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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Rückwirkung, Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Chemnitz, Beschl. v. 22.05.2024 - 1 Qs 178/24

Eigener Leitsatz:

1. Die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens ist zulässig, wenn trotz des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist oder die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat. Hiergegen lässt sich insbesondere nicht einwenden, dass eine solche Beiordnung allein noch dem Kosteninteresse des Beschuldigten und seines Verteidigers dient.
2. Der Anwendungsbereich des § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO Vorschrift beschränkt sich auf Fälle der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO.


Landgericht Chemnitz
1 Qs 178/24

BESCHLUSS

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:
Rechtsanwältin

wegen

ergeht am 22.05.2024
durch das Landgericht Chemnitz —1. Strafkammer als Beschwerdekammer —

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 01.03.2024, Az.: ' aufgehoben.
2. Der Beschwerdeführerin wird Rechtsanwältin pp., Nürnberger Stra ße 31a, 01187 Dresden, als Pflichtverteidigerin beigeordnet.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz ‚führte gegen die vormalige Beschuldigte und hiesige Beschwerdeführerin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts 31.03.2023 wurde antragsgemäß ein Strafbefehl durch das Amtsgericht Chemnitz Am 21.06.2023 zeigte Rechtsanwältin pp. an, die Beschuldigte anwaltlich zu vertreten und beantragte ihre Beiordnung als Pflichtverteidigerin, da sich ihre Mandantin in Untersuchungshaft befinde und wiederholte diesen Antrag am 21.07.2023.

Die Beschwerdeführerin befand sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden vom 18.06.2023 seit 17.06.2023 für das Verfahren pp. der Staatsanwaltschaft Dresden in Haft; am 09.10.2023 wurde die Beschwerdeführerin wegen deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Im Anschluss an die Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin aus der Haft entlassen.

Mit Beschluss 18.12.2023 wurde im Hinblick auf die verhängte Freiheitsstrafe des Amtsgerichts Dresden das gegenständliche Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 01.03.2024 lehnte das Amtsgericht den Beiordnungs-antrag ab, da von der Verfolgung der Tat gemäß § 154 Abs. 2 StPO abgesehen worden sei und eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nicht in Betracht käme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde vom 20.04.2024.

Die Staatsanwaltschaft beantragte, die sofortige Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angegriffenen Entscheidung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Die statthafte (§ 142 Abs. 7 StPO) und zulässig eingelegte (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist begründet. (Ein förmlicher Zustellnachweis des angegriffenen Beschlusses ist der Sachakte nicht zu entnehmen, weshalb die Kammer von einer fristgemäßen Beschwerde ausgeht).

Zwar geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass die rückwirkende Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Abschluss des Verfahrens grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Die rückwirkende Beiordnung ist jedoch ausnahmsweise zulässig, wenn trotz des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 140, 141 StPO über den rechtzeitig gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung aus justizinternen Gründen nicht entschieden worden ist oder die Entscheidung eine wesentliche Verzögerung erfahren hat.

§ 141 Abs. 1 Satz 1 StPO — in der seit dem 13.12.2019 geltenden Fassung — gebietet es, den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vorzulegen, damit die Entscheidung hierüber innerhalb angemessener Zeit erfolgen kann. Um das Recht auf zeitnahen Zugang zu einem nach § 140 StPO notwendigen Verteidiger — entsprechend den Vorgaben des Artikels 6 Abs. 1 der bis zum 25.05.2019 in nationales Recht umzusetzenden Richtlinie (EU) 2016/1919 (PKH-Richtlinie) — nicht zu umgehen, ist für den Fall, dass die vorgenannte unverzügliche Vorlage nicht erfolgt, der Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung ausnahmsweise nicht heranzuziehen. Hiergegen lässt sich insbesondere nicht einwenden, dass eine solche Beiordnung allein noch dem Kosteninteresse des Beschuldigten und seines Verteidigers dient. Dies mag zwar bezogen auf das jeweils einzelne Verfahren zutreffen. Würde aber ein Verteidiger generell Gefahr laufen, im Falle einer nicht rechtzeitigen Bescheidung seines (begründeten) Beiordnungsantrages keine Vergütung zu erhalten, wäre er gehalten, erst im Nachgang zu einer Beiordnungsentscheidung überhaupt Tätigkeiten zu entfalten. Dies ist mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 141 Abs. 1 StPO, demjenigen, bei dem ein Fall der notwendigen Verteidigung ggf. auf seinen Antrag hin unverzüglich einen Pflichtverteidiger beizuordnen, nicht zu vereinbaren. Überdies ist die Annahme, dem Recht der Pflichtverteidigung sei die Berücksichtigung des Kosteninteresses des Beschuldigten und seines Verteidigers fremd, unzutreffend. Dies wird deutlich an der Vorschrift des § 48 Abs. 6 RVG, wonach der Verteidiger auch für diejenigen Tätigkeiten zu vergüten ist, die er (unabhängig davon ob bereits ein entsprechender An trag gestellt war) vor der Beiordnung erbracht hat.

Gemessen daran war hier eine nachträgliche Beiordnung vorzunehmen. Über den Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung vom 21.06.2023 ist erst am 18.12.2023 entschieden worden, so dass nicht von einer Unverzüglichkeit im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden kann.

Wäre der Antrag hier (§ 141 Abs. 1 Satz 1 StPO genügend) unverzüglich an den zuständigen Amtsrichter weitergeleitet worden, hätten bei der Entscheidung des Amtsgerichts die Voraussetzungen für die Bestellung eines notwendigen Verteidigers nach § 140 Abs.1 Nr. 5 StPO vorgelegen.

Eine Beiordnung konnte auch nicht nach § 141 Abs. 2 Satz 3 StPO unterbleiben. Zwar kann nach dieser Vorschrift eine Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren als bald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden soll. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift beschränkt sich aber auf Fälle der Bestellung eines Pflichtverteidigers von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO. Auf Fälle einer Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO ist Abs. 2 hingegen nicht anwendbar. Gegen die unmittelbare Anwendung sprechen sowohl der Wortlaut, als auch die systematische Stellung innerhalb des § 141 StPO. Eine entsprechende Anwendung kommt mangels planwidriger Regelungslücke nicht in Betracht.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RAin R. Dornbach, Dresden

Anmerkung:


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