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Entscheidungen

KCanG u.a.

KCanG, nicht geringe Menge

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Mannheim, Urt. v. 29.04.2024 - 2 Ls 801 Js 37886/23

Leitsatz:

Der Grenzwert der „nicht geringen Menge" von Cannabis ist im Lichte des KCanG neu zu bestimmen und auf 75 Gramm THC festzusetzen.


2 Ls 801 Js 37886/23

Amtsgericht Mannheim

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Strafverfahren

gegen pp.

wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Cannabis

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Mannheim hat in der Hauptverhandlung vom 16.04.2024, an der teilgenommen haben:

pp.

für Recht erkannt:

1. Der Angeklagte wird wegen Handeltreibens mit Cannabis zu einer
Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt.
2. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften:

§ 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 KCanG

Gründe:

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

Der am pp. in pp. geborene Angeklagte ist ledig und deutscher Staatsangehöriger. Er wuchs bis zu seinem vierten Lebensjahr in Polen auf. Zunächst zog seine Mutter nach Deutschland; anschließend reiste der Angeklagte mit seinem Vater und seinem älteren Bruder hinterher. Als der Angeklagte 13 Jahre alt war, kam es zur Trennung der Eltern und der Angeklagte wuchs fortan bei seiner Mutter auf. Kontakte zum Vater gab es danach kaum.

Nach dem Realschulabschluss absolvierte der Angeklagte für eineinhalb Jahre den Bundesfreiwilligendienst in der Radiologie im Universitätsklinikum Heidelberg. Im Anschluss arbeitete er weitere eineinhalb Jahre an der Rezeption der dortigen Radiologie. Im Jahr 2018 unternahm er den Versuch das Fachabitur zu erlangen, brach diesen jedoch nach sechs Monaten ab. Danach arbeitete er einige Zeit im Kreiskrankenhaus Heppenheim an der Rezeption und später in der IT-Ab-teilung. Aktuell absolviert er eine zweijährige Ausbildung zum Fachlageristen, welche im Mai / Juni dieses Jahres mit den schriftlichen und praktischen Abschlussprüfungen endet. Anschließend plant er eine einjährige Weiterbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik zu besuchen.

Seine Ausbildungsvergütung beträgt rund 900,00 Euro netto; zudem bekommt er aktuell noch Kindergeld. Der Angeklagte lebt derzeit mietfrei bei seiner Mutter. Schulden hat er keine.

Zu seinem Bruder bestehen regelmäßige Kontakte. Auch zu seinem Vater hatte der Angeklagte zuletzt wieder häufiger Kontakt. Er befindet sich seit rund zweieinhalb Jahren in einer festen Be-ziehung. Bis zu seiner Inhaftierung im vorliegenden Verfahren lebte er unangemeldet bei seiner Lebensgefährtin. Kinder hat er keine.

In der zehnten Klasse begann der Angeklagte Marihuana zu konsumieren. Der anfängliche Konsum von wenigen Joints pro Monat steigerte sich, bis der Angeklagte zuletzt täglich drei bis vier Gramm Cannabis zu sich nahm.

Strafrechtlich ist der Angeklagte bisher noch nicht in Erscheinung getreten.

Der Angeklagte wurde im vorliegenden Verfahren am 26.11.2023 vorläufig festgenommen und befand sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Mannheim vom 27.11.2023 (Gz. 42 Gs 2835/23) bis zum 13.12.2023 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Mannheim. Der Haftbefehl war zuvor mit Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 11.12.2023 (Gz. 4 Qs 54/23) gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt worden.

Seit seiner Festnahme lebt der Angeklagte drogenfrei.

II.

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, spätestens ab Juli 2023, fasst der Angeklagte den Entschluss, im Stadtgebiet von Mannheim Marihuana gewinnbringend an eine Vielzahl von Abnehmern zu verkaufen und zu übergeben, um sich hierdurch eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen und so insbesondere seinen Eigenkonsum an Cannabis zu finanzieren.

In Ausführung dieses Tatentschlusses lagerte der Angeklagte am 26.11.2023 gegen 10:28 Uhr in der Wohnung seiner Lebensgefährtin pp. in pp., bei der er zu diesem Zeitpunkt seit mindestens sechs Monaten wohnte, insgesamt 250,7 Gramm netto Marihuana (Blüten) mit einem Wirkstoffgehalt von 19,12 % Tetrahydrocanna-binol (THC), entsprechend 47,933 Gramm verfügbares THC, weitere insgesamt 37,15 Gramm netto Marihuana (Blüten) mit einem Wirkstoffgehalt von 19,08 % THC, entsprechend 7,088 Gramm verfügbares THC sowie insgesamt 203,0 Gramm netto Marihuana-Verschnitt mit einem Wirkstoffgehalt von 8,565 % THC, entsprechend 17,397 Gramm verfügbares THC, sowie 950,00 Euro Deal-Geld und eine Feinwaage sowie Verpackungsmaterial auf, um die Betäubungsmittel in kleinen Portionen gewinnbringend an unterschiedliche Abnehmer zu veräußern. Ein Teil des Marihuanas war bereits verkaufsfertig in 12 Packs zu je 10 Gramm und 30 Packs ä 5 Gramm aufgeteilt.

Den insgesamt 490,85 Gramm netto Marihuana lagen somit 72,418 Gramm verfügbares THC zu-grunde. Den Wirkstoffgehalt hatte der Angeklagte dabei zumindest billigend in Kauf genommen.

Darüber hinaus bewahrte der Angeklagte weitere 59,25 Gramm Cannabis auf, welche zu seinem Eigenkonsum bestimmt waren.

Der Angeklagte hat sich aufgrund des unter Ziffer II. festgestellten Sachverhalts des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Cannabis schuldig gemacht, strafbar gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG. Gemäß § 2 Abs. 3 StGB war die Tat angesichts des zum 01.04.2024 in Kraft getretenen KCanG nach dessen Vorschriften zu ahnden.

Bei dem verfahrensgegenständlichen Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabis-pflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des KCanG als „Cannabis" erfasst wird (vgl. § 1 Nr. 4 KCanG).

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wurde die Verfolgung hinsichtlich des Vorwurfs des unerlaubten Besitzes von 59,25 Gramm Cannabis (Ordnungswidrigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 1b) i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) gemäß § 154a Abs. 2 StPO beschränkt.

IV.

Bei der Bemessung der Rechtsfolgen ist das Gericht angesichts der gewerbsmäßigen Begehungsweise von dem Strafrahmen des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG ausgegangen, der Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorsieht.

1. Hinsichtlich des in § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG normierten Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit können zur Auslegung des Begriffs die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG übertragen werden. Der Begriff der Gewerbsmäßigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG unterscheidet sich weder begrifflich von demjenigen des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG, noch sind in Bezug auf den dahinterstehenden Verbotszweck Unterschiede ersichtlich (vgl. hierzu auch: Hanseatisches OLG, Beschluss vom 09.04.2024 - 5 Ws 19/24). Somit handelt auch gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 KCanG gewerbsmäßig, wer die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (st. Rspr. zu § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG; vgl.: Patzak in: PatzakNolkmer/Fabricius, BtMG, 10. Auflage 2022, § 29, Rn. 1544, m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend angesichts der über Monate hinweg erfolgten Verkäufe zur Finanzierung des erheblichen Eigenkonsums des Angeklagten von drei bis vier Gramm Cannabis täglich, erfüllt.

Umstände, die trotz Erfüllung des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit die Verneinung eines besonders schweren Falls rechtfertigen könnten, sind - auch wenn man berücksichtigt, dass der Angeklagte den Tatvorwurf vollumfänglich eingeräumt hat - letztlich weder in der Person des Angeklagten, noch in der Ausführung der Tat gegeben.

2. Demgegenüber nicht erfüllt ist das Regelbeispiel des Handeltreibens mit einer „nicht geringen Menge" Cannabis gemäß § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG.

Der Gesetzgeber hat mit der Einführung des KCanG keine Bestimmung der „nicht geringen Menge" vorgenommen, sondern die Festlegung des Grenzwertes bewusst der Rechtsprechung überlassen. Der Grenzwert der „nicht geringen Menge" ist nach Auffassung des Gerichts im Regelungsregime des KCanG überschritten, wenn sich das Handeln des Täters auf eine Cannabismenge bezieht, welche mindestens 75 Gramm THC enthält. Dieser ist vorliegend mit 72,418 Gramm THC nicht erreicht.

a) Schon im Geltungsbereich des BtMG war die Festlegung des Grenzwertes der „nicht geringen Menge" Cannabis der Rechtsprechung überlassen. Der Bundesgerichtshof hatte diesen Wert bei einer Wirkstoffmenge von mindestens 7,5 Gramm THC festgelegt (Urteil vom 18.07.1984 - 3 StR 183/84). Dem lag die Erwägung zugrunde, dass der Grenzwert für die „nicht geringe Menge" eines bestimmten Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Intensität festzulegen ist. Maßgeblich ist danach zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Lässt sich eine solche Dosis - wie bei Cannabis - sachverständig nicht oder nicht hinreichend sicher feststellen, so errechnet sich der Grenzwert ausgehend von der Menge einer durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss der Droge gewöhnten Konsumenten als ein Vielfaches dieses Wertes, wobei das Maß der Vervielfachung nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst gesundheitsschädigenden Potentials zu bestimmen ist. Der Bundesgerichtshof ist insoweit -sachverständig beraten - davon ausgegangen, dass eine durchschnittliche Konsumeinheit Cannabis bei einer THC-Menge von 15 mg anzusetzen ist (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 18.07.1984 3 StR 183/84; Hanseatisches OLG, a.a.O.).

Als Maß der Vervielfachung dieses Wertes hat der Bundesgerichtshof den Faktor 500 gewählt, wobei der Wahl dieses Faktors ein Abgleich mit der - als weitaus höher angenommenen und mit dem Faktor 150 bemessenen - Gefährlichkeit von Heroin zugrunde liegt. Daraus ergibt sich die Menge von 15 mg x 500 = 7,5 Gramm (vgl. BGH, Urteil vom 18.07.1984 - 3 StR 183/84; Hanseatisches OLG, a.a.O.).

b) Nach Auffassung des Gerichts ist der Grenzwert der „nicht geringen Menge" im Lichte des KCanG neu zu bestimmen und auf 75 Gramm THC festzusetzen.

aa) Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht sich in seiner genannten Entscheidung vom 09.04.2024 dafür ausgesprochen hat den Grenzwert wie bisher bei 7,5 Gramm THC zu belassen, überzeugt dies nicht.

(1) Das Oberlandesgericht hat hierbei wesentlich darauf abgestellt, dass angesichts der sich entsprechenden Wortlaute und Ziele der Regelungen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG kein Anlass bestünde, durch die Neuregelung in § 34 KCanG Veränderungen an dieser Grenzziehung vorzunehmen. Zwar lasse sich dem Gesetz aufgrund des herabgesetzten Strafrahmens entnehmen, dass der Gesetzgeber den Handel mit Cannabis in nicht geringer Menge nunmehr für weniger strafwürdig halte als vormals unter Geltung des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Daraus ergäben sich aber keine Folgerungen für die Frage, ab welcher Mengengrenze der Handel mit Cannabis der gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Strafandrohung des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG unterliegen solle. Soweit die Gesetzesbegründung die Erwartung an die Rechtsprechung formuliere, dass der konkrete Wert einer nicht geringen Menge „aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln" sein werde, und dass man „im Lichte der legalisierten Mengen an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten" könne, der Grenzwert also im Ergebnis „deutlich höher liegen [müsse] als in der Vergangenheit" (BT-Drs. 20/8704, S. 132), folge der Senat dem nicht. Die Regierungsbegründung verhalte sich nicht klar dazu, worin die „geänderte Risikobewertung" von Cannabis liege. Die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Festlegung der Grenze auf 7,5 Gramm THC beruhe auf einer bestimmten, auch sachverständig vermittelten Einschätzung der Menge einer Konsumeinheit und der Gefährlichkeit von Cannabis. Dass sich an diesen wissenschaftlichen Grundlagen der Einschätzung etwas geändert habe, sei weder dem KCanG selbst, noch den zur Auslegung heranzuziehenden Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Auch „im Lichte der legalisierten Mengen" (BT-Drs. 20/8704, S. 132) müsse der durch den Bundesgerichtshof zum BtMG wirkstoffbezogen festgelegte Grenzwert von 7,5 Gramm THC für die „nicht geringe Menge" an Cannabis nicht geändert, gar erhöht werden, um die mit dem KCanG bezweckte Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis zu erreichen. Der Gesetzgeber habe die Besitzmengen des KCanG gerade nicht wirkstoffbezogen festgelegt. In Anbetracht der vorkommenden Variationsbreite beim Wirkstoffgehalt würden in der Praxis regelmäßig (strafbare) Besitzmengen vorkommen, deren THC-Gehalt den Grenzwert von 7,5 Gramm THC unterschreiten, so dass gegen die vom Senat vorgenommene Grenzziehung nicht eingewandt werden könne, dass der Besitz einer gerade eben strafbaren Menge Cannabis -also geringfügig mehr als 60 Gramm - stets auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG verwirkliche.

(2) Dem kann nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, dass die Erwartung des Gesetzgebers, wo-nach eine Neufestlegung und deutliche Erhöhung des Grenzwertes geboten sei, im Gesetzes-wortlaut keinen Niederschlag gefunden hat. Gleichwohl ist die der Gesetzesbegründung eindeutig zu entnehmende gesetzgeberische Wertung, im Rahmen der Teillegalisierung des Besitzes von Cannabis auch die „nicht geringe Menge" (deutlich) anzuheben, bei der Auslegung der Vorschrift und Bestimmung des Grenzwertes zu beachten:

„Der konkrete Wert einer nicht geringen Menge wird abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis von der Rechtsprechung aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln sein. Im Lichte der legalisierten Mengen wird man an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten können und wird der Grenzwert deutlich höher liegen müssen als in der Vergangenheit." (BT-Drs. 20/8704, S. 132).

Soweit das Hanseatische Oberlandesgericht im Weiteren darauf abstellt, dass aufgrund der vor-kommenden Variationsbreite beim Wirkstoffgehalt in der Praxis regelmäßig (strafbare) Besitz-mengen vorkommen würden, deren THC-Gehalt den Grenzwert von 7,5 Gramm THC unter-schreiten, vermag auch dies letztlich nicht zu überzeugen. Nach den dem Gericht vorliegenden statistischen Erhebungen des Bundeskriminalamtes für Baden-Württemberg lag der Wirkstoffge-halt im Jahr 2022 für Cannabisblüten im Mittelwert bei 14,3 Prozent, im Median bei 15,2 Prozent und bei Cannabisharz im Mittelwert bei 26,2 Prozent und im Median bei 29,6 Prozent verfügbarem THC. Dabei dürften die Zahlen bundesweit vergleichbar sein (vgl. die Informationen des Bun-desministeriums für Gesundheit, „Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz", wonach laut den aktuellen Erkenntnissen der Strafverfolgungsbehörden und dem Zoll der durchschnittliche THC-Gehalt von Cannabisblüten bei circa 14 Prozent, bei Cannabisharz bei circa 20 Prozent liege: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/cannabis/faq-cannabisgesetz; zuletzt abgerufen am 18.04.2024; vgl. zu früheren Zahlen auch: Patzak/Dahlenburg: „Die aktuellen Wirk-stoffgehalte von Cannabis", NStZ 2022, 146, 147 ff.).

Somit zeigt sich, dass der bisherige Grenzwert von 7,5 Gramm THC schon bei dem Besitz einer gerade eben strafbaren Menge Cannabis von etwas über 60 Gramm mit einem durchschnittlichen THC-Gehalt von 14 Prozent überschritten würde, sodass das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG zwar nicht stets, aber doch regelmäßig verwirklicht werden würde. Zudem wäre es widersprüchlich, wenn eine Cannabismenge von 50 Gramm mit leicht überdurchschnittlichen 15 Prozent Wirkstoff (entsprechend 7,5 Gramm verfügbares THC) zwar noch legal wäre und noch nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit darstellen würde (vgl. § 36 Abs. 1 Nr. 1 b)), zugleich jedoch die nicht geringe Menge THC überschritten wäre.

Schließlich lässt sich aus dem von der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bezug genommenen Zweck des KCanG, lediglich den Konsumenten privilegieren zu wollen, ebenfalls keine tragfähige Begründung zur Beibehaltung des bisherigen Grenzwertes ableiten. Wenngleich das Handeltreiben mit Cannabis grundsätzlich - anders als der Besitz - ohne Mindestmenge strafbar bleibt, ist zu sehen, dass § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG hinsichtlich der „nicht geringen Menge" ohne Differenzierung nach den unterschiedlichen Tatmodalitäten auf § 34 Abs. 1 KCanG verweist. Der festzulegende Grenzwert der „nicht geringen Menge" wird daher wie schon bisher - für den Besitz wie das Handeltreiben gleichermaßen einheitlich gelten müssen. Für einen je nach Tatmodalität spezifisch festzulegenden Grenzwert findet sich jedenfalls weder im Gesetzeswortlaut, noch in der Gesetzesbegründung eine ausreichende Stütze. Wenn aber - wie aufgezeigt - die Beibehaltung des bisherigen Grenzwertes im Bereich des strafbaren Cannabisbesitzes zu einer gesetzgeberisch nicht intendierten, regelmäßigen Erfüllung des Regelbeispiels führt, wird dieser nicht mit Verweis auf die Tatmodalität des Handeltreibens einer An-passung entzogen werden können. Vielmehr muss der Grenzwert, wie vom Gesetzgeber vorgesehen, „im Lichte der legalisierten [Besitz-]Mengen" einheitlich und damit auch für das Handeltreiben mit Cannabis erhöht werden.


bb) Nach Auffassung des Gerichts kann die Festlegung des Grenzwertes• der „nicht geringen Menge" hierbei nicht losgelöst vom THC-Gehalt, allein anhand der (getrockneten) Cananbismenge erfolgen, sondern hat sich weiterhin am THC-Gehalt zu bemessen.

Für die vom Amtsgericht Karlsruhe in der Entscheidung vom 09.04.2024 (Az. 1 Ls 610 Js 32177/23) vorgenommene Grenzziehung ausschließlich auf Grundlage der Cannabismenge (wobei das Amtsgericht Karlsruhe die Grenze zur „nicht geringen Menge" bei einer Überschreitung der nach § 3 KCanG erlaubten Menge um mehr als das 10-fache als überschritten ansieht) sprechen zwar die ausweislich der dortigen Pressemitteilung der Entscheidung zugrundeliegenden Praktikabilitätserwägungen. Demnach könne der Konsument die erlaubte Menge durch eigenes Abwiegen ohne Zuhilfenahme einer Laboruntersuchung zur Wirkstoffbestimmung selbst ermitteln.

Allerdings steht auch diesem Ansatz der eindeutige gesetzgeberische Wille entgegen; denn nach der Gesetzesbegründung ist „der konkrete Wert einer nicht geringen Menge [...] abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt" zu bestimmen. Zudem führt ein solcher Ansatz zu Wertungswidersprüchen: bestimmt man die Grenze zur „nicht geringen Menge" unabhängig vom Wirkstoffgehalt, würde beispielsweise der Besitz von 501 Gramm Cannabis mit einem sehr geringen Wirkstoffgehalt von 1 Prozent, entsprechend 5,01 Gramm THC, dem Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 KCanG unterfallen, während der Besitz von 61 Gramm Cannabis mit einem hohen Wirk-stoffgehalt von 25 Prozent und damit mehr als der dreifachen THC-Wirkstoffmenge sich am untersten Rand der Strafbarkeit bewegen würde.

Dem Wirkstoffgehalt muss daher auch unter Geltung des KCanG maßgebliche Bedeutung für die Bemessung der „nicht geringen Menge" zukommen.

cc) Diese ist nach Auffassung des Gerichts ab einem Wirkstoffgehalt von 75 Gramm THC über-schritten. Maßgebend hierfür sind die folgenden Überlegungen:

Die vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 11.12.2023 - 1 StR 276/23) aufgestellten Grundsätze zur Bestimmung der „nicht geringen Menge" eines Betäubungsmittels sind auf das Cannabis im Regelungsbereich des KCanG zu übertragen; der Grenzwert ist folglich weiterhin durch eine Multiplikation einer Einzeldosis (hier in Form einer durchschnittlichen Konsumeinheit) mit einer Maßzahl, in der die Wirkung und Gefährlichkeit der Droge zum Ausdruck kommen, festzulegen. Eine durchschnittliche Konsumeinheit Cannabis kann dabei weiterhin bei 15 mg THC angesetzt werden. Anzupassen ist indes das Maß der Vervielfachung, welches im Lichte der legalisierten Mengen zu erhöhen ist. Dabei erscheint der Faktor 10 zur bisherigen nicht geringen Menge von 7,5 Gramm THC sinnvoll und angezeigt.

Dies einerseits deshalb, weil die vom Bundesgerichtshof ursprünglich angesetzten 500 Konsum-einheiten schon bei der legalen Menge von 50 Gramm Cannabis mit einem durchschnittlichen Wirkstoffgehalt von 14 Prozent (= 7,0 Gramm THC, entsprechend 467 Konsumeinheiten) nahezu erreicht und bei der gerade noch nicht strafbaren Menge von 60 Gramm Cannabis mit entsprechendem Wirkstoffgehalt (= 8,4 Gramm THC, entsprechend 560 Konsumeinheiten) indes bereits überschritten werden. Andererseits ist bei der Frage, um wie viel die Maßzahl zu erhöhen ist, zu-gleich zu beachten, dass der Anwendungsbereich der strafbaren „Normalmenge" - also derjenigen Menge, die zwar § 34 Abs. 1 Nr. 1 b) KCanG, nicht aber § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG unterfällt - nicht zu eng gerät. In Anbetracht dessen ist die Maßzahl nunmehr mit dem Faktor 10 auf 5.000 Konsumeinheiten anzusetzen, sodass sich ein Grenzwert von 75 Gramm THC ergibt.

3. Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat das Gericht sodann zugunsten des nicht vor-bestraften Angeklagten gewertet, dass er schon frühzeitig ein umfassendes Geständnis abgelegt hat. Darüber hinaus war er zur Tatzeit selbst Cannabiskonsument und hat die Tat im Wesentlichen zur Finanzierung seines Eigenkonsums begangen. Überdies befand sich der Angeklagte im vorliegenden Verfahren kurzzeitig in Untersuchungshaft, wobei in Anbetracht dieser erstmaligen Hafterfahrung von einer erhöhten Haftempfindlichkeit auszugehen war.
Unter Berücksichtigung aller für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände erachtete das Gericht die Verhängung einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten für tat- und schuldangemessen.

Dem Angeklagten konnte Strafaussetzung zur Bewährung gewährt werden. Die Sozial- und Legalprognose ist günstig (§ 56 Abs. 1 StGB). Das Gericht erwartet aufgrund des in der Hauptverhandlung gewonnen Eindrucks des Angeklagten, dass dieser sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei war zu sehen, dass der Angeklagte beruflich und sozial-familiär eingebunden ist und zudem erstmals zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Ferner hat er zum ersten Mal Hafterfahrung gemacht und lebt nachgewiesener Maßen seit der Durchsuchung im vorliegenden Verfahren drogenfrei.

Angesichts dessen gebietet gemäß § 56 Abs. 3 StGB auch nicht die Rechtsordnung die sofortige Vollstreckung der Strafe. In Kenntnis der dargelegten Umstände hätte die wohl unterrichtete, rechtstreue Bevölkerung Verständnis für eine Strafaussetzung zur Bewährung. Sie würde dadurch nicht in ihrem Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und das Urteil nicht als ungerechtfertigte Nachgiebigkeit und unsicheres Zurückweichen vor der Kriminalität empfinden.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA P. Welke, Heidelberg

Anmerkung:


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