Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 26.02.2024 - 1 Ws 69/24, 1 Ws 70/24, 1 Ws 71/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Ein Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen eine Therapieweisung setzt voraus, dass diese im Bewährungsbeschluss hinreichend bestimmt erteilt worden ist.
2. Holt das Gericht nach der Anhörung zu einem Bewährungswiderruf telefonisch weitere Informationen ein, muss es den Verurteilten zu diesen neuen Erkenntnissen erneut anhören.
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
1 Ws 69/24, 1 Ws 70/24, 1 Ws 71/24
In der Bewährungssache
betr. pp.
wegen Betruges u. a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 26. Februar 2024 beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde vom 3. Januar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels – an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Der Verurteilte wurde am 14. Oktober 2015 vom Amtsgericht Hohenstein-Ernstthal wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, am 29. Mai 2017 vom Landgericht Stade wegen Betruges in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Fälschung beweiserheblicher Daten, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 9 Monaten und am 11. März 2021 vom Landgericht Stade wegen Betruges – unter Einbeziehung einer Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Bremervörde vom 7. November 2019 – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Der Vollzug der Strafen erfolgte seit dem 10. Dezember 2020 in der Justizvollzugsanstalt Bremervörde.
Mit Beschluss vom 29. April 2022 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stade mit Sitz beim Amtsgericht Bremervörde die Vollstreckung des Restes dieser Strafen nach Verbüßung von zwei Dritteln zur Bewährung aus und setzte die Bewährungszeit auf drei Jahre fest. Zugleich wurde der Verurteilte „der Leitung und Führung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt“. Er wurde angewiesen, „nach näherer Maßgabe der Bewährungshilfe regelmäßigen persönlichen Kontakt zur Bewährungshilfe zu halten und Termine wahrzunehmen; während der ersten sechs Monate nach der Haftentlassung mindestens einmal monatlich“. Ferner wurde er angewiesen, keinen Alkohol zu trinken und „sich innerhalb von zwei Monaten nach seiner Entlassung in psychotherapeutische Behandlung im Hinblick auf seine Alkoholsucht zu begeben und diese nicht abzubrechen, solange dies von Seiten des Psychologen für erforderlich gehalten wird“. Zusätzlich wurde dem Verurteilten „die Auflage erteilt, sich einer Selbsthilfegruppe für Alkoholgefährdete anzuschließen und an deren Gruppensitzungen regelmäßig teilzunehmen“. Es wurde bestimmt, dass der Verurteilte die Teilnahme an der Therapie und den Sitzungen der Selbsthilfegruppe der Bewährungshilfe auf deren Verlangen nachzuweisen hat.
Der Verurteilte wurde daraufhin am 13. Mai 2022 aus der Strafhaft entlassen. Er stand danach zunächst im Kontakt mit dem Ambulanten Justizsozialdienst in S. Nachdem er im November 2022 zu seiner Partnerin nach S.-H. gezogen war, unterstellte die Strafvollstreckungskammer ihn mit Beschluss vom 20. Februar 2023 der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin G. in L. Zu dieser hielt der Verurteilte zunächst bis Juli 2023 Kontakt, war danach für sie aber nicht mehr erreichbar und meldete sich nicht mehr bei ihr. Nachweise über die Teilnahme an therapeutischen Maßnahmen hat er weder ihr noch dem Ambulanten Justizsozialdienst in S. vorgelegt. Am 26. September 2023 teilte die Polizeidirektion L. der Strafvollstreckungskammer mit, dass gegen den Verurteilten ein Verfahren wegen Betruges geführt werde.
Mit Schreiben vom 20. November 2023 hörte die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten schriftlich zu einem Bewährungswiderruf an, weil er sich der Aufsicht und Leitung seiner Bewährungshelferin beharrlich entzogen habe, zugleich wurde ihm Gelegenheit zur mündlichen Anhörung am 18. Dezember 2023 gegeben. Der Verurteilte meldete sich daraufhin bei der Bewährungshelferin und begründete ihr gegenüber die Versäumung der Gesprächstermine mit einem Alkoholrückfall. Er berichtete, dass er eine Therapiemaßnahme in der A.-Klinik in N. i. H. durchgeführt und sich anschließend um eine Anbindung an die Suchtberatungsstelle bemüht habe. Die Bewährungshelferin forderte ihn daraufhin zur Vorlage entsprechender Nachweise auf. Zum Anhörungstermin am 18. Dezember 2023 erschien der Verurteilte nicht. Am 3. Januar 2024 telefonierte die Einzelrichterin der Strafvollstreckungskammer mit der Bewährungshelferin. Diese teilte mit, dass sich der Verurteilte bei ihr nicht mehr gemeldet und auch keine Unterlagen eingereicht habe.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 3. Januar 2024 hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Verurteilte sich der Bewährungshilfe beharrlich entzogen und gegen Weisungen gröblich und beharrlich verstoßen habe. Er habe seit dem 13. Juli 2023 keinen Kontakt zur Bewährungshelferin und lediglich kurz vor dem Anhörungstermin mit ihr telefoniert, danach habe er keinen weiteren Kontakt zu ihr aufgenommen oder Unterlagen bezüglich der im Bewährungsbeschluss aufgegebenen Durchführung einer Therapie und Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe vorgelegt. In Anbetracht des Ermittlungsverfahrens wegen Betruges habe er mit seinem Verhalten Anlass zur Besorgnis gegeben, dass er erneut Straftaten begehen werde.
Der Verurteilte hat gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat Bescheinigungen vorgelegt, wonach er vom 19. Dezember 2023 bis 9. Januar 2024 im A.-Krankenhaus in N. behandelt wurde und seit dem 5. Februar 2024 bis auf weiteres in der dortigen Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie behandelt wird. Eine dazugehörige ärztliche Verordnung vom 23. Januar 2024 weist als Diagnose eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD-10: F 33.1G), aus.
II.
Der angefochtene Beschluss ist bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer den Anforderungen an die Anhörung des Verurteilten nicht gerecht wird.
Vor einem Widerruf der Strafaussetzung wegen Weisungsverstößen hat das Gericht gemäß § 453 Abs. 1 Satz 4 StPO mündlich anzuhören, wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts möglich erscheint und schwerwiegende Gründe nicht entgegenstehen. Seine spätere Entscheidung über den Widerruf darf das Gericht nur auf solche Tatsachen stützen, die bereits Gegenstand der Anhörung waren. Holt das Gericht nach der Anhörung telefonisch weitere Informationen ein, muss es den Verurteilten zu diesen neuen Erkenntnissen erneut anhören (KG, Beschluss vom 6. März 2017 – 5 Ws 25/17 - 121 AR 13 - 14/17 –, Rn. 10, juris, m. w. N.).
Diesen Anforderungen hält das Vorgehen der Strafvollstreckungskammer nicht stand. Die Strafvollstreckungskammer stützt sich in der Begründung ihres Widerrufsbeschlusses ausdrücklich darauf, dass der Verurteilte auch nach dem Anhörungstermin keinen weiteren Kontakt zur Bewährungshilfe aufgenommen und keine Therapienachweise vorgelegt hat. Sie bezieht sich dabei auf Erkenntnisse aus dem Telefonat mit der Bewährungshelferin vom 3. Januar 2024, das erst nach dem Anhörungstermin vom 18. Dezember 2023 erfolgt ist und zu dessen Inhalt dem Verurteilten keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sich dieser Gehörsverstoß zum Nachteil des Verurteilten ausgewirkt hat. Wenn die Strafvollstreckungskammer ihm erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben hätte, hätte er insbesondere die Nachweise über seinen Klinikaufenthalt seit dem 19. Dezember 2023 vorlegen und gegebenenfalls mündlich erläutern können. Dies hätte die Strafvollstreckungskammer zu der Bewertung führen können, dass seine Untätigkeit nach der Anhörung am 18. Dezember 2023 unverschuldet gewesen sein könnte.
Dem Anhörungsschreiben vom 20. November 2023 konnte der Verurteilte im Übrigen nicht entnehmen, dass der Widerruf auch auf das Fehlen von Therapienachweisen gestützt werden könnte. Denn dieses bezog sich nur darauf, dass sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin entzogen habe. Es ist nicht auszuschließen, dass der Verurteilte auch auf ein insoweit vollständiges Anhörungsschreiben anders reagiert und gegebenenfalls seine Gründe für die Weisungsverstöße schriftlich oder mündlich erläutert hätte.
III.
Der Senat kann die Anhörungsmängel nicht selbst beheben und ist daher an einer eigenen Sachentscheidung gemäß § 309 Abs. 2 StGB gehindert. Die Sache ist deshalb zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (KG, Beschluss vom 6. März 2017 – 5 Ws 25/17 - 121 AR 13 - 14/17 –, Rn. 12, juris m. w. N.).
Bei ihrer neuen Entscheidung wird die Strafvollstreckungskammer näher zu prüfen haben, ob die Depressionserkrankung des Verurteilten der Annahme eines beharrlichen Weisungsverstoßes entgegensteht. Denn Beharrlichkeit erfordert, dass der Verstoß gegen die Unterstellung unter die Aufsicht und Leitung eines Bewährungshelfers dem Verurteilten auch vorwerfbar ist (OLG Köln, Beschluss vom 24. März 2010 – 2 Ws 178/10 –, Rn. 9, juris). Schon bislang hat die Strafvollstreckungskammer dabei zutreffend auf den Zeitraum abgestellt, in dem der Verurteilte der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin G. unterstellt war. Denn ein Bewährungswiderruf wegen fehlender Kontakthaltung zum Bewährungshelfer setzt voraus, dass der Bewährungshelfer namentlich bestellt worden ist (OLG Celle, Beschluss vom 22. Juni 2021 – 2 Ws 154/21 –, juris). Eine solche namentliche Bestellung ist erst mit Beschluss vom 20. Februar 2023 erfolgt.
Sollte die Strafvollstreckungskammer trotz der mittlerweile begonnenen Behandlung in einer psychiatrischen Tagesklinik erneut einen Widerruf wegen Verstoßes gegen die Therapieweisung (Ziff. 8 des Bewährungsbeschlusses) erwägen, wird sie die dafür geltenden besonderen Voraussetzungen zu berücksichtigen haben. Der fehlende Nachweis einer Therapie setzt nach dem Bewährungsbeschluss nicht nur eine entsprechende Aufforderung voraus, sondern erfordert außerdem, dass die Therapieweisung selbst ausreichend bestimmt ist (KG, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 5 Ws 198 - 199/20 –, Rn. 19, juris). Hierfür sind regelmäßig Angaben zur Art und zur stationären oder ambulanten Durchführung der Behandlung, zur Therapieeinrichtung oder zum Therapeuten, zur Dauer der Therapie und zur Art und Häufigkeit der Termine erforderlich (KG Berlin, Beschluss vom 30. Oktober 2020 – 5 Ws 198 - 199/20 –, Rn. 9, juris). Derartige Angaben lassen sich dem Bewährungsbeschluss vom 29. April 2022 nicht entnehmen.
Im Hinblick auf die Angaben des Verurteilten zu einem Alkoholrückfall wird die Strafvollstreckungskammer außerdem zu berücksichtigen haben, dass ein Bewährungswiderruf wegen Verstoßes gegen die im Bewährungsbeschluss enthaltene Abstinenzweisung nur zulässig ist, wenn der Verurteilte unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse, des Grades seiner Abhängigkeit und des Verlaufs und des Erfolgs der bisherigen Therapiebemühungen überhaupt zu nachhaltiger Abstinenz in der Lage war (OLG Hamm, Beschluss vom 1. Dezember 2016 – III-3 Ws 370/16 –, Rn. 39, juris).
IV.
Die Kostenentscheidung ist der abschließenden Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorbehalten (§ 464 Abs. 2 StPO).
V.
Gegen diesen Beschluss ist nach § 304 Abs. 4 StPO ein Rechtsmittel nicht eröffnet.
Einsender: 1. Strafsenat des OLG Celle
Anmerkung:
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