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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG. rückwirkender Straferlass, Eintritt, Auswirkungen, Gesamtstrafe

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Stuttgart, Beschl. v. 28.05.2024 – 1 ORs 24 SRs 167/24

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB iVm Art. 316p EGStGB für Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem Konsumcannabisgesetz oder dem Medizinal-Cannabisgesetz nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, treten unmittelbar kraft Gesetzes ein.
2. Das Revisionsgericht hat diesen rückwirkenden Straferlass gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten. Eine gebildete Gesamtstrafe ist auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt. Ist ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen alle sonstigen Voraussetzungen einer Straflosigkeit vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.


In pp.

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2023 im Gesamtstrafenausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Woche verurteilt wird.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt hat den Angeklagten am 1. Juni 2023 wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten und wegen Beleidigung zu einer solchen von einem Monat verurteilt. Hieraus sowie aus zwei Geldstrafen von jeweils 25 Tagessätzen – festgesetzt mit Strafbefehlen des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 16. September 2022 und vom 8. November 2022 – hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten gebildet. Den Verurteilungen zu den beiden Geldstrafen liegen der Besitz von 0,8 g Tabak-Marihuana-Gemisch am 1. August 2022 sowie von 1,3 g Marihuana am 8. September 2022 zugrunde.

Das Landgericht Stuttgart hat die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 26. Oktober 2023 verworfen.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision, die lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg erzielt und sich im Übrigen als unbegründet erweist.

I.

Der Ausspruch über die Gesamtstrafe kann nicht bestehen bleiben. Die Gesamtfreiheitsstrafe ist neu zu bemessen, da das Landgericht bei deren Bildung zwei Geldstrafen zu je 25 Tagessätzen einbezogen hat, die nach neuer Gesetzeslage erlassen sind.

1. Bildet das Gericht eine nachträgliche Gesamtstrafe, so darf es gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB nur solche Strafen einbeziehen, die noch nicht vollstreckt, verjährt oder erlassen sind. Ein Straferlass im Sinne dieser Vorschrift tritt nicht nur als Folge eines Beschlusses nach § 56g Abs. 1 StGB, sondern auch durch eine Amnestieregelung ein (MüKoStGB/von Heintschel-Heinegg, 4. Aufl., § 55 Rn. 23).

a) Parallel mit dem am 1. April 2024 in Kraft getretenen Konsumcannabisgesetz (KCanG) hat der Gesetzgeber im neu eingefügten Art. 316p EGStGB, der ebenfalls zum 1. April 2024 in Kraft getreten ist, bestimmt, dass Art. 313 Abs. 1 EGStGB entsprechend anzuwenden ist und damit einen rückwirkenden Straferlass angeordnet: Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, die nach dem KCanG oder dem Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) nicht mehr strafbar und auch nicht mit Geldbuße bedroht sind, werden erlassen, soweit sie noch nicht vollstreckt sind.

b) Die Rechtswirkungen des Straferlasses nach Art. 313 Abs. 1 EGStGB treten unmittelbar kraft Gesetzes (ipso jure) ein, ohne dass es einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde bedarf.

Dies ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, da Art. 313 Abs. 1 EGStGB nicht davon spricht, dass die Strafen erlassen sind, sondern „erlassen werden“. Dass der Straferlass von Rechts wegen eintritt, folgt jedoch aus den Gesetzgebungsmaterialien. Der Gesetzgeber ging offensichtlich davon aus, dass die Rechtswirkungen des Straferlasses ohne weitere Entscheidung einer Stelle, d.h. unmittelbar mit Inkrafttreten der Neuregelung eintreten (BT-Drs. 20/8704, S. 155), mit der Folge, dass Verurteilte sofort aus der Haft bzw. dem Maßregelvollzug zu entlassen sind (BT-Drs. 20/8704, S. 192). Für einen Straferlass mit Inkrafttreten der Neuregelung spricht auch, dass Art. 313 Abs. 1 EGStGB – anders als bei den Bestimmungen des Art. 313 Abs. 3 und Abs. 4 EGStGB – keine Zuständigkeitsregelung trifft, sondern lediglich das Verfahren über Einwendungen gegen die Strafvollstreckung nach § 458 StPO bei Zweifeln über die Rechtsfolgen, die sich aus Art. 313 Abs. 1 EGStGB ergeben können, für anwendbar erklärt. Danach kann einer Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, dass Vollstreckungsmaßnahmen einzustellen sind, nur deklaratorischer Charakter zukommen (ebenso Böhme/Günnewig, DRiZ 2024, 145).

c) Diese nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangene Änderung des sachlichen Rechts in Form der Aufhebung der Strafbarkeit hat das Revisionsgericht gemäß § 354a StPO iVm § 2 Abs. 3 StGB auf die Sachrüge hin zu beachten; die Rechtskraft eines Schuldspruchs steht dem nicht entgegen (BGHSt 20, 116; 26, 1; 26, 94; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl., § 354a Rn. 7, 9; vgl. auch BGHSt 20, 77 und BGH, BeckRS 2024, 9736 zu einer nachträglichen Strafmilderung). Sachliche Gründe, die es rechtfertigen könnten, den Angeklagten trotz eingelegter Revision auf das nachträgliche Verfahren nach Art. 313 Abs. 4 EGStGB zu verweisen, sind nicht ersichtlich. Vielmehr sprechen auch das Beschleunigungsgebot und die prozessuale Fürsorgepflicht dafür, die Rechtsänderung innerhalb des Revisionsverfahrens zu berücksichtigen.

Eine gebildete Gesamtstrafe ist daher auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils darauf zu überprüfen, ob einer einbezogenen Strafe ein nach § 3 Abs. 1 KCanG nunmehr strafloser Besitz von Cannabis zugrunde liegt.

d) Gemäß § 3 Abs. 1 KCanG ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum bei Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, straflos. Aus dem angefochtenen Urteil muss mithin zunächst hervorgehen, dass es sich um Cannabis im Sinne des § 1 Nr. 8 KCanG gehandelt hat. Des Weiteren muss sich den Feststellungen das Lebensalter des Täters zur Tatzeit, die Cannabismenge und ein Besitz zum Eigenkonsum entnehmen lassen.

aa) Ein expliziter Hinweis auf die Zweckbestimmung des Cannabisbesitzes zum Eigenkonsum wird in den Urteilsgründen häufig nicht vorhanden sein, da es für eine Strafbarkeit nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG auf Zweck oder Motiv des als Auffangtatbestand konzipierten Besitzes nicht ankam. Der Besitztatbestand wurde vor allem dann angewandt, wenn dem Täter die Verfügungsmacht über das Betäubungsmittel, nicht aber vorrangige Tatbestände des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nachgewiesen werden konnten (vgl. Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 498, 1318, 1356). Dass kein Schuldspruch nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erging, lässt allein noch keinen zwingenden Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenverbrauch zu.

bb) Fehlen – wie hier – ausdrückliche Feststellungen zum Eigenkonsum, hat das Revisionsgericht das Vorliegen dieser Voraussetzung der Straflosigkeit nach § 3 Abs. 1 KCanG auf der Grundlage der gesamten Feststellungen des angefochtenen Urteils abzuklären. Dabei kann es zum einen Sachverhalte heranziehen, die im Urteil zu den einbezogenen Strafen dargelegt werden, zum anderen auch solche Feststellungen, die das Tatgericht selbst getroffen hat, namentlich diejenigen, die sich mit dem Vorleben, den persönlichen Verhältnissen, dem früheren und aktuellen Drogenkonsum des Angeklagten, etwaigen Therapieerfolgen oder der Strafzumessung befassen. Ferner kann der Nennung des § 17 Abs. 2 BZRG in der Liste der angewandten Strafvorschriften indizielle Bedeutung für die Frage eines Eigenkonsums zukommen. Ist im Ergebnis ein sicherer Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum möglich und liegen die weiteren Voraussetzungen einer Straflosigkeit nach § 3 Abs. 1 KCanG sowie des Art. 313 Abs. 1 iVm Art. 316p EGStGB vor, hat das Revisionsgericht seiner Entscheidung den rückwirkenden Straferlass zugrunde zu legen.

2. Die anhand dieser Maßstäbe vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die mit den rechtskräftigen Strafbefehlen des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 16. September 2022 und vom 8. November 2022 verhängten Geldstrafen erlassen sind, da die ihnen zugrundeliegenden Taten weder nach dem KCanG noch nach dem MedCanG mit Strafe oder mit Geldbuße bewehrt sind.

a) Bei dem mitgeführten Tabak-Marihuana-Gemisch und dem im Fahrzeug aufbewahrten Marihuana handelt es sich um Cannabis im Sinne des KCanG. Marihuana wird als Produkt der Cannabispflanze nach den Begriffsbestimmungen in § 1 Nr. 4 und Nr. 8 KCanG als „Cannabis“ erfasst (vgl. BGH, BeckRS 2024, 7982). Der Angeklagte war zu den Tatzeitpunkten über 18 Jahre alt.

b) Auch das Merkmal des Eigenkonsums liegt vor. Zwar wird im angefochtenen Urteil nicht ausdrücklich mitgeteilt, dass der damalige Angeklagte die Kleinmengen Marihuana zum Eigenkonsum besessen hat. Das Landgericht stellt jedoch fest, dass der Angeklagte bereits im Alter von 14 Jahren mit dem Konsum von Marihuana begann und dieses Rauschgift jahrelang täglich und auch in den tatrelevanten Zeiträumen konsumierte. Weiter ist festgestellt, dass der Angeklagte in einem Fall 0,8 g Tabak-Marihuana-Gemisch in Form eines Joints mit sich führte, im anderen Fall eine Kleinmenge von 1,3 g Marihuana im Fahrzeug aufbewahrte.

Diese Feststellungen lassen jeweils einen sicheren Rückschluss auf einen Besitz zum Eigenkonsum zu. Der Senat braucht danach nicht zu entscheiden, wie zu verfahren wäre, wenn sich anhand des angefochtenen Urteils die Voraussetzungen einer Straflosigkeit nach § 3 Abs. 1 KCanG mit ausreichender Sicherheit weder bejahen noch verneinen lassen.

3. Der eingetretene Erlass der Einzelgeldstrafen erfordert die Neubildung der Gesamtstrafe, die der Senat hier selbst vornehmen kann. Er führt die noch verbleibenden Einzelfreiheitsstrafen auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 354 Abs. 1a Satz 2, Abs. 1b Satz 3 StPO auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Woche zurück. Durch diese niedrigst mögliche Gesamtfreiheitsstrafe (§ 54 Abs. 1 Satz 2 iVm § 39 StGB) wird der Angeklagte unter keinen Umständen beschwert (vgl. BGH, BeckRS 2007, 20). Die erlassenen Geldstrafen stehen für eine Gesamtstrafenbildung nicht mehr zur Verfügung.

II.

Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. Der unwesentliche Teilerfolg rechtfertigt keine Kostenteilung nach § 473 Abs. 4 StPO.


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