Gericht / Entscheidungsdatum: LG Magdeburg, Beschl. v. 18.06.2024 - 29 Qs 262 Js 1/24 (34/24)
Eigener Leitsatz:
Die Möglichkeit einer Strafermäßigung nach Art. 316p i. V. m. 313 EGStGB auch in den Fällen bejaht, in denen neben Cannabis gleichzeitig noch andere Betäubungsmittel unerlaubt besessen wurden.
Landgericht Magdeburg
Beschluss
29 Qs 262 Js 1/24 (34/24)
In dem Vollstreckungsverfahren
gegen pp.
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln
hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die erfolgte Ermäßigung der Strafe
hat die 9. Große Strafkammer - Beschwerdekammer - des Landgerichts Magdeburg durch die unterzeichnenden Richter am 18. Juni 2024 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des Amtsgerichts xxx vom 22. April 2024 (Geschäftszeichen: 13 Cs 262 Js 1/24 (144/24)) wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten darin entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Mit Strafbefehl des Amtsgerichts xxx vom 13. März 2024 (Geschäftszeichen: 13 Cs 262 Js 1/24 (144/24)), rechtskräftig seit dem 3. April 2024, wurde gegen den Verurteilten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 20,00 Euro verhängt. Dem Strafbefehl lag zugrunde, dass bei dem Verurteilten im Rahmen einer Kontrolle am 8. Juli 2023 in xxx 1,15 g Cannabis und 1,35 g Metamphetamin festgestellt worden waren, wobei er nicht über eine zum Verkehr mit Betäubungsmitteln erforderliche Erlaubnis nach § 3 BtMG verfügte.
Unter dem 8. April 2024 beantragte die Staatsanwaltschaft xxx, die verhängte Geldstrafe, deren Vollstreckung noch nicht abgeschlossen ist, aufgrund des gemäß § 3 KCanG nunmehr erlaubten Besitzes von Cannabis bis 25 Gramm außerhalb des dauerhaften Aufenthaltsortes, gemäß Artikel 313 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 5 EGStGB zu mildern. Hierauf setzte das Amtsgericht xxx mit Beschluss vom 22. April 2024 (Geschäftszeichen: 13 Cs 262 Js 1/24 (144/24)) die verhängte Geldstrafe antragsgemäß auf 35 Tagessätze zu je 20,00 Euro neu fest.
Gegen den am 29. April 2024 zugestellten Beschluss hat die Staatsanwaltschaft xxx mit Schreiben vom 30. April 2024, beim Amtsgericht xxx eingegangen am 2. Mai 2024, sofortige Beschwerde eingelegt, welche sie damit begründete, dass Artikel 313 EGStGB vorliegend nicht anwendbar sei. Artikel 313 Abs. 3 EGStGB erfasse ausschließlich Fälle, in denen der Täter neben dem Besitz von Cannabis tateinheitlich weitere Straftatbestände verwirklicht habe. Der gleichzeitige Besitz verschiedener Betäubungsmittel verletze das Gesetz demgegenüber nur einmal, sodass keine Tateinheit gegeben sei, wie sie von Artikel 313 Abs. 3 EGStGB gefordert werde. Eine Ermäßigung der Strafe habe deswegen zu unterbleiben.
Das Amtsgericht xxx hat die Akten dem Landgericht Magdeburg zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde vorgelegt.
II.
Die gemäß § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO i. V. m. Artikel 316p, 313 Abs. 5 EGStGB statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
Die im angefochtenen Beschluss durch das Amtsgericht xxx erfolgte Ermäßigung der verhängten Tagessatzhöhe ist nicht zu beanstanden.
1. Seit Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (CanG, BGBl. 2024 I Nr. 109 vom 27.03.2024) am 1. April 2024 ist Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, gemäß § 3 Abs. 1 KCanG der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis außerhalb ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthaltsortes zum Eigenkonsum gestattet.
Nach Artikel 316p EGStGB, der im Rahmen des Cannabisgesetzes durch Artikel 13 CanG (BGBl. 2024 I Nr. 109, Seite 47) ebenfalls neu eingefügt worden ist, ist im Hinblick auf vor dem 1. April 2024 verhängte "Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz", die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz "nicht mehr strafbar und auch nicht mehr mit Geldbuße bedroht sind", Artikel 313 EGStGB entsprechend anzuwenden. Dieser sieht unter anderem einen Straferlass vor für noch nicht vollstreckte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar sind und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, Artikel 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB. Die Regelung gilt entsprechend für vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts erlassene Urteile, die nach dem Inkrafttreten rechtskräftig werden, weil ein Rechtsmittel nicht eingelegt oder zurückgenommen wird oder das Rechtsmittel nicht zulässig ist, Artikel 313 Abs. 2 Nr. 1 EGStGB. Gemäß Artikel 313 Abs. 3 Satz 1 EGStGB finden die Absätze 1 und 2 der Norm demgegenüber keine Anwendung, wenn ein Täter wegen einer Handlung verurteilt worden ist, die eine nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat (§ 73 Abs. 2 StGB in der Fassung bei Inkrafttreten des Artikels 313 EGStGB am 2. März 1974, entspricht seit der Neufassung des StGB vom 2. Januar 1975 dem § 52 Abs. 2 StGB). Vielmehr setzt das Gericht in diesen Fällen die auf die andere Gesetzesverletzung entfallende Strafe neu fest, wenn die Strafe einer Strafvorschrift entnommen worden ist, die aufgehoben ist oder die den Sachverhalt, welcher der Verurteilung zugrunde lag, nicht mehr einer Straf- oder Bußgeldvorschrift unterstellt, Artikel 313 Abs. 3 Satz 2 EGStGB. Ist die Strafe der anderen Strafvorschrift entnommen, so wird sie angemessen ermäßigt, wenn anzunehmen ist, dass das Gericht wegen der Verletzung der gemilderten Strafvorschrift auf eine höhere Strafe erkannt hat, Artikel 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB. Artikel 313 Abs. 4 EGStGB regelt die Handhabung von Gesamtstrafen in Fällen tatmehrheitlicher Verurteilungen bei weiterhin strafbarem und nunmehr straflosem Verhalten.
In dem vorliegenden Fall ist der Staatsanwaltschaft xxx dahingehend zuzustimmen, dass der gleichzeitige Besitz verschiedenartiger Betäubungsmittel nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung den Tatbestand des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nur einmal verwirklicht (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2024 – 2 StR 485/23 und vom 18. Januar 2024 – 4 StR 233/23, beide juris, jeweils mit weiteren Nachweisen), was zutreffend in dem gegen den Verurteilten ergangenen Strafbefehl vom 13. März 2024 berücksichtigt worden ist. Da insoweit bei dem gleichzeitigen Besitz verschiedenartiger Betäubungsmittel vom Vorliegen von nur einer Handlung (mit mehreren Teilakten) auszugehen ist, die auch nur eine Strafnorm verwirklicht hat, liegt weder eine tateinheitliche noch eine tatmehrheitliche Begehungsweise vor. Für den Fall, dass – wie hier – nach eingetretener Gesetzesänderung nur noch ein Teilakt dieser einen Handlung einen Gesetzesverstoß begründet, enthält die durch Artikel 316p EGStGB für entsprechend anwendbar erklärte Vorschrift des Artikels 313 EGStGB keine ausdrückliche Regelung zum Straferlass beziehungsweise zur Strafermäßigung.
2. Gleichwohl war auch in dem vorliegenden Verfahren die Möglichkeit für eine Ermäßigung der verhängten Geldstrafe eröffnet, von der das Amtsgericht xxx in nicht zu beanstandendem Maß Gebrauch gemacht hat.
Die Kammer schließt sich insoweit ausdrücklich nicht bereits bekannt gewordenen anderslautenden Entscheidungen an.
a) So hat das Saarländische Oberlandesgericht in einem Beschluss vom 16. April 2024 (Geschäftszeichen: 1 Ws 37/24) eine Herabsetzung der Strafe in Fällen wie dem hier vorliegenden ausgeschlossen (Anlasstat dort: gleichzeitiger Besitz von zwei Gramm Amphetamin, sieben Gramm Haschisch und 13 Gramm Marihuana). In der Begründung hat das Saarländische Oberlandesgericht als Prämisse ausgeführt: "Eine Neufestsetzung der Strafe sieht die gesetzliche Neuregelung für den Fall einer tateinheitlichen (Artikel 316p i. V. m. Artikel 313 Abs. 3 EGStGB) oder tatmehrheitlichen (Artikel 316p i. V. m. Artikel 313 Abs. 4 EGStGB) Verurteilung wegen einer nach neuem Recht nicht mehr strafbaren Tat vor." Ähnlich hat das Oberlandesgericht Naumburg in einem Beschluss vom 29. Mai 2024 (Geschäftszeichen: 1 Ws 205/24) in einem Verfahren argumentiert, das den gleichzeitigen Besitz von 3,68 Gramm Kokain und 5,57 Gramm Cannabis zum Gegenstand hatte: "Diese Vorschrift (Artikel 313 EGStGB) betrifft indes tateinheitliche und tatmehrheitliche Verstöße gegen Strafgesetze und nicht einen einzigen Verstoß, der vorliegend anzunehmen ist. (…) Für diesen Fall einer Einzelstrafe für eine Tat, bei der der Verurteilte gleichzeitig nach neuem Recht erlaubte und weiterhin verbotene Stoffe besessen hat, ordnet Art. 316p i. V. m. Art. 313 Abs. 4, Abs. 4 (gemeint: Abs. 3) EGStGB keine Neufestsetzung der Einzelstrafe an, (…)". Dieser Prämisse folgt die Kammer jedoch in zweifacher Hinsicht nicht.
Zum einen lässt sich die unterstellte Beschränkung der entsprechenden Anwendung von Artikel 313 EGStGB auf tateinheitliche und/oder tatmehrheitliche Verurteilungen aus Artikel 316p EGStGB (als Rechtsgrundverweisung) gerade nicht entnehmen. Diese Differenzierung ergibt sich lediglich aus Artikel 313 EGStGB selbst. Da Artikel 313 EGStGB aber ausdrücklich "entsprechend anzuwenden" ist, lässt dies vom Wortlaut her durchaus zu, die Rechtsfolgen des Artikels 313 EGStGB entsprechend in solchen Fällen herbei zu führen, in denen keine tateinheitliche und/oder tatmehrheitliche Verurteilung erfolgt ist (als Rechtsfolgenverweisung). Insoweit erscheint es auch zumindest missverständlich, wenn das Amtsgericht Köln in einem Beschluss vom 16. Mai 2024 (Geschäftszeichen: 583 Ds 135/22; Anlasstat dort: gleichzeitiger Besitz von 8,04 Gramm Haschisch, 8,69 Gramm Marihuana und 1,83 Gramm Amphetamin) ausgeführt hat, dass in Fällen wie dem vorliegenden "Artikel 313 Abs. 4 EGStGB Ausgangspunkt der Prüfung" sei (ähnlich das Oberlandesgericht Naumburg: "Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss Art. 313 EGStGB angewandt."), denn Ausgangspunkt der Prüfung ist vielmehr Artikel 316p EGStGB mit seiner Bestimmung der entsprechenden Anwendung des Artikels 313 EGStGB.
Zum anderen unterstellt das Saarländische Oberlandesgericht, dass Artikel 316p EGStGB eine Neufestsetzung der Strafe bei einer Verurteilung wegen einer nach neuem Recht "nicht mehr strafbaren Tat" vorsehe. Dies entspricht jedoch nicht dem Wortlaut des Artikels 316p EGStGB. Denn anders als Artikel 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB ("verhängte Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar (…) sind") gilt Artikel 316p EGStGB für "verhängte Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die (…) nicht mehr strafbar sind". Dass damit "nicht mehr strafbare Taten nach dem Betäubungsmittelgesetz" bei gleichzeitiger Zugrundelegung des Tatbegriffs wie durch das Saarländische Oberlandesgericht gemeint sind, lässt sich dem Wortlaut der Norm nicht entnehmen, ist nicht zwingend und wird in der Herleitung durch das Saarländische Oberlandesgericht auch nicht begründet.
b) Es ist vielmehr festzustellen, dass der Wortlaut des Artikels 316p EGStGB ("Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die (…) nicht mehr strafbar sind") keinen nachvollziehbaren Sinn ergibt, da es keine "(nicht mehr) strafbaren Strafen" gibt. Für sich betrachtet ist diese Bestimmung für die Rechtsanwendung ungeeignet und bedarf daher zwingend der Auslegung.
Weder der Referentenentwurf des bei der Einführung des Cannabisgesetzes federführenden Bundesministeriums für Gesundheit (abrufbar unter: https://www.bundesgesundheits ministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/Cannabisgesetz-CanG_RefE.pdf, dort S. 160 f.) noch der Gesetzesentwurf der Bundesregierung mit den zugehörigen Unterlagen (BT-Drucks 20/8704 vom 9. Oktober 2023, S. 155 mit der – ablehnenden – Stellungnahme des Bundesrates vom 29. September 2023, ebenda, S. 191 f., Ausschussempfehlungen vom 18. September 2023, BR-Drucks. 367/1/23, S. 76 ff., Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 20/8763, S. 13) enthalten – zumindest ausdrücklich – gesonderte Erwägungen zu der Zielsetzung und Notwendigkeit und die Hintergründe der Einführung des späteren Artikels 316p EGStGB und dessen Verweis auf Artikel 313 EGStGB, die über die Wiedergabe des Gesetzeswortlautes insoweit hinausgehen, als dass sie ohne Weiteres zur Klärung der im vorliegenden Fall aufgetretenen Rechtsfrage Aufschluss geben würden.
Der Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 20/8763, S. 13, lässt sich allerdings entnehmen, dass mit der Amnestieregelung berücksichtigt werden solle, dass die "Vollstreckung von Freiheitsstrafen (…) einen besonders schweren Eingriff in die Grundrechte einer Person dar(stellt), der durch besondere Umstände gerechtfertigt sein muss. Ausgehend von der Annahme, dass Personen grundsätzlich ein berechtigtes Interesse an der Beseitigung des Makels der Verurteilung in Bezug auf Eintragungen im Bundeszentralregister haben, wenn eine nach alter Rechtslage strafbare Handlung nach neuer Rechtslage nicht mehr strafbar ist, gilt dies erst recht hinsichtlich der Beendigung der Vollstreckung von Freiheitsstrafen."
Daraus folgt, dass mit der Gesetzesfassung bewirkt werden soll, dass keine Strafe mehr für eine nicht mehr strafbare Handlung (nicht: für eine nicht mehr strafbare Tat!) vollstreckt werden soll. Dass dabei beabsichtigt war, die Strafe für ein Cannabisdelikt zu ermäßigen, auch wenn dieses Delikt Teilakt einer strafbaren Handlung ist, das tateinheitlich andere Tatbestände verwirklicht hat, nicht aber, wenn die Handlung – obwohl sie hinsichtlich ihres Cannabisbezuges abgrenzbar ist – denselben Tatbestand durch den gleichzeitigen Besitz anderer Betäubungsmittel zusätzlich verwirklicht hat, lässt sich der Gegenäußerung nicht nur nicht entnehmen, sondern widerspricht vielmehr der dortigen Intention der rückwirkenden Straflosigkeit des Cannabisbesitzes beim Besitz von nur entsprechend geringen Mengen unter 25 Gramm.
Darüber hinaus spricht die weitere Auslegung des Artikels 316p EGStGB gleichfalls für die hier vertretene Ansicht, dass diese Norm eine Rechtsfolgenverweisung und keine Rechtsgrundverweisung auf Artikel 313 EGStGB beinhaltet:
Zwar könnte im Wege der systematischen Auslegung angenommen werden, dass sich die Formulierung "Strafen nach dem Betäubungsmittelgesetz, die (…) nicht mehr strafbar sind" an den in Artikel 316p EGStGB ohnehin in Bezug genommenen Artikel 313 EGStGB, dort Abs. 1, anlehnen soll und mithin, wie vom Saarländischen Oberlandesgericht unterstellt, "Strafen für Taten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die (…) nicht mehr strafbar sind" gemeint ist, es sich also nur um ein redaktionelles Versehen handelt. Auch die Begründung des Gesetzentwurfs spricht insoweit von einer Amnestieregelung für "Strafen wegen solcher Taten, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind" (BT-Drucks 20/8704 vom 9. Oktober 2023, S. 155). Gleichwohl wurde der Wortlaut des Artikels 316p EGStGB so gerade nicht gewählt, obwohl dies deshalb nahegelegen hätte, weil bei der Formulierung der Wortlaut des Artikels 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB, auf den in Artikel 316p EGStGB verwiesen wird, unmittelbar vor Augen lag. Die Formulierung hätte zudem den bisherigen Fassungen bei früheren Gesetzgebungen entsprochen (vgl. dazu unten die Darstellung zu früheren Amnestiegesetzen).
Dass der Gesetzgeber von einer wortgleichen Regelung Abstand genommen und ausdrücklich eine andere Formulierung gewählt hat, spricht deshalb vielmehr dafür, dass die einfache Parallele zu Artikel 313 Abs. 1 EGStGB gerade nicht gewollt und gemeint war. Diese Bewertung wird gestützt durch die bereits dargestellte Gegenäußerung der Bundesregierung, dass eine Strafe für eine nicht mehr strafbare Handlung nicht mehr vollstreckt werden soll, was allgemein bedeutet, dass – soweit noch möglich – das Strafübel für solche Sachverhalte entfallen soll, die nach dem neuen Recht nicht mehr bestraft oder mit einer Geldbuße sanktioniert werden. Sowohl die Gesetzgebungsgeschichte wie auch die teleologische Auslegung spricht deshalb dafür, dass im Wege einer angemessenen Ermäßigung der Teil eines – noch nicht vollstreckten – Strafübels entfallen soll, der für einen nun nicht mehr strafbaren Sachverhalt in Bezug auf den Umgang mit Cannabis verhängt worden ist. Hierfür ebnet Artikel 316p EGStGB durch die allgemeine Bestimmung der entsprechenden Anwendung des Artikels 313 EGStGB (gegebenenfalls auch nur hinsichtlich der Rechtsfolge aus Abs. 3 Satz 3) den Weg.
Die getrennte Betrachtung von einem cannabisbezogenen Anteil und dem Anteil des strafbaren Umgangs mit anderen Betäubungsmitteln bei derselben Tat ist auch keineswegs systemwidrig. So hat § 154a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO in der Zeit vor dem CanG ohne Weiteres erlaubt, den strafbaren Umgang mit den Cannabisprodukten als "einzelnen abtrennbaren Teil einer Tat" nach §§ 29 Abs. 1 oder 29a Abs. 1 BtMG im Hinblick auf die zu erwartende Strafe von der Verfolgung auszuschließen und diese auf den Umgang mit den anderen Betäubungsmitteln zu beschränken (vgl. dazu etwa Winkler, NStZ 2002, 191 (193)). Auch kommt bei Taten, die sich auf den gleichzeitigen strafbaren Umgang mit unterschiedlichen Betäubungsmittelarten beziehen, durch die dann vorzunehmende Addition aller Wirkstoffmengen jeder einzelnen Betäubungsmittelart als Summand hinsichtlich des jeweiligen Wirkstoffgehaltes eine abgrenzbare und relevante Bedeutung zu (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 19.09.2001 – 3 StR 268/01). Dafür, diese Möglichkeit der getrennten Betrachtung demgegenüber bei der Anwendung des Artikels 313p EGStGB von vorneherein auszuschließen, besteht weder ein sachlicher noch ein der Gesetzgebungsgeschichte zu entnehmender Grund.
Vielmehr besteht aber ein wichtiger Grund, der zuvor dargestellten teleologischen Auslegung zu folgen: So sind etwa Fälle denkbar, in denen der gleichzeitige Besitz mehrerer Betäubungsmittelarten, darunter auch Cannabis, erst in der Addition der jeweiligen Wirkstoffmengen im Ergebnis zu einem strafbaren Besitz einer nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG geführt hat. Wird in diesem Beispiel unterstellt, dass die Grenze zur nicht geringen Menge bei Abzug des Wirkstoffanteils für das Cannabis nicht überschritten worden wäre, hätte gerade dessen Berücksichtigung dazu geführt, den als Vergehen ausgestalteten Besitz von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG zu einem Verbrechen nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu qualifizieren. Nach altem Recht war dies auch konsequent. Nach neuem Recht und dem dem Artikel 316p EGStGB zugrundeliegenden Gedanken erscheint es aber nicht begründbar, es bei der Annahme eines Verbrechens und der daraus resultierenden Strafe zu belassen, obwohl der Besitz der Nicht-Cannabis-Betäubungsmittel für sich betrachtet nur die Norm des § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG erfüllt hätte. Da es sich aber auch in jenem Fall nur um eine Tat – mit Cannabis nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, ohne Cannabis nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG – gehandelt hat, ließe sich eine Ermäßigung der Strafe ohne die oben dargestellte Auslegung eben so wenig begründen wie eine nur insoweit einzelfallbezogene entsprechende Anwendung, die der hier vertretenen Ansicht "nur für diesen Ausnahmefall" folgen wollen würde. Zudem zeigt dieses Beispiel, dass die Annahme des Saarländischen Oberlandesgerichts (und ihm folgend des Oberlandesgerichts Naumburg), dass "im Fall einer tateinheitlichen Verurteilung dem Umstand Rechnung zu tragen ist, dass bei der ursprünglichen Verurteilung die Strafe nach dem Gesetz mit der schwersten Strafandrohung zu bestimmen war (§ 52 Abs. 2 StGB)", diese Problematik "bei der Verletzung nur einer Strafnorm (aber) nicht (bestehe)", nicht zutreffend ist. Denn in dem dargestellten Additionsbeispiel war die Strafe mit dem Cannabisanteil nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu bestimmen, ohne den Cannabisanteil hingegen nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG, mithin zwar nach einem Gesetz, aber einem je nach der Berücksichtigung des Cannabis unterschiedlichen. Soweit das Amtsgericht Köln ausgeführt hat, dass in den "Mischfällen" der gleichzeitige Besitz anderer Betäubungsmittel den nunmehr für sich betrachtet straflosen Besitz von Cannabis "infiziere", findet diese Ansicht in der Gesetzgebungsgeschichte wie bereits dargestellt keine Stütze.
Zudem lösen die genannten Entscheidungen nicht den Wertungswiderspruch auf, dass eine Ermäßigung bezüglich des bestraften Besitzes von Cannabis zwar ausgeschlossen wäre, wenn der Täter zugleich andere Betäubungsmittel "nur" besaß, die Ermäßigung hingegen dann zu erfolgen hätte, wenn der Täter das Cannabis zum Eigenkonsum besessen hat, mit den anderen Betäubungsmittel aber andere Handlungsalternativen der §§ 29 oder 29a BtMG verwirklicht hätte (etwa Handeltreiben) und deshalb wegen tateinheitlicher Verwirklichung der unterschiedlichen Handlungsvarianten (etwa einem mit dem Besitz verbundenen Handeltreiben bezüglich der Nicht-Cannabis-Betäubungsmittel und Besitz hinsichtlich des Cannabis) zu verurteilen wäre (vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. November 2023 – 6 StR 160/23). Warum der Täter von der Ermäßigungsmöglichkeit des Artikels 316p EGStGB nur dann profitieren soll, wenn der Schuldgehalt beim Umgang mit den anderen Betäubungsmitteln höher wiegt als der bloße Besitz, lässt sich nicht erklären. In der Folge der Rechtsprechung des Saarländischen Oberlandesgerichts, des Oberlandesgerichts Naumburg und des Amtsgerichts Köln könnte zwar in diesen Fällen – konsequenterweise – die Ansicht vertreten werden, dass trotz der tateinheitlichen Verurteilung wegen Besitzes des Cannabis keine Strafermäßigung erfolgt. Denn der Besitz des Cannabis ist nur ein Teil des gleichzeitigen Besitzes der gesamten Betäubungsmittelmenge, hinsichtlich derer aber, soweit es nicht das Cannabis betrifft, kein Schuldspruch wegen "unerlaubten Besitzes" – obwohl auch insoweit strafbar – erfolgt, da dieser insoweit hinter dem "unerlaubten Handeltreiben" zurücktritt. Der Ansicht des Amtsgerichts Köln folgend wäre hier eine Strafermäßigung zu versagen, weil auch hier der unerlaubte Besitz des Cannabis durch den – wenn auch im Schuldspruch nicht ausdrücklich genannten – gleichzeitigen unerlaubten Besitz anderer Betäubungsmittel "infiziert" wäre. Wegen der Besonderheiten des BtMG entspricht es jedoch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass in jenen Fällen die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (in dem hier bedeutsamen Beispiel: Cannabis) ausschließlich wegen des nicht von der anderen Handlungsvariante erfassten Cannabis erfolgt, obwohl auch die anderen Betäubungsmittel, mit denen Handel getrieben wird, unerlaubt besessen werden (vgl. etwa BGH, Urteil vom 2. November 2023 – 6 StR 160/23). Dass in solchen Fällen deshalb Artikel 316p i. V. m. Artikel 313 Abs. 3 EGStGB in Bezug auf den Schuldspruch wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln Anwendung findet, scheint daher auch unbestritten.
Schließlich erscheint es bei der Reaktion auf ein früher tatbestandliches Handeln wertungsmäßig widersprüchlich, wenn eine Strafreduzierung nach Artikel 316p EGStGB i. V. m. Artikel 313 Abs. 4 EGStGB hinsichtlich des Cannabisdeliktes bei der Strafermäßigung in vollem Umfang Berücksichtigung finden würde, wenn – orientiert am hier zu entscheidenden Fall – dem Verurteilten (tatmehrheitlich) vorgeworfen würde, an zwei aufeinander folgenden Tagen einmal im Besitz von 1,15 g Cannabis und einmal im Besitz von 1,35 g Metamphetamin ohne entsprechende Erlaubnis gewesen zu sein, während eine Strafermäßigung bei gleichzeitigem Besitz der genannten Betäubungsmittel gänzlich zu unterbleiben hätte, obwohl sich der Cannabisbesitz bei der Strafzumessung ausgewirkt hat.
Gegen die hier erfolgte Auslegung spricht nicht, dass – wie das Saarländische Oberlandesgericht und das Oberlandesgericht Naumburg ausgeführt haben – von einer planwidrigen Regelungslücke nicht ausgegangen werden könne, weil "eine solche Fallkonstellation so regelmäßig auftritt, dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann, diese nicht bedacht zu haben" und deshalb eine "analoge Anwendung des Artikels 313 Abs. 3 EGStGB (…) insoweit nicht in Betracht (kommt)". In jener Entscheidung wird – wie bereits dargestellt – weder begründet noch ist sonst ersichtlich, warum die in Artikel 316p EGStGB ausdrücklich bestimmte entsprechende Anwendung des Artikels 313 EGStGB nur – wie von den genannten Gerichten angenommen – eingeschränkt auf Tateinheits- und/oder Tatmehrheitsfälle erfolgen soll, also überhaupt eine Regelungslücke vorliegt. Aus Artikel § 316p EGStGB ergibt sich dies – wie bereits dargelegt – nicht. Die anderslautende, wenn auch sprachlich missglückte Wortwahl in Artikel 316p EGStGB im Vergleich zu Artikel 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB kann gerade und insbesondere unter Berücksichtigung der oben dargestellten Gegenäußerung der Bundesregierung als Ausdruck dessen verstanden werden, dass sich die entsprechende Anwendung des Artikels 313 EGStGB (als Rechtsfolgenverweisung) gerade auch auf die Mischfälle beziehen soll. Sollte hingegen unterstellt werden, dass dieser Gedanke nicht Niederschlag in der Gesetzesfassung gefunden hat, läge es dennoch nicht nahe, andererseits zu unterstellen, dass der Gesetzgeber demgegenüber "regelmäßig auftretende Fallkonstellationen", die der ausdrücklichen Regelung bedurft hätten, im Blick gehabt und bewusst eine ausdrückliche Regelung unterlassen hat. Mag zwar die Fallkonstellation des gleichzeitigen Besitzes von Cannabis und anderen Betäubungsmitteln nicht selten sein, ist hinsichtlich der sich hier aus den Besonderheiten des Betäubungsmittelstrafrechts ergebenden Konstellation, dass ein Tatbestand zwar in mehrfacher Hinsicht, im Ergebnis aber nur einmal erfüllt ist und von den tatbestandserfüllenden Teilakten nur ein einzelner dem Amnestiegesetz unterfällt, diese Häufigkeit nicht gegeben. Vielmehr lässt sich bei einer Recherche zu den bisherigen Amnestiegesetzen (dazu noch folgend) Rechtsprechung zu einer vergleichbaren Problematik nicht finden. Dies kann die Annahme begründen, dass eine Sensibilisierung für diese besondere, sich nur aus dem Betäubungsmittelstrafrecht ergebende Problematik bei der Gesetzesformulierung gerade nicht bestanden hat. Dass es der Gesetzgeber, worauf das Oberlandesgericht Naumburg hingewiesen hat, unterlassen hat, in Artikel 313 Abs. 3 EGStGB die Verletzung einer Strafnorm durch mehrere Teilakte aufzunehmen, kann zum einen deshalb nicht als Argument dienen. Zum anderen bedurfte es dieser Aufnahme gerade nicht, da mit Artikel 316p EGStGB ohnehin die entsprechende Anwendung des Artikels 313 EGStGB bestimmt wird. Dass bei früheren Amnestiegesetzen (dazu unten) gleichfalls keine Regelung für Fälle der Tatbestandserfüllung durch mehrere Teilakte, von denen nur einzelne der Amnestie unterfielen, getroffen worden ist, lässt gleichfalls keinen Rückschluss auf einen gesetzgeberischen Willen zu, da sich bei früheren Amnestien die Problematik der gleichzeitigen Verwirklichung eines Straftatbestandes durch mehrere, nach neuem Recht nur teils nicht mehr strafbare Teilakte gar nicht gestellt hat.
Der Hinweis des Amtsgerichts Köln auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in dem Beschluss vom 18. November 1971 (Geschäftszeichen: 1 StR 302/71) vermag insoweit gleichfalls nicht zu verfangen. Dort wurde zwar über eine nur begrenzte Wirkung der Amnestievorschrift des § 5 Abs. 1 StrFreihG 1970 entschieden, allerdings vor einem gänzlich anderen Hintergrund. Denn die dortige Entscheidung befasste sich mit einer Handlung, die in ihrer Gesamtheit sowohl nach dem ursprünglichen, wie auch nach dem neuen Recht strafbar war, und der Frage, ob eine Strafbarkeit nach einer von einer aufgehobenen Norm verdrängten Strafvorschrift nach der Aufhebung der verdrängenden Norm (wieder) in Betracht kommt, mithin der Unterscheidung von Ideal- und Gesetzeskonkurrenz. Dies hat der Bundesgerichtshof bejaht. Jene Entscheidung besagt indes nichts darüber, wie zu entscheiden ist, wenn – wie im vorliegenden Fall – ein Teileakt einer Tat(handlung) nicht mehr strafbar ist und die ursprünglich abgeurteilte Tat deshalb gerade nicht mehr insgesamt nach neuem Recht strafbar wäre. Ebenso verhält es sich mit den in der Entscheidung des Amtsgerichts Köln genannten BT-Drucksachen zu früheren Amnestiegesetzen (7/550, S. 464; VI/1552, S. 38; VI/486; zudem auch VI/ 3521, S. 68) und den früheren Amnestiegesetzen selbst (vgl. etwa § 11 Straffreiheitsgesetz 1954, § 5 in den Straffreiheitsgesetzen 1968 und 1970 oder Artikel 97 im 1. StRG von 1969). Keine dieser Stellen befasst sich ausdrücklich – weder im Wege der Exklusion noch im Wege der Inklusion – mit Fällen der Verletzung nur einer Strafnorm, die nach neuem Recht aber nicht mehr im selben Umfang des sanktionierten Sachverhalts strafbar wäre.
Dass der Besitz von Cannabis bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Besitzes anderer Betäubungsmittel möglicherweise bei der konkreten Strafzumessung kaum bis nicht ins Gewicht gefallen ist, ist ebenfalls kein Grund, bereits die Ermäßigungsmöglichkeit zu versagen. Dem kann vielmehr im Einzelfall bei der Bestimmung, ob und welche Ermäßigung bei entsprechender Anwendung des Artikels 313 Abs. 3 Satz 3 EGStGB als angemessen vorzunehmen ist, Rechnung getragen werden. Gerade der vorliegende Fall (und die den Entscheidungen des Saarländischen Oberlandesgerichts, des Oberlandesgerichts Naumburg und des Amtsgerichts Köln zugrundeliegenden Sachverhalte), in dem sich der Besitz des Cannabis im Schuldgehalt als vergleichbar mit dem des strafbaren Besitzes des Metamphetamins und deshalb als strafzumessungsrelevant darstellt, spricht für eine wie vom Amtsgericht xxx in der angegriffenen Entscheidung vorgenommene Ermäßigung der Strafe.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO analog.
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