Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Ordnungsmittel, Hauptverhandlung, Protokollierung, Begründung, Anhörung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 04.04.2024 - 6 Ws 9/24

Eigener Leitsatz:

1. Die gemäß § 182 GVG in das Sitzungsprotokoll aufzunehmende Entscheidung nach § 178 GVG bedarf grundsätzlich gemäß § 34 StPO einer Begründung. Das Fehlen einer Begründung ist unschädlich, wenn auf Grund der gemäß § 182 GVG erforderlichen Protokollierung des den Beschluss veranlassenden Geschehens für den Betroffenen der Anordnungsgrund außer Zweifel steht und auf dieser Grundlage für das Beschwerdegericht die Festsetzung des Ordnungsgeldes in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht dem Grunde und der Höhe nach überprüfbar ist.
2. Vor Festsetzung eines Ordnungsmittels ist einem Betroffenen mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG, § 33 Abs. 1 StPO grundsätzlich rechtliches Gehör zu gewähren. Davon kann allerdings abgesehen werden, wenn dem Gericht mit Rücksicht auf Intensität oder Art der Ungebühr eine solche Anhörung nicht zugemutet werden kann, etwa wenn Ungebühr und Ungebührwille völlig außer Frage stehen und eine Anhörung nur Gelegenheit zu weiteren Ausfälligkeiten gäbe.


Hanseatisches Oberlandesgericht
6 Ws 9/24

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

hier betreffend Festsetzung von Ordnungsmitteln

hat der 6. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 04.04.2024 durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, Richterin am Oberlandesgericht, Richterin am Landgericht beschlossen:

1. Dem Beschwerdeführer wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gegen die Ordnungsgeldbeschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek, Abt. 840, vom 14.04.2023 gewährt.
2. Auf die Beschwerden des Verurteilten werden die Ordnungsgeldbeschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek. Abt. 840, vom 14.04.2023 aufgehoben.

Die Staatskasse trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe:
Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek vom 14.04.2023 i. V. m. Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21.09.2023. rechtskräftig seit 29.09.2023. wegen sexueller Belästigung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 10,- Euro unter Einräumung von Zahlungserleichterungen verurteilt worden.

In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung am 14.04.2023 hat der damals unverteidigte Beschwerdeführer nach der Zeugenvernehmung der Geschädigten unmittelbar vor deren Entlassung gesagt: "Sie lügt, wenn sie ihr Maul aufmacht." Nach Entlassung der Zeugin hat er am Ende einer ergänzenden Einlassung geäußert: "Jede zweite Frau muss in Therapie. Sie sind alle bescheuert." Daraufhin hat der Strafrichter einen Ordnungsgeldbeschluss verkündet, mit dem er wegen ungebührlichen Verhaltens ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- Euro gegen den Beschwerdeführer verhängt hat. Im unmittelbaren Anschluss hat der Beschwerdeführer den Vorsitzenden gefragt „Wollen Sie mich verarschen?" und nach einer weiteren Teileinlassung erneut „Ob Sie mich verarschen wollen?". Danach hat der Strafrichter einen weiteren Ordnungsgeldbeschluss verkündet. mit dem er wegen ungebührlichen Verhaltens ein weiteres Ordnungsgeld in Höhe von 250,- Euro verhängt hat. Hinsichtlich beider Beschlüsse ist nach Verkündung jeweils die Zustellung an den Beschwerdeführer angeordnet worden; eine Rechtsmittelbelehrung ist jeweils nicht erfolgt.

Die Ordnungsgeldbeschlüsse sind mit einer Rechtsbehelfsbelehrung erst nach Einleitung der Vollstreckung bezüglich der erkannten Geldstrafe an den Beschwerdeführer am 23.01.2024 sowie an den zwischenzeitlich im Berufungsverfahren durch den Senat beigeordneten Verteidiger und an den Betreuer gegen Empfangsbekenntnis jeweils am 24.01.2024 übersandt worden.

Mit per beA übersandtem Verteidigerschriftsatz hat der Beschwerdeführer gegen die Ordnungsgeldbeschlüsse vom „22.01.2023" [gemeint: 14.04.2023] am 29.01.2024 "sofortige Beschwerde" eingelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat wie tenoriert angetragen.

1. Dem Beschwerdeführer ist von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Versäumung der Frist zur Einlegung der jeweiligen Beschwerde gegen die verfahrensgegenständlichen Ordnungsgeldbeschlüsse des Amtsgerichts Hamburg-Barmbek zu gewähren. Die Voraussetzungen der §§ 44. 45 StPO liegen vor. Der Beschwerdeführer ist entgegen § 181 Abs. 1 GVG i. V. m. § 35a Satz 1 StPO bei der Bekanntmachung der Ordnungsgeldbeschlüsse nicht über die Möglichkeit der Anfechtung und die hierfür vorgesehenen Fristen und Formen belehrt worden, so dass sich die Versäumung der einwöchigen Rechtsmittelfrist des § 181 Abs. 1 GVG gemäß § 44 Satz 2 StPO als unverschuldet darstellt. Der Beschwerdeführer hat zudem die versäumte Handlung gemäß § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO innerhalb einer Woche nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt. Die mit einer Rechtbehelfsbelehrung versehenen Ordnungsgeldbeschlüsse hat der Beschwerdeführer frühestens am 23.01.2024, sein beigeordneter Verteidiger sowie sein Betreuer am 24.01.2024 erhalten. Innerhalb der Wochenfrist des § 181 Abs. 1 GVG sind die Rechtsmittel des Beschwerdeführers am 29.01.2024 beim Amtsgericht Hamburg-Barmbek eingegangen. Dass die Rechtsmitteleinlegung hier möglicherweise nicht im Bewusstsein einer Fristversäumnis erfolgt ist, ist unschädlich (vgl. BayObLG. Urteil v. 02.10.1987 — RReg 1 St 94/87 — juris; Meyer-Goßner/Schmitt. StPO, 66. Aufl.. § 45 Rn. 12).

2. Die gemäß § 181 Abs. 1 GVG statthaften Beschwerden des Rechtsmittelführers sind damit zulässig und auch begründet. Der Aufrechterhaltung beider Ordnungsgeld-beschlüsse stehen jeweils formelle Mängel entgegen.

a) Der Ordnungsgeldbeschluss über 150.- Euro leidet bereits an einem durchgreifenden formellen Mangel, da er keine Begründung enthält und diese auch nicht entbehrlich ist.
aa. Nach § 178 Abs. 1 GVG kann unter anderem gegen Beschuldigte, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung ein Ordnungsgeld bis zu 1000.- Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt und sofort vollstreckt werden. Die Entscheidung trifft nach § 178 Abs. 2 GVG das Gericht.
Die gemäß § 182 GVG in das Sitzungsprotokoll aufzunehmende Entscheidung nach § 178 GVG bedarf grundsätzlich gemäß § 34 StPO einer Begründung, der im Beschwerdeverfahren nach § 181 GVG hervorgehobene Bedeutung zukommt. In diesem Verfahren sind die Befugnisse des Beschwerdegerichts, das im Allgemeinen gemäß § 309 Abs. 2 StPO. gegebenenfalls aufgrund eigener Sachaufklärung, die in der Sache erforderliche Entscheidung erlässt. eingeschränkt, da die Kompetenz zur Anordnung von Ordnungsmitteln Ausfluss der sitzungsleitenden Gewalt des Tatrichters ist (vgl. Hans. OLG, Beschl. v. 02.12.2019 — 2 Ws 137/19 —, juris m. w. N.), die zeitlich und räumlich mit der Sitzung endet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 181 GVG Rn. 6; Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 178 Rn. 48). Für das Beschwerdegericht muss daher feststehen, auf welcher Grundlage das Tatgericht seine Entscheidung nach § 178 GVG erlassen hat.

Geht dies aus der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht hervor oder fehlt eine solche. führt der Mangel allerdings nicht in jedem Fall zur Aufhebung der Anordnung. Es reicht aus, wenn auf Grund der gemäß § 182 GVG erforderlichen Protokollierung des den Beschluss veranlassenden Geschehens für den Betroffenen der Anordnungsgrund außer Zweifel steht und auf dieser Grundlage für das Beschwerdegericht die Festsetzung des Ordnungsgeldes in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht dem Grunde und der Höhe nach überprüfbar ist (vgl. Hans. OLG Beschl. a.a.O.; OLG Hamm. Beschl. v. 16.09.2021 — III-4 Ws 138/21 —, juris: Hans. OLG. Beschl. v. 07.02.2018 — 2 Ws 22/18 —, juris; OLG Celle, Beschl. v. 17.01.2012 — 1 Ws 504/11 —, juris: Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 182 GVG Rn. 4). Aus der Protokollierung des veranlassenden Verhaltens und des Beschlusses nach § 182 GVG muss dabei zweifelsfrei ersichtlich sein, wegen welchen Verhaltens des Betroffenen das Ordnungsmittel angeordnet worden ist (Hans. OLG a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.). Das veranlassende Verhalten ist in der Sitzungsniederschrift konkret festzuhalten. wobei bloße Wertungen oder abstrakte Darstellungen, die eine konkrete Subsumtion nicht ermöglichen, grundsätzlich nicht ausreichen (Hans. OLG a.a.O.).

bb) Nach den dargelegten Grundsätzen ist die hier fehlende Beschlussbegründung vorliegend nicht entbehrlich. Nach dem amtsgerichtlichen Hauptverhandlungsprotokoll kommen als Ungebühr zwei Äußerungen des damals angeklagten Beschwerdeführers in Betracht: zum einen seine Äußerung nach der Zeugenvernehmung der Geschädigten unmittelbar vor deren Entlassung ..Sie lügt wenn sie ihr Maul aufmacht.", zum anderen, dass er nach Entlassung der Zeugin am Ende einer ergänzenden Einlassung geäußert hat "Jede zweite Frau muss in Therapie. Sie sind alle bescheuert." Für den Senat ist nicht erkennbar, worin das Amtsgericht die Ungebühr tatsächlich gesehen hat; ob in beiden Äußerungen kumulativ oder in nur einer der beiden Äußerungen. Dies gilt umso mehr als durch das Gericht auch kein Hinweis bzw. keine Verwarnung erfolgt ist.

cc) Im Übrigen teilt der Senat die Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft betreffend die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des Ordnungsgeldbeschlusses. Insbesondere ist unter Berücksichtigung des Umstands, dass der in der Hauptverhandlung unverteidigte Beschwerdeführer unter Betreuung steht — im Rahmen des Berufungsverfahrens hat der Senat dem Beschwerdeführer vor dem Hintergrund einer eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit einen Pflichtverteidiger bestellt (vgl. Senat, Beschl. v. 28.07.2023 — 6 Ws 48/23) —, sowie des Umstands, dass die Äußerungen des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Bestreiten der Tat bzw. seiner Einlassung zum Tatgeschehen zu betrachten sind, noch nicht von einem ungebührlichen Verhalten des Beschwerdeführers trotz grundsätzlicher Ehrverletzung der Geschädigten auszugehen.

b) Der Ordnungsgeldbeschluss über 250,- Euro ist zwar nicht wegen eines Begründungsmangels, jedoch wegen Verletzung rechtlichen Gehörs aufzuheben.

aa) Auch der Ordnungsgeldbeschluss über 250,- Euro enthält keine Begründung. In-des ergibt sich aus dem amtsgerichtlichen Hauptverhandlungsprotokoll hinreichend, dass der Strafrichter die Ungebühr in der zweimaligen Frage an ihn“ Wollen Sie mich verarschen?" bzw. kurz darauf “Ob Sie mich verarschen wollen?" gesehen hat.

bb) Vor Festsetzung eines Ordnungsmittels ist einem Betroffenen mit Blick auf Art. 103 Abs. 1 GG, § 33 Abs. 1 StPO grundsätzlich rechtliches Gehör zu gewähren (vgl. Hans. OLG, Beschl. v. 07.02.2018 — 2 Ws 22/18 —, juris; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 178 GVG Rn. 13 m.w.N.). Davon kann allerdings abgesehen werden, wenn dem Gericht mit Rücksicht auf Intensität oder Art der Ungebühr eine solche Anhörung nicht zugemutet werden kann (Kissel/Mayer, a.a.O. § 178 Rn. 46), etwa wenn Ungebühr und Ungebührwille völlig außer Frage stehen und eine Anhörung nur Gelegenheit zu weiteren Ausfälligkeiten gäbe (OLG Celle, Beschl. v. 01.07.2011 — 2 Ws 166/11 —, juris; OLG Köln, Beschl. v. 03.02.2010 — 2 Ws 62/10 juris; OLG Düsseldorf NStZ 1988, 238) oder wenn die betroffene Person bereits wiederholt verwarnt oder mit Ordnungsmitteln bedroht worden ist (Hans. OLG a.a.O.; Krauß in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 178 GVG, Rn. 33).

Diese Voraussetzungen für ein Absehen von der Anhörung lagen hier nach dem protokollierten Verfahrensablauf nicht vor. Dabei ist insbesondere in den Blick zu nehmen. dass der vorangegangene Ordnungsgeldbeschluss über 150,- Euro rechtswidrig war und der unverteidigte Beschwerdeführer auch schon vor diesem Ordnungsgeldbeschluss nicht angehört worden ist. Er hat weder entsprechende Hinweise erhalten noch ist er ermahnt bzw. verwarnt oder mit Ordnungsmitteln bedroht worden. Dies ist auch nicht nach seiner ersten Frage an den Vorsitzenden erfolgt. Ein Hinweis auf die Ungebührlichkeit der geäußerten Frage wäre indes auch angesichts der eingeschränkten Verteidigungsfähigkeit des Beschwerdeführers angezeigt gewesen. Schließlich dient die Gewährung rechtlichen Gehörs u.a. auch dazu, dem Betroffenen Gelegenheit zu einer Entschuldigung zu geben, durch welche sein Verhalten beträchtlich an Gewicht verlieren kann (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 16.10.2018 — 20 Ws 174/18 —, juris; Krauß a.a.O. § 178 GVG. Rn. 32). Dass der Beschwerdeführer zu einer solchen Reaktion durchaus in der Lage gewesen wäre. zeigen seine von Einsicht und Reue getragenen Ausführungen vor dem Amtsgericht im Rahmen des abschließenden Verteidigungsvorbringens vor dem letzten Wort.

Die Entscheidungen über die Kosten und Auslagen beruhen auf § 473 Abs. 7 StPO sowie hinsichtlich der Beschwerden auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO.


Einsender: RA M. Cilcott, Schleswig

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".