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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Grobsichtung von Datenträgern, abrechenbare Sachverständigenleistung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 17.06.2024 - 12 Qs 19/24

Leitsatz des Gerichts:

Führt ein externer IT-Forensiker lediglich eine Grobsichtung von Datenträgern nach möglichen kinderpornografischen Inhalten durch, so stellt das keine abrechenbare Sachverständigenleistung nach dem JVEG dar. Die dafür angefallenen Auslagen der Staatskasse gehören nicht zu den vom Verurteilten zu tragenden Kosten des Verfahrens.


LG Nürnberg-Fürth
12 Qs 19/24

In dem Strafverfahren
gegen pp.

wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften

erlässt das Landgericht Nürnberg-Fürth - 12. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 17. Juni 2024 folgenden

Beschluss

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwabach vom 29.02.2024 aufgehoben.
Der Kostenansatz wird in Nr. 9005 dahingehend abgeändert, dass insoweit lediglich 7.809,61 € angesetzt werden.
2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

Gründe:

I.

Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Schwabach vom 19.06.2023 wurde der Beschwerdeführer wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften und anderer Delikte zu einer ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Ihm wurden weiterhin die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Mit Kostenrechnung vom 24.08.2023 wurde unter Bezugnahme auf Nr. 9005 KV GKG die Sachverständigenvergütung in Höhe von 17.794,31 € zu seinen Lasten festgesetzt. Dem lag die Rechnung der pp. GmbH vom 13.01.2023 über einen Gesamtbetrag von 17.802,64 € zugrunde. Diese lautet auszugsweise:
Position Menge/Std Artikel Einzelpreis € Betrag €

4 4.030 Arbeitsminuten, Grobsichtung folgender Asservate: 1.1.9. 1.1.10, 1.1.11, 1.1.13, 1.1.16, 1.1.22, 1.1.25, 1.1.29, 1.1.30, 1.1.31, 1.1.36, 1.2.1, 2.1.2, 1.2.3, 1.2.4, 1.2.5, 1.3.5, 1.3.6, 1.3.7, 1.3.9, 1.3.10, 1.3.11, 1.3.12, 1.3.13, 1.3.14, 1.3.15, 1.3.16, 1.31

7.080 Arbeitsminuten, entspricht 118 Stunden
5 118 Arbeitsstunden 125,00 14.750,00

Der Verteidiger des Verurteilten wandte sich gegen die Kostenrechnung und führte im Wesentlichen aus, dass der sich aus Pos. 4 der Rechnung der GmbH vom 13.01.2023 ergebende Betrag nicht ansetzbar sei, weil es sich um eine reine Sichtung von Unterlagen handle, für die es keine sachverständige Expertise brauche. Eine Delegation der Sichtung auf den Sachverständigen sei im Übrigen ohnehin nicht möglich, weil der Staatsanwalt die strafrechtliche Relevanz der Bilder eigenständig prüfen müsse.

Mit Beschluss vom 29.02.2024 verwarf das Amtsgericht Schwabach die Erinnerung des Beschwerdeführers als unbegründet. Hiergegen wandte sich der Beschwerdeführer mit der Beschwerde, der das Amtsgericht Schwabach nicht abhalf.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist statthaft und auch sonst zulässig (§ 66 Abs. 2 GKG). Sie hat auch in der Sache Erfolg; über sie hat nach Übertragung durch den Einzelrichter (§ 66 Abs. 6 Satz 2 GKG) die Kammer entschieden.

Zu den Kosten des Verfahrens gehören die Gebühren und Auslagen der Staatskasse, einschließlich derjenigen Kosten, die im Ermittlungsverfahren durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind (§ 464a Abs. 1 Satz 1, 2 StPO). § 3 Abs. 2 GKG verweist wegen der Kosten auf die in der Anlage 1 aufgeführten Gebühren und Auslagen. Gemäß Nr. 9015 KV GKG gehören zu den Auslagen der Staatskasse auch die unter Ziffer 9000 bis 9014 bezeichneten Kosten, soweit sie durch die Vorbereitung der öffentlichen Klage entstanden sind. Dies gilt also auch für die gemäß Nr. 9005 KV GKG nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz zu zahlenden Beträge. Dazu gehören die festgesetzten Sachverständigenkosten i.H.v. 9.993,03 € brutto jedoch nicht.

1. Zu den Kosten des Ermittlungsverfahrens kann auch der Aufwand für die Durchsicht der Papiere oder Daten gehören. Gemäß § 110 Abs. 1, 3 StPO steht die Durchsicht der elektronischen Speichermedien der Staatsanwaltschaft und – auf deren Anordnung – ihren Ermittlungspersonen im Sinne des § 152 GVG zu. Soweit sichergestellt ist, dass die Verantwortung für die Durchsicht der Papiere bei der Staatsanwaltschaft verbleibt, kann diese auch Hilfspersonen wie Dolmetscher, Sachverständige oder sonstige dienstleistende Dritte einsetzen (OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.04.2018 - 1 Ws 605/17, S. 3; OLG Schleswig, Beschluss vom 10.01.2017 - 2 Ws 441/16, juris Rn. 9; Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 110 Rn. 3). Das war der Fall. Der Sachbearbeiter bei der Kriminalpolizei hat nach Rücksprache mit dem ermittelnden Oberstaatsanwalt die … GmbH mit der Auswertung beauftragt.

2. Allerdings stellen die abgerechneten Leistungen unter Pos. 4 der Rechnung der … GmbH in Höhe von 8.397,50 € netto (4.030 min / 60 min = 67,17 h * 125 € netto) bzw. 9.993,03 € brutto keine Tätigkeiten eines Sachverständigen dar, sodass in dieser Höhe auch kein Kostenansatz nach Nr. 9005 KV GKG erfolgen konnte.

a) Aufgabe eines Sachverständigen ist es, aufgrund von Erfahrungssätzen oder besonderen Fachkenntnissen Schlussfolgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zu ziehen und dem Gericht allgemeine Erfahrungssätze oder besondere Kenntnisse auf seinem jeweiligen Wissensgebiet zu vermitteln (OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.05.2020 - 2 Ws 89-91/19, juris Rn. 8; OLG Schleswig, Beschluss vom 10.01.2017 - 2 W 441/16, juris Rn. 11; LG Hamburg, Beschluss vom 07.08.2019 - 631 Qs 27/19, juris Rn. 10). Damit wird ein externer IT-Forensiker dann als Sachverständiger tätig, wenn er unter Einsatz geeigneter und nicht für jedermann zur Verfügung stehender Programme und entsprechenden Fachwissens den Zugang zu verschlüsselten oder sonst für die Ermittlungsbehörden nicht zugänglichen Daten ermöglicht und diese Daten aufbereitet und so die ermittlungsrelevanten Tatsachen fest- und zusammenstellt (OLG Nürnberg, Beschluss vom 10.04.2018 - 1 Ws 605/17, S. 5; Wackernagel/Graßie, NStZ 2021, 12, 16; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., vor § 72 Rn. 7a). In Abgrenzung dazu ist genuine Ermittlungsarbeit und keine Sachverständigentätigkeit anzunehmen, wenn der externe IT-Forensiker als Hilfskraft der Ermittlungsbehörden lediglich eine reine Sichtung sichergestellter Datenträger vornimmt oder soweit er für die Ermittlungsbehörden technische Dienstleistungen zur Erleichterung der Durchsicht eines Datenbestandes erbringt, die etwa in der Durchsicht nach bestimmten Kriterien oder in der Aufbereitung und Strukturierung der Daten bestehen kann (OLG Nürnberg, aaO; OLG Schleswig, aaO, Rn. 12 ff.; Schmitt, aaO). Knüpft der Sachverständige auftragsgemäß an eine derartige Sichtung oder Strukturierung jedoch als sachverständig zu wertende Schlussfolgerungen oder Erläuterungen, wäre seine Arbeit allerdings insgesamt als die eines Sachverständigen zu qualifizieren (vgl. OLG Nürnberg, aaO, S. 4 f.).

b) Daran gemessen lag, soweit dies von der Beschwerde angegriffen wird, Sachverständigentätigkeit nicht vor. Ausweislich der Ausführungen unter „D.99 Grobsichtung“ im Gutachten vom 13.01.2023 beschränkte sich die Tätigkeit der beauftragten GmbH darauf, die Asservate 1.1.9, 1.1.10, 1.1.11, 1.1.13, 1.1.16, 1.1.22, 1.1.25, 1.1.29, 1.1.30, 1.1.31, 1.1.36, 1.2.1, 1.2.2, 1.2.3, 1.2.4, 1.2.5, 1.3.5, 1.3.6, 1.3.7, 1.3.9, 1.3.10, 1.3.11, 1.3.12, 1.3.13, 1.3.14, 1.3.15, 1.3.16, 1.3.18 nach deren Art zu beschreiben, den Datenträgerinhalt mittels der Software … einzulesen und ggf. zu prüfen, ob Dateien gelöscht wurden. Soweit nach Ansicht des Auswerters inkriminiertes Material aufgefunden wurde, wurde dies knapp festgehalten und eine weitergehende Prüfung nicht durchgeführt.

Die Beantwortung spezifischer Fragestellungen, für die ein spezielles Fachwissen im Bereich der Informationstechnologie erforderlich wäre, erfolgte damit gerade nicht. Soweit für die Auswertung die Software … angewandt wurde, handelt es sich um eine für Jedermann käufliche Software, für deren Anwendung ebenfalls – jedenfalls für die unter D.99 genannten Maßnahmen – kein besonderes Fachwissen erforderlich ist.

3. Nach alldem war der Kostenansatz entsprechend zu kürzen, sodass unter der Nr. 9005 des Kostenansatzes nur 7.809,61 € brutto (17.802,64 € - 9.993,03 €) abzurechnen waren.

III.

Von der Zulassung der weiteren Beschwerde (§ 66 Abs. 4 Satz 1 GKG) hat die Kammer abgesehen, da die maßgeblichen Rechtsfragen durch die Entscheidungen des OLG Nürnberg (Beschluss vom 10.04.2018 - 1 Ws 605/17, bedauerlicherweise bislang unveröffentlicht) und OLG Schleswig (Beschluss vom 10.01.2017 - 2 W 441/16, juris) hinreichend geklärt sind.

IV.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: 12. Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth

Anmerkung:


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