Gericht / Entscheidungsdatum: LG Arnsberg, Beschl. v. 07.05.2024 - 6 Qs 26/24
Eigener Leitsatz:
Von einer schweren Rechtsfolge ist ab einer Straferwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe auszugehen, wobei auch schwerwiegende mittelbare Nachteile, wie ggf. eine Bewährungswiderruf und eine Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Führungsaufsicht in anderer Sache zu berücksichtigen sind.
6 Qs 26/24
Landgericht Arnsberg
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
hat das Landgericht 6. Große Strafkammer - Beschwerdekammer - Arnsberg auf die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg vom 26.02.2024 - Az: 5 Gs 424/24 - durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am Landgericht am 07.05.2024 beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Gründe:
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Es wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Beschluss und ergänzend wie folgt ausgeführt:
Die Kammer vertrat zuletzt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass ein Pflichtverteidiger grundsätzlich schon dann rückwirkend bestellt werden kann, wenn nur der Antrag hierauf rechtzeitig vor Verfahrensabschluss beim entscheidenden Gericht oder den zuständigen Ermittlungsbehörden eingeht — unbeschadet der Frage, ob es anschließend justizintern zu Verzögerungen kommt oder nicht. Ob an dieser Rechtsauffassung auch in vorliegendem Fall, wo der Antrag am 02.02.2024 und damit nur 4 Tage vor der Verfahrenseinstellung am 06.02.2024 eingegangen war, festzuhalten wäre, kann indes dahinstehen. Denn hier waren und sind bereits die sachlichen Voraussetzungen für eine Beiordnung nach § 140 Abs. 1 oder 2 StPO nicht erfüllt.
Ein Fall aus dem Katalog des § 140 Abs. 1 StPO lag ersichtlich nicht vor. Nach § 140 Abs. 2 StPO ist ein Pflichtverteidiger u.a. dann zu bestellen, wenn dessen Mitwirkung wegen „der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge" geboten erscheint. Nicht schon jede zu erwartende Freiheitsstrafe, wohl aber eine Straferwartung von (insgesamt) 1 Jahr Freiheitsstrafe oder mehr erfüllt im Regelfall dieses Kriterium (OLG Nürnberg, Beschluss vom 16.01.2014 — 2 OLG 8 Ss 259/13; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 13.08.2018 — 1 Ws 179/18; m.w.N. Meyer-Goßner/Schmitt, § 140 StPO Rn. 23a). Dabei sind neben der Rechtsfolge für die verfahrensgegenständliche Tat auch sonstige (ggfls. mittelbare) Nachteile zu berücksichtigen, die der Betroffene infolge einer Verurteilung zu erwarten hat; hierzu zählt u.a. ein anderweitig drohender Bewährungswiderruf (OLG Hamm, Beschluss vom 18.01.2001 — 2 Ss 1243/00; KG Berlin, Beschluss vom 06.01.2017 — 4 Ws 212/16). Auch nach diesen Maßstäben war eine Pflichtverteidigung vorliegend aber nicht geboten.
Gegenstand dieses Verfahrens war alleine eine Bedrohung, die gemäß § 241 StGB im Höchstmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist. Dass dieses Höchstmaß hier überhaupt annähernd erreicht würde, war aber trotz der teilweise einschlägigen Vorbelastungen des Beschwerdeführers nicht zu erwarten. Die von ihm vermeintlich ausgesprochene Drohung (BI. 2 d.A.) bezog sich, gemeinsam mit mehreren Beleidigungen, allein auf die dienstliche Tätigkeit des betroffenen Mitarbeiters der JVA und blieb zudem in ihrem Wortlaut - "ich verspreche Dir, die Quittung wird kommen"— relativ vage; eine (besonders schwerwiegende) konkrete Todesdrohung lag jedenfalls nicht vor.
Richtig ist zwar, dass der Beschwerdeführer zudem unter laufender Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Hamm vom 25.02.2020 steht, das ihn zu 4 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt hat. Bei einer Neuverurteilung hätte ggf. auch ein Widerruf jener Strafaussetzung zur Bewährung gedroht. Zwingend war diese Konsequenz aber nicht; ebenso denkbar war bspw., dass, zumal sonstige Bewährungsverstöße nicht in Rede stehen, die Bewährungszeit dann lediglich verlängert worden wäre. Und selbst bei einem Bewährungswiderruf hätte der Freiheitsentzug insgesamt, also aus dem hiesigen und dem früheren Verfahren, die Grenze von einem Jahr voraussichtlich nicht erreicht.
Keinen zwingenden Anlass für die Bestellung eines Pflichtverteidigers bot schließlich der Umstand, dass der Beschwerdeführer im Verfahren 111-1 StVK 1054/19 FA (Landgericht Arnsberg) unter Führungsaufsicht steht und dort am 06.11.2023 einen Antrag auf Aufhebung der eigentlich bis zum 01.06.2025 laufenden Führungsaufsicht gestellt hat. Zwar hat die Dezernentin des vorgenannten Verfahrens in ihrer Verfügung vom 18.12.2023 ausgeführt, dass sie, vor einer Entscheidung über den Antrag vom 06.11.2023, den Ausgang des hier in Rede stehenden Ermittlungsverfahrens abwarten wolle. Somit hätte sich eine Neuverurteilung mittelbar durchaus negativ auf besagten Antrag auswirken können. Allerdings soll ein Fall der notwendigen Verteidigung in solchen Konstellationen nur vorliegen. wenn dem Betroffenen mittelbar — in anderen Verfahren also - ,,schwerwiegende Nachteile" drohen (vgl. Meyer-Goßner, § 140 StPO Rn. 23c; KK-Willnow, § 140 StPO Rn. 27a). Zu denken wäre dabei z.B. — neben einem Bewährungswiderruf — an den drohenden Widerruf einer Strafzurückstellung nach § 35 BtMG, an eine drohende Ausweisung des Betroffenen, ggf. auch an einen Entzug der Fahrerlaubnis. Allein die hier in Rede stehende eventuell unterbleibende Verkürzung einer im anderen Verfahren ohnehin schon auferlegten Führungsaufsicht um ca. 1 Jahr erfüllt dieses Kriterium aus Sicht der Kammer indes noch nicht. Aufgabe der Maßregel nach §§ 68 ff. StGB ist es, Verurteilten nach Strafverbüßung "eine Lebenshilfe für den Übergang von der Freiheitsentziehung in die Freiheit zu geben und sie dabei zu führen und zu überwachen" (Fischer, StGB, Vor § 68 Rn. 2). Die damit einhergehenden, ggf. strafbewehrten Weisungen (vgl. § 68b StGB) mögen Betroffene einschränken und belasten. Sie bringen für sich genommen aber weder Freiheitsentzug noch sonstige „schwerwiegende" Nachteile mit sich.
Dass es. abgesehen von den drohenden Rechtsfolgen, im vorliegenden Verfahren um eine besonders schwierige Sach- und Rechtslage ging, die bspw. bei einer komplizierten Beweisaufnahme (etwa bei Einbeziehung von Gutachten) vorliegen kann, ist nicht ersichtlich. Dafür, dass der Beschwerdeführer sich aufgrund körperlicher, geistiger oder seelischer Einschränkungen nicht selbst verteidigen kann bzw. konnte, hat die Kammer ohnehin keinen Anhaltspunkt.
Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Einsender: M. Bartsch, Selm
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