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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, CanG, Neubewertung Strafen, Gesamtstrafenbildung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Brandenburg, Beschl. v. 21.05.2024 – 2 Ws 54/24 (S)

Eigener Leitsatz:

Im Cannabisgesetz ist gemäß Art. 316p, Art. 313 EGStGB eine über den Erlass von nicht vollstreckten Strafen für nach neuem Recht nicht mehr strafbares Verhalten hinausreichende Amnestieregelung nicht vorgesehen. Insoweit kommt auch eine Neubewertung bereits rechtskräftig verhängter Strafen wegen nach neuem Recht ebenfalls strafbarer Tathandlungen nicht in Betracht.


In pp.

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss der 4. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 4. April 2024 dahingehend geändert, dass unter Erlass der durch Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11. August 2021 verhängten Einzelstrafen von drei Monaten (Tat zu j) und von einem Monat (Tat zu k) und unter Auflösung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von
fünf Jahren und fünf Monaten
festgesetzt wird.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Verurteilten zur Last.

Gründe

I.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) verhängte gegen den Verurteilten am 11. August 2021 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen sowie wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten und ordnete die Einziehung des Wertes des Erlangten, des sichergestellten Marihuanas sowie der zum Handeltreiben verwendeten Utensilien an.

Für die den Handel mit Betäubungsmitteln festgestellten, in Mittäterschaft begangenen Straftaten verhängte das Landgericht unter Berücksichtigung der jeweiligen Substanzmengen und deren Wirkstoffgehalts gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von
- einem Jahr und acht Monaten (Tat zu a, 2 kg Marihuana, Wirkstoffgehalt 200 g THC),
- einem Jahr und acht Monaten (Tat zu b, 5 kg Marihuana, Wirkstoffgehalt 500 g THC),
- zwei Jahren (Tat zu c, 6 kg Marihuana, Wirkstoffgehalt 600 g THC),
- einem Jahr und drei Monaten (Tat zu d, 1 kg Haschisch, Wirkstoffgehalt 100 g THC),
- einem Jahr und sechs Monaten (Tat zu e, 5.000 Ecstasy Tabletten, Wirkstoffgehalt 600 g MDMA),
- drei Jahren und sechs Monaten (Tat zu f, 6 kg Kokain, 4.200 g Cocainhydrochlorid),
- zwei Jahren und sechs Monaten (Tat zu g, 85 kg Marihuana, 8.500 g THC),
- einem Jahr und drei Monaten (Tat zu h, 1 kg Haschisch, 100 g THC),
- drei Jahren (Tat zu i, 66 kg Marihuana, 6.600 g THC).

Wegen der zwei den Besitz von Betäubungsmitteln betreffenden Taten zu j) und k), bei denen der Verurteilte nach den getroffenen Feststellungen in seiner Wohnung für den Eigenbedarf in einem Fall 14 g Marihuana und in dem anderen Fall 3,1 g Marihuana mit jeweils durchschnittlichem Wirkstoffgehalt besessen hat, hat das Landgericht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG Einzelstrafen von drei Monaten und von einem Monat festgesetzt.

Die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem seit dem 6. September 2021 rechtskräftigen Urteil wird derzeit vollstreckt. Zwei Drittel der Strafe werden am 14. September 2024 verbüßt sein.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) hat unter Verweis auf Art. 316p, 313 EGStGB und die danach dem Erlass unterliegenden Einzelstrafen für den Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge beim Landgericht Frankfurt (Oder) beantragt, unter Aufrechterhaltung der Einziehungsentscheidungen und Auflösung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe aus den verbliebenen Einzelstrafen eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und fünf Monaten festzusetzen.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) – 4. Strafkammer – hat daraufhin durch Beschluss vom 4. April 2024 die Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 11. August 2021 aufgelöst, aus den nicht dem Erlass unterliegenden Einzelstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von vier Jahren und acht Monaten festgesetzt und die getroffenen Einziehungsentscheidungen und die Kostenentscheidung aufrechterhalten. Bei der Gesamtstrafenbildung hat die Strafkammer zugunsten des Angeklagten eine „notwendig werdende Neubewertung der nicht geringen Menge aufgrund der Neuregelung im Cannabisgesetz“ berücksichtigt und dabei für das Vorliegen einer nicht geringen Menge einen Grenzwert von 100 g THC zugrunde gelegt, so dass „der Gesamtunrechtsgehalt der festgestellten Taten in einem anderen Licht als zum Zeitpunkt der Urteilsfindung zu sehen“ sei, was sich „auf die Gesamtstrafenbildung zwingend auszuwirken“ habe.

Hiergegen hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) sofortige Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist dem Rechtsmittel beigetreten und beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, die rechtskräftig verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten aufzulösen, die darin enthaltenen Einzelstrafen von drei Monaten sowie einem Monat zu erlassen und eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und fünf Monaten festzusetzen.

II.

Die gemäß Art. 316p, 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Die von der Staatsanwaltschaft angerufene 4. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) war für die nach Art. 316p, 313 EGStGB zu treffende Entscheidung wegen des Erlasses der nach dem Betäubungsmittelgesetz verhängten, nach Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes nicht mehr vorgesehenen Strafen zuständig. Da gemäß Art. 313 Abs. 4 Satz 1 EGStGB eine (nachträgliche) Gesamtstrafenbildung veranlasst war, ist insoweit im Verfahren über die zu treffende gerichtliche Entscheidung (Art. 313 Abs. 5 EGStGB, § 462 StGB) nicht die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (§ 462a Abs. 1 StGB), sondern die des Gerichts des ersten Rechtszuges begründet (§ 462a Abs. 3 Satz 1, § 460 StPO).

2. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die den Besitz von Marihuana in nicht geringer Menge betreffenden Einzelstrafen von drei Monaten sowie von einem Monat mit Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024, Nr. 109) am 1. April 2024 erlassen werden, da die nach den getroffenen Feststellungen zugrunde liegenden Sachverhalte im Hinblick auf die lediglich geringe Menge des zum Eigenkonsum besessenen Cannabis von 14 g sowie 3,1 g nach neuem Recht weder strafbar (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 b KCanG), noch bußgeldbewehrt sind (§ 36 Abs. 1 Nr. 1 b KCanG). Auch die Aufrechterhaltung der Einziehungsentscheidungen ist rechtsfehlerfrei; insbesondere erstreckt sich der Straferlass nicht auf die angeordnete Einziehung des sichergestellten Marihuanas (Art. 316p, Art. 313 Abs. 1 Satz 2 EGStGB).

Das Landgericht hat ferner zutreffend die verbleibenden Einzelstrafen wegen Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unangetastet gelassen und unverändert der veranlassten Bildung einer neuen Gesamtstrafe zugrunde gelegt. Entgegen der von der Verteidigung vertretenen Auffassung ist eine Aufhebung und Neufestsetzung rechtskräftig verhängter Strafen für Tatbegehungen, die nach dem Cannabisgesetz ebenfalls strafbar sind (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG), auch dann nicht veranlasst, wenn sie noch nicht (vollständig) vollstreckt wurden. Die Regelungen in Art. 313 Abs. 3 EGStGB betreffen insgesamt lediglich Verurteilungen wegen einer Handlung, die eine nach neuem Recht nicht mehr anwendbare Strafvorschrift und zugleich eine andere Strafvorschrift verletzt hat, mithin hier nicht vorliegende Fallgestaltungen, in denen bei vorliegender Tateinheit (§ 52 StGB) ein nicht mehr strafbares Verhalten Gegenstand der Bildung einer Einzelstrafe war. Eine noch weitergehende Amnestieregelung lässt sich weder dem Wortlaut und der Systematik des Gesetzes, noch dem Willen des Gesetzgebers entnehmen (vgl. hierzu die Begründung zum Gesetzesentwurf zu Artikel 13 BT-Drucksache 20/8704, S. 155), und sie wäre auch von Verfassung wegen nicht geboten (vgl. hierzu Engel ZRP 2024, 50ff.).

3. Das Landgericht hat bei der Gesamtstrafenbildung zu Unrecht eine neue, von dem in Rechtskraft erwachsenen Urteil abweichende Bewertung der verhängten Einzelstrafen vorgenommen und dabei unzutreffend mit Rücksicht auf die in Kraft getretene Neuregelung zur Strafbarkeit im Umgang mit Cannabis einen geringeren Unrechtsgehalt der rechtskräftig verhängten Strafen zugrunde gelegt.

Bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist das Gericht grundsätzlich an die Feststellungen früherer Urteile zu den Einzelstrafen gebunden und hat sich einer Änderung des Bewertungsmaßstabs zu enthalten (Fischer, StGB 71. Auflage, § 55 Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 67. Aufl. § 460 Rn. 14, 15). Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Angemessenheit der erkannten Strafen im Rahmen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung wäre eine unzulässige Korrektur rechtskräftiger Urteile, so dass neue Strafzumessungsgesichtspunkte nicht berücksichtigt werden dürfen, soweit sie über die für die Gesamtstrafenbildung maßgebliche Gesamtschau der Straftaten hinausgehen (Löwe-Rosenberg/Graalmann-Scheerer, StPO 27. Aufl. § 460 Rn. 33). Das mit der nachträglichen Gesamtstrafenbildung befasste Gericht hat die Gründe für die Gesamtstrafenbemessung vielmehr den die zugrunde liegenden Einzelstrafen betreffenden rechtskräftigen Urteilen und den dortigen Strafzumessungsgründen zu entnehmen (Löwe-Rosenberg, aaO. Rn. 48).

Hiergegen hat das Landgericht verstoßen, indem es von den die rechtskräftige Verurteilung tragenden Strafzumessungserwägungen abgewichen ist und eine neue Bewertung des rechtskräftig festgestellten Tatunrechts vorgenommen hat.

Das zum 1. April 2024 in Kraft getretene Cannabisgesetz gab hierzu keine Veranlassung. Eine über den Erlass von nicht vollstreckten Strafen für nach neuem Recht nicht mehr strafbares Verhalten hinausreichende Amnestieregelung ist vielmehr gemäß Art. 316p, Art. 313 EGStGB nicht vorgesehen. Insoweit kommt auch eine Neubewertung bereits rechtskräftig verhängter Strafen wegen nach neuem Recht ebenfalls strafbarer Tathandlungen nicht in Betracht. Eine solche hätte im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung wie im vorliegenden Fall auch eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber von der Amnestieregelung nicht unmittelbar betroffener Verurteilter zufolge. Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend wie folgt ausgeführt:

„[Die] von der Kammer vorgenommene Reduzierung der Gesamtfreiheitsstrafe im Lichte der Neuregelung des Cannabisgesetzes aus Anlass des Wegfalls zweier untergeordneter Einzelstrafen kann auch deswegen keinen Bestand haben, weil sie zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Ungleichbehandlung mit anderen Verurteilten, die nicht zusätzlich auch wegen Bagatelldelikten verurteilt worden sind, führen würde. Die Anwendung der Amnestieregelung durch die Kammer führt in ihrer Konsequenz zu einer Privilegierung von Tätern, die zusätzliche Straftaten begangen haben. Denn hätte der Verurteilte neben den sieben Taten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu a) bis g) nicht zusätzlich die beiden Taten des damals unerlaubten (und nunmehr straffreien) Besitzes von Betäubungsmitteln zu h) und i) begangen oder wäre insoweit eine Beschränkung der Strafverfolgung nach § 154 StPO erfolgt, wäre die ursprünglich festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe – wenn überhaupt – ein bis zwei Monate geringer ausgefallen. In diesem Fall aber wäre der Anwendungsbereich der Amnestieregelung der Art. 313p und 313 EGStGB nicht eröffnet und folglich auch die von der Strafkammer vorgenommene zusätzliche Reduzierung der Gesamtfreiheitsstrafe um zehn Monate nicht möglich gewesen.“

Die angegriffene Gesamtstrafenbildung, bei der das Landgericht zu Unrecht einen niedrigeren Grenzwert der nicht geringen Menge von 100 g THC zugrunde gelegt hat (vgl. hierzu im Übrigen BGH, Beschl. v. 18. April 2024 – 1 StR 106/24; Beschl. v. 23. April 2024 – 5 StR 153/24; KG, Beschl. v. 30. April 2024 – 5 Ws 67/24), kann demnach keinen Bestand haben.

4. Bei der vom Senat aus den verbliebenen Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe ist entsprechend der Würdigung im zugrunde liegenden Urteil zu berücksichtigen, dass der Verurteilte erstmals Straftaten begangen und sich geständig eingelassen hat, die gehandelten Betäubungsmittel demgegenüber von großem Umfang waren. Der relativ enge zeitliche und der situative Zusammenhang der Taten, die der Verurteilte nach den Feststellungen im April/Mai 2020 begangen hat, rechtfertigt eine – angesichts der Summe der Einzelstrafen von 18 Jahren und vier Monaten und des verwirklichten Unrechtsgehalts noch als maßvoll, aber auch hinreichend deutlich anzusehende – Erhöhung der Einsatzstrafe von drei Jahren und sechs Monate auf eine Gesamtfreiheitstrafe von fünf Jahren und fünf Monaten. Der Senat folgt insoweit dem Antrag der Staatsanwaltschaft.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 465 Abs. 1 StPO.


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