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Entscheidungen

StPO

faktischer Geschäftsführer, Prokurist, Anklageschrift

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Chemnitz, Beschl. v. 15.02.2024 - 4 Qs 424/23

Eigener Leitsatz:

Für den Nachweis einer faktischen Geschäftsführertätigkeit genügt es nicht, wenn in der Anklageschrift nur die umfangreichen Tätigkeiten des Angeschuldigten, der zugleich auch Prokurist der Firma ist, beschrieben werden, wenn diese Tätigkeiten zugleich auch von einer üblichen Prokura umfasst sind.


LG Chemnitz

4 Qs 424/23

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

Rechtsanwalt Michael Stephan, Prellerstraße 17, 01309 Dresden

wegen Vorenthalten/Veruntreuen Arbeitsentgelt

ergeht am 15.02.2024
durch das Landgericht Chemnitz - 4. Strafkammer als Beschwerdekammer -
nachfolgende Entscheidung:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Chemnitz gegen den Nichteröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Chemnitz vom 05.12.2023 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft führte seit 2014 ein umfangreiches Ermittlungsverfahren gegen die beiden Angeschuldigten und zwei weitere (später abgetrennte) Personen wegen des Tatverdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und des Betruges im großen Ausmaß. Am 08.05.2020 erhob sie Anklage vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Chemnitz wegen 65 (pp.) bzw. 13 (pp.) Fällen des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt und 35 (pp.) bzw. 5 Fällen des Betruges. Als Tatzeitraum wird Januar 2013 bis Dezember 2015 (Firma pp.) und Februar 2016 bis April 2018 (Firma pp.) genannt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anklageschrift, Blatt 1107 bis 1128 der Akte, Bezug genommen.

Nach Einholung verschiedener Stellungnahmen lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 05.12.2023 die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen ab, hinsichtlich der Beitragsmonate Januar bis November 2013 zusätzlich aus rechtlichen Gründen (absolute Ver-jährung). Es führt im Wesentlichen aus, die erhobenen Beweise seien nicht geeignet, die Tat-nachweise zu führen. Die Feststellungen zu einer faktischen Geschäftsführereigenschaft des Angeklagten pp. bei den Firmen pp. und pp. seien nicht ausreichend. Ebenso wenig sei nachweisbar, dass es sich bei den Rechnungen der in der Anklage genannten Nachunternehmen um Scheinrechnungen zur Verschleierung von Schwarzlohnzahlungen gehandelt habe; insoweit sei der Sachverhalt nicht ausermittelt. Die in den Beweismittelordnern niedergelegten „Ermittlungen" begründeten allenfalls einen einfachen, jedoch keinen hinreichenden Verdacht im Sinne des § 200 StPO; es handele sich lediglich um eine Sammlung von Indizien. Auch das Sächsische Finanzgericht (5 V 1228/20) habe die Feststellungen zu den Servicefirmen und Scheinrechnungen als unzureichend angesehen. Für die Beitragsmonate bis einschließlich November 2013 sei nach der jüngeren BGH-Rechtsprechung Verfolgungsverjährung eingetreten.

Auf die weiteren Ausführungen im Beschluss vom 05.12.2023 wird Bezug genommen.

Mit Verfügung vom 13.12.2023 legte die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde gegen den Nichteröffnungsbeschluss ein. Auf die Begründung, Blatt 1402 bis 1406 der Akte, wird ebenfalls Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Kammer teilt im Wesentlichen die Auffassung des Amtsgerichts im angefochtenen Beschluss. Darüber hinaus ist folgendes anzumerken:

Soweit es die faktische Geschäftsführertätigkeit des Angeschuldigten pp. betrifft, ist der Staatsanwaltschaft Recht zu geben, dass dies lediglich für die Firma pp. zu prüfen war und für die Firma pp. nur für den Zeitraum nach dem 21.03.2018. Denn vom 31.08.2015 bis zum 21.03.2018 war pp. als formeller Geschäftsführer der Firma pp. im Handelsregister eingetragen.

Soweit das Amtsgericht die Beweisbarkeit einer faktischen Geschäftsführung unter Zugrunde-legung der vorgelegten Beweismittel verneint, schließt sich die Kammer diesen Ausführungen an. Soweit eine formelle Geschäftsführung vorlag, führt dies aus den unten (Ziffern 2. und 3.) dargelegten Gründen zu keinem anderen Ergebnis. Gleiches gilt für die formelle Geschäftsführertätigkeit des Angeschuldigten im Zeitraum 03.06.2014 bis 11.06.2015 bei der Firma pp. Der Angeschuldigte pp. war Prokurist der Firma pp.. Gemäß § 49 Absatz I HGB ermächtigt die Prokura zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt. Ausnahmen bestehen lediglich für Grundstücksgeschäfte (Absatz 2) und für höchstpersönliche Pflichten (wie z.B. die Handelsregistereintragung). Eine Prokura umfasst insbesondere die arbeitsrechtliche Vertretung des Unternehmens gegenüber den Mitarbeitern, z.B. Abschluss, Durchführung und Beendigung eines Arbeitsvertrages (vgl. MüKo 5. Aufl., Rn. 16 ff zu § 49 HGB). Insoweit sind die Aussagen der Zeuginnen pp und pp., dass der Angeschuldigte pp. die Arbeitsverträge mit ihnen abschloss und ihnen auch die Personalausweise der Arbeiter zur Ausfertigung von Arbeitsverträgen gab, kein Indiz für eine faktische Geschäftsführung. Dass der Angeschuldigte auch Vertretungshandlungen vornahm, die sich auf grundlegende Entscheidungen über die Organisation des Unternehmens bezogen, wie z.B. Änderung der Fertigungstechnik, Einführung neuer Produkte (vgl. MüKO, a.a.O), ist nicht belegt. Die Zeugin pp. hat auch ausgesagt, dass die Meldungen für die SOKA und die BG Bau durch ein Lohnbüro erfolgt seien.

Die in der Anklageschrift genannten Tätigkeiten des Angeschuldigten pp. sind sämtlich von einer üblichen Prokura umfasst. Dies gilt insbesondere auch für die Vertretung der Geschäfts-führer bei den jeweiligen Projekten (Auftragsakquise) und auf den jeweiligen Baustellen (Organisation der Arbeiter, Stundenzettel etc.). Dass dem Angeschuldigten für seine umfangreichen Tätigkeiten in dieser Stellung auch eine Kontovollmacht erteilt wurde, ist selbstverständlich und begründet gleichfalls keinen Verdachtsmoment. Das Kontoeröffnungsformular wurde von den beiden formellen Geschäftsführern unterzeichnet,pp. wurde eine Verfügungsberechtigung und eine Bankkarte erteilt (Sonderband Vermögensabschöpfung).

Ein Prokurist ist jedoch nicht automatisch faktischer Geschäftsführer. Die Feststellungen zu dem formellen Geschäftsführer pp. beschränken sich auf seinem damaligen Wohnsitz.

Aufgrund der modernen Telekommunikation ist ein Wohnsitz im Ausland aber nicht ausreichend, eine reine „Stroh-Geschäftsführung" zu beweisen. Auch der Umstand, dass sich der Angeschuldigte dem Zeugen gegenüber als „Chef' der Firma pp. ausgegeben hat und vom Zeugen pp. als „stellvertretender Chef" bezeichnet wurde, ist für sich allein kein Beweis für eine faktische Geschäftsführertätigkeit, zumal es sich bei ersterem nicht um eine Äußerung im Rechtsverkehr gehandelt haben dürfte. Der Zeuge pp. hat insoweit auch ausgesagt, dass sich pp. zwar als „Chef' bezeichnet habe, er - der Zeuge - jedoch später herausgefunden habe, dass pp. nur die Arbeitnehmer gestellt und abkassiert sowie die Preise mit pp. und der pp. ausgehandelt habe.

2. Die vorgelegten Beweismittel sind auch nicht geeignet, die Firmen pp. sämtlich und ausschließlich als Scheinfirmen ohne eigene Tätigkeit zu entlarven. Die in den Beweismittelordnern XXI und XXII angeführten „Qualifizierungen Scheineigenschaft" geben Einschätzungen des/der Sachbearbeiter wieder ("auffällig breit gefächertes Geschäftsfeld, Meldezeiträume der Arbeitnehmer sehr kurz" usw). Einzelne Indizien (z.B. teilweise identische Umsatzsteuer-Nummern mit anderen Firmen) sind nicht ausreichend für eine sichere Beweisführung.

Dass bei einer Durchsuchung der Firmenräume der pp. Ende Juni 2018 leere Räume aufgefunden wurden, beweist nicht, dass auch im Zeitraum Februar 2016 bis April 2018 keine Geschäftstätigkeit bestand.

Die Aussage des Zeugen pp. betraf ein anderes Ermittlungsverfahren, welches gegen andere Beschuldigte geführt wurde. Der dortige Tatvorwurf und die relevanten Tatzeiträume sind nicht bekannt. Die Aussage des Zeugen enthält zahlreiche Erinnerungslücken. Er gibt an, für die Firmen pp. und pp. als Eisenflechter gearbeitet zu haben, kann aber keine genauen Zeiten nennen. Er hat jedoch ausgesagt, dass auch andere, ihm nicht bekannte Subunternehmer vor Ort gewesen seien und dass die Arbeitszeiten, soweit erinnerlich, unterschiedlich gewesen wären.

Der Zeuge pp. hat zwar ausgesagt, dass es außer der bei den Bauvorhaben Chemnitz und Dresden keine Nachunternehmer gegeben hätte. Ansprechpartner sei 3 gewesen.

Der Zeuge pp. hat andererseits ausgesagt, dass die Flechter als Nachunternehmer gearbeitet hätten, wobei er nicht wisse, ob sie Subunternehmer oder Leiharbeiter gewesen seien. Er nannte auch Personen, die für pp. gearbeitet hätten ("korrupte Firma, wenig Geld").

Der Zeuge pp. hat Verträge mit Subunternehmerfirmen vorgelegt (Anlagen zur ZV vom 05.11.2019). Die Dokumente mit der pp. sind von einem pp. unterzeichnet worden.

Der Zeuge pp. gab an, eine tägliche Erfassung der Arbeiter auf der Baustelle (BV Dresden) habe nicht stattgefunden.

Der nachgereichten Aussage des Zeugen pp. kann kein nennenswerter Beweiswert zuerkannt werden. Die konkreten Zeiten (und Jahreszeiten), in der er seinen Angaben nach etwa zwei (!) Monate lang für die Firma pp. gearbeitet hat, benennt er nicht. Bei den von ihm genannten Abrissarbeiten handelt es sich um ein völlig anderes Gewerk als Bewehrungsarbeiten. Der Zeuge sagte auch aus, nie als Bauarbeiter tätig gewesen zu sein. Die von ihm gegründete Einzelfirma pp. ist weder in der Anklageschrift aufgeführt, noch kam es nach Aussage des Zeugen zu einer Zusammenarbeit mit der pp. Einen Schluss darauf, dass alle verfahrensgegenständlichen Subunternehmerrechnungen von Firmen stammen, die der Angeschuldigte pp. selbst „zum Schein" initiiert hat, gibt diese Beweislage nicht her.

Die anonymen schriftlichen und telefonischen Anzeigen sind einer Beweisverwertung nicht zugänglich.

Bei den in der Anklageschrift als „besonders bemerkenswert" auszugsweise wiedergegebenen Aussagen handelt es sich um diejenigen Aussagen, denen noch ein - wenigstens geringer - Beweiswert zuerkannt werden kann. Alle weiteren Aussagen aus dem Sonderband Verneh-mungen sind aufgrund ihrer Unbestimmtheit (hinsichtlich Zeiten, Orten, Namen etc.) nicht als Beweismittel geeignet.

Aufgrund dieser Zeugenaussagen und der sonstigen Beweismittel liegen lediglich Indizien vor, dass die Angeschuldigten pp. und pp. Schwarzarbeiter beschäftigten (z.B. pp. sei auf den Baustellen immer mit Bargeld herumgelaufen; Subunternehmer wären dem Auftraggeber und vielen der gehörten Zeugen unbekannt gewesen; solche tauchten nicht in den Bautagebüchern auf bzw. seien nicht auf der Baustelle gemeldet worden; einzelne SU-Rechnungen seien nicht plausibel). Diese Indizien reichen jedoch bei weitem nicht für eine Beweisführung im Sinne der Anklage aus.

Hinsichtlich des Angeschuldigten fehlt es darüber hinaus an jeglichem Vortrag und Beweisangebot für einen - wenigstens bedingten - Vorsatz (eigenes Handeln oder Kenntnis von den Aktivitäten des Angeschuldigten pp. Wollen bzw. zumindest billigendes in Kauf Nehmen
derselben).

3. Da für die Bestimmung des Schuldumfanges (Schadensberechnung) eine Überzeugung des Tatrichters für ein strafbares Verhalten feststehen muss (vgl. BGH, Beschluss vom 10.11.2009, 1 StR 283/09), kommt es hierauf vorliegend nicht mehr an. Es wird jedoch auf folgendes hingewiesen.

Zur Schadensberechnung wird in der Anklage auf den Schlussbericht BI. 973 ff verwiesen.
Darin wird seitens des Sachbearbeiters des Hauptzollamts ausgeführt, dass von allen mutmaßlichen Scheinrechnungen der Firmen pp. und pp. pp. als Schaden angesetzt wurden, die konkreten Beträge seien dabei von der Deutschen Rentenversicherung errechnet worden. Wörtlich: „Dies bedeutet, dass bis zum Beweis des Gegenteils vorerst 85 % der Abdeckrechnungen als Lohn angesehen werden. Hierbei handelt es sich um Nettoentgelt, das entsprechend hochzurechnen war".

Eine derartige Beweislastumkehr ist im Strafrecht - anders als teilweise im Steuerrecht - jedoch unzulässig.

Zwar hat der Bundesgerichtshof in bestimmten Ausnahmefällen eine Schätzung des Schadens zugelassen, wenn sich Feststellungen auf andere Weise nicht treffen lassen (BGH, a.a.O.). Die Parameter der Schätzgrundlage müssen jedoch tragfähig sein. Vorliegend sprechen bereits mehrere Zeugenaussagen gegen die vorgenommene Schätzgrundlage, bei der u.a. davon ausgegangen wurde, dass auf den Baustellen eine regelmäßige Arbeitszeit von 07:00 Uhr bis 17:00 Uhr bestand (BI. 968 der Akte):

Aussage des Zeugen pp.: Manchmal sei nicht gearbeitet worden wegen starker Kälte oder nur 2 Tage die Woche
Aussage des Zeugen pp.: Es wurde immer abwechselnd eine Woche gearbeitet und eine nicht.
Aussage des Zeugen pp.: Die Arbeitszeiten aus den Bautagebüchern sind nicht für alle Gewerke gleich.
Aussage des Zeugen pp.: wechselnde Arbeitszeiten, manche Woche nur 2 Tage gearbeitet.

Zum Teil ist den im Sonderband „Vernehmungen" niedergelegten Zeugenaussagen bereits nicht zu entnehmen, wann genau die Arbeiter auf welcher Baustelle und in welchem Gewerk gearbeitet haben, sodass unklar ist, ob deren Tätigkeiten überhaupt vom Anklagesatz umfasst sind.

Die in diesem Fall vorgenommene Schätzung ist daher nicht tragfähig.

4. Zur (teilweisen) Verjährung:

§ 266 a StGB sieht Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe vor. Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, beginnt die Verjährung mit der Beendigung der Tat, bei der Nichtanmeldung von Sozialversicherungsbeiträgen mit Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes (vgl. BGH, Beschluss vom 13.11.2019, 1 StR 58/19). Gemäß §§ 78 Absatz 3 Nr. 4, 78 a StGB beträgt die regelmäßige Verjährung bei dieser Norm fünf Jahre ab Beendigung. Gemäß § 78 c Absatz 3 StGB tritt - unabhängig jedweder Unterbrechungen, vorbehaltlich des (hier nicht einschlägigen) § 78 b StGB - nach 10 Jahren die absolute Verfolgungsverjährung ein. Somit ist die teilweise Nichteröffnung seitens des Amtsgerichts aus rechtlichen Gründen ebenfalls nicht zu beanstanden. Zwischenzeitlich ist hinsichtlich weiterer Beitragsmonate die absolute Verfolgungsverjährung eingetreten.

Da die Staatsanwaltschaft erfolglos Rechtsmittel eingelegt hat und die Angeschuldigten sowie ihre Verteidiger nicht am Beschwerdeverfahren beteiligt waren, ist eine Kostenentscheidung entbehrlich.


Einsender: RA M. Stephan, Dresden

Anmerkung:


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