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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis, OVG Greifswald, unbewusste Aufnahme von BtM

Gericht / Entscheidungsdatum: OVG Greifswald, Beschl. v. 20.06.2024 - 1 M 166/24 OVG

Leitsatz des Gerichts:

1. Zu den Anforderungen an das Vorbringen des Betroffenen im Falle der unbewussten Einnahme von Betäubungsmitteln.
2. Lässt sich die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides nicht hinreichend zuverlässig abschätzen, kann lediglich eine Interessenabwägung in Form einer Folgenabschätzung vorgenommen werden. Im zu entscheidenden Fall überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die Interessen des Antragstellers in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG.




In pp.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 2. April 2024 – 4 B 355/24 HGW – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis.

Der Antragsteller war Inhaber einer Fahrerlaubnis der Fahrerlaubnisklassen A1 und BE. Am 8. Mai 2023 wurde er auf der Autobahn A111 als Führer eines Kraftfahrzeuges durch die Polizei kontrolliert. Mehrere von den Polizeibeamten durchgeführten Tests legten den Verdacht nahe, dass eine Beeinflussung durch Drogen vorlag. Ein durchgeführter Drugwipe-Test zeigte ein positives Ergebnis auf Cocain/Opiate. Dem Antragsteller wurde auf polizeiliche Anordnung eine Blutprobe entnommen. Das toxikologisch-chemische Untersuchungsergebnis des Brandenburgischen Landesinstituts für Rechtsmedizin vom 24. Mai 2023 kam zu dem Ergebnis, dass im Blutserum der entnommenen Blutprobe eine Konzentration von 110 ng/ml Benzoylecgonin enthalten war. Cocain selbst war nicht nachweisbar. Der ermittelte Wert spreche für einen aktuellen Gebrauch von Cocain.

Mit Schreiben vom 10. August 2023 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zur beabsichtigten Entziehung seiner Fahrerlaubnis an. Der Antragsteller erklärte, dass er keine Drogen konsumiere und den Konsum selbiger immer abgelehnt habe. Das Cocain sei ihm durch seine Ehefrau ohne sein Wissen am Abend des 7. Mai 2023 beigebracht worden. Seine Ehefrau habe das eheliche Sexualleben wiederbeleben wollen. Sie habe im Internet gelesen, dass Cocain stark stimulierend wirke und das sexuelle Verlangen steigere. Der Geschlechtsverkehr unter dem Einfluss der Droge solle deutlich länger anhalten und einen verzögerten Samenerguss begünstigen. Seine Ehefrau habe sodann 0,5 g Cocain gekauft. Den Großteil des Cocains habe sie dem Antragsteller in ein Glas Wein getan, das restliche Cocain habe sie im Zuge von sexuellen Handlungen auf dem Geschlechtsteil des Antragstellers aufgetragen. Sie sei nicht davon ausgegangen, dass er am nächsten Morgen wieder am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. Sonst arbeite er üblicherweise zu Wochenbeginn im Homeoffice. Sie sei davon ausgegangen, dass aufgrund der geringen Menge weder Ausfallerscheinungen auftreten würden noch der Nachweis der Einnahme des Betäubungsmittels geführt werden könne, wenn er tatsächlich in eine Kontrolle komme. Er habe zwar etwas Kopfschmerzen gehabt, weshalb er eine Schmerztablette eingenommen habe, Ausfallerscheinungen habe er aber nicht festgestellt.

Mit Bescheid vom 19. Februar 2024 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Fahrerlaubnis (Nr. 1) und forderte von diesem die Rückgabe des Führerscheins bis zum 7. März 2024 (Nr. 2). Für den Fall der nicht rechtzeitigen Abgabe des Führerscheines wurde die Festsetzung eines Zwangsgeldes in einer Höhe von 250 Euro angedroht (Nr. 4). Weiter wurden Gebühren und Auslagen in Höhe von 152,76 Euro erhoben (Nr. 5). Der Antragsteller sei als Konsument von harten Drogen ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Die Angabe des Antragstellers, das Cocain nicht bewusst konsumiert zu haben, sei als Schutzbehauptung anzusehen. Dass der Antragsteller am Folgetag lediglich Kopfschmerzen gehabt habe, sonst aber keine Ausfallerscheinungen aufgetreten seien, sei nicht plausibel. Die durch die Polizei durchgeführten Tests hätten selbst am Morgen danach noch Auffälligkeiten ergeben. Zudem müsse davon ausgegangen werden, dass zu spüren sei, wenn Cocain auf das Geschlechtsteil eines Mannes aufgebracht werde. Zudem verwies der Antragsgegner auf Angaben eines bei der Kontrolle anwesenden Polizeibeamten, wonach der Antragsteller gefragt haben solle, wie lange man warten solle, nachdem man „etwas“ konsumiert habe.

Mit E-Mail vom 26. Februar 2024 wandte sich die Ehefrau des Antragstellers an den Antragsgegner und teilte mit, dass sie ihren Fehler bedaure und bereue. Ihr Ehemann habe sich nach dem Vorfall von ihr getrennt. Ihr Mann habe sich nichts zu Schulden kommen lassen und werde nun für ihr Fehlverhalten bestraft. Aus ihrem Fehlverhalten ergäben sich für ihren Mann erhebliche negative berufliche Konsequenzen.

Am 29. Februar 2024 erhob der Antragsteller Widerspruch, über den noch nicht entschieden ist. Der Antragsteller machte weitere Angaben zum Vorabend der Kontrolle sowie zur Kontrolle selbst. Das angebliche Gespräch im Fahrzeug des Antragstellers, welches der Polizeibeamte geschildert habe, habe es nie gegeben. Er könne nur das wiedergeben, was ihm durch seine Ehefrau mitgeteilt worden sei. Seine Ehefrau sei bereit, als Zeugin auszusagen und nähere Angaben zu machen. Die angeblichen Auffälligkeiten im Rahmen der durchgeführten Tests durch die Polizei seien auf Stress, Schlafmangel und lange Bildschirmarbeit zurückzuführen. Warum seine Ehefrau durch ihr Verhalten den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zum Konsum von Cocain ignoriert und durch ihr Verhalten die wirtschaftliche und finanzielle Existenz der Familie gefährdet habe wie auch die Familie als solche, könne er nicht beantworten.

Den vom Antragsteller am 29. Februar 2024 gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht Greifswald mit Beschluss vom 2. April 2024 – 4 B 355/24 HGW – abgelehnt.

Gegen den dem Antragsteller am 4. April 2024 zugestellten Beschluss des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller am 18. April 2024 Beschwerde erhoben und diese am 2. Mai 2024 begründet. Zugleich hat der Antragsteller beantragt, die Zuziehung des Prozessbevollmächtigten für notwendig zu erklären.

II.

1. Der Antrag des Antragstellers, die Zuziehung seines Prozessbevollmächtigten für notwendig zu erklären, hat keinen Erfolg. Ein solcher nach § 162 Abs. 2 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) grundsätzlich statthafter Antrag, ist im Beschwerdeverfahren infolge eines vorläufigen Rechtsschutzverfahren unzulässig. Eine Entscheidung darüber, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war, obliegt im gerichtlichen Verfahren dem Verwaltungsgericht Greifswald als das für die vom Antragsteller noch zu erhebenden Klage zuständige Gericht. Denn die Anwendbarkeit von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO setzt voraus, dass sich an das Vorverfahren, das hier noch nicht abgeschlossen ist, ein Hauptsacheverfahren anschließt; ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren genügt hierfür nicht (vgl. Hug in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 162 Rn. 16).

2. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 2. April 2024 – 4 B 355/24 HGW – hat keinen Erfolg. Sie ist zwar fristgemäß erhoben und begründet worden (§§ 146 Abs. 4 Satz 1, 147 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –). Allerdings stellt die Beschwerdebegründung die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung in der Sache nicht durchgreifend in Frage.

a) In Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt. Wie sich aus § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 3 VwGO ergibt, können nur solche Gründe in die Prüfung einbezogen werden, die der Beschwerdeführer innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist vorbringt.

Dabei verlangt das Darlegungserfordernis vom Beschwerdeführer, dass die Beschwerdebegründung auf die rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen eingeht, auf die das Verwaltungsgericht seine Entscheidung gestützt hat. Es ist für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderlich, dass die Beschwerdebegründung an die tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts anknüpft und aufzeigt, weshalb sich diese aus der Sicht des Beschwerdeführers nicht als tragfähig erweisen bzw. aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen der Ausgangsbeschluss unrichtig sein soll und geändert werden muss. Dies erfordert eine Prüfung, Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes und damit eine sachliche Auseinandersetzung mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 14. Februar 2020 – 19 B 1563/19 –, juris Rn. 4 m. w. N.). Der Beschwerdeführer muss sich insofern an der Begründungsstruktur der angegriffenen Entscheidung orientieren. Grundsätzlich reicht eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens ohne Eingehen auf die jeweils tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts ebenso wenig aus wie bloße pauschale oder formelhafte Rügen. Stützt das Verwaltungsgericht sein Ergebnis alternativ auf mehrere Begründungen, muss die Beschwerde alle Begründungen aufgreifen, sich mit diesen auseinandersetzen und sie in Zweifel ziehen (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 3. März 2009 – 1 M 140/08 –, juris Rn. 12 und Beschluss vom 7. Oktober 2003 – 1 M 34/03 –, juris Rn. 5 m. w. N.; OVG Münster, Beschluss vom 28. Oktober 2019 – 1 B 1345/18 –, Rn. 6, juris Rn. 6 m. w. N. und Beschluss vom 16. Juni 2010 – 6 B 499/10 –, juris Rn. 2 m. w. N; VGH München, Beschluss vom 27. März 2012 – 10 CS 11.2406 –, juris Rn. 35). Eine ordnungsgemäße Beschwerdebegründung muss auch das Entscheidungsergebnis in Frage stellen (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 19. September 2017 – 5 B 224/17 –, juris Rn. 4; OVG Hamburg, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 4 Bs 333/13 –, juris Rn. 9; OVG Greifswald, Beschluss vom 7. September 2006 – 2 M 36/06 –, juris Rn. 4). Geht die Beschwerdebegründung auf nur eine Erwägung nicht ein, die die angefochtene Entscheidung selbstständig trägt, beziehungsweise lässt sie unangefochten, bleibt der Beschwerde schon aus diesem Grund der Erfolg versagt. Diese Anforderungen an die Beschwerdebegründung sind für einen Beschwerdeführer auch zumutbar. Mit Blick auf den Vertretungszwang gemäß § 67 Abs. 4 VwGO ist sichergestellt, dass Beschwerdeführer – in aller Regel durch einen Rechtsanwalt – rechtskundig vertreten sind (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa Beschluss des Senats vom 7. September 2010 – 1 M 210/09 –, juris, Rn. 8; OVG Greifswald, Beschluss vom 11. März 2020 – 3 M 770/19 OVG –).

b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zwar als offen anzusehen (1). Die infolgedessen vorzunehmende Folgenabwägung fällt aber zu Lasten des Antragstellers aus (2).

(1) Die Erfolgsaussichten des vom Antragsteller erhobenen Widerspruchs, über den noch nicht entschieden ist, sind offen.

Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) zu entziehen ist, wenn sich der Betroffene als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen eines Kraftfahrzeuges erweist. Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen im Straßenverkehr (FeV) i. V. m. Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV ist ein Kraftfahrer, der Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes konsumiert hat, im Regelfall als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Dies gilt unabhängig von der Häufigkeit des Konsums, der Höhe der Betäubungsmittelkonzentration, einer Teilnahme am Straßenverkehr in berauschtem Zustand und vom Vorliegen konkreter Ausfallerscheinungen beim Betroffenen (vgl. VGH München, Beschluss vom 28. Februar 2024 – 11 CS 23.1387 –, juris Rn. 13 m. w. N.). Im Regelfall rechtfertigt bereits die einmalige bewusste (nachgewiesene) Einnahme von „harten Drogen“ die Annahme der Nichteignung, ohne dass ein Zusammenhang zwischen dem Drogenkonsum und der Teilnahme am Straßenverkehr bestehen müsste (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 22. November 2022 – 1 M 491/22 OVG –; Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 3 M 356/18 –; Beschluss vom 24. Juni 2009 – 1 M 87/09 –, juris Rn. 5). Die eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln setzt dabei grundsätzlich einen willentlichen Konsum voraus. Vorliegend bestreitet der Antragsteller nicht, Cocain eingenommen zu haben; er trägt jedoch vor, dass die Einnahme unbewusst erfolgt sei. Die unbewusste Einnahme von Betäubungsmitteln stellt nach allgemeiner Lebenserfahrung eine seltene Ausnahme dar. Wer sich darauf beruft, muss einen detaillierten, in sich schlüssigen und glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt und der insoweit der Nachprüfung zugänglich ist. Es muss überzeugend aufgezeigt werden, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper eines Fahrerlaubnisinhabers Kontakt mit Personen vorausgegangen ist, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund hatten, dem Betroffenen ein drogenhaltiges Getränk bzw. Nahrungsmittel zugänglich zu machen; ferner, dass dieser selbst die Aufnahme des Betäubungsmittels und deren Wirkung tatsächlich nicht bemerkt hat (vgl. VGH München, Beschluss vom 28. Februar 2024 – 11 CS 23.1387 –, juris Rn. 14; OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Januar 2024 – 6 B 70/23 – juris Rn. 13; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Dezember 2023 – 1 M 549/23 OVG – und Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11–, juris Rn. 8 m. w. N.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 26. Oktober 2022 – 3 M 88/22 –, juris Rn. 6; OVG Saarlouis, Beschluss vom 2. September 2021 – 1 B 196/21 –, juris Rn. 47; OVG Münster, Beschluss vom 18. September 2020 – 16 B 655/20 –, juris Rn. 4; OVG Bremen, Beschluss vom 12. Februar 2016 – 1 LA 261/15 –, juris Rn. 6; OVG Berlin, Beschluss vom 9. Februar 2015 – 1 M 67.14 –, juris Rn. 4).

Dabei dürfen die Anforderungen an das Vorbringen eines Betroffenen nicht überspannt werden. Insbesondere kann vom Betroffenen bei einem über mehrere Stunden andauernden Zeitraum keine minutengenaue Protokollierung des Geschehens abverlangt werden. Es kann aber regelmäßig selbst dann, wenn die konkrete Einnahme dem Betroffenen verborgen geblieben ist, eine möglichst detaillierte Schilderung der Vorgänge erwartet werden, in deren Rahmen es möglicherweise zu der Drogeneinnahme gekommen sein könnte (vgl. OVG Bautzen, Beschluss vom 19. Januar 2024 – 6 B 70/23 –, juris Rn. 13 m. w. N.; OVG Greifswald, Beschluss vom 18. Dezember 2023 – 1 M 549/23 OVG –; Beschluss vom 4. Oktober 2011 – 1 M 19/11–, juris Rn. 8).

Daran gemessen vermag der Senat der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller habe keine nachvollziehbaren Umstände vorgetragen, wie er unbewusst Cocain zu sich genommen haben solle, nicht zu folgen. Es kann zumindest nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dessen Angaben seien nicht hinreichend detailliert, schlüssig und glaubhaft. Das von Anfang an konsistente Vorbringen des Antragstellers lässt es als möglich erscheinen, dass es sich im Kern so verhalten haben könnte, wie vom Antragsteller geschildert.

Es würde die Anforderungen an die Darlegung einer Ausnahme von der Vermutung einer willentlichen Drogeneinnahme nach den konkreten Umständen des vorliegenden Einzelfalls überspannen, vom Antragsteller zu erwarten, detailliert anzugeben, wie es zur Einnahme des Cocains gekommen ist, insbesondere wie der Abend des 7. Mai 2023 im Detail verlaufen ist. Denn der Antragsteller wurde erst mit Schreiben vom 10. August 2023 zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis angehört und mit dem aus Sicht des Antragsgegners bestehenden Sachverhalt konfrontiert. Es kann nicht ernsthaft von jemandem verlangt werden, detaillierte Angaben zu einem über drei Monate zurückliegenden Tag (hier: 7. Mai 2023) zu machen, wenn – wie hier nach den Schilderungen des Antragstellers nicht der Fall – nicht besondere Umstände vorliegen, die eine höhere Erinnerungsleistung rechtfertigen würden. Das gilt erst recht, wenn die Möglichkeit einer unbewussten Einnahme von Cocain im Raum steht. Auch die Kontrolle am 8. Mai 2023 und die daraufhin erfolgten Gespräche mit seiner Ehefrau dürften daran im Wesentlichen nichts ändern. Dass der Antragsteller nicht bemerkt haben will, wie seine Ehefrau ihm das Cocain verabreicht hat, insbesondere wie sie ihm einen Teil des Cocains auf sein Geschlechtsteil aufgetragen hat, erscheint – unabhängig von der Frage, ob die Beteiligten Schlafanzüge getragen haben oder nicht – im Übrigen nicht gänzlich lebensfremd.

Dem Verwaltungsgericht ist zuzugeben, dass die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Antragstellers mangels eigener detaillierter Darstellungen nicht den Anforderungen entspricht und die eidesstattliche Versicherung erst später im Verfahren vorgelegt wurde. Mit Blick auf die nach dem vermeintlichen Vorfall am 7. Mai 2023 entstandenen Spannungen zwischen den Eheleuten, die bis zu einer Trennung der Eheleute geführt haben sollen, erscheint es dem Senat nicht lebensfremd, dass der Antragsteller nicht gleich zu Beginn des behördlichen Verfahren an seine Ehefrau mit der Bitte um eine eidesstattliche Versicherung herangetreten ist.

Das Verwaltungsgericht stellt zutreffend fest, dass die Ehefrau des Antragstellers den Antragsteller einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt hätte. Eine etwaige Naivität und der stärker werdende Wunsch nach einer Wiederbelebung des Sexuallebens der Eheleute lässt es jedoch durchaus als möglich erscheinen, dass die Ehefrau des Antragstellers ihr Vorhaben in der Hoffnung umgesetzt habe, es werde nichts Schlimmes passieren.

Soweit der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Antragstellers deshalb nicht für plausibel erachten, weil er einen Polizeibeamten während der Kontrolle am 8. Mai 2023 gefragt haben soll, „mal unter uns gesagt“, wie lange man warten solle, nachdem man „etwas“ konsumiert habe, bleibt die Frage, ob ein solches Gespräch stattgefunden hat, einer weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten. Der Antragsteller bestreitet das Gespräch. Hierfür könnte sprechen, dass das Gespräch nicht im Bericht zur Kontrolle aufgeführt ist und sich der Polizeibeamte dazu erst auf Nachfrage des Antragsgegners mit E-Mail vom 21. Dezember 2023 (Bl. 145 BA A) geäußert hat. Auf der anderen Seite erscheint es nicht abwegig, dass sich der Polizeibeamte aufgrund des auffälligen Fahrzeugs des Antragstellers noch an den über sechs Monate zurückliegenden Vorfall erinnern konnte. Bei der weiteren Aufklärung im Hauptsacheverfahren dürfte ebenfalls zu berücksichtigen sein, was aus der Annahme eines solchen Gesprächs folgt. Hätte der Antragsteller tatsächlich am Vorabend der Verkehrskontrolle bewusst Cocain konsumiert, wäre es lebensfremd, wenn er dann den Polizeibeamten im Rahmen einer Verkehrskontrolle nach der Abbauzeit befragt. Das gilt gerade vor dem Hintergrund, dass der Antragsteller sowohl privat als auch beruflich auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Der Umstand, dass das Vorbringen des Antragstellers den von ihm geschilderten Ablauf als möglich erscheinen lässt, führt vorliegend jedoch nicht dazu, dass sein Widerspruch voraussichtlich Erfolg haben wird, mit der Folge, dass seine Beschwerde Erfolg hätte und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen wäre. Denn die weitere Aufklärung des Sachverhalts, insbesondere die Frage, ob das Gespräch zwischen dem Antragsteller und dem Polizeibeamten stattgefunden hat und was daraus folgt, sowie die Vernehmung der Ehefrau des Antragstellers und die etwaige Auswertung des Browserverlaufs des von der Ehefrau benutzten Computers/Handys, bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die eidesstattliche Versicherung der Ehefrau des Antragstellers genügt hierfür schon mangels eigener detaillierter Darstellungen nicht aus. Angaben, die der Antragsgegner und auch das Verwaltungsgericht im Vorbringen des Antragstellers vermissen (zum Beispiel ein etwaiger Drogenkonsum der Ehefrau, nähere Angaben zum Kauf des Cocains), kann aufgrund der vorgetragenen Umstände nur die Ehefrau des Antragstellers machen.

(2) Lässt sich demnach die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 19. Februar 2024 nicht hinreichend zuverlässig abschätzen, kann lediglich eine Interessenabwägung in Form einer Folgenabschätzung vorgenommen werden. Dabei sind die Folgen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt wird, die angefochtene Verfügung sich aber als rechtmäßig erweist, gegen die Folgen abzuwägen, die eintreten, wenn die aufschiebende Wirkung nicht wiederhergestellt wird, sich die Verfügung aber später als rechtswidrig erweist. Auf die betroffenen Grundrechte ist in besonderer Weise Bedacht zu nehmen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 -, juris Rn. 26; OVG Münster, Beschlüsse vom 19. Februar 2013 – 16 B 1229/12 –, juris Rn. 12).

Für den Antragsteller streiten neben dem Umstand, dass er aus beruflichen Gründen auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist (Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG –), sein Interesse an motorisierter Fortbewegung, eine vom Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) geschützte Rechtsposition, und seine damit verbundenen persönlichen Belange. Dem stehen die höchstwertigen Rechtsgüter, zu deren Schutz die Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt, nämlich vor allem Leib und Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an sich sowie bedeutende Sachwerte der Allgemeinheit gegenüber.

Im Ergebnis der Abwägung überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs das private Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Beibehaltung seiner Fahrerlaubnis. Mit der sofortigen Durchsetzung der Fahrerlaubnisentziehung geht zwar ein erheblicher und letztlich nicht wiedergutzumachender Verlust an persönlicher Mobilität für den Antragsteller verloren, zumal der Antragsteller nach seinem Vorbringen mit Blick auf seinen Fahrzeughandel auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist. Andererseits gehen von unter Drogeneinfluss stehenden Kraftfahrzeugführer ganz erhebliche Gefahren, insbesondere für Leben und Gesundheit anderer Verkehrsteilnehmer aus. Es entspricht der Pflicht des Staates zum Schutz der Allgemeinheit vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), nur solche Fahrzeugführer am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen, deren Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gewährleistet ist. Das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Auftrag des Staates zum Schutz vor erheblichen Gefahren für Leib und Leben gebieten es, hohe Anforderungen an die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr zu stellen. Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen gegen die für sofort vollziehbar erklärte Fahrerlaubnisentziehung kommt deshalb in der Regel nur in Betracht, wenn – wie hier aber nicht der Fall – hinreichend gewichtige Gründe dafürsprechen, dass das von dem Betroffenen ausgehende Gefahrenpotential nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt (vgl. VGH München, Beschluss vom 1. April 2008 – 11 CS 07.2281 –, juris Rn. 13). Im Ergebnis der Abwägung der widerstreitenden Interessen erscheint es dem Senat nicht verantwortbar, dem Antragsteller bis zur definitiven Klärung seiner Fahreignung vorerst die weitere Verkehrsteilnahme zu erlauben (vgl. OVG Münster, Beschlüsse vom 19. Februar 2013 – 16 B 1229/12 –, juris Rn. 12). Dem Antragsteller ist es zudem möglich, wovon er auch bereits Gebrauch gemacht hat, einen Fahrer einzustellen, der ihn zu Terminen begleitet. Ebenfalls erscheint es dem Senat zumutbar, die beruflichen Termine des Antragstellers, bei denen das Innehaben einer Fahrerlaubnis erforderlich ist, von einem seiner Angestellten wahrnehmen zu lassen.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 1 und 3 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Damit folgt der Senat der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die der Antragsteller keine Einwände erhebt.

Hinweis

Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 66 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit
§ 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.


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