Gericht / Entscheidungsdatum: LG Neuruppin, Beschl. v. 25.03.2024 - 11 Qs 76/23
Eigener Leitsatz:
Aus der im Bestellungsbeschluss betreffend die Pflichtverteidigerbestellung vorgenommenen Beschränkung der Bestellung „für den heutigen Hauptverhandlungstag" ergibt sich nicht, dass dem als Pflichtverteidiger bestellten Rechtsanwalt für seine Tätigkeit lediglich die für den Hauptverhandlungstag angefallene Terminsgebühr zustünde.
11 Qs 76/23
Landgericht Neuruppin
Beschluss
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger
1. pp.
2) Rechtsanwalt
weiterer Beteiligter (Beschwerdegegner):
Der Bezirksrevisor bei dem Landgericht Neuruppin
- 560 E 3 Nrp 363/22 -
wegen gefährlicher Körperverletzung,
hier; Pflichtverteidigervergütung,
hat das Landgericht Neuruppin - 1. große Strafkammer als Beschwerdekammer in Kostensachen - durch den Richter am Landgericht pp. als Vorsitzenden, den Richter am Landgericht pp. und die Richterin pp. am 25. März 2024 beschlossen:
Auf die Beschwerde des Rechtsanwalts pp. (im Folgenden: Beschwerdeführer) wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 08.122023 (Az. 87 Ds 186121) aufgehoben. Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 02.08.2022 (Az. 87 Ds 186/21) aufgehoben, soweit darin der Vergütungsantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen worden ist, und der Tenor zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung (Gebühren und Auslagen) wird auf 693,77 Euro festgesetzt.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei Kosten werden nicht erstattet,
Die weitere Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht wird zugelassen.
Beschwerdewert; 405,79 Euro
Gründe:
I.
Dem Verurteilten wurde im vorliegenden Strafverfahren mit Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin - Strafrichter - vom 01,10.2021 Rechtsanwalt R1 als Pflichtverteidiger bestellt (Bl. 111 d.A.). In der Folge wurde die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Strafrichter an drei Verhandlungstagen durchgeführt, wobei Rechtsanwalt R1 an den ersten beiden Verhandlungstagen vorn 07.04.2022 (Bl. 148 - 154R d.A.) und 21.04.2022 (Bl 156 - 158 d.A.) bestellungsgemäß als Verteidiger mitwirkte. Nachdem am Morgen des dritten Verhandlungstages vom 6.04.2022 eine Mitteilung beim Amtsgericht eingegangen war, dass Rechtsanwalt R1 erkrankt und daher an einer Terminsteifnehme verhindert sei (Bi. 159 d.A.), zog der Strafrichter den - gerichtsbekanntermaßen in unmittelbarer Nähe des Amtsgerichts kanzleiansässigen - Beschwerdeführer hinzu und beschloss zu Verhandlungsbeginn - nach Anhörung des Vertreters der Staatsanwaltschaft, des Angeklagten und des Beschwerdeführers selbst - zu Protokoll (BL 160R d.A.) wie folgt:
„Dem Angeklagten wird für den heutigen Hauptverhandlungstag Rechtsanwalt pp. aus pp. als notwendiger Verteidiger beigeordnet.
Unmittelbar anschließend erfolgte sodann - die Beweisaufnahme war bereits am 21.04.2022 geschlossen worden, auch waren am 21.04.2022 anschließend bereits sämtliche Schlussanträge gehalten worden und dem Angeklagten das letzte Wort erteilt worden - die Urteilsverkündung.
Mit Schriftsatz vom 29.04,2022 (Bf. 171 d.A.) legte der Beschwerdeführer für den Angeklagten ein unbestimmtes Rechtsmittel gegen das Urteil ein, trat im anschließenden - auch durch eine Berufungseinlegung seitens der Staatsanwaltschaft und durch Rechtsanwalt R1 eingeleiteten -Berufungsverfahren jedoch nicht mehr für den Angeklagten auf.
Unter dem 29.04.2022 hat der Beschwerdeführer zugleich - hier beschwerdegegenständlich - die Festsetzung seiner Vergütung gegen die Landeskasse wie folgt beantragt (BI. 1 - 1R in KH II):
- Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG) 176,00 Euro
- Verfahrensgebühr (Nr. 4106 VV RVG) 145,00 Euro
- Termingebühr (Nr. 4108 VV RVG) 242,00 Euro
- Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG) 20,00 Euro
Zwischensumma: 583,00 Euro
- 19 % Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV RVG) 110,77 Euro
Gesamtsumme: 693,77 Euro
Mit Beschluss vom 02.06.2022 (BI. 23 25 in KH II) hat die Rechtspflegerin des Amtsgerichts lediglich die geltend gemachte Terminsgebühr in Höhe von 242,00 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer von 45,98 Euro - mithin insgesamt 287,98 Euro - zu Gunsten des Beschwerdeführers festgesetzt, wobei zwar der Beschluss selbst keine Unterschrift der Rechtspflegerin trägt, wohl aber die zugehörige Abverfügung vorn selben Tag (Bi. 26 in KH li) deren Unterschrift aufweist. Mit Schriftsatz vom 08,06.2022 (Bi. 29 - 29R in KH I!) hat der Beschwerdeführer gegen diesen Beschluss Erinnerung eingelegt, welcher die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 10.06.2022 (BI. 30 in KH II) nicht abgeholfen hat. Nach Stellungnahme des Beschwerdegegners vom 23.08.2022 (Bi. 37 - 37R in KH 11) hat der Strafrichter verzögert durch die berufungsbedingte Aktenversendung an das Landgericht - die Erinnerung des Beschwerdeführers mit Beschluss vorn 08.12.2023 (81. 53 - 54 in KH II) als unbegründet verworfen. Gegen diesen am 11.12.2023 an Ihn gegen Empfangsbekenntnis (Bl. 59 in KH II) zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vorn selben Tag „sofortige Beschwerde" eingelegt (BI. 57 - 58 in KH II), mit welcher er seinen ursprüngliches Vergütungsantrag in voller Höhe weiterverfolgt.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Gegen den richterlichen Beschluss vom 08.12.2023 über die Erinnerung vom 08.06.2022 ist die nunmehr namens des Beschwerdeführers eingelegte Beschwerde vom 11.12.2023 gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG als befristete Beschwerde statthaft. Dabei ist die der Erinnerungsentscheidung vorangegangene Festsetzungsentscheidung der Rechtspflegerin vom 02.06.2022 auch wirksam, nachdem diese zwar den Beschluss selbst nicht unterzeichnet hat, angesichts ihrer Unterschrift unter der zugehörigen Abverfügung vom selben Tag aber gleichwohl zweifelsfrei feststeht, dass diese den Beschluss wie aktenkundig erlassen wollte und in der Folge als erlassen angesehen hat, Der Beschwerdewert liegt sodann über 200,00 Euro und auch die zweiwöchige Frist aus § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG seit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung ist eingehalten. Zuständig ist dabei die Kammer, nachdem der geschäftsplanmäßig zuständige Einzelrichter ihr das Verfahren gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs, 8 Satz 2 RVG zur Entscheidung übertragen hat.
In der Sache ist die befristete Beschwerde auch begründet, denn das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Unrecht eine vollumfängliche Festsetzung der durch den Beschwerdeführer geltend gemachten Vergütung abgelehnt.
Ausgangspunkt der Prüfung der einem Pflichtverteidiger aus der Landeskasse zu zahlenden Vergütung ist dabei stets - wie das Amtsgericht grundsätzlich zutreffend angenommen hat - die gerichtliche Bestellungsentscheidung. Enthält bereits der Bestellungsbeschluss als Grundentscheidung Einschränkungen der Pflichtverteidigerbestellung in zeitlicher, inhaltlicher oder gebührentechnischer Hinsicht, so obliegt es dem bestellten Pflichtverteidiger - so er diese Einschränkungen als rechtswidrig und ihn selbst beschwerend ansieht - bereits die Bestellungsentscheidung selbst aus eigenem Recht mit dem in § 142 Abs_ 7 Satz 1 StPO eröffneten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anzufechten. Eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit von in die Bestellungsentscheidung aufgenommenen Beschränkungen erst im Vergütungsfestsetzungsverfahren, wie sie der Beschwerdeführer hier offenbar für tunlich erachtet, scheidet hingegen aus.
Entgegen dem Dafürhalten des Amtsgerichts und des Beschwerdegegners ergibt sich jedoch im vorliegenden Fall aus der im Bestellungsbeschluss vom 26.04.2022 vorgenommenen Beschränkung der Bestellung „für den heutigen Hauptverhandlungstag" gerade nicht, dass dem Beschwerdeführer für seine Tätigkeit lediglich die für den Hauptverhandlungstag vom 26.04.2022 angefallene Terminsgebühr zustünde. So stellt eine allein in zeitlicher Hinsicht limitierte Pflichtverteidigerbestellung gleichwohl eine inhaltlich und gebührentechnisch vollumfängliche - wenn auch eben auf einen bestimmten Tätigkeitszeitraum beschränkte - Bestellung dar, weshalb auch der lediglich für einen bestimmten - sei es noch so kurzen - Zeitraum gerichtlich - sprich durch hoheitlichen Akt, - bestellte Verteidiger vorbehaltlich des Hinzutretens besonderer Umstände sowohl berufsrechtlich als auch zivilrechtlich gegenüber seinem Mandanten zu einer umfassenden Führung der Verteidigung verpflichtet ist und daher die für die Einarbeitung in das Verfahren anfallende Grundgebühr, die für das jeweilige Verfahrensstadium vorgesehene Verfahrensgebühr sowie falls in den Bestellungszeitraum wie hier eine Terminsteilnahme fällt - die entsprechende Terminsgebühr beanspruchen kann.
Die Kammer verkennt dabei nun keinesfalls, dass sich hierdurch nicht unerhebliche Mehrkosten für die Landeskasse bzw. letztendlich für den zumeist verfahrenskostenpflichtigen Angeklagten ergeben, und daher Insbesondere im Rahmen mehrtägiger Hauptverhandlungen - in erster Linie vor großen Strafkammern - ein legitimes Bedürfnis aller Verfahrensbeteillgten besteht, diese Mehrkosten so gut es geht zu vermeiden bzw. gering zu halten. In den meisten Fällen einer notwendig werdenden „Terminsvertretung“ des für das gesamte Verfahren regulär bestellten Pflichtverteidigers besteht dabei jedoch auch nach Ansicht der Kammer ein gangbarer Weg für eine grundsätzlich gebührenneutrale Vertreterbestellung. Diese muss allerdings zum einen ausdrücklich und zum anderen im Konsens mit den beteiligten Rechtsanwälten erfolgen. Kann also beispielsweise der reguläre Pflichtverteidiger an einem einzelnen Termin - sei dies ein Hauptverhandlungstermin im Rahmen einer mehrtägigen Hauptverhandlung, sei dies ein Termin zur Verkündung eines Haftbefehls oder sonst ein Termin - wegen anderweitiger terminlicher Bindung, wegen Urlaubs, wegen Erkrankung oder - bei auswärtiger Haftbefehlsverkündung - wegen übermäßigen Anreiseaufwandes nicht teilnehmen, so ist von Rechts wegen nichts dagegen zu erinnern, wenn er einen Kollegen zu diesem Termin entsendet, der angesichts des typischerweise äußerst beschränkten Verhandlungsstoffes solcher Termine kollegialiter bereit ist,. in diesem Termin an seiner Statt, regelmäßig allein auf Basis seiner Instruktionen und mithin unter Einfügung in seine Verteidigungsstrategie - sprich letztlich ohne jede relevante eigene Einarbeitung in die Sache sowie ohne ernstliche Tätigkeitsentfaltung im Termin - als Verteidiger aufzutreten (eine solche Fallkonstellation lag etwa dem Beschluss der 2. großen Strafkammer vom 04.09.2023 - Az. 22 KLs 10/22 - zugrunde). Diese in konsensualer Weise vorgenommene Vertreterbestellung erfordert allerdings die ausdrückliche Zustimmung des sich diesen Einschränkungen seiner Verteidigungsmöglichkeiten und seiner Gebührenansprüche unterwerfenden „Terminsvertreters", wobei die solchermaßen beschränkte Bestellung auch unmissverständlich in der Bestellungsentscheidung zum Ausdruck kommen sollte, indem diese etwa wie folgt formuliert wird:
„Rechtsanwalt Y wird mit seiner Zustimmung für den heutigen Hauptverhandlungstermin/Termin zur Verkündung eines Haftbefehls anstelle von Rechtsanwalt X zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt mit der Maßgabe, dass bereits für Rechtsanwalt X angefallene Gebühren und Auslegen durch Rechtsanwalt Y nicht erneut geltend gemacht werden können."
Entsprechende Einschränkungen weist die hier zu beurteilende Bestellungsentscheidung jedoch nach ihrem Wortlaut nicht auf, wobei angesichts der konkreten Verfahrenssituation, in welcher sie erfolgt ist, zugleich auch in der Sache kein Anlass besteht, sie entsprechend eingeschränkt auszulegen. So hat der reguläre Pflichtverteidiger vorliegend am Morgen des in Rede stehenden Verhandlungstages lediglich seine erkrankungsbedingte Verhinderung mitteilen lassen, ohne sich soweit ersichtlich - um die Entsendung eines vertretungsbereiten Kollegen zu bemühen, während der Beschwerdeführer sodann augenscheinlich durch den Strafrichter hinzugezogen worden ist. um die Hauptverhandlung an dem von diesem lediglich noch für die Urteilsverkündung vorgesehenen Verhandlungstag wie geplant abschließen zu können. Der dementsprechend nicht in konsensualer Weise in die Verteidigungsstrategie des regulären Pflichtverteidigers eingebundene Beschwerdeführer war daher berufsrechtlich wie auch zivilrechtlich gegenüber dem Angeklagten gehalten, die Verteidigung in Vorbereitung und Auftreten in der Hauptverhandlung selbstständig und ohne jede Einschränkung zu führen. Da sodann auch nach dem letzten Wort des Angeklagten noch Beweisanträge gestellt werden können und nicht zuletzt auch ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme durch das Gericht stets In Betracht kommt, können sich dabei auch aus dem späten Zeitpunkt der Bestellung in der Hauptverhandlung keine Einschränkungen des Vergütungsanspruchs des Beschwerdeführers ergeben.
Da schließlich die für einen Pflichtverteidiger als gerichtlich bestellten Rechtsanwalt anfallenden Gebühren ihrer Höhe nach jeweils gesetzlich fixiert sind, kann der Beschwerdeführer seine Vergütung unabhängig von seinem tatsächlich vor, in, am Rande und im Nachgang der Hauptverhandlung betriebenen Verteidigungsaufwand - und damit im Ergebnis wie von ihm beantragt – beanspruchen. Gleiches gilt zu guter Letzt auch für die geltend gemachte Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG, nachdem der Beschwerdeführer nicht allein in der Hauptverhandlung, sondern zumindest auch in Gestalt der späteren - hierbei nach Maßgabe des Rechtsgedankens des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 RVG auch von der auf den Urteilsverkündungstag beschränkten Bestellung abgedeckten - vorsorglich fristwahrenden Rechtsmitteleinlegung tätig geworden ist.
Die Gebührenfreiheit dieses Beschwerdeverfahrens sowie die Nichterstattung von Kosten ergeben sich aus § 56 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 RVG.
Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. 33 Abs. 6 Satz 1 RVG die weitere Beschwerde zum Brandenburgischen Oberlandesgericht zuzulassen, da die zur Entscheidung stehende Frage grundsätzliche Bedeutung hat. Die vorliegend entscheidungserhebliche Rechtsfrage, welche Gebühren ein ausweislich des jeweiligen Bestellungsbeschlusses ausdrücklich nur für einen bestimmten Tag bzw. einen bestimmten Termin bestellter Pflichtverteidiger beanspruchen kann, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten (siehe etwa OLG Karlsruhe, Beschluss vom 09.02.2023 - 2 Ws 13/23 - m.w.N.), wobei die zu dieser Thematik zuletzt veröffentlichte Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts - soweit ersichtlich - aus dem Jahr 2009 stammt (OLG Brandenburg, Beschluss vorn 25.08.2009 - 2 Ws 111/09 -) und mithin auf die Zeit vor den zum 13.12.2019 in Kraft getretenen umfangreichen Änderungen des Rechts der Pflichtverteidigung datiert.
Einsender: RA U. Meyer, Neuruppin
Anmerkung:
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