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Entscheidungen

Haftfragen

Handeltreiben mit Cannabis, nicht geringe Menge, CannabisG, KCanG

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 30.04.2024 - 5 Ws 67/24

Leitsatz des Gerichts mit Ergänzungen/Änderungen:

1. Auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich gegen die Außervollzugsetzung eines Haftbefehls richtet, unterliegt nicht nur der angefochtene Haftverschonungsbeschluss, sondern auch der zugrunde liegende Haftbefehl der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht.
2. Zur Fluchtgefahr beim Verstoß gegen das KCanG und zur Gesamtwürdigung der Verfahrensumstände.


In pp.

Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird der Beschluss des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024, durch den der Angeschuldigte vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft aus dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 verschont worden ist, aufgehoben.
Der vorgenannte Haftbefehl wird mit der Maßgabe wieder in Vollzug gesetzt, dass der Tatvorwurf zu 1. entfällt und der Angeschuldigte aufgrund des ihm zur Last gelegten verbleibenden Sachverhalts dringend verdächtig ist,
gemeinschaftlich handelnd
entgegen § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, mit Cannabis in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben
(Verbrechen, strafbar nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3 KCanG, § 25 Abs. 2 StGB).

Gründe

I.

1. Die Staatsanwaltschaft Berlin legt dem Angeschuldigten mit Anklageschrift vom 2. Februar 2024 zur Last, zwischen dem 9. April 2020 und dem 23. Oktober 2023 in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Dabei soll er im Fall 1 zusammen mit dem Mitangeschuldigten S. und im Fall 2 zusammen mit diesem, drei weiteren mitangeschuldigten Mittätern und der gesondert Verfolgten Pa. sowie in diesem Fall als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden habe, gehandelt haben (zum Zeitpunkt der Anklage Verbrechen, strafbar nach §§ 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage I, 3 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2, 30a Abs. 1 BtMG, 25 Abs. 2, 53 StGB).

Im Fall 1 sollen der Angeschuldigte und sein Mittäter am 9. April 2020 unter Nutzung kryptierter Mobiltelefone des Anbieters „EncroChat“ an einen anderen User dieses Dienstes 30 Kilogramm Marihuana aus der Ernte einer von ihnen in der Umgebung von G. (Brandenburg) betriebenen Cannabisplantage verkauft haben, wobei die Übergabe der Rauschmittel am 10. April 2020 stattgefunden haben soll. Durch den Verkauf sollen die beiden Angeschuldigten mindestens 70.000 Euro erlangt haben.

Im Fall 2 der Anklage sollen sich drei der fünf Angeschuldigten sowie die gesondert Verfolgte zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 12. Juni 2023, die anderen beiden Angeschuldigten jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkt, zusammengeschlossen haben, um in arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrere Cannabisplantagen an mehreren Standorten zu betreiben und deren Ertrag gewinnbringend – entsprechend der zuvor gefassten Bandenabrede – an unbekannte Abnehmer zu verkaufen.

Eine (Groß-)Plantage soll sich in D. (Mecklenburg-Vorpommern) befunden haben. Bei einer am 23. Oktober 2023 durchgeführten Durchsuchung sollen dort 250 große Cannabispflanzen mit einer nachgewiesenen Wirkstoffmenge von 2.669,92 g Tetrahydrocannabinol (THC) sowie 433 kleine Stecklinge der Cannabispflanze mit einer nachgewiesenen Wirkstoffmenge von 2,65 g THC sowie 9,915 Kilogramm Blütenstände der Cannabispflanze mit einer nachgewiesenen Wirkstoffmenge von 1.395,3 g THC (jeweils mit einer relativen Messunsicherheit von +/- 5 %) aufgefunden worden sein.

Eine andere (Groß-)Plantage soll von den Angeschuldigten in W. (Brandenburg) betrieben worden sein. Diese Plantage soll zum Zeitpunkt der auch dort am 23. Oktober 2023 durchgeführten Durchsuchungsmaßnahmen insgesamt 243 ausgewachsene Cannabispflanzen, 847 Stecklinge der Cannabispflanze sowie 16 Kilogramm abgeerntete und getrocknete Blütenstände der Cannabispflanze, welche zum gewinnbringenden Verkauf an unbekannte Abnehmer bestimmt gewesen sein sollen, mit einer nachgewiesenen Wirkstoffmenge von insgesamt 2.816,18 g THC (mit einer relativen Messunsicherheit von +/- 5 %) umfasst haben.

Um den Handel mit Marihuana noch weiter auszubauen, sollen die Angeschuldigten eine weitere (Groß-)Plantage in M. (Brandenburg) errichtet haben. In Ausführung der Bandenabrede soll der Angeschuldigte P. absprachegemäß dort weitere geeignete Räumlichkeiten angemietet haben. Die dortige Plantage soll sich im Aufbau befunden haben, für welchen der Angeschuldigte P. und zwei Mitangeschuldigte überwiegend verantwortlich gewesen sein sollen.

Wegen der Einzelheiten der Tatvorwürfe nimmt der Senat auf den Inhalt der Anklageschrift Bezug.

2. Der Angeschuldigte P. wurde im hiesigen Verfahren am 23. Oktober 2023 vorläufig festgenommen. Das Amtsgericht Tiergarten erließ am 24. Oktober 2023 gegen ihn einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl – 352 Gs 3876/23 –, aufgrund dessen er sich seither in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit befand. Gegenstand des Haftbefehls war allein der Fall 2 der Anklage.

3. Nach Eingang der Anklage bei der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Berlin I verfügte deren Vorsitzender am 14. Februar 2024 unter Setzung einer Stellungnahmefrist im Zwischenverfahren die Zustellung der Anklageschrift und stellte den Verteidigern in Anbetracht einer von ihm dokumentierten Auslastung der Kammer mit anderen und früher eingegangenen Haftsachen frühestmögliche Hauptverhandlungstermine ab dem 25. April 2024 und bis zum 17. Juni 2024 in Aussicht.

4. In einem Haftprüfungstermin vom 13. März 2024 hob das Landgericht den Haftbefehl des Amtsgerichts Tiergarten vom 24. Oktober 2023 auf und erließ gegen den Angeschuldigten einen neuen Haftbefehl. Diesem liegen die Vorwürfe aus der Anklage und der Haftgrund der Fluchtgefahr zugrunde, jedoch wies das Landgericht darin darauf hin, dass es die konkrete Straferwartung und damit auch den Fluchtanreiz für den Angeschuldigten aufgrund des zu erwartenden Inkrafttretens des Cannabisgesetzes – das deutlich mildere Strafrahmen vorsehe – im Gegensatz zum Zeitpunkt der Anklageerhebung als erheblich geringer bewerte, weshalb diesem im vorliegenden Fall mit Maßnahmen nach § 116 StPO wirksam begegnet werden könne. Den Vollzug des neuen Haftbefehls setzte die Strafkammer daher durch Beschluss vom selben Tag gemäß § 116 Abs. 1 StPO aus. Sie wies den Angeschuldigten an, spätestens bis zum 15. März 2024 seine Ausweise zur Akte zu reichen, untersagte ihm, das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen, und gab ihm auf, sich zweimal wöchentlich bei der für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeidienststelle zu melden sowie jeden Wohnsitzwechsel dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.

Der Angeschuldigte wurde am 13. März 2024 aus der Untersuchungshaft in die Freiheit entlassen und reichte in der Folge seine Ausweispapiere zur Akte.

5. Die Staatsanwaltschaft macht mit ihrer gegen den Haftverschonungsbeschluss gerichteten Beschwerde vom 15. März 2024 geltend, die dem Angeschuldigten erteilten Weisungen seien nicht genügend, um dem vorliegenden Haftgrund der Fluchtgefahr hinreichend zu begegnen.

Sie führt im Wesentlichen aus, auch bei Anwendung des (zu dieser Zeit noch nicht geltenden) neuen Rechts sei vorliegend allein für die angeklagte Tat des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge von einer konkreten Straferwartung von fünf Jahren und insgesamt weiterhin von einem erheblichen Fluchtanreiz auszugehen. Die dem Angeschuldigten vorgeworfenen Taten spiegelten ein im hohen Maß professionelles und strukturiertes Vorgehen wider, welches nicht mehr als gewöhnlich anzusehen sei und daher eine Strafe im mittleren bis oberen Bereich des jeweiligen Strafrahmens erwarten lasse. Durch die Taten seien erhebliche Geldbeträge erlangt worden, die dem Angeschuldigten ein Untertauchen – auch im (europäischen) Ausland, in dem er nach einer längeren Inhaftierung in anderer Sache mehrere Jahre gelebt habe – erleichtern würden. Familiäre oder andere soziale Bindungen, die geeignet wären, diese Fluchtgefahr auszuräumen, seien nicht ersichtlich. Subsidiär bestehe zudem der Haftgrund der Wiederholungsgefahr.

6. Die Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat mit ihrer (ergänzenden) Zuschrift vom 3. April 2024 beantragt, nach Inkrafttreten des Cannabisgesetzes und der damit verbundenen Änderungen auch der Strafprozessordnung den Haftbefehl mit der Maßgabe wieder in Vollzug zu setzen, dass der Tatvorwurf zu 1. mangels dringenden Tatverdachts wegen einer aufgrund der Gesetzesänderung mittlerweile eingetretenen Unverwertbarkeit der aus dem „EncroChat“-Komplex gewonnenen Beweisergebnisse entfällt und der Angeschuldigte der verbleibenden Tat zu 2. entsprechend der neuen Rechtslage dringend verdächtig sei. Die Verteidigung hat mit Schriftsatz vom 15. April 2024 zu dem Rechtsmittel Stellung genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Die Untersuchungshaft des Angeschuldigten P. hat fortzudauern. Der Haftbefehl des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 wird – nach Maßgabe der folgenden rechtlichen Erwägungen – wieder in Vollzug gesetzt.

1. Auf die Beschwerde hat der Senat nicht nur den Haftverschonungsbeschluss vom 13. März 2024, sondern auch den Haftbefehl vom selben Tag zu prüfen; denn die von der Staatsanwaltschaft erstrebte Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung der Untersuchungshaft gegeben sind (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 2007 – StB 34/07 –, BeckRS 2007, 16872 Rn. 2, m. w. Nachw.; Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2015 – 5 Ws 112-114/15 –). Das ist vorliegend der Fall.

a) Hinsichtlich der Tat zu 1., wie sie dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 zugrunde liegt, ist der dringende Tatverdacht entfallen. Der Angeschuldigte ist hinsichtlich der Tat zu 2. jedoch (weiter) des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge dringend verdächtig.

aa) Die für die Annahme eines dringenden Tatverdachts nach § 112 Abs. 1 Satz 1 StPO im Fall 1 erforderliche hohe Verurteilungswahrscheinlichkeit begegnet nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG) mit Wirkung zum 1. April 2024 im Hinblick auf die weitere Verwertbarkeit der von den französischen Behörden übermittelten Daten aus der Nutzung der Dienste des Anbieters „EncroChat“ in dem vorliegenden Strafverfahren durchgreifenden Bedenken.

Maßgebliches Beweismittel zum Beleg des Tatvorwurfes vom 9./10. April 2020 ist die mit sogenannten „Krypto-Handys“ über den Messengerdienst „EncroChat“ abgewickelte Kommunikation der Angeschuldigten P. und S. untereinander und mit dem namentlich noch nicht identifizierten weiteren Nutzer des Dienstes, der die ihm von den beiden Angeschuldigten angebotenen 30 Kilogramm Marihuana gekauft haben soll. Die Erkenntnisse aus diesen Daten sind nach der neuen Rechtslage nicht weiter verwertbar.

(1) Gesetzliche Grundlage für die Beweisverwertung der mittels einer im „EncroChat“-Komplex vorliegenden Europäischen Ermittlungsanordnung erlangten Informationen im deutschen Strafverfahren ist § 261 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 2. März 2022 – 5 StR 457/21 –, juris Rn. 63 f.). Für durch Rechtshilfe erlangte Informationen, die nicht auf einer Anordnung der Ermittlungsmaßnahme durch deutsche Behörden, sondern nur auf der Übermittlung von Beweisergebnissen beruhen, die ein anderer Mitgliedstaat auf eigener Rechtsgrundlage erhoben hat, fehlt es an einer ausdrücklichen Verwendungsbeschränkung jenseits des im Rechtshilfeverkehr geltenden ordre-public-Vorbehalts. Die Vorschrift des § 100e Abs. 6 StPO ist auf die vorliegende Konstellation nach ihrem Wortlaut nicht (ausdrücklich) anwendbar, da die in Rede stehenden Daten nicht durch Maßnahmen nach den §§ 100b, 100c StPO, sondern durch eigenständige Maßnahmen nach französischem Prozessrecht gewonnen wurden (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 65, m. w. Nachw.). Wenn es um die Verwertung von bereits außerhalb der Rechtshilfe vorhandenen ausländischen Überwachungsergebnissen geht, also die entsprechenden Informationen im Rahmen eines dort bereits betriebenen Strafverfahrens gewonnen und nicht aufgrund eines Rechtshilfeersuchens erhoben wurden, ist es aufgrund der mit den heimlichen Ermittlungsmaßnahmen einhergehenden besonders intensiven Grundrechtseingriffe jedoch erforderlich, auf die in strafprozessualen Verwendungsbeschränkungen verkörperten Wertungen zurückzugreifen, mit denen der Gesetzgeber dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei vergleichbar eingriffsintensiven Mitteln Rechnung trägt. Im vorliegenden Fall sind daher aufgrund des Gewichts der Maßnahme zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Grundgedanken der Verwendungsschranke mit dem höchsten Schutzniveau (§ 100e Abs. 6 StPO) heranzuziehen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 66 ff.).

Daraus folgt: Die erlangten Informationen dürfen auf der Grundlage des § 261 StPO (im Ermittlungsverfahren nach § 161 Abs. 1 StPO) nur zur Verfolgung von auch im Einzelfall besonders schwerwiegenden Straftaten im Sinne des § 100b Abs. 2 StPO verwendet werden, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtlos und der Kernbereich privater Lebensführung nicht berührt ist (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 69 ff.; Senat, Beschluss vom 31. Mai 2022 – 5 Ws 52/22 –).

Für die Prüfung, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf den Zeitpunkt der Verwertung der Beweisergebnisse abzustellen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 70). In der Verwendung der aus einem anderen Strafverfahren stammenden personenbezogenen Daten in einem anhängigen Verfahren und in deren Verwertung in einer in diesem Verfahren zu treffenden gerichtlichen Entscheidung liegt ein eigenständiger Grundrechtseingriff. Ob für diesen eine gesetzliche Grundlage besteht, kann lediglich nach der für den Verwendungs- bzw. Verwertungszeitpunkt geltenden Rechtslage beurteilt werden. Bei sich im Verlaufe eines anhängigen Strafverfahrens ändernden strafprozessualen Vorschriften ist die neue Rechtslage maßgebend (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 1 StR 310/12 –, juris Rn. 45, m. w. Nachw. = BGHSt 58, 32 ff.). Eine zulässige Verwertung muss danach dann ausscheiden, wenn der Charakter als Katalogtat durch die Gesetzesänderung entfällt und es an entsprechenden Übergangsbestimmungen mangelt (vgl. Köhler in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Aufl., § 479 Rn. 7).

(2) Das ist vorliegend der Fall. Zu den Katalogtaten des § 100b Abs. 2 StPO gehört zwar das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5.b) StPO), der auf den Fall 1 des Haftbefehls betreffenden Vorwurf bislang zur Anwendung kam. Dieser Straftatbestand erfasst nach der am 1. April 2024 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften (Cannabisgesetz – CanG, BGBl. I 2024, Nr. 109) jedoch nicht mehr den dort beschriebenen Umgang mit Cannabis. Dieses wird durch das Gesetz nicht weiter als Betäubungsmittel behandelt und unterliegt damit jetzt nicht mehr den Vorschriften des BtMG (vgl. Art. 3 CanG; BT-Drs. 20/8704, S. 56, 151). Die dem Angeschuldigten zur Last gelegte Tat ist nunmehr stattdessen (als besonders schwerer Fall) nach § 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 KCanG mit Strafe bedroht. Dadurch hat das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht nur seinen Verbrechenscharakter, sondern auch seine Eigenschaft als Katalogtat nach § 100b Abs. 2 StPO verloren. Auch diese Vorschrift hat durch das Cannabisgesetz eine Neuregelung erfahren (Art. 13a Nr. 2 CanG) und umfasst aus dem Konsumcannabisgesetz (lediglich) – im Fall 1 nicht vorliegende – Straftaten nach § 34 Abs. 4 Nr. 1, 3 oder 4 KCanG (§ 100b Abs. 2 Nr. 5a. StPO).

Wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Zuschrift vom 3. April 2024 zutreffend ausführt, dürfen die im Wege der „EncroChat“-Überwachung gewonnenen Beweisergebnisse im vorliegenden Strafverfahren nach der derzeit gültigen Rechtslage daher nicht (weiter) verwertet werden und haben bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts im Rahmen der hier zu treffenden gerichtlichen Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft außer Betracht zu bleiben. Weitere (verwertbare) Beweismittel, die im Fall 1 des Haftbefehls des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 einen dringenden Tatverdacht gegen den Angeschuldigten – der sich bislang nicht zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen eingelassen hat – stützen könnten, liegen nicht vor. Der Haftbefehl war daher durch den Senat im Wege eigener Sachentscheidung nach § 309 Abs. 2 StPO entsprechend anzupassen.

bb) Der Angeschuldigte ist der ihm in dem Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 13. März 2024 zur Last gelegten Tat zu 2. nach dem in der Anklageschrift dargestellten Ermittlungsergebnis aufgrund der dort aufgeführten Beweismittel unverändert dringend verdächtig. Er ist dem Vorwurf im Verfahren vor dem Senat auch nicht entgegengetreten. Diese Beweismittel, die durch weitere Ermittlungen auf der Grundlage der im „EncroChat“-Komplex gewonnenen und jetzt nicht mehr verwertbaren Erkenntnisse bekannt geworden sind, unterliegen keinem eigenständigen Verwertungsverbot. Das Beweisverwertungsverbot beschränkt sich auf die Tat zu 1.; ihm kommt insoweit keine Fernwirkung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 1 StR 316/05 –, juris Rn. 21 ff., m. w. Nachw.). Die Strafbarkeit in Fall 2 beurteilt sich gemäß § 2 Abs. 3 StGB nach der neuen (milderen) Gesetzeslage und insoweit – da er das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, betrifft – nach §§ 1 Nr. 8, 2 Abs. 1 Nr. 4, 34 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 Nr. 3 KCanG.

Der Senat sieht keine Veranlassung, in Ansehung der geänderten Rechtslage von dem von der obergerichtlichen Rechtsprechung festgelegten Grenzwert der nicht geringen Menge Cannabis von 7,5 g Tetrahydrocannabinol (THC) abzuweichen.

(1) In seiner diesbezüglichen Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof herausgestellt, dass für die Bestimmung der nicht geringen Menge insbesondere der Wirkungsweise und Gefährlichkeit des jeweiligen Rauschmittels sowie den Konsumgewohnheiten entscheidende Bedeutung zukommt. Dabei hat er sich an einer durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und erläutert, dass die Wirkung von Cannabisprodukten vom dem Anteil des reinen Wirkstoffes THC abhängt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 –, juris Rn. 5 ff. = BGHSt 33, 8 ff.). Für die Hauptkonsumform, das Rauchen, hat er nach Auswertung verschiedener wissenschaftlicher Studien, die sich insbesondere mit den klinischen und psychologischen Auswirkungen von Cannabis bei Menschen beschäftigt hatten, die für die Erzielung eines Rauschzustandes erforderliche Einzeldosis mit 15 mg THC bestimmt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 15 ff.). Hauptsächlich wegen der im Vergleich zu anderen Drogen (insbesondere Heroin) geringeren Gefährlichkeit von Cannabis hat der Bundesgerichtshof – der dabei auch berücksichtigt hat, dass dessen Konsum gleichwohl unter anderem zu Denk- und Wahrnehmungsstörungen, Depressionen, bisweilen bis hin zu Psychosen, führen kann und diesem eine erhöhte Gefahr des Umsteigens auf harte Drogen innewohnt – für den Grenzwert der nicht geringen Menge ein Vielfaches der zum Erreichen eines Rauschzustands notwendigen Wirkstoffmenge als maßgeblich und den Wert von 500 durchschnittlichen Konsumeinheiten und damit 7,5 g THC als dafür erforderlich, aber auch ausreichend erachtet (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 23 ff.). Dabei hat er zudem den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit von Cannabisprodukten unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität der in der Drogenszene tatsächlich auftauchenden Stoffe ausdrücklich Rechnung getragen (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 26).

(2) Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die maßgeblichen Grundlagen dieser Bewertung seither eine Änderung erfahren hätten. Dementsprechend hat die Rechtsprechung an dem so ermittelten Grenzwert bis heute durchgängig festgehalten (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 30. Mai 1995 – 1 StR 223/95 –, juris Rn. 2, 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 –, juris Rn. 13 ff., 6. August 2013 – 3 StR 212/13 –, juris Rn. 2, und 14. November 2023 – 6 StR 505/23 –, juris Rn. 3).

Es ist daher nicht nachzuvollziehen, wenn der Gesetzgeber des Cannabisgesetzes fordert, der Wert der nicht geringen Menge sei von der Rechtsprechung aufgrund einer geänderten Risikobewertung neu zu entwickeln und deutlich höher zu bemessen (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 132). Weder teilt er mit, worauf diese geänderte Bewertung beruhen soll, noch lassen sich der Gesetzesbegründung Vorgaben oder Maßstäbe für die von ihm für erforderlich gehaltene Neubestimmung entnehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 StR 106/24 –, juris Rn. 21, und Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 – 5 Ws 19/24 –, juris Rn. 30). Die Aufforderung erscheint umso unverständlicher, als im Gesetzgebungsverfahren an anderer Stelle die gesundheitlichen Risiken des Cannabiskonsums – insbesondere für junge Menschen – ausdrücklich betont werden und der Gesundheitsschutz neben anderen Beweggründen der Legitimation der Gesetzesnovellierung dienen soll (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68 ff.). Es trifft zwar zu, dass Cannabis vom Schwarzmarkt das Risiko für Schäden an der Gesundheit zusätzlich verstärkt, da sein THC-Gehalt in der Regel unbekannt ist – was die Gefahr von Überdosierungen erhöht – und es giftige Beimengungen und Verunreinigungen sowie synthetische Cannabinoide mit nicht abschätzbarer Wirkungsweise enthalten kann (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 1, 68, 72, 113). Die unterschiedliche Qualität der in der Drogenszene im Verkehr befindlichen Stoffe hatte der Bundesgerichtshof bei der Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge aber bereits berücksichtigt. Ungeachtet der von möglichen Zusatzstoffen ausgehenden zusätzlichen Gesundheitsgefahren enthält auch das vom Gesetzgeber nunmehr privilegierte „Konsumcannabis“ den reinen Wirkstoff THC, dem allein schon unverändert die gesundheitsgefährdende Wirkung innewohnt, welcher der Bundesgerichtshof bei der von ihm vorgenommenen Grenzziehung maßgebliche Bedeutung beigemessen hat. Soweit die gesellschaftliche Akzeptanz des Rauschmittels Cannabis – worauf ein stetig wachsendes Konsumverhalten der Bevölkerung Hinweis bieten könnte (vgl. BT-Drs., a. a. O., S. 71 ff.) – mittlerweile eine Änderung erfahren haben sollte, hat diese in dem nach der neuen Rechtslage teilweise legalisierten Umgang sowie den milderen Strafrahmen für die vom Gesetzgeber weiterhin als strafwürdig bewerteten Handlungsweisen bereits Niederschlag gefunden. Vor dem Hintergrund der ungeachtet dessen unveränderten Wirkungsweise und Gefährlichkeit von Cannabisprodukten besteht aus Sicht des Senats jedoch kein Grund zu einer zusätzlichen Privilegierung in der Weise, dass der Grenzwert der nicht geringen Menge anzuheben wäre (so auch BGH, a. a. O.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 28 ff.).

(3) Auch gesetzliche Wertungswidersprüche, die es insbesondere vor dem Hintergrund des gemäß §§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3, 3 und 9 KCanG nunmehr großzügig für straflos erklärten Besitzes und privaten Eigenanbaus unvertretbar erscheinen ließen, an dem für die nicht geringe Menge Cannabis entwickelten Grenzwert festzuhalten (so aber BT-Drs., a. a. O.), sind nicht ersichtlich (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 14 ff.; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 32 f.).

Das Merkmal der nicht geringen Menge erlangt für drei Strafvorschriften des Konsumcannabisgesetzes Bedeutung.Soweit § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG sich auf sämtliche Tathandlungen nach § 34 Abs. 1 KCanG erstreckt, sofern sich diese auf eine nicht geringe Menge beziehen, ist damit zwar auch der Besitz Volljähriger von mehr als 30 Gramm Cannabis außerhalb des eigenen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Zwecke des Eigenkonsums bzw. der Besitz von mehr als 60 Gramm Cannabis auch an diesen Orten erfasst und überschreiten diese verbotenen Mengen die nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 KCanG erlaubten – die nach den am Markt vorkommenden Wirkstoffgehalten unterschiedlicher und immer weiter steigender Qualität insbesondere bei Haschisch und Cannabisblüten vereinzelt auch eine Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC oder mehr erwarten lassen können (vgl. Patzak/Dahlenburg, NStZ 2022, 146 ff.) – nicht wesentlich. Jedoch hat diese Norm den Charakter eines benannten besonders schweren Falles, der es erlaubt, auch in Fällen des Vorliegens des Regelbeispiels im Einzelfall von der Anwendung des erhöhten Strafrahmens abzusehen (vgl. Fischer, StGB 71. Aufl., § 46 Rn. 91) und damit insbesondere der vom Gesetzgeber angenommenen geringeren Strafwürdigkeit des unerlaubten Besitzes in Grenzfällen Rechnung zu tragen. Das KCanG bezweckt zudem lediglich, den Konsumenten zu privilegieren. Die Strafwürdigkeit der übrigen in § 34 Abs. 1 KCanG enthaltenen und nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG in Bezug genommenen Handlungsweisen (etwa das Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge) bleibt davon unberührt (vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a. a. O., Rn. 33).

Bei dem – vorliegend einschlägigen – Verbrechenstatbestand des § 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG handelt es sich um eine Qualifikation, die Handlungsweisen erfasst, die jedenfalls im Zusammenhang mit dem weiteren unrechtserhöhenden Merkmal der bandenmäßigen Begehungsweise typischerweise gegen den (ausschließlichen) Umgang mit Cannabis zum Zwecke des Eigenverbrauchs sprechen.

Vergleichbares gilt für die in § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG aufgeführten Begehungsformen, die mit dem weiteren, das Unrecht der Tat ebenfalls besonders erhöhenden Umstand des Mitsichführens einer Schusswaffe oder eines sonstigen seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeigneten und bestimmten Gegenstandes verknüpft sind, weshalb der im Vergleich zum Grundtatbestand des § 34 Abs. 1 KCanG erhöhte Strafrahmen selbst im Falle eines Sichverschaffens nicht geringer Mengen Cannabis ausschließlich zum Eigenverbrauch gerechtfertigt erscheint.

b) Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Diese ist gegeben, wenn bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit – dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich dem Verfahren zur Verfügung halten (vgl. KG, Beschluss vom 3. November 2011 – 4 Ws 96/11 –, juris Rn. 4). Das ist vorliegend der Fall.

aa) Der Angeschuldigte hat im Falle seiner Verurteilung mit einer mehrjährigen und nicht mehr aussetzungsfähigen Freiheitsstrafe zu rechnen, die ihm einen erheblichen Fluchtanreiz bietet. Der nach der gesetzlichen Neuregelung für den verbleibenden Tatvorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens mit Cannabis in nicht geringer Menge (§ 34 Abs. 4 Nr. 3 KCanG) eröffnete Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren vor.

Tragfähige Anhaltspunkte für das Vorliegen eines minder schweren Falles sind auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Verteidigung mit Schriftsatz vom 15. April 2024 nicht ersichtlich. Der Vortrag, dass der plantagenmäßige Anbau von Cannabis zukünftig genehmigungsfähig sei, rechtfertigt schon mit Blick darauf, dass dieser Teil der geplanten, aber noch nicht in Kraft getretenen Neureglung – gänzlich anders als in dem vorliegenden Fall – ausschließlich den Anbau durch nicht-gewinnorientierte Vereinigungen zum Eigenkonsum betrifft (§ 1 Nr. 13 KCanG, BT-Drs., a. a. O., S. 16 ff.), keine andere Bewertung. Auch dem Vorbringen, dass es sich bei den Bandenmitgliedern um enge Freunde oder Familienangehörige handele, kommt für die Annahme eines minder schweren Falles nach einer allein möglichen vorläufigen Bewertung keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Zwar kann es für die Annahme eines minder schweren Falles sprechen, wenn der Zusammenschluss der Beschuldigten primär auf ihrer persönlichen Verbundenheit beruht und nicht dem Bild der üblichen Bandenkriminalität entspricht, das der Gesetzgeber mit dem am 22. September 1992 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG) vor Augen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 171/09 –, juris Rn. 3; Maier in: Weber/Kornprobst/Maier, BtMG 6. Aufl., § 30 Rn. 302 ff., m. w. Nachw.). Eine derartige persönliche Beziehung ist nach dem vorliegenden Ermittlungsergebnis jedoch nur zwischen dem Angeschuldigten S. und der gesondert Verfolgten Pa., nicht aber im Verhältnis dieser beiden zu den übrigen Bandenmitgliedern oder zwischen diesen untereinander ersichtlich. Dass es sich bei der gesondert Verfolgten um die (nur für etwas mehr als eineinhalb Jahre mit ihm verheiratete) geschiedene Ehefrau des Angeschuldigten P. handelt, rechtfertigt keine andere Bewertung. Eine in ihrer Organisation nicht gemeingefährliche und daher für das Vorliegen eines minder schweren Falles streitende Bande liegt vorliegend zudem auch deshalb fern, da der Zusammenschluss offensichtlich in erster Linie der Erzielung erheblicher Gewinne diente (vgl. Maier, a. a. O.) und nicht einer persönlichen Verbundenheit (einzelner) Mitglieder geschuldet war.

Im Gegenteil wird strafschärfend insbesondere zu berücksichtigen sein, dass sich die Tat gleich auf drei Groß-(Plantagen) bezieht und die sichergestellte Menge Cannabis eine Wirkstoffmenge von knapp 7 Kilogramm THC enthält, welche den (weiter gültigen) Grenzwert der nicht geringen Menge um etwa das Neunhundertfache übersteigt. Auch wenn es im Hinblick auf das Verbot der Doppelverwertung (§ 46 Abs. 3 StGB) Bedenken begegnet, zudem das in der Beschwerdebegründung angeführte hohe Maß an professionellem und strukturiertem Vorgehen zu berücksichtigen – das eine bandenmäßigen Begehung regelmäßig kennzeichnen dürfte –, wenn sich allein dadurch die Gefährlichkeit der Tat nicht weiter erhöht (vgl. Maier, a. a. O., § 30 Rn. 332, m. w. Nachw.), teilt der Senat die Einschätzung der Staatsanwaltschaft, dass der – wenngleich bislang nicht einschlägig – erheblich vorbestrafte Angeschuldigte vorliegend eine deutlich über dem Mindestmaß von zwei Jahren anzusetzende mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten hat, auf die nach § 51 Abs. 1 StGB bislang lediglich gut viereinhalb Monate Untersuchungshaft anzurechnen wären.

Nach der zum gegenwärtigen Zeitpunkt allein möglichen vorläufigen Bewertung durch den Senat ist die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB nicht konkret im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu erwarten (vgl. zu den Anforderungen an die Prognose nach § 57 StGB und zur Begründungstiefe insoweit z. B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 29. Juli 2021 – 2 BvR 1195/21 –, juris Rn. 9, und stattgebender Kammerbeschluss vom 17. Januar 2013 – 2 BvR 2098/12 –, juris Rn. 47). Dem Angeschuldigten, der in der Vergangenheit – unter anderem wegen Totschlags und schweren Raubes in mehreren Fällen – zu Jugend- und Freiheitstrafe verurteilt worden ist und schon langjährig Strafhaft verbüßt hat, wird das sogenannte „Erstverbüßerprivileg“ nicht zugutekommen. Vielmehr sind mit Blick auf seine Delinquenzgeschichte, die das Bestehen ernstzunehmender persönlichkeitsimmanenter Rückfallrisiken nahelegt, an die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu stellende Legalprognose vorliegend strenge Anforderungen anzulegen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 13. Juli 2021 – 5 Ws 146/21 –, juris Rn. 12, und 9. September 2020 – 5 Ws 138-140/20 –, juris Rn. 8; jew. m. w. Nachw.). Zudem sind auch im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit schon deshalb erhöhte Ansprüche an die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straffreiheit zu stellen, weil die vorliegende Tat den Bereich des bandenmäßigen Rauschmittelhandels betrifft (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. April 2023 – 5 Ws 48/23 –, 25. Mai 2020 – 5 Ws 55/20 – und 6. Juli 2006 – 5 Ws 273/06 –, juris Rn. 4 f.). Das Tatgeschehen ist durch eine gut organisierte Planung, arbeitsteiliges Zusammenwirken und stark profitorientiertes Handeln geprägt. Diese Umstände belegen eine erhöhte Gefährlichkeit des Angeschuldigten, zumal die Tat erkennbar nicht nur lebensphasischen, situativen Faktoren entsprang, sondern vor allem Ausdruck erheblicher, langjährig in Straftaten zutage getretener Persönlichkeitsdefizite sein dürfte (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juli 2021, a. a. O., Rn. 16, m. w. Nachw.). Ob die Anforderungen für eine Reststrafaussetzung später erfüllt sein werden, hängt maßgeblich von der weiteren Entwicklung des Angeschuldigten (im Vollzug) ab, die derzeit noch nicht absehbar ist.

bb) Dem danach gegebenen starken Fluchtanreiz stehen keine beruflichen oder sozialen Bindungen des Angeschuldigten gegenüber, die ihn entscheidend mindern. Der kinderlose Angeschuldigte, der auch sonst über keine gefestigten familiären Bindungen verfügt, wohnt nach den vorliegenden Erkenntnissen allein und ging jedenfalls in den vergangenen Jahren keiner legalen Beschäftigung nach. Zugleich muss angesichts dessen, dass er nach dem Ermittlungsergebnis maßgeblich an dem Betrieb von jedenfalls zwei (Groß-)Plantagen zum auf den Absatz gerichteten Anbau von Cannabispflanzen beteiligt war, davon ausgegangen werden, dass er gegenwärtig über beachtliche finanzielle Mittel oder noch nicht entdecktes Vermögen verfügt, die ihm ein Untertauchen – sei es auch nur innerhalb Deutschlands oder Berlins – ermöglichen oder zumindest erleichtern könnten. Zudem hat der Angeschuldigte zwischen 2016 und 2020 in Spanien gelebt, was zeigt, dass er befähigt ist, sein Leben für einen unbestimmten Zeitraum auch im Ausland zu führen, und nahelegt, dass er dort über potentiell fluchtbegünstigende Kontakte verfügt. Dass er beabsichtigen könnte, sich dem Strafverfahren dorthin zu entziehen, liegt vor diesem Hintergrund jedenfalls nicht fern. Im Falle eines tatsächlichen Untertauchens des Angeschuldigten im (europäischen) Ausland wäre sein Aufenthalt dort nur schwer ermittelbar. Aufgrund dieser dem Senat bekannten Lebensverhältnisse überwiegt bei der gebotenen Gesamtwürdigung die Wahrscheinlichkeit, dass sie den Angeschuldigten nicht davon abhalten werden, sich dem weiteren Verfahren zu entziehen.

c) In Anbetracht der gegenwärtig instabilen Lebensverhältnisse des Angeschuldigten kann der Fluchtgefahr auch nicht durch die vom Landgericht beschlossenen Ersatzmaßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO wirksam begegnet werden, da diese Maßnahmen vorliegend nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit (vgl. Lind in: Löwe-Rosenberg, StPO 27. Auflage, § 116 Rn. 12; Krauß in: BeckOK StPO, 51. Edition 01.04.2024, § 116 Rn. 6, jeweils m. w. Nachw.) und damit hinreichend die Erwartung begründen, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann und der Angeschuldigte sich dem Verfahren nicht entziehen wird. Dass er seine Ausweispapiere weisungsgemäß zur Akte gereicht hat, hindert ein mögliches Absetzen ins Ausland – insbesondere innerhalb des Schengen-Raums – ebenso wenig entscheidend wie die Anweisung, die Bundesrepublik nicht zu verlassen.

Dass der Angeschuldigte auch den übrigen ihm mit dem angefochtenen Beschluss erteilten Anweisungen bislang – soweit für den Senat ersichtlich – nachgekommen ist und die tatsächlich vorhandene Möglichkeit zur Flucht nicht genutzt hat, was im Rahmen der Haftfrage für ihn sprechen kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 8. April 2019 – 3 Ws 102/19 –, juris Rn. 25; Senat, Beschluss vom 12. Juni 2023 – 5 Ws 93/23 –, m. w. Nachw.), führt zu keinem anderen Ergebnis. Dieses Wohlverhalten über einen Zeitraum von erst wenigen Wochen lässt vor dem Hintergrund des vorliegend erheblichen Fluchtanreizes, der leicht löslichen Lebensverhältnisse des Angeschuldigten und der übrigen dargelegten Umstände, die es ihm erleichtern könnten, sich der weiteren Strafverfolgung zu entziehen, aus Sicht des Senats jedoch noch nicht den hinreichend sicheren Schluss zu, dass auf ihn auch in Zukunft Verlass sein wird. Nichts anderes folgt aus der erst am 25. März 2024 aufgenommenen Tätigkeit in einer Druckerei.

2. Der Haftverschonungsbeschluss war daher aufzuheben und der Haftbefehl des Landgerichts Berlin I vom 13. März 2024 mit den aus dem Tenor ersichtlichen Maßgaben aus den vorgenannten Gründen wieder in Vollzug zu setzen.

III.

Hinsichtlich der durch die – im vollem Umfang erfolgreiche – Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Haftverschonung veranlassten Kosten und der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeschuldigten ist eine Entscheidung des Senats nicht veranlasst. Die insoweit entstandenen Rechtsmittelkosten gehören zu den Verfahrenskosten. Von seinen notwendigen Auslagen wird der Beschwerdegegner nicht entlastet (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Oktober 2015, a. a. O.).


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