Gericht / Entscheidungsdatum: AG Köln, Beschl. v. 16.05.2024 – 583 Ds 135/22
Leitsatz des Gerichts:
Art. 313 Abs. 3 EGStGB erfasst nicht sog. "BtM-Mischfälle", in denen neben Cannabis auch andere Betäubungsmittel besessen wurden.
In der Strafsache
gegen pp.
wird festgestellt, dass es bei der Gesamtgeldstrafe aus dem Urteil vom 05.08.2022 sein Bewenden hat.
Gründe
Vorliegend steht folgendes in Rede: Gegen den Verurteilten wurde mit Urteil vom 05.08.2022 eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen verhängt, weil er 8,04 g/n Haschisch, 8,69 g/n Marihuana und 1,83 g/n Amphetamin besaß (Einzelstrafe: 50 Tagessätze). Einbezogen wurde eine Vorverurteilung vom 07.06.2022 (528 Cs 328/22, Einzelstrafen dort 2x 40 Tagessätze).
Nach neuem Recht stellt sich die Frage möglicher Auswirkungen nur hinsichtlich der hiesigen Einzelstrafe bezüglich des mitbesessenen Cannabis, Art. 316p, 313 EGStGB. Die weiteren Einzelstrafen sind von der Reform nicht betroffen.
Es steht eine Gesamtstrafe in Rede, also ist Art. 313 Abs. 4 EGStGB Ausgangspunkt der Prüfung. Die festgesetzte Gesamtstrafe wäre also neu festzusetzen, wenn "Einzelstrafen im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 und andere Einzelstrafen" in Rede stehen.
Das ist hier nicht der Fall: Hiesige Tat - Besitz von Amphetamin und Cannabis - wäre nach neuem Recht weiterhin nicht gänzlich straflos im Sinne von Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB, da ein BtM-Mischfall in Rede steht. Die Tat wäre jedenfalls hinsichtlich des Amphetaminbesitzes weiterhin gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG zu bestrafen.
Fraglich könnte sein, ob mittelbar Handlungsbedarf besteht, weil neben dem Amphetamin Cannabis besessen wurde. Die Staatsanwaltschaft erwägt dies offensichtlich und will insoweit Art. 313 Abs. 3 EGStGB (mittelbar) anwenden.
Dies zu Unrecht: In einem BtM-Mischfall wie hier steht keine "andere" Strafvorschrift im Sinne der Norm in Rede, sondern der Verurteilte hat eine Strafvorschrift, § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG aF, durch den Besitz verschiedener Betäubungsmittel "einmal" verletzt. Ohnehin verweist Art. 313 Abs. 4 EGStGB, der als entscheidende Norm für die hier in Rede stehende Gesamtstrafe Ausgangspunkt der Prüfung ist (s. o.), selbst überhaupt nicht auf Art. 313 Abs. 3 EGStGB.
Nun mag man meinen, dass die Regelung des Art. 313 Abs. 3 EGStGB in die des Abs. 4 gleichsam hineingelesen werden müsste - was das Gesetz bei klarem Wortlaut aber so gerade nicht regelt. Oder man meint, dass der Gesetzgeber diesen Fall schlicht nicht geregelt hat. Die anzutreffende Auffassung, dem Gesetzgeber sei es pauschal um eine "rückwirkende Amnestie" gegangen, wird hier jedenfalls nicht geteilt: Ausgangspunkt der "Amnestie" ist die völlige Straf- bzw. Bußgeldlosigkeit der Tat nach neuem Recht, Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB. Das ist in einem BtM-Mischfall aber gerade nicht der Fall. Art. 313 Abs. 3 EGStGB knüpft an diese Prämisse der nach neuem Recht straflosen Handlung mittelbar an und regelt seinem Wortlaut nach (nur) den "echten" Mischfall, d. h. das Zusammentreffen von wegfallender Strafbarkeit und einer anderen verletzten Strafnorm. Nur dann stehen - wie Abs. 3 voraussetzt - überhaupt zwei Strafnormen, eine wegfallende und eine andere tateinheitlich verletzte Norm, überhaupt in Rede.
Es ist nicht angezeigt, Art. 313 EGStGB extensiv auszulegen. Vielmehr ist Zurückhaltung geboten, steht immerhin ein rechtskräftiges Erkenntnis in Rede. Der Reformgesetzgeber hat sich mit Art. 316p EGStGB für einen pauschalen Verweis auf Art. 313 EGStGB entschieden, der einen - letztlich hinzunehmenden - differenzierte Regelungsmechanismus enthält. Eine pauschale "Amnestieregelung" hat der Reformgesetzgeber jedenfalls nicht geschaffen. Es geht - nur - um die Frage, ob eine Tat in Rede steht, die nach neuem Recht nicht mehr strafbar und sogar auch nicht mit Geldbuße bedroht ist, Art. 313 Abs. 1 S. 1 EGStGB bzw. darum, ob der Täter wegen einer Handlung verurteilt würde, die eine nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzte, Art. 313 Abs. 3 S. 1 EGStGB. Entscheidend ist also die - völlige - Straflosigkeit, nicht eine ggf. nach neuem Recht zu verhängende niedrigere Strafe oder sogar bloße Geldbuße. Träfe die Gegenansicht zu, müsste auch in sämtlichen Fällen betreffend Taten mit neuerdings abgesenktem Strafrahmen eine Neufestsetzung der ehedem verhängten Strafen erfolgen. Das verlangt Art. 313 EGStGB ohne Zweifel nicht und wird so auch nicht vertreten; es gibt einen klaren Unterschied zwischen der Regelung des Art. 313 EGStGB und der des § 2 Abs. 3 StGB.
Das alles mag zu gewissen Unschärfen im Einzelfall für vom neuen Recht profitierende und nicht profitierende Fälle führen, namentlich etwa dann, wenn neben einer neuerdings straflosen Cannabismenge auch ein anderes, weiterhin strafbares, Betäubungsmittel besessen wurde. Richtigerweise "infiziert" das weitere Betäubungsmittel die konkrete Handlung und verhindert damit den Straferlass. Das ist aber nichts, was von hieraus zu beheben ist, auch nicht in - was hier schon nicht vorliegt - etwaigen "krassen Missverhältnissen". Denn letztlich macht es, woran das Gesetz anknüpft, eben einen Unterschied, ob ein Täter "nur" Cannabis besaß oder daneben eben auch ein anderes Betäubungsmittel. Für diese engere Auslegung spricht auch die Rechtsprechung des BGH und des OLG Köln zu § 5 Straffreiheitsgesetz 1970, auf den Art. 313 Abs. 3 EGStGB u. a. letztlich zurückgeht (vgl. BT-Drucks. 7/550 S. 464; VI/1552, S. 38 und BT-Drucks. VI/486; BGH, Beschluss vom 18.11.1971 - 1 StR 302/71 und OLG Köln, Urteil vom 24.11.1970 - Ss 198/70).
Hiesige Auffassung ist in der Sache 582 Ds 95/22 durch das LG Köln (323 Qs 45/24) bestätigt worden; der vorliegende Fall bietet keinen Anlass, davon abzugehen.
Für das Verfahren bestimmt Art. 313 Abs. 5 EGStGB, dass die §§ 458, 462 StPO sinngemäß gelten. Die gerichtliche Zuständigkeit in Fällen der §§ 458, 462 StPO bestimmt sich nach § 462a StPO (s. Nestler, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage 2019, § 458 Rn. 1; ausf. Appl, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Auflage 2023, § 458 Rn. 2). Zuständig ist - der Verurteilte ist nicht in Strafhaft - daher das Gericht des ersten Rechtszuges.
Der Verurteilte konnte, da unbekannten Aufenthaltes, nicht gem. Art. 313 Abs. 5 EGStGB, §§ 458, 462 StPO angehört werden. Aus dem gleichen Grunde kann eine Zustellung des hiesigen Beschlusses an ihn nicht erfolgen, weshalb die öffentliche Zustellung desselben angeordnet wird, § 40 StPO.
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