Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Braunschweig, Beschl. v. 08.04.2024 – 1 ORs 6/24
Eigener Leitsatz:
Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO auf einen gegenüber der Anklage wesentlich verändertes Tatbild stützt, muss dem Angeklagten zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen.
OLG Braunschweig
Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
Rechtsanwalt
wegen Bestechlichkeit
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 8. April 2024 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. November 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe:
Die Revision des Angeklagten ist begründet.
I.
Nachdem der Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 16. Juli 2020 von dem Vorwurf der Bestechlichkeit freigesprochen wurde und die Staatsanwaltschaft dagegen Berufung eingelegt hatte, verwarf das Landgericht Braunschweig mit Urteil vom 18. August 2021 die Berufung. Mit Urteil vom 9. Februar 2022 hob der Senat das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. August 2021 mit den Feststellungen auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück.
Die nunmehr zur Entscheidung berufene Kammer des Landgerichts Braunschweig hat mit Urteil vom 23. November 2023 das Urteil des Amtsgerichts Wolfenbüttel aufgehoben und den Angeklagten der Bestechlichkeit schuldig gesprochen. Das Landgericht hat den Angeklagten mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30,- € belegt.
Nach den Feststellungen der Kammer haben die Ermittlungsbehörden vermutet, dass der Gefangene pp. auch aus der Haft heraus weiter Drogengeschäfte in erheblichem Umfang vornehme. Daher sei der Telefonanschluss seiner Frau im Rahmen einer genehmigten Telekommunikationsüberwachung überwacht worden. Im Rahmen dieser TKÜ-Aufzeichnung am 29. September 2018 habe die Polizei festgestellt, dass der inhaftierte Zeuge mit seinem Handy telefoniert habe. Da das Handy im Vollzug nicht gestattet sei, sei der Leiter des Sicherheitsdienstes der JVA, der Zeuge pp., informiert worden, der daraufhin angeordnet habe, den Haftraum des Gefangenen unverzüglich aufzusuchen und sofort das Handy sicherzustellen. Diesen Zugriff habe der Angeklagte mit dem weiteren Justizvollzugsbeamten und Zeugen pp. vornehmen sollen.
Im Rahmen dieser Haftraumprüfung habe der Angeklagte aufgrund eines Zahlungsangebotes von 20,- € mit dem Inhaftierten pp. eine Vereinbarung dahingehend getroffen, er (der Angeklagte) werde das Handy des Inhaftierten an sich nehmen, um es anschließend bewusst verschwinden zu lassen, oder den Inhaftierten blitzschnell in die direkt angrenzende Nasszelle rennen lassen, das Handy in der Toilette versenken und anschließend die Spülung ziehen lassen, ohne dass der Angeklagte Versuche unternehmen würde, diese Beseitigung des Handys zu verhindern, weil er ihm sein Einverständnis mit dem Belassen des Handys bzw. dessen Entsorgung signalisiert habe.
Während der Haftraumprüfung habe die Telefonverbindung (TKÜ-Aufzeichnung) noch bestanden, sodass das in der Zelle geführte Gespräch aufgenommen werden konnte.
Das der getroffenen Vereinbarung zugrundeliegende Gespräch hatte nach den Feststellungen der Kammer den folgenden Inhalt (UA Seite 7):
„Angeklagter: Mahlzeit
pp.: Hallo
Angeklagter: Na, biste am Telefonieren?
pp.: hmm
pp: Zwanni geb ich dir bis zwanzig vor....
Angeklagter: Du hast schon länger Zeit
pp.: Noch 5 Minuten, gucken sie mal an wie viel....
Angeklagter: Komm mal her!
pp.: Guck doch rein, ich hab doch nicht pp. guck doch mal hier.
Angeklagter: Komm mal her!
pp.: Ja ich komme...."
Auf der Grundlage dieses Gesprächs ging die Kammer davon aus, dass der Gefangene dem Angeklagten tatsächlich ein Angebot unterbreitet habe und der Angeklagte dieses auch angenommen habe. Die ursprünglich beabsichtigte Durchsuchung des Zeugen und die Sicherstellung des Handys habe sich seit dem Angebot für den Angeklagten erledigt (UA Seite 27). Nach der vorgenommenen Beweiswürdigung der Kammer habe der Angeklagte das Handy bereits gehabt oder er habe mit dem Gefangenen mittels Zeichen, Tuscheln, Signalen oder Gesten verabredet, dass dieser das Handy schnell in der Toilette entsorgen oder ihm zu Entsorgung übergeben könne, ohne seinen Kollegen pp., der als zweiter Beamter mit der Zellenprüfung betraut war, in diese Vereinbarung mit einzubeziehen, damit dieser nicht bösgläubig würde.
Mit Schreiben vom 8. Januar 2024, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Verteidiger des Angeklagten die gegen das Urteil zuvor am 23. November 2023 eingelegte Revision begründet und beantragt, den Angeklagten freizusprechen, hilfsweise das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an die Berufungskammer eines anderen Landgerichts zurückzuverweisen. Er hat die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 23. November 2023 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt die Ansicht, es liege bereits ein Verfahrensfehler vor, weil die Kammer einen gebotenen Hinweis nicht erteilt habe. Darüber hinaus halte auch die Beweiswürdigung einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
II.
Die statthafte Revision ist zulässig; sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 341, 344, 345 StPO).
In der Sache hat die Revision jedenfalls einen vorläufigen Erfolg, denn das Urteil leidet unter einem durchgreifenden Verfahrensmangel.
Die zulässig erhobene (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) Verfahrensrüge der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts. Das Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler (§ 337 StPO).
Die mit Eröffnungsbeschluss zugelassene Anklage hatte dem Angeklagten zur Last gelegt, sich einer Bestechlichkeit gemäß § 332 Abs. 1 StGB schuldig gemacht zu haben, indem er sich bei einer durchgeführten Haftraumkontrolle als Gegenleistung für das Belassen des Handys beim Zeugen (dem Inhaftierten pp.) und das wahrheitswidrige Mitteilen, es sei kein Handy gefunden worden, von diesem 20,- € versprechen ließ. Demgegenüber hat das Landgericht festgestellt, um 1:28:47 Uhr sei die Aufzeichnung des Gesprächs entweder deshalb abgebrochen, weil der Angeklagte aufgrund des Zahlungsangebotes das Handy an sich genommen habe, um es anschließend bewusst verschwinden zu lassen oder pp. blitzschnell in die direkt angrenzende Nasszelle gerannt sei, das Handy in der Toilette versenkt habe und anschließend die Spülung gezogen habe, ohne dass der Angeklagte Versuche unternommen hätte, diese Beseitigung des Handys zu verhindern, weil er dem Zeugen pp. sein Einverständnis mit dem Belassen des Handys bzw. dessen Entsorgung signalisiert habe.
Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der prozessualen Tat im Sinne des § 264 StPO auf einen gegenüber der Anklage wesentlich verändertes Tatbild stützt, muss dem Angeklagten zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen (Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 265 Rn. 52; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 66. Auflage 2023, § 265 Rn. 23 m.w.N.). Dies dient insbesondere dem schutzwürdigen Verteidigungsinteresse des Angeklagten.
Eine wesentliche Veränderung des Tatbildes lag vor. Die Verteidigungsmöglichkeiten des Angeklagten waren ohne den erfolgten Hinweis erheblich eingeschränkt. Er ist zu keinem Zeitpunkt darauf hingewiesen worden, dass das An-sich-Nehmen des Telefons zur Entsorgung für das Landgericht als alternatives Tatverhalten in Betracht kommen würde. Die Annahme dieses alternativen Tatverhaltens ergibt sich auch nicht durch den Gang der Hauptverhandlung. Das Urteil beruht auf diesem Verfahrensfehler. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil des Landgerichts nach erfolgtem Hinweis und ggf. weiterem Verteidigervorbringen anders ausgefallen wäre. Hätte der Angeklagte Kenntnis von der Annahme eines alternativen Tatverhaltens gehabt, hätte er vorbringen können, dass ihm ein Verschwindenlassen des Handys in der konkreten Situation aufgrund der Kontrollmechanismen in der Justizvollzugsanstalt und des konkreten Ablaufs am Tattag gar nicht möglich gewesen wäre. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kammer dann nicht zur Verurteilung gelangt wäre.
Wegen des dargelegten Verfahrensfehlers ist das Urteil schon auf die Verfahrensrüge mitsamt den Feststellungen nach § 353 StPO aufzuheben, sodass es auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr ankam. Die Sache ist gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere kleine Strafkammer zurückzuverweisen. Für eine Anwendung von § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO und die Verweisung an das Landgericht Göttingen sieht der Senat keinen Anlass. Zwar kann grundsätzlich ein besonderer öffentlicher oder kollegialer Druck am bisherigen Gerichtsort für eine solche Vorgehensweise sprechen (MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl. 2019, StPO § 354 Rn. 90), konkrete Anhaltspunkte diesbezüglich liegen jedoch nicht vor. Dass der Zeuge in der Lokalpresse erwähnt wird, genügt für die Annahme nicht.
Die Entscheidung über die Kosten der Revision ist dem Landgericht vorbehalten, weil der endgültige Erfolg des Rechtsmittels derzeit nicht absehbar ist.
Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig
Anmerkung: