Gericht / Entscheidungsdatum: LG Hechingen, Beschl. v. 08.03.3024 - 3 Qs 13/24
Eigener Leitsatz:
Im Stadium zwischen erster und zweiter Instanz sind für die Beschwerdeentscheidung die Tatsachenfeststellungen und Wertungen im erstinstanzlichen Urteil grundsätzlich hinzunehmen. Liegt zum Beschwerdezeitpunkt bereits ein erstinstanzliches Urteil vor, ist das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der größeren Sachnähe und der besseren Erkenntnismöglichkeit des Erstgerichts regelmäßig an dessen Feststellungen zur charakterlichen Eignung gebunden. Das gilt auch für die Feststellungen hinsichtlich des bedeutenden Fremdschadens i.S. von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB.
3 Qs 13/24
Landgericht Hechingen
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger
Rechtsanwalt
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort
hat das Landgericht Hechingen - 3. große Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 6. März 2024 beschlossen:
1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Sigmaringen vorn 1. Februar 2024 wird ais unbegründet verworfen.
2. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen des An-geklagten zu tragen.
3 Qs 13/24 - 2
Gründe:
Das Amtsgericht Sigmaringen verurteilte den Angeklagten am 1. Februar 2024 wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 30,00 € und einem Fahrverbot von 6 Monaten. Zugleich wurde mit Beschluss vom selben Tag die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte fuhr am 5. Juli 2023 gegen 10:50 Uhr mit seinem PKW Sportsvan, amtliches Kennzeichen pp. auf der Hohenzollernstraße Sigmaringen und kollidierte auf dem Parkplatz des Krankenhauses in Sigmaringen beim Ausparken mit dem PKW VW Golf des Geschädigten pp. Er bemerkte dies aufgrund der alarmschlagenden Abstandsanzeige seines PKWs, stieg sodann aus und begutachtete das Fahrzeug des Geschädigten und wischte mit einem Tuch über die Lackstelle. Dabei erkannte und bemerkte er den Unfall, insbesondere verschiedene Kratzer im Bereich von mehreren Zentimetern im Heckbereich des Fahrzeugs des Geschädigten. Über die genaue Schadenshöhe machte er sich keinerlei Gedanken. Er nahm billigend in Kauf, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdschaden entstanden war und verließ gleichwohl die Unfallstelle, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Am Fahrzeug des Geschädigten entstand ein Sachschaden i.H.v. 1.972,61 € netto.
Die Fahrerlaubnis wurde dem Angeklagten mit Beschluss des Amtsgerichts Hechingen vom 22. August 2023 vorläufig entzogen und am 23. August 2023 um 20:15 Uhr der Führerschein bei dem Angeklagten beschlagnahmt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Gegen den die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufhebenden Beschluss wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde vom 2. Februar 2024 und legte zugleich gegen das Urteil Berufung ein. Zur Begründung trägt die Staatsanwaltschaft vor, dass die Voraussetzungen des § 111a StPO i.V.m. §§ 69, 69a StGB vorliegen. Zusätzlich zu dem Netto-Reparaturschaden i.H.v. 1.972,61 € sei die Wertminderung als weiterer Schaden mit mindestens 300,00 € sowie Sachverständigenkosten in bislang unbekannter Höhe hinzuzurechnen, sodass die von der Rechtsprechung festgelegte Grenze für einen bedeutenden Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB in Höhe von 2.000 € erheblich überschritten sei.
Der Verteidiger beantragt mit Schriftsatz vom 5. März 2024 die Beschwerde „zurückzuweisen". Einem Durchschnittsbürger könne nicht zugemutet werden, am Unfallort eine hinlänglich genaue Schadensschätzung vorzunehmen, wo doch bereits der Haftpflichtversicherer die Schadenssumme bereits erheblich reduziert habe.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hechingen hat in der Sache keinen Erfolg. Der angefochtene Beschluss entspricht der Sach- und Rechtslage.
Insbesondere ist das Beschwerdegericht für die Entscheidung zuständig. Da die Akten noch nicht dem Berufungsgericht vorgelegt wurden, § 321 Satz 2 StPO, war die Beschwerde auch nicht als Antrag auf Aufhebung der Eilmaßnahme umzudeuten (OLG Stuttgart 10. April 2001 - 4 Ws 80/2001, 4 Ws 80/01 - juris). Schließlich besteht die notwendige Beschwer auch unabhängig vom Antrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft (vgl. BeckOK StPO/Cirener, 50. Ed. 1. Januar 2024, StPO § 296 Rn. 15 m.w.N.).
Gemäß § 111a Abs. 2 StPO ist die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, wenn ihr Grund weggefallen ist oder das Gericht im Urteil die Fahrerlaubnis nicht entzieht. Letzteres war hier der Fall und ist insbesondere - wie hier - bei noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen zwingend, auch wenn die Entscheidung zu Ungunsten des Betroffenen angefochten ist (BeckOK StPO/Huber, 50. Ed. 1. Januar 2024, StPO § 111a Rn. 10; BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 1994 - 2 BvR 862/94 in NJW 1995, 124).
Im Stadium zwischen erster und zweiter Instanz sind dabei die Tatsachenfeststellungen und Wertungen im erstinstanzlichen Urteil für die vorliegend zu treffende Beschwerdeentscheidung maßgebend und vom Beschwerdegericht grundsätzlich hinzunehmen. Liegt zum Beschwerdezeitpunkt bereits ein erstinstanzliches Urteil vor, ist das Beschwerdegericht bei seiner Entscheidung wegen der größeren Sachnähe und der besseren Erkenntnismöglichkeit des Erstgerichts regelmäßig an dessen Feststellungen zur charakterlichen Eignung gebunden (vgl. LG Zweibrücken NZV 2012, 499; Hauck in Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2019, § 111a StPO Rn. 19). Insoweit räumt das Gesetz in § 111a Abs. 2 StPO der im Urteilsverfahren gewonnenen Erkenntnis die Vermutung der größeren Richtigkeit ein (Hauck in Löwe-Rosenberg, 27. Auflage 2019, § 111a StPO Rn. 19). Bis zum Erlass des Berufungsurteils darf die Frage der Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nur bei neu bekannt gewordenen Tatsachen oder Beweismitteln anders als im erstinstanzlichen Urteil gewertet werden (Köhler in Meyer-Goßner/Schmitt, 66. Auflage 2023, § 111a Rn. 19; OLG Stuttgart 10. April 2001 - 4 Ws 80/2001, 4 Ws 80/01 - juris).
Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs handelt es sich bei der aus Sicht der Staats-anwaltschaft fehlerhaften Schadensberechnung nicht um eine in diesem Sinne neue Tatsache. Ob die dem Netto-Reparaturschaden hinzu zu addierende Wertminderung in Höhe von 300,00 € sowie Sachverständigenkosten in bislang nicht bekannter Höhe geeignet sind, eine potentiell andere Entscheidung zu rechtfertigen, ist Aufgabe der Berufungsinstanz und nicht durch das Beschwerdegericht zu klären.
Allem nach ist zumindest nach den erstinstanzlichen Feststellungen nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu rechnen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.
Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau
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