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Entscheidungen

StPO

Einziehung, selbständiges Einziehungsverfahren, Eröffnungsentscheidung, KCanG

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hagen, Beschl. v. 21.05.2024 - 49 Qs 18/24

Eigener Leitsatz:

Das selbstständige Einziehungsverfahren setzt über §§ 435 Abs. 3, 203 StPO voraus, dass das Gericht durch eine Willenserklärung deutlich macht, ob es den Antrag auf Durchführung des (selbstständigen) Einziehungsverfahrens zulässt.


49 Qs 18/24

Landgericht Hagen

Beschluss

In dem Beschwerdeverfahren
betreffend pp.,

Verteidiger:

hat die 9. große Strafkammer des Landgerichts Hagen durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und den Richter am Landgericht am 21.05.2024 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Iserlohn vom 22.04.2024 aufgehoben, soweit die Einziehung der sichergestellten 19,05 Gramm Marihuana nebst Verpackungsmaterial angeordnet wurde. Insoweit wird das Verfahren einge-stellt.
Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Be-schwerdeführers.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer sowie der spätere Mitangeklagte pp. wurden am 14.07.2023 in Iserlohn kontrolliert, wobei insgesamt 19,05 Gramm (netto) Marihuana sichergestellt werden konnten.

Das Marihuana war nach ihren Angaben zum Eigenkonsum bestimmt. Aufgrund dessen erhob die Staatsanwaltschaft Hagen am 31.08.2023 Anklage zum Amtsgericht - Strafrichter - Iser-lohn, wobei die Anklageschrift bezüglich der beabsichtigten Einziehung wie folgt formuliert war:

„Die nachfolgend aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung: sichergestellte Betäu-bungsmittel samt Verpackungsmaterial"

Nachdem die Anklageschrift am 07.10.2023 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet wurde, wurde die Hauptverhandlung schließlich auf den 02.04.2024 anberaumt. Die Hauptverhandlung vom 02.04.2024 endete mit der Aussetzung des Verfahrens. Der zuständige Amtsrichter teilte unter dem 03.04.2024 seine Rechtsansicht ge-genüber der Staatsanwaltschaft Hagen mit, wonach der in der Anklageschrift geschilderte Tat-vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln nicht mehr strafbar sei und eine Ein-stellung nach § 206b StPO beabsichtigt sei. Eine Einziehungsentscheidung sei nicht möglich, da § 37 KCanG nicht einschlägig sei.

Nach diesen Ausführungen beantragte die Staatsanwaltschaft Hagen unter dem 15.04.2024 die sichergestellten 19,05 Gramm (netto) Marihuana gemäß § 435 StPO in Verbindung mit § 37 KCanG in Verbindung mit § 74a Nr. 2 StPO einzuziehen. Dies ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer sowie der Mitangeklagte pp. nach Aktenlage eingeräumt hätten, dass sie das Marihuana von einer unbekannten Person gekauft hätten. Diese Person habe sich mithin wegen unerlaubten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG strafbar ge-macht. Dadurch, dass die Cannabinoide bei dieser Person hätten eingezogen werden können, sei gemäß § 74a Nr. 2 StGB in Verbindung mit § 37 KCanG auch eine Einziehung beim Be-schwerdeführer sowie dem Mitangeklagten pp. möglich.

Ohne den Beschwerdeführer oder seinem Verteidiger diesen Antrag zu übersenden, erließ das Amtsgericht Iserlohn am 22.04.2024 einen Beschluss, in dem zum einen das Verfahren nach § 206b StPO eingestellt wurde und zum anderen die bei dem Beschwerdeführer sowie pp. si-chergestellten 19,05 Gramm (netto) Marihuana nebst Verpackungsmaterial eingezogen wur-den. Wegen der Einzelheiten des Be-schlusses sowie seiner Begründung wird auf BI. 72 - 72 R d.A. verwiesen.

Gegen den am 25.04.2024 zugestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer bezüglich der Einziehungsentscheidung am 26.04.2024 Rechtsmittel ein. Wegen der Einzelheiten der Be-gründung des Rechtsmittels wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 26.04.2024, BI. 78 - 79 d.A., verwiesen.

II.

Der Schriftsatz des Verteidigers vom 26.04.2024 war als sofortige Beschwerde, dem einzig statthaften Rechtsmittel, auszulegen.

Die gemäß §§ 436 Abs. 2, 434 Abs. 2 StPO in Verbindung mit §§ 304, 311 StPO zulässige so-fortige Beschwerde hat Erfolg.

1. Das Verfahren leidet bereits an einem nicht mehr behebbaren Verfahrenshindernis. Denn das Amtsgericht Iserlohn hat entgegen §§ 435 Abs. 3, 203 StPO im selbstständigen Einzie-hungsverfahren durch Beschluss entschieden, ohne zuvor über die Eröffnung des Einziehungs-verfahrens zu entscheiden und eine förmliche Beteiligung des Beschwerdeführers herbeizufüh-ren. Das selbstständige Einziehungsverfahren setzt über §§ 435 Abs. 3, 203 StPO voraus, dass das Gericht durch eine Willenserklärung deutlich macht, ob es den Antrag auf Durchfüh-rung des (selbstständigen) Einziehungsverfahrens zulässt (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 - 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21 - 161 AR 186/21, Rn. 3 ff, juris; OLG Oldenburg, Be-schluss vom 10.08.2020 -1 Ws 265/20, Rn. 9 ff., juris). Dies ist vorliegend unterblieben.

Das Amtsgericht hat lediglich die ursprüngliche Anklageschrift, in der die Betäubungsmittel nur abstrakt als Einziehungsgegenstand benannt wurden, eröffnet, nicht hingegen das später sei-tens der Staatsanwaltschaft beantragte selbstständige Einziehungsverfahren. Es existiert auch keine konkludente Eröffnungsentscheidung, vielmehr hat das Amtsgericht ohne weiteren Ver-fahrensschritt nach Eingang des Antrags der Staatsanwaltschaft entschieden. Abgesehen von der Tatsache, dass das Verfahren somit bereits unter einem erheblichen Verfahrensfehler lei-det, wurde dem Beschwerdeführer hierdurch jegliches rechtliche Gehör verwehrt.

Der Verzicht auf eine Eröffnungsentscheidung ist nur in engen Grenzen möglich, nämlich dann, wenn das Gericht durch Urteil eine Entscheidung ausspricht und hierin eine selbstständige Ein-ziehungsentscheidung vornimmt, da in diesen Fällen das subjektive Strafverfahren auch objek-tiv wirkt und die Vorschriften für das selbstständige Einziehungsverfahren insoweit keine An-wendung finden (vgl. BGH, Beschluss vom 23.05.2023 - GSSt 1/23, Rn. 29, juris). Wird aller-dings - wie im vorliegenden Fall -die Hauptverhandlung ausgesetzt und gerade keine Entschei-dung durch Urteil getroffen, ist es dem Amtsgericht verwehrt, ohne Berücksichtigung der straf-prozessualen Voraussetzungen in das selbstständige Einziehungsverfahren zu wechseln und unmittelbar zu entscheiden (vgl. Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 435 StPO, Rn. 61).

Durch die erfolgte Einziehungsentscheidung des Amtsgerichts Iserlohn ist ein nicht mehr be-hebbares Verfahrenshindernis eingetreten. Die Kammer kann weder die Eröffnungsentschei-dung nachholen noch die Sache insoweit zurückverweisen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 01.11.2021 - 4 Ws 80/21, 4 Ws 80/21 - 161 AR 186/21, Rn. 6, juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 08.02.2019 - 1 Ws 165/1, Rn. 4, juris).

2. Auf die materiell-rechtliche Frage der Möglichkeit einer Einziehung über § 74a Nr. 2
StGB kam mithin es nicht mehr an.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 Satz 1 StPO analog.


Einsender: RA Dr. F. Nobis, Iserlohn

Anmerkung:


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