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Entscheidungen

StPO

Eröffnung, Gericht niederer Ordnung, sofortige Beschwerde, Prüfungsumfang

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 10.04.2024 – 1 Ws 80/24

Leitsatz des Gerichts:

Greift die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde lediglich die Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem Gericht niederer Ordnung an, unterliegt der Eröffnungsbeschluss nicht in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht, es sei denn, die Beurteilung der sachlichen Zuständigkeit des Gerichts bedingt eine umfängliche Tatverdachtsprüfung.


In pp.

1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen Ziff. 2 und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen Ziff. 3 des Beschlusses der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 20. Februar 2024 werden jeweils als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten darin entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe legt mit ihrer zum Landgericht Karlsruhe – Große Strafkammer – erhobenen Anklage vom 27.11.2023 dem Angeklagten zur Last, im Zeitraum vom 27.04.2021 bis zum 04.05.2022 als kassenärztlicher Vertragsarzt 37 Corona-Schutzimpfungen gegen Covid-19 im Wege der quartalsweisen Sammelabrechnung über das Abrechnungssystem der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) abgerechnet, aber tatsächlich nicht durchgeführt zu haben. Die Vornahme solcher Schutzimpfungen wurde gemäß § 6 Abs. 1 S. 1 CoronaImpfV in der vom 01.09.2021 bis zum 15.11.2021 geltenden Fassung zunächst grundsätzlich mit jeweils 20 €, ab dem 16.11.2021 mit jeweils 28 € vergütet. Die Kunden des Angeklagten sollen diesem der Anklage nach jeweils ein Entgelt in Höhe von 50 € in bar bezahlt haben, woraufhin der Angeklagte ihnen die angebliche Durchführung der Schutzimpfung in deren Impfpass bescheinigte. Die Staatsanwaltschaft, die aufgrund der jeweils quartalsweise eingereichten Abrechnungsdateien samt Sammelerklärung in Papierform (unter anderem) von einer entsprechenden Betrugstat pro Quartal ausgeht, legt bei der Berechnung des Vermögensschadens der fünf angeklagten Betrugstaten (Taten Ziff. 1 bis 5) die Höhe des gesamten durch die KVBW quartalsweise ausgezahlten Honorars zugrunde und berechnet auf diese Weise einen Gesamtschadensbetrag in Höhe von 1.199.004,52 € aufgrund zu Unrecht erhaltener Gebühren.

Im Übrigen wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten unter Ziff. 6 der Anklage den Besitz kinderpornographischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte (insgesamt 11 Dateien) vor.

Die Strafkammer hat die Anklage mit, der Staatsanwaltschaft am 27.02.2024 zugestellten, Beschluss vom 20.02.2024 unter Abänderung der seitens der Staatsanwaltschaft angenommenen Konkurrenzen mit der Maßgabe zur Hauptverhandlung zugelassen, dass der Angeklagte der unrichtigen Dokumentation einer Schutzimpfung gegen das Corona-Virus in 33 Fällen, davon in sechs Fällen in Tateinheit mit Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, des Betrugs in fünf Fällen sowie des Besitzes kinderpornografischer Inhalte in Tateinheit mit Besitz jugendpornographischer Inhalte hinreichend verdächtig ist. Abweichend von der Entschließung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat die Strafkammer das Hauptverfahren unter Ziff. 2 allerdings vor dem Amtsgericht Karlsruhe – Schöffengericht – eröffnet, weil die Zuständigkeit des Landgerichts sich weder aus der Straferwartung (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GVG) noch aus einem besonderen Umfang oder einer besonderen Bedeutung der Sache (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG) ergebe.

Im Übrigen hat die Strafkammer unter Ziff. 3 den Antrag der Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf Anordnung des Vermögensarrestes in das Vermögen des Angeklagten abgelehnt.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 01.03.2024 sofortige Beschwerde eingelegt, soweit sie beanstandet, dass das Landgericht das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht eröffnet hat (Tenor Ziff. 2). Die Ablehnung des Antrags auf Anordnung des Vermögensarrestes (Tenor Ziff. 3) in das Vermögen des Angeklagten hat sie mit der einfachen Beschwerde angefochten. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe ist den Rechtsmitteln jeweils beigetreten.

Wegen der Einzelheiten des angefochtenen Beschlusses und der Beschwerdebegründungen verweist der Senat auf die Akten.

II.

1. Die gemäß den §§ 210 Abs. 2, 311 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde gegen Ziff. 2 des Beschlusses vom 20.02.2024 bleibt aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung ohne Erfolg. Das Beschwerdevorbringen von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft bietet zu Änderungen keinen Anlass.

a) Ob der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Taten i.S.d. § 203 StPO hinreichend verdächtig ist, hat der Senat nicht zu prüfen. Greift die Staatsanwaltschaft – wie hier – lediglich die Bezeichnung des Gerichts an, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll (§ 207 Abs. 1 StPO), unterliegt der Eröffnungsbeschluss grundsätzlich nicht in vollem Umfang der Nachprüfung (vgl. KG, Beschluss vom 25. Juli 2023 – 2 Ws 82/23 –, juris Rn. 14; OLG Dresden, Beschluss vom 16. Dezember 2022 – 2 Ws 270/22 –, juris Rn. 2; OLG Hamburg, Beschluss vom 23. September 2002 – 2 Ws 184/02 –, juris Rn. 9, OLG Saarbrücken, Beschluss vom 30. Oktober 2001 – 1 Ws 151/01 –, juris Rn. 5; Wenske in: Münchener Kommentar zur StPO 2. Aufl. 2024, § 210 Rn. 41; a.A. OLG Celle, Beschluss vom 5. September 2016 – 2 Ws 119/16 –, juris Rn. 7 m.w.N.; offen gelassen: BGH, Beschluss vom 7. März 2012 – 1 StR 6/12 –, juris Rn. 26), weil die Rechtsmittelvorschrift des § 210 Abs. 2 StPO insofern eine Ausnahme von dem Grundsatz der Rechtsmittelsymmetrie enthält, als die Eröffnungsentscheidung nur für die Staatsanwaltschaft, nicht aber für den Angeklagten anfechtbar ist (§ 210 Abs. 1 StPO). Die Anfechtungsmöglichkeit wird im Wesentlichen deshalb zur Verfügung gestellt, weil eine negative Eröffnungsentscheidung aufgrund der Rechtskraftwirkung des § 211 StPO endgültig wäre. Daher gilt die Ausnahme vom Grundsatz der Unanfechtbarkeit der Eröffnungsentscheidung allein für die in § 210 Abs. 2 StPO aufgeführten Entscheidungsteile. Etwas Anderes ist nur dann anzunehmen, wenn die Nachprüfung in vollem Umfang erforderlich ist, um die Eröffnungszuständigkeit zu bestimmen. Dies betrifft lediglich Fälle, in denen der Sachverhalt, der der Anklage zugrunde liegt, von dem über die Eröffnung entscheidenden Gericht in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht anders als in der Anklageschrift beurteilt wird, sofern diese Einschätzung für die Bewertung der Eröffnungszuständigkeit von Bedeutung ist (vgl. KG, Beschluss vom 25. Juli 2023 – 2 Ws 82/23 –, juris Rn. 13 f.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die für die Bestimmung des sachlich zuständigen Gerichts relevante prognostische Einschätzung der im Verurteilungsfalle zu erwartenden Strafhöhe wird maßgeblich durch die Berechnung der Höhe des Vermögensschadens bestimmt, bei welcher die Strafkammer zu einem von der Anklage abweichenden Ergebnis gelangt. Im Übrigen sind allein die Konkurrenzverhältnisse korrigiert worden, was vorliegend zum einen durch die sofortige Beschwerde nicht angegriffen und zum anderen in der Sache für die Eröffnungszuständigkeit nicht von Bedeutung ist.

b) Die nach diesen Maßstäben vorgenommene Prüfung ergibt, dass die Strafkammer mit zutreffender Begründung das Hauptverfahren vor dem sachlich zuständigen Amtsgericht – Schöffengericht – eröffnet hat (§ 209 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3, 74 Abs. 1 Satz 2 GVG).

aa) Sie hat zunächst zu Recht angenommen, dass im Hinblick auf die Straferwartung nach den §§ 24, 74 GVG die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts – Schöffengerichts – begründet ist.

(1) Das Schöffengericht ist nach den §§ 28, 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG immer dann zuständig, wenn im Einzelfall eine höhere (Gesamt-)Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe nicht zu erwarten ist. Diese Rechtsfolgenerwartung muss aufgrund einer überschlägigen Prognoseentscheidungen anhand der allgemeinen Strafzumessungsgründe und unter Berücksichtigung des gesamten Ermittlungsergebnisses nach § 160 StPO festgestellt werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 20. Februar 1997 – 2 Ss 216/96 –, juris Rn. 8). Die Eröffnung vor einem anderen Gericht niedrigerer Ordnung ist nur dann zulässig, wenn die Strafgewalt des Schöffengerichts mit Sicherheit ausreichend erscheint (KG, Beschluss vom 25. Juli 2023 – 2 Ws 82/23 –, juris Rn. 23; OLG Koblenz, Beschluss vom 6. November 2017 – 2 Ws 686/17 –, juris Rn. 8).

(2) Vorliegend kommt im Rahmen dieser Prüfung der Höhe des hinsichtlich der Taten Ziff. 1 bis Ziff. 5 eingetretenen Vermögensschadens entscheidende Bedeutung zu. Da dieser nicht wie von der Staatsanwaltschaft angenommen 1.199.004,52 €, sondern 804 € beträgt, ist die Strafgewalt des Schöffengerichts auch unter Berücksichtigung der Tat Ziff. 6, die als Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr belegt ist, und des gesamten Ermittlungsergebnisses mit Sicherheit ausreichend. Es ist nicht mit der Verhängung einer Gesamtfreiheitsstrafe von über vier Jahren zu rechnen.

(a) Richtigerweise geht die Kammer davon aus, dass der Vermögensschaden der angeklagten Betrugstaten derjenigen Summe entspricht, die der Angeklagte für abgerechnete, tatsächlich aber nicht ausgeführte Corona-Schutzimpfungen zu Unrecht als Honorar durch die KVBW erhalten hat. Vorliegend umfasst dies Zahlungen von 4 x 20 € im Quartal 2/2021, im Quartal 3/2021 24 x 20 €, im Quartal 4/2021 1 x 20 € und 4 x 28 € und je 2 x 28 € in den Quartalen 1/2022 und 2/2022, woraus sich ein Schaden in Höhe von insgesamt 804 € ergibt. Für die Berechnung des Vermögensschadens ist nicht das gesamte, den Quartalsabrechnungen zugrundeliegende Honorar des Angeklagten im Ganzen entscheidend, weil im Übrigen – soweit ersichtlich – keine Auffälligkeiten hinsichtlich der erbrachten Abrechnungen bestehen.

(b) Abweichendes ergibt sich auch nicht unter Zugrundelegung der von der Staatsanwaltschaft angeführten höchstrichterlichen Grundsätze zur Schadensbestimmung beim Abrechnungsbetrug anhand der sog. „streng formalen Betrachtungsweise“ (vgl. nur etwa: BGH, Urteil vom 19. August 2020 – 5 StR 558/19 –, juris Rn. 49; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 21/14 –, juris Rn. 28 f.; s. a. BSG, Urteil vom 17. September 1997 – 6 RKa 86/95 –, juris Rn. 18; Urteil vom 4. Mai 1994 – 6 RKa 40/93 –, juris Rn. 18; OLG Koblenz Beschluss vom 02. März 2000 – 2 Ws 94/00, BeckRS 2000, 16863 Rn. 120, beck-online; Hefendehl, in: Münchener Kommentar zum StGB 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 854; Magnus, Aktuelle Probleme des Abrechnungsbetrugs, NStZ 2017, 249, 253). Hiernach besteht ein Vermögensschaden bereits dann, wenn der Arzt eine Leistung abrechnet, die aus formalen Gründen, nämlich nach den entsprechenden Vorgaben des jeweiligen Abrechnungssystems, nicht abrechenbar ist. Eine solche Leistung ist nicht erstattungsfähig, so dass eine entsprechende Honorarzuweisung einen Vermögensschaden begründet. In Fällen, in denen ein sog. Qualifikationsmangel vorliegt, kann dies zur Folge haben, dass Quartalsberechnungen insgesamt den Vermögensschaden darstellen, weil sämtliche Leistungen nicht abrechenbar sind (vgl. etwa: BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 27 ff.: Abrechnung von Leistungen eines Arztes ohne Kassenzulassung über einen Strohmann; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 21/14 –, juris, Rn. 30 und Beschluss vom 20.10.2021 – 1 StR 375/21–, juris Rn. 8 ff.: Abrechnung von Pflegeleistungen, die vollständig durch Mitarbeiter erbracht werden, die nicht über die mit der Kranken- und Pflegekasse vertraglich vereinbarte Qualifikation verfügen; Urteil vom 19. August 2020 – 5 StR 558/19 –, juris: .Erbringung von ärztlichen Leistungen in einem medizinischen Versorgungszentrum, an dem sich unzulässigerweise ein Apotheker beteiligt hat; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. März 2000 – 2 Ws 92 - 94/00 –, juris: Abrechnung von Leistungen nur scheinbar freiberuflicher Ärzte mit erschlichener Kassenzulassung, die tatsächlich angestellt waren). Dass die erbrachten Leistungen medizinisch indiziert und lege artis ausgeführt sein mögen, ist aufgrund der streng formalen Betrachtungsweise unbeachtlich. Ob insoweit Aufwendungen erspart wurden, weil bei anderweitiger Behandlung durch eine hinreichend qualifizierte Person dieselben Kosten entstanden wären, ist nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2002 – 3 StR 161/02 –, juris Rn. 28; Hefendehl, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 847).

Jenseits des alle Abrechnungsposten betreffenden Qualifikationsmangels lässt sich der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung allerdings die Annahme eines die Quartalsabrechnungen im Ganzen erfassenden Gesamtvermögensschadens bislang nicht entnehmen; dies gilt insbesondere mit Blick auf die auch hier gegebene Konstellation, dass ein Arzt mit kassenärztlicher Zulassung – der also grundsätzlich berechtigt ist, an der durch die kassenärztliche Vereinigung erfolgenden Verteilung der von den Kassen bezahlten Honorare teilzunehmen –, Quartalsabrechnungen einreicht, mit denen er lediglich hinsichtlich bestimmter, klar abgrenzbarer Honorarbestandteile über die tatsächliche Leistungserbringung täuscht, wenn er also sog. „Luftleistungen“ abrechnet (so auch: KG, Beschluss vom 22. November 2021 – 5 Ws 212/21 –, juris Rn. 17 a. E.; vgl. zum Begriff der „Luftleistung“ nur etwa: Hefendehl, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 856).

Werden – wie vorliegend – einzelne Leistungen, die für sich betrachtet ordnungsgemäß erbracht und abgerechnet sind, zusammen mit „Luftleistungen“ oder nicht ordnungsgemäß erbrachten Leistungen abgerechnet, sind nicht sämtliche ausgewiesene Leistungen insgesamt von einem bestimmten Formalmangel erfasst, so dass auch bei „streng formaler Betrachtung“ kein Anlass besteht, den Vermögensschaden auf die Quartalsabrechnungen insgesamt ausgreifen zu lassen. Allein der Umstand, dass sämtliche Leistungen auf Grundlage einer Abrechnungs-Sammelerklärung abgerechnet werden, führt nicht gleichsam zu einer „Kontaminierung“ der ordnungsgemäß erbrachten Leistungen. Wenn davon auszugehen ist, dass Art, Inhalt und Qualität der durch den Arzt tatsächlich erbrachten, nicht täuschungsbehafteten Leistungen fachärztlichem Standard entsprachen, liegt insoweit kein Vermögensschaden vor (vgl. auch: Horter, medstra 2023, 404, 408; Gierok, ZWH, 2023, 342, 344).

Dies steht im Übrigen auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl.: Urt. v. 17. September 1997 - 6 RKa 86/95, juris Rn 23), nach welcher in denjenigen Fällen, in denen davon auszugehen ist, dass Leistungen eines Quartals tatsächlich und ordnungsgemäß erbracht wurden, eine Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung besteht, nach Aufhebung des unrichtigen Honorarbescheides, das dem Vertragsarzt für diese Leistungen zustehende Honorar neu festzusetzen. Dies ergibt aber allein vor dem Hintergrund nicht erloschener Vergütungsansprüche für die tatsächlich und ordnungsgemäß erbrachten Leistungen Sinn. Entsprechend legt auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14. Dezember 1989 – 4 StR 419/89 –, BGHSt 36, 320-328, juris Rn. 22) zur Möglichkeit einer Schadenshochrechnung im Bereich betrügerischer kassenärztlicher Abrechnungen nicht das gesamte bezogene Honorar des betrügerisch abrechnenden Arztes zugrunde, sondern stellt Erwägungen zu der Schadenshochrechnung an, die im Falle einer „Kontaminierung“ sämtlicher abgerechneter Leistungen entbehrlich gewesen wären.

Vorliegend geht die Anklage neben der Abrechnung von tatsächlich und ordnungsgemäß erbrachten Leistungen allein von klar abgrenzbaren „Luftleistungen“ in 37 Fällen aus, so dass die Abrechenbarkeit der ordnungsgemäß erbrachten Positionen nach dem Vorstehenden nicht in Frage steht, sondern der Vergütungsanspruch insoweit erhalten bleibt und ein Vermögensschaden mithin diesbezüglich nicht begründet werden kann.

Auch die seitens der Staatsanwaltschaft angeführte Entscheidung des Landgerichts Stuttgart (Beschluss vom 28. Juli 2022 – 6 Qs 4/22 –, juris), bei welcher die Gesamtzahl der von tatsächlich durchgeführten Corona-Tests von der Anzahl der abgerechneten Tests abwich, führt im Ergebnis nicht zu einer abweichenden Bewertung. Das Landgericht Stuttgart (a.a.O. Rn. 24) stellt in seiner Entscheidung zunächst selbst heraus, dass die gegebene Konstellation der abgerechneten „Luftleistungen“ von den Situationen in denjenigen Fällen abweicht, in denen durch die in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung der Vermögensschaden auf die Gesamtabrechnung ausgedehnt worden ist. Ohnedies aber ist der Schaden nach dem Vorstehenden unabhängig von der Diskussion um die sog. formale Betrachtungsweise zu beurteilen, wenn mit Corona-Tests beauftragte Unternehmen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung mehr Tests abrechnen, als sie durchgeführt haben (vgl. Hefendehl, in: Münchener Kommentar zum StGB 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 863).

bb) Die sachliche Zuständigkeit der Strafkammer ergibt sich darüber hinaus auch nicht aus einem besonderen Umfang des Verfahrens oder einer besonderen Bedeutung des Falles (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG).Insoweit unterliegt die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, wohin sie Anklage erhebt, voller gerichtlicher Überprüfung. Die Umstände, aus denen die Staatsanwaltschaft den besonderen Umfang oder die besondere Bedeutung des Falles herleitet, sind daher grundsätzlich bereits bei Anklageerhebung mitzuteilen (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2000 – 2 Ws 304/99 –, juris Rn. 2), jedenfalls aber mit der Beschwerde (ergänzend) zu benennen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 5. Dezember 2022 – 2 Ws 230/22 –, juris Rn. 13; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. September 2015 – 1 Ws 182/15 –, juris Rn. 13).

(1) Der von der Staatsanwaltschaft erstmals im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geltend gemachte „besondere Umfang" im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG liegt vor, wenn die Sache von den üblicherweise von den Amtsgerichten zu verhandelnden Fällen abweicht und sich deutlich aus der großen Masse der Verfahren heraushebt, die den gleichen Tatbestand betreffen, wenn sie mithin wegen einer Vielzahl von Angeklagten oder einer Vielzahl von Zeugen, wegen besonderer Schwierigkeiten bei der Beweiswürdigung oder wegen absehbar langer Verfahrensdauer so umfangreich ist, dass sie auch durch die Zuziehung eines weiteren Richters am Amtsgericht gem. § 29 Abs. 2 GVG nicht sachgerecht bewältigt werden kann. Dabei ist der Grundsatz zu beachten, dass bewegliche Zuständigkeitsregelungen im Hinblick auf die knappen Ressourcen der Rechtspflege so auszulegen sind, dass die Zuweisung umfangreicher Fälle mit besonderen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung und langer Verfahrensdauer an Gerichte höherer Ordnung geboten ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 8. November 2010 – 2 Ws 405/10 –, juris Rn. 6; Barthe, in: Karlsruher Kommentar zur StPO 9. Aufl. 2023, § 24 GVG Rn. 6b). Als „Grenzwert“ für die Verfahrensdauer kann insoweit von einer Verhandlungsdauer von sechs Tagen ausgegangen werden (OLG Karlsruhe, a.a.O. Rn. 9).

Solche Umstände liegen für das hiesige Verfahren nicht vor. Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Amtsgericht eine Vielzahl von Zeugen zu laden haben wird, sollte der Angeklagte sein Einlassungsverhalten nicht noch ändern. Aufgrund des eng gefassten Beweisthemas hinsichtlich des Tatkomplexes der „Scheinimpfungen“ (Taten Ziff. 1 bis 5) ist allerdings davon auszugehen, dass die jeweilige Befragung der Zeugen vergleichsweise rasch erfolgen kann, so dass jedenfalls nicht mit einer Verhandlungsdauer von mehr als insgesamt sechs Tagen zu rechnen ist. Im Übrigen sind besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten nicht zu erwarten; auch der Aktenumfang fällt nicht aus dem Rahmen eines Schöffengerichtsverfahrens. Aufgrund des sich wiederholenden modus operandi ist auch nicht mit einer Einarbeitungszeit in das Verfahren zu rechnen, aus der sich Abweichendes ergibt.

(2) Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung zu der besonderen Bedeutung des Falles auf ein beachtliches Medienecho über die Lokalmedien hinaus abstellt, ist im Hinblick auf das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) eine die Zuständigkeit des Landgerichts begründende besondere Bedeutung nur ausnahmsweise bei einem zu erwartenden überragenden oder bundesweiten Interesses anzunehmen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 2 Ws 202/21 –, juris Rn. 5 m.w.N.). Solches ist vorliegend nicht zu erwarten.

Die von der Staatsanwaltschaft genannten Aspekte der Tatausführung auch noch nach der erfolgten Durchsuchung bei dem Angeklagten und ein drohendes Berufsverbot gemäß § 70 Abs. 1 StGB werden im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sein, rechtfertigen aber weder für sich noch in einer Gesamtschau mit einer etwaigen gewissen medialen Aufmerksamkeit die Annahme einer besonderen Bedeutung des Falles.

2. Auch der zulässigen Beschwerde gegen Ziff. 3 des angefochtenen Beschlusses bleibt der Erfolg versagt. Das Landgericht hat mit Recht den Antrag auf Anordnung des Vermögensarrestes in das Vermögen des Angeklagten aufgrund fehlenden Sicherungsbedürfnisses abgelehnt. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung.

3. Nach alledem sind die Rechtmittel der Staatsanwaltschaft mit der sich aus § 473 Abs. 1, Abs. 2 StPO ergebenden Kostenfolge als unbegründet zu verwerfen.


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