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Entscheidungen

StPO

Besetzungseinwand, formelle Anforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburgisches, Beschl. v. 22.05.2024 – 1 Ws 65/24 (S)

Eigener Leitsatz:

Zu den formellen Anforderungen an den Besetzungseinwand.


In pp.

Der Besetzungseinwand des Verteidigers Rechtsanwalt pp. vom 6. März 2024 wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

Vor der 5. großen Strafkammer – Wirtschaftsstrafkammer – des Landgerichts Potsdam findet seit dem 6. März 2024 die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten („Name 01“) und zwei weitere Mitangeklagte wegen des Vorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt statt.

Mit Verfügung vom 11. Januar 2024 teilte der Kammervorsitzende dem Verteidiger des Angeklagten („Name 01“) unter gleichzeitiger Ladung zur am 6. März 2024 beginnenden Hauptverhandlung die Gerichtsbesetzung mit. An der Hauptverhandlung sollten der Mitteilung zufolge als beisitzende Berufsrichterinnen Richterin am Landgericht W. und Richterin (auf Probe) V. teilnehmen.

Mit Beschluss vom 27. Februar 2024 wies das Präsidium des Landgerichts Potsdam ab dem 01. März 2024 Richterin (auf Probe) B. mit einem Arbeitskraftanteil von 15 % der 5. Strafkammer zu.

Die 5. Strafkammer änderte daraufhin mit Beschluss vom 29. Februar 2024 die Geschäftsverteilung; darin heißt es u.A.:

Randnummer5
„Die Richterin V. hat vom Präsidenten des Brandenburgischen Oberlandesgerichts den Auftrag erhalten, ab dem 1. April 2024 ihren Dienst am Amtsgericht Brandenburg an der Havel zu leisten. Sie soll daher nicht mehr an Verhandlungen beteiligt sein, die im März 2024 beginnen. Für solche Verhandlungen hat das Präsidium des Landgerichts Potsdam mit Beschluss vom 27. Februar 2024 die Richterin B. mit einem Arbeitskraftanteil von 15 % zugewiesen. Diese personelle Änderung macht eine Änderung der Kammergerichtsverteilung notwendig.

I. Besetzung der Kammer
[…]
Richterin V. (mit 85% der Arbeitskraft) Beisitzerin BE II
Richterin B. (mit 15% der Arbeitskraft) Beisitzerin BE III
[…]

III. Gerichtsbesetzung in der Hauptverhandlung

1. Soweit die Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern stattfindet, nehmen an ihr der Vorsitzende, BE‘in I und BE’in II teil. An Verhandlungen, die ab dem 1. März 2024 begonnen wurden, nimmt die BE’in II nicht teil, statt ihrer tritt BE’in III ein.

[…]“

Die sich aus der neuen Geschäftsverteilung ergebende geänderte Gerichtsbesetzung für die anstehende Hauptverhandlung teilte der Vorsitzende dem Verteidiger mit Verfügung vom 29. Februar 2024 mit. Hiernach sollten neben ihm als weitere Berufsrichter Frau Richterin am Landgericht W. und Frau Richterin B. teilnehmen.

Der Verteidiger des Angeklagten („Name 01“) beantragte noch am selben Tag mit an den Strafkammervorsitzenden und an die Verwaltung des Landgerichts gerichteter E-Mail die Übersendung des aktualisierten Geschäftsverteilungsplans nebst Protokoll sowie den kammerinternen Beschluss über die geänderte Geschäftsverteilung.

Mit E-Mail vom 01. März 2024 übersandte der Vorsitzende der 5. großen Strafkammer dem Verteidiger den Präsidiumsbeschluss vom 27. Februar 2024 und den Beschluss der Kammer vom 29. Februar 2024.

Gegen die geänderte Gerichtsbesetzung erhob der Verteidiger unter dem 6. März 2024, noch vor Beginn der Hauptverhandlung, schriftsätzlich den Besetzungseinwand. Der Besetzungseinwand ging über das besondere Anwaltspostfach am 6. März 2024, 12:25:26 Uhr, bei Gericht ein; die Hauptverhandlung begann am 6. März 2024 um 13:00 Uhr.

Mit E-Mail vom 7. März 2024 bat der Vorsitzende die Verwaltung um Übersendung eines „Abdruck(s) der Begründungserwägungen, die dem Beschluss des Präsidiums zugrunde liegen, der 5. Strafkammer die Richterin B. zuzuweisen.“

Am selben Tag richtete die Verwaltung an den Verteidiger ein Schreiben, welches u.a. folgenden Inhalt hatte:

„Dem Präsidiumsbeschluss Nr. 3/2024 vom 27.02., Ziffer 1., liegt folgender Vermerk vom 20.2.2024 zugrunde:

‚Frau Richterin B. hat ab dem 01.03.2024 einen Dienstleistungsauftrag im Umfang von 15 % und ab dem 01.04.2024 zu 100 % an das Landgericht Potsdam erhalten. Der Dienstleistungsauftrag von Frau Richterin V. an das Landgericht Potsdam endet mit Ablauf des 31.03.2024; ab dem 01.04.2024 hat sie einen Dienstleistungsauftrag beim Amtsgericht Brandenburg/Havel erhalten. Im Hinblick auf das Ausscheiden von Frau Richterin V. aus der 5. Strafkammer, in welcher sie derzeit mit einem Arbeitskraftanteil von 85 % tätig ist, soll Frau B. bereits ab dem 01.03.2024 der 5. Strafkammer mit einem Arbeitskraftanteil von 15 % zugewiesen werden. Es ist beabsichtigt, sie ab dem 01.04.2024 mit einem überwiegenden Anteil ihrer Arbeitskraft der 5. Strafkammer zuzuweisen.

Eine Änderung der Dezernatszahl der 5. Strafkammer für den Monat März soll im Hinblick auf den lediglich zwischenzeitlichen Zuwachs an Arbeitskraft nicht erfolgen.“

Mit Beschluss vom 11. März 2024 erachtete die Kammer den Besetzungseinwand für sowohl unzulässig als auch unbegründet und legte ihn – über die Staatsanwaltschaft – dem Senat zur Entscheidung vor.

Das Sonderheft „Besetzungsrüge“ ist mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg vom 17. April 2024, den Besetzungseinwand als unbegründet zu verwerfen, erst am 26. April 2024 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen. Die Generalstaatsanwaltschaft erachtet den Besetzungseinwand als unzulässig und unbegründet. Dem Verteidiger des Angeklagten („Name 01“) ist die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zur Kenntnis gegeben worden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Mai 2024 ist er dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft entgegengetreten, da „die Gerichtsbesetzung bzw. deren Mitteilung […] manipulativ und willkürlich“ sei [„manipulativ“ und „willkürlich“ im Originalschriftsatz durch Fettdruck und Unterstrich hervorgehoben].

II.

Der Besetzungseinwand ist nicht in zulässiger Form erhoben worden und schon aus diesem Grund zurückzuweisen.

1. Der Verteidiger ist berechtigt, den Besetzungseinwand im eigenen Namen zu erheben (vgl. Gmel in: KK-StPO, 9. Aufl., § 222b Rn. 2), was er vorliegend unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht hat. Der Senat ist zu einer Entscheidung berufen, da die Hauptverhandlung noch andauert.

2. Der Besetzungseinwand wird jedoch nicht den in formeller Hinsicht zu stellenden Anforderungen gerecht.

a) Die Begründungsanforderungen an den Besetzungseinwand sind streng und entsprechen weitgehend den Rügevoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (vgl. BGH NStZ-RR 2016, 54; BGH StV 2016, 623; BGH NStZ 2007, 536); auch mit der Neufassung des Gesetzes durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl. I, 2121) hat sich im Hinblick auf das Vorabentscheidungsverfahren daran nichts geändert. Mit diesem Gesetz hat der Gesetzgeber das Vorabentscheidungsverfahren eingeführt, um frühestmöglich Klarheit über die zutreffende Gerichtsbesetzung zu schaffen (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 29 f.). Es ersetzt damit die nach altem Recht im Wege der Verfahrensrüge nach §338 Nr.1 StPO mit dem Rechtsmittel der Revision zu erhebende Rüge der ordnungswidrigen Gerichtsbesetzung. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Vorabentscheidungsverfahren im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein und sollen die für die alte Rechtslage vorgeschriebenen Form- und Fristvoraussetzungen sowie die Begründungsanforderungen in der bis zum 10. Dezember 2019 geltenden Fassung erhalten bleiben (vgl. BT-Drucks. a.a.O.). Dem Willen des Gesetzgebers ist zu entnehmen, dass das – nunmehr gemäß § 121 Abs. 1 Nr. 4 GVG insoweit zur Entscheidung berufene – Oberlandesgericht die Frage der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung anstelle des Bundesgerichtshofes vorab verbindlich klärt und damit den erstinstanzlichen Verfahren vor den Landgerichten, insbesondere bei längeren Hauptverhandlungen, das „Damoklesschwert“ einer Urteilsaufhebung im Revisionsverfahren wegen falscher Gerichtsbesetzung nimmt (BT-Drucks. 129/14747, S. 29). Das hat zur Folge, dass auf die erhobene Besetzungsrüge hin von dem Rechtsmittelgericht im Sinne des § 222b Abs. 3 StPO diese Frage verbindlich zu klären ist. Adressat der Rüge ist also von vornherein nicht etwa nur das erstinstanzliche erkennende Gericht, sondern auch das Rechtsmittelgericht. Dessen Position entspricht der des Revisionsgerichts im Rahmen einer Revision, an dessen Stelle es bei der Bescheidung der Besetzungsrüge tritt. Es gibt demgemäß keinen Grund, für die Besetzungsrüge geringere Begründungsanforderungen anzunehmen als für die Besetzungsrüge im Rahmen der Revision gemäß § 338 Nr. 1 StPO (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2020, 1 Ws 135/20, StV 2021, 815 ff.).

Das hat zur Folge, dass der Besetzungseinwand in der gleichen Form geltend zu machen ist wie die als Verfahrensrüge ausgestaltete Besetzungsrüge der Revision nach Maßgabe von § 344 Abs. 2 StPO (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Köln, Beschluss vom 8. August 2023, zit. n. juris, 2 Ws 464/23; OLG Köln, Beschluss vom 21. Juni 2021, 2 Ws 296/21; KG, Beschluss vom 1. März 2021, 4 Ws 14/21, in: StV 2021, 813; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 3. November 2021, 1 Ws 73/21, in: wistra 2022, 131 f.). Der Besetzungseinwand muss ohne Bezugnahmen und Verweisungen aus sich heraus Inhalt und Gang des bisherigen Verfahrens so konkret und vollständig wiedergeben, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Denn es ist nicht Aufgabe des Senats, im Vorabentscheidungsverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO, das – wie ausgeführt – revisionsrechtlichen Grundsätzen folgt, den Revisionsvortrag aus anderen Unterlagen zusammenzufügen oder zu ergänzen (vgl. BGH, Urteil v. 04.09.2014, 1 StR 75/14, in: StraFo 2015, 70 f.). Dabei sind als erforderlicher Inhalt des Besetzungseinwands auch Angaben anzusehen, aus denen sich dessen Statthaftigkeit ergibt. Widrigenfalls bedürfte es des bei einer revisionsähnlichen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zulässigen Rückgriffs auf die Akten, um dem Rechtsmittelgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Besetzungseinwand in statthafter Weise in Bezug auf eine spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung erfolgende Besetzungsmitteilung erhoben wurde (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 14. April 2020, NStZ 2020, 565 f.).

b) Demnach muss sich der Vortrag zum Besetzungseinwand auch auf die Förmlichkeiten des Rechtsbehelfs beziehen, woran es hier fehlt. Gemäß § 222a Abs. 1 Satz 2, 2. Hs. StPO ist die vor der Hauptverhandlung avisierte Mitteilung der Besetzung des Gerichts seit der Gesetzesänderung 2019 förmlich zuzustellen, da sie die einwöchige Ausschlussfrist nach § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO auslöst (BT-Drucks. 19/14747, S. 30) und zur unverzüglichen Anbringung der Ablehnungsgründe zwingt (BT-Durcks. a.a.O., S. 17). Zur Frage, ob die Gerichtsmitteilung vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger des Angeklagten („Name 01“) förmlich zugestellt worden ist, verhalten sich die Ausführungen zum Besetzungseinwand jedoch nicht. Nach den Ausführungen in der Begründungsschrift vom 6. März 2024 scheinen die Mitteilungen formlos erfolgt zu sein. Den Ausführungen zum Besetzungseinwand kann auch nicht entnommen werden, ob der Kammervorsitzende die förmliche Zustellung der Besetzungsmitteilung angeordnet hat (§ 36 Abs. 1 Satz 1 StPO). Letztlich kann der Senat aufgrund des Sachvortrags nicht überprüfen, ob die für den Besetzungseinwand erforderlich Mitteilung formgerecht, mithin wirksam erteilt worden ist. Bei nicht wirksamer Besetzungsmitteilung wäre zur Fristberechnung auf die Besetzungsbekanntgabe zu Beginn der Hauptverhandlung am 6. März 2024 abzustellen. In diesem Falle aber wäre der Besetzungseinwand schon vor deren wirksamer Bekanntgabe in der Hauptverhandlung erhoben worden und würde sich als nicht statthaft erweisen, da das Gesetz einen vorgreiflichen Besetzungseinwand nicht kennt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Für die Anwendung dieser Bestimmung ist auch die Erhebung einer erfolglos gebliebenen Besetzungsrüge als erfolglos eingelegtes Rechtsmittel anzusehen (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 16. Februar 2024, in: NJW-Spezial 2024, 216 f.; OLG Bremen, Beschluss vom 14. April 2020, in: NStZ 2020, 565 f., OLG Celle, Beschluss vom 27.01.2020, 3 Ws 21/20, in: StraFo 2020 159; vgl. auch die Begründung des Entwurfs zum Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 05. November 2019, BT-Drucks. 19/14747, S. 32).


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