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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Entpflichtung, Verhinderung des Pflichtverteidigers, Ermessen des Vorsitzenden

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bremen, Beschl. v. 30.01.2024 - 1 Ws 8/24

Eigener Leitsatz:

1. Einem bereits verteidigten Angeklagten ist auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung kein Pflichtverteidiger beizuordnen.
2. Abweichend von dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft, gilt für die Prüfung der Bestellung eines weiteren Verteidigers nach § 144 StPO, dass dem Vorsitzenden des Gerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht.
3. Zur Ausübung des Ermessens durch den Vorsitzenden des bzw. das Erstgericht.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen
1 Ws 8/24

Beschluss

In der Strafsache

gegen pp1.
pp2.
Verteidiger:

wegen versuchten Betruges

hat der 1. Strafsenat durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht pp., den Richter am Oberlandesgericht pp. und den Richter am Landgericht pp. am 30. Januar 2024 beschlossen:

I. Auf die sofortige Beschwerde der Angeklagten pp. vom 15.01.2024 wird der Beschluss der Strafkammer 63 (Kleine Strafkammer) des Landgerichts Bremen vom 02.01.2024 aufgehoben.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Angeklagten in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Bremen hat die seit dem Jahr 2019 von Rechtsanwalt pp. verteidigte Angeklagte nach eintägiger Hauptverhandlung, in der ein Sachverständiger und zwei Zeugen vernommen wurden, am 02.06.2021 zusammen mit einem ebenfalls verteidigten Mitangeklagten wegen versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je EUR 10,00 verurteilt. Gegen dieses Urteil legte die Angeklagte Berufung ein, worauf die Akten am 05.08.2021 dem Landgericht Bremen vorgelegt wurden. Am 23.11.2021 beraumte das Landgericht Termin zur Berufungshauptverhandlung am 07.04.2022 an. Dieser Termin wurde durch das Landgericht jedoch am 01.04.2022 aus verschiedenen Gründen aufgehoben. In der Folge versuchte das Landgericht erfolglos durch mehrere Abfragen von Verhinderungsterminen bei den Verteidigern und dem Sachverständigen einen weiteren Termin für die Durchführung der Hauptverhandlung zu finden. Nachdem sich im November 2023 gezeigt hatte, dass am 15.02.2024 zumindest der Verteidiger des Mitangeklagten und der Sachverständige zur Ver-fügung stünden, beraumte das Landgericht für diesen Tag Termin zur Hauptverhandlung an und wies die Angeklagte darauf hin, dass Rechtsanwalt pp. an diesem Termin verhindert sei und die Angeklagte daher binnen zwei Wochen einen weiteren Verteidiger benennen solle, der ihr als Pflichtverteidiger beigeordnet werde. Hierauf meldete sich die Angeklagte nicht. Mit dem angefochtenen Beschluss vom 02.01.2024 ordnete das Landgericht der Angeklagten daraufhin Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger bei. Zur Begründung bezog sich das Landgericht auf § 140 Abs. 2 StPO und die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage.

Am selben Tage verfügte die Vorsitzende der Kleinen Strafkammer die formlose Bekanntgabe des Beschlusses u.a. an die Angeklagte und ihren Verteidiger. Die Verfügung wurde am 08.01.2024 ausgeführt. Am 15.01.2024 legte die Angeklagte mit Schriftsatz ihres Verteidigers sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts ein.

Die sofortige Beschwerde der Angeklagten ist zulässig, insbesondere ist sie gern. § 306 Abs. 1 StPO form- und gern. § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegt. Auf die Frage eines etwaigen Zustellungsmangels (§ 35 Abs. 2 StPO) kommt es für die Fristwahrung nicht an, da der Beschluss der Angeklagten und ihrem Verteidiger jedenfalls nicht vor dem 08.01.2024 bekannt gemacht worden sein kann und die am 15.01.2024 beim Landgericht eingegangene sofortige Beschwerde der Angeklagten daher die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO wahrt. Die sofortige Beschwerde ist zudem gern. §§ 142 Abs. 7, 144 Abs. 2 S. 2 StPO statthaft.

II.

Die Beschwerde ist auch begründet. Soweit, das Landgericht sich zur Begründung des Beschlusses auf § 140.Abs. 2 StPO bezieht, steht der Bestellung eines Pflichtverteidigers bereits der Umstand entgegen, dass die Angeklagte seit Beginn des Verfahrens im Jahr 2019 über einen Wahlverteidiger, Rechtsanwalt pp. verfügt. Wie sich ausdrücklich aus § 141 StPO ergibt („... und der noch keinen Verteidiger hat ...““), ist einem bereits verteidigten Angeklagten auch bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung kein Pflichtverteidiger beizuordnen.

Die Beiordnung rechtfertigt sich auch nicht aus § 144 Abs. 1 StPO. Gem. § 144 Abs. 1 StPO können einem Beschuldigten in Fällen der notwendigen Verteidigung zu seinem gewählten oder einem gemäß § 141 StPO bestellten Verteidiger bis zu zwei Pflichtverteidiger zusätzlich bestellt werden, wenn dies zur Sicherung der zugigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfangs oder Schwierigkeit, erforderlich ist. Abweichend von dem Grundsatz, dass das Beschwerdegericht an die Stelle des Erstgerichts tritt und eine eigene Sachentscheidung trifft, gilt für die Prüfung der Bestellung eines weiteren Verteidigers, dass dem Vorsitzenden des Gerichts ein nicht voll überprüfbarer Beurteilungs- und Ermessensspielraum zusteht. Das Beschwerdegericht hat daher nicht seine Beurteilung, wie die Hauptverhandlung zu gestalten ist, damit sie dem Beschleunigungsgrundsatz genügt, an die Stelle derjenigen des Vorsitzenden zu setzen. Es ist in seiner Prüfung vielmehr darauf beschränkt zu prüfen, ob der Vorsitzende des Erstgerichts die Grenzen seines Beurteilungsspielraums zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO eingehalten und sein Entscheidungsermessen („können") fehlerfrei ausgeübt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2020 — StB 23/20, juris Rn. 15 ff., NJW 2020, 3736, 3737). Daran fehlt es im vorliegenden Fall, denn das Landgericht hat die im Rahmen des § 144 Abs. 1 StPO erforderliche Ermessenentscheidung nicht getroffen, sondern hat seine Entscheidung vielmehr ausschließlich mit den Voraussetzungen von § 140 Abs. 2 StPO begründet. Einer eingehenden Begründung hätte es insbesondere deshalb bedurft, weil der Umstand, dass ein Wahlverteidiger aus terminlichen. Gründen verhindert, ist, eine Hauptverhandlung wahrzunehmen, bereits für sich noch keine Erforderlichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers begründet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 144 Rn. 4 m.w.N. aus der Rspr.). Dies gilt um so mehr, wenn -- wie hier— ein Fall der sog. Zwangspflichtverteidigung vorliegt, bei dem von einer restriktiven Auslegung des § 144 StPO auszugehen ist, da die Bestellung eines zusätzlichen Verteidigers dann allein im Interesse der Verfahrenssicherung erfolgt, das zumindest nicht eo ipso über die Autonomie des Beschuldigten gestellt werden darf (vgl. Jahn in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27., neu bearbeitete Auflage, § 144 StPO, Rn. 9) Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand besondere Bedeutung zu, dass die Abstimmung eines Hauptverhandlungstermins nicht allein an einer übermäßigen Verhinderung von Rechtsanwalt pp. gescheitert ist, auch wenn dieser in einem anderen Verfahren, erheblich gebunden ist, sondern jedenfalls ebenso an den Verhinderungen des Sachverständigen.


Einsender: RA F. Burgsmüller, Bremerhaven

Anmerkung:


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