdienlich ist. Für die Beurteilung der Erfolgsaussicht einer Unterbringung nach § 64 StGB ist zudem auch nach der Neuregelung der gesetzlichen Vorschrift eine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgebenden Umstände vorzunehmen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, §. 70; BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2023 — 6 StR 472/23-, juris Rn. 6).
Einsender: RA T. Lößel, Nürnberg
Anmerkung:
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