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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, Neufestsetzung von Strafen, Zuständigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Jena, Beschl. v. 25.6.2024 – 1 Ws 204/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Für die Neufestsetzung einer Gesamtstrafe nach Art. 316p, Art. 313 Abs. 4 S. 1 EGStGB ist das erkennende Gericht und nicht die Strafvollstreckungskammer zuständig.
2. Das Beschwerdegericht kann im Einzelfall auch dann nach § 309 Abs. 2 StPO selbst in der Sache entscheiden, wenn zwar das Ausgangsgericht unzuständig war, das Beschwerdegericht jedoch auch bei einer Entscheidung des an sich zuständigen Gerichtes zur Entscheidung berufen gewesen wäre und keine willkürliche oder grob fehlerhafte Zuständigkeitsverletzung vorlag.
3. Im Rahmen der Entscheidung über die Neufestsetzung einer Strafe nach Art. 316p, Art. 313 EGStGB bleiben jedenfalls solche Einzelstrafen unangetastet, in denen zugleich auch andere und weiterhin nach dem BtMG strafbare Teile – hier der Besitz von Methamphetamin neben nicht mehr strafbarem Marihuanabesitz – enthalten sind.



4. Eine Ausnahme im Sinne des Art. 313 Abs. 3 EGStGB kommt in diesen Fällen nicht in Betracht, da die Vorschrift, auf der die Straffestsetzung ursprünglich beruhte, gerade nicht entfallen ist.

In pp.

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Erfurt wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Erfurt vom 18.04.2024 aufgehoben.
2. Die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichtes Erfurt vom 06.04.2022 in Verbindung mit dem Berufungsurteil des Landgerichtes Erfurt vom 24.01.2023 wird aufgelöst.
3. Unter Wegfall der Einzelstrafe aus der Tat vom 05.06.2021 (Tat zu II.9. des amtsgerichtlichen Urteiles) und Beibehaltung der übrigen festgesetzten Einzelstrafen wird eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten gebildet.
4. Der Verurteilte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Erfurt verhängte gegen den Verurteilten am 06.04.2022 eine Gesamtfreiheitsstrafe vom zwölf Monaten, gebildet aus den Einzelstrafen von vier Mal einem Monat wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen, von einem Monat wegen vorsätzlichen Führens einer Schusswaffe, von einem Monat wegen zweifacher Beleidigung, von drei Monaten wegen Betruges, von drei Monaten und zwei Monaten wegen Hehlerei in zwei Fällen sowie von einem Monat wegen am 30.03.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,7 Gramm Marihuana und 0,19 Gramm Methamphetamin), von einem weiteren Monat wegen am 10.05.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,83 Gramm Marihuana und 0,09 Gramm Methamphetamin), von zwei Monaten wegen am 23.05.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (4,99 Gramm Marihuana und 0,4 Gramm Methamphetamin und von weiteren drei Monaten wegen am 05.06.2021 begangenen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (9,97 Gramm Marihuana; Tat zu II.9. des genannten Urteiles). Mit Berufungsurteil vom 24.01.2023 setzte das Landgericht Erfurt die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus, beließ es im Übrigen aber bei dem vom Amtsgericht festgesetzten Strafen und der Gesamtstrafe. Die Strafvollstreckungskammer widerrief die Aussetzung am 20.10.2023.

Mit Beschluss vom 18.04.2024 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichtes Erfurt auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafe in Ansehung der Art. 316p, 313 Abs. 3 und 4 EGStGB auf elf Monate herab, unter Wegfall der Einzelstrafe von drei Monaten aus der Tat vom 05.06.2011 (II.9. des Ausgangsurteiles) und unter Herabsetzung auch der Einzelstrafen aus den Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021.

Gegen diesen, der Staatsanwaltschaft Erfurt am 23.04.2024 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 25.04.2024 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde, mit welcher diese sich gegen die Neufestsetzung der Einzelstrafen aus den Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021 wendet. Die festgesetzte Gesamtstrafe sowie der Fortfall der Einzelstrafen aus der Tat zu II.9. sind nicht angegriffen.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft trat der sofortigen Beschwerde in ihrer, dem Verurteilten bekannt gemachten Stellungnahme vom 12.06.2024 bei.

II.

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Erfurt ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt und hat auch in der Sache Erfolg.

a) Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Strafvollstreckungskammer für die Entscheidung über die Neufestsetzung der Gesamtstrafe nicht zuständig war.

Die Verweisung in Art. 313 Abs. 5 EGStGB auf § 462 StPO stellt nicht zugleich auch eine Verweisung auf § 462a StPO dar. Vielmehr lässt Art. 313 Abs. 5 EGStGB offen, welches Gericht zuständig sein soll (OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024, 4 Ws 167/24). Diese gesetzliche Lücke ist durch Auslegung des objektivierten gesetzgeberischen Willens zu schließen, was im Ergebnis zu einer Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes und nicht der Strafvollstreckungskammer führt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 06.06.2024, 4 Ws 167/24; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2024, 2 Ws 54/24 (S); i.E. wohl auch BGH, Urteil vom 24.09.1974, 1 StR 365/74). Auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Oberlandesgerichtes Stuttgart in dem Beschluss vom 06.06.2024 wird Bezug genommen. Zu ergänzen ist lediglich, dass sich diese Auslegung auch aus der ausdrücklichen Verweisung in Art. 313 Abs. 4 S. 2 EGStGB ergibt, der für den Anwendungsbereich des Jugendgerichtsgesetzes eine Verweisung auf dessen § 66 vornimmt, der in Absatz 2 S. 4 im Falle einer (teilweisen) Vollstreckung von Jugendstrafe ausdrücklich den Vollstreckungsleiter für zuständig erklärt, da dieser aktuellere Kenntnisse über den Jugendlichen hat und daher den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht besser berücksichtigen kann (OLG Hamm, Beschluss vom 23.04.2024, 4 OGs 10/24). Durch die Verweisung in Art. 313 Abs. 4 S. 2 EGStGB stellt der Gesetzgeber klar, dass für das Jugendrecht eine spezielle Zuständigkeitsregelung zur Anwendung kommen soll. Das Fehlen einer entsprechenden Verweisung auf § 462a StPO deutet dann jedoch darauf hin, dass im Erwachsenenstrafrecht eine solche Regelung gerade nicht getroffenen sein soll und insbesondere keine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer begründet werden soll; vielmehr soll es bei der allgemeinen Regelung – Zuständigkeit des erkennenden Gerichtes – verbleiben.

Dies gilt auch für den vorliegenden Fall, in dem zwar das Amtsgericht als Jugendgericht entschieden, jedoch ausdrücklich Erwachsenenstrafrecht angewandt hat. Für diese Konstellation enthält das Jugendgerichtsgesetz keine Regelung zur Anwendung des § 66 JGG.

b) Trotz fehlender Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer war vorliegend ausnahmsweise eine Zurückverweisung an das zuständige Gericht des ersten Rechtszuges nicht veranlasst, da der Senat zugleich auch für Beschwerden gegen Entscheidungen des funktionell zuständigen Spruchkörpers des Erstgerichtes zuständig ist (vgl. KG, Beschluss vom 26.09.2005, 5 Ws 430/05; KK-StPO/Zabeck, 9. Auflage, § 309, Rn. 10b; KK-StPO/Appl, 9. Auflage, § 462, Rn. 4). Der Senat kann daher vorliegend nach § 309 Abs. 2 StPO selbst in der Sache entscheiden, ohne dass hierdurch der Verurteilte seinem gesetzlichen Richter entzogen wäre (KG, Beschluss vom 26.09.2005, 5 Ws 430/05; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 16.10.2000, 3 Ws 395/00; OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2013, 2 Ws 19/13). Die gebotene Einzelfallprüfung ergibt vorliegend keinen Verstoß gegen die Verfassungsgarantie aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, da nicht jede fehlerhafte Anwendung von Zuständigkeitsregeln einen solchen begründet und eine willkürliche oder offensichtlich unhaltbare Annahme der Zuständigkeit durch die Strafvollstreckungskammer nicht ersichtlich ist (vgl. auch OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2013, 2 Ws 19/13). Eine bloße fehlerhafte Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften führt noch nicht zu einem Verfassungsverstoß (OLG Bamberg, Beschluss vom 12.03.2013, 2 Ws 19/13), sodass auch die abweichende Rechtsprechung des Senates (Beschluss vom 30.09.2011, 1 Ws 410/11) zwischenzeitlich mit Beschluss vom 15.07.2021 (1 Ws 104/21) aufgegeben wurde.

c) Die angefochtene Entscheidung über die Neufestsetzung der Strafe nach Art. 313 EGStGB hat zu Unrecht die Einzelstrafen aus den Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021 neu festgesetzt. Das Erfordernis der Neufestsetzung aufgrund Inkrafttretens des Konsumcannabisgesetzes (KCanG) zum 01.04.2024 bezieht sich nach § 316p EGStGB lediglich auf solche Strafen, die nach neuem Recht des KCanG nicht mehr strafbar (oder bußgeldbedroht) sind (BGH, Urteil vom 23.05.2024, 5 StR 68/24).

Dies ist zwanglos für die Tat vom 05.06.2011 (II.9. des Ausgangsurteiles) der Fall, nicht jedoch für die Taten vom 30.03.2021, 10.05.2021 und 23.05.2021, da diesen jeweils auch ein tateinheitlicher unerlaubter Besitz vom Methamphetamin zugrunde lag, welcher nach wie vor gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG mit Strafe bedroht ist. Zwar liegt in dem Wegfall der Strafbarkeit des Marihuanabesitzes insofern eine Minderung des Unrechtsgehaltes der vorbezeichneten Taten, jedoch führt eine solche nach Art. 313 Abs. 4 und 5 EGStGB nicht zu einer Herabsetzung auch der insofern rechtskräftigen Einzelstrafen (vgl. BGH, Urteil vom 16.08.1977, 1 StR 390/77). Art. 313 Abs. 4 EGStGB betrifft vielmehr ausdrücklich nur eine Neufestsetzung der Gesamtstrafe in den Fällen des Art. 313 Abs. 1 EGStGB, also dann, wenn sich Einzelstrafen auf solche Taten beziehen, deren Strafbarkeit nach neuem Recht (gänzlich) entfällt. Führt die nachträgliche Rechtsänderung lediglich zur Möglichkeit milderer Bestrafung, verbleibt es hingegen bei dem Grundsatz, dass rechtskräftige Einzelstrafen ihre Eigenständigkeit behalten (BGH, Urteile vom 23.05.2024, 5 StR 68/24 und vom 16.08.1977, 1 StR 390/77). Eine Ausnahme hiervon, wie sie etwa durch Art. 313 Abs. 1 und 3 EGStGB ermöglicht wird (vgl. BGH, Urteil vom 23.05.2024, 5 StR 68/24), kommt vorliegend nicht in Betracht. Insbesondere liegt kein Fall des Art. 313 Abs. 3 EGStGB vor, da die Vorschrift, auf der die Straffestsetzung beruht, vorliegend gerade nicht entfallen ist. Sie besteht in Form des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG für den weiterhin unerlaubten Methamphetaminbesitz fort (so i.E. auch BGH, Urteil vom 23.05.2024, 5 StR 68/24).

d). Der angefochtene Beschluss war daher zur Klarstellung aufzuheben. Die vom Senat in der Sache zu treffende Entscheidung führt jedoch vorliegend zur Neubemessung der Gesamtfreiheitsstrafe in der gleichen Höhe, wie in dem angefochtenen Beschluss.

Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und der Person des Angeklagten ist für die verbliebenen Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten angemessen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Verurteilte in der dem amtsgerichtlichen Urteil zugrunde liegenden Hauptverhandlung im Wesentlichen geständig eingelassen und sein Rechtsmittel in der Berufungshauptverhandlung auf die Rechtsfolgenbemessung beschränkt hat. Ferner handelte es sich bei den Betäubungsmitteln (Methamphetamin) um kleine Mengen. Schließlich hatte der Verurteilte in dem vorliegenden Verfahren vor Urteilserlass Untersuchungshaft und zwischenzeitlich Strafhaft verbüßt. Demgegenüber waren die Vorstrafen des Verurteilten strafschärfend zu berücksichtigen.

2. Einer erneuten Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung bedurfte es vorliegend ausnahmsweise nicht (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 17.06.2024, 1 Ws 190/24), da die Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung hierüber ausdrücklich entschieden hat und ein Rechtsmittel insofern nicht eingelegt wurde.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 465 Abs. 1 StPO (vgl. auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 21.05.2024, 2 Ws 54/24 (S)).


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