Gericht / Entscheidungsdatum: LG Amberg, Beschl. v. 12.04.2024 - 11 Qs 87/23
Eigener Leitsatz:
Der Beginn der Frist für den Antrag auf einen Pflichtverteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO setzt voraus, dass der Beschuldigte auf die Frist bzw. die Möglichkeit der Auswechslung des Verteidigers hingewiesen worden ist.
Landgericht Amberg
11 Qs 87/23
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
wegen Trunkenheit im Verkehr
erlässt das Landgericht Amberg - 1. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 12. April 2024 folgenden
Beschluss
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Schwandorf vom 02.08.2023 aufgehoben.
2. Rechtsanwalt pp. wird unter gleichzeitiger Aufhebung der Bestellung von Rechtsanwalt Dr. pp. zum Pflichtverteidiger bestellt.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe:
I.
In dem Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 2, Abs. 1 StGB wurde diesem mit Verfügung vom 04.01.2023 binnen einer Woche Gelegenheit gegeben, einen Rechtsanwalt zu benennen, um diesen als Pflichtverteidiger zu bestellen. Das mit der entsprechenden Aufforderung versehene Schreiben wurde formlos an den Beschwerdeführer versandt. Der Beschwerdeführer meldete sich daraufhin nicht beim Amtsgericht.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Schwandorf vom 01.02.2023 wurde Rechtsanwalt Dr. pp. als Pflichtverteidiger bestellt. Der Beschluss konnte dem Beschwerdeführer zunächst an der Adresse in pp. nicht zugestellt werden, eine Zustellung gelang erst am 24.02.2023 unter dessen aktueller Adresse in pp. Dem Beschluss war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, allerdings keinen Hinweis auf die Frist nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO.
Mit beim Amtsgericht Schwandorf am 06.07.2023 eingegangenem Schriftsatz vom 30.06.2023 zeigte Rechtsanwalt pp. die Verteidigung des Beschwerdeführers an und beantragte, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen.
Am 02.08.2023 lehnte das Amtsgericht Schwandorf den Antrag des Verteidigers pp. auf Pflichtverteidigerbestellung ab. Der entsprechende Beschluss, auf den wegen seines Inhalts verwiesen wird, wurde dem Verteidiger pp. am 09.08.2023 zugestellt.
Mit am 11.08.2023 beim Amtsgericht Amberg eingegangenem Schriftsatz vom selben Tag legte der Verteidiger pp. gegen den vorgenannten Beschluss vom 02.08.2023 sofortige Beschwerde ein.
Die Staatsanwaltschaft Amberg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist, da der Antrag des Verteidigers pp. vom 30.06.2023 auf Bestellung als Pflichtverteidiger in der konkreten Fallgestaltung letztlich auch auf einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO gerichtet ist und das Erstgericht in seinem Beschluss vom 02.08.2023 zugleich auch darüber entschieden hat, dass Gründe für eine Auswechslung des Pflichtverteidigers nicht vorlägen, gemäß § 143a Abs. 4 StPO zulässig.
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
Die Voraussetzungen für einen Verteidigerwechsel nach § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO liegen vor.
Die nach § 142 Abs. 5 S. 1 StPO zu bestimmende Frist ist auch dann zu kurz im Sinne von § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO bemessen, wenn der Zugang des gerichtlichen Schreibens mit der Aufforderung zur Benennung eines Rechtsanwalts nicht nachgewiesen werden kann (LG Gera 2023, 9565).
Vorliegend wurde das Schreiben mit der Aufforderung lediglich formlos an den Beschwerdeführer versandt. Dessen ungeachtet ergibt sich aber auch aus der Akte, dass die seinerzeit noch ver-wendete Adresse nicht mehr aktuell war, sodass eine Zustellung an den Beschwerdeführer dar-über ohnehin nicht hätte erfolgen können.
Die 3-Wochen-Frist des § 143a Abs. 2 Nr. 1 StPO war zum Zeitpunkt des Antrags vom 30.06.2023 noch nicht angelaufen.
Dem Beschluss vom 02.08.2023 fehlte es nämlich an einem entsprechenden Hinweis auf die Frist bzw. die Möglichkeit der Auswechslung des Verteidigers. Zwar handelt es sich bei dem Antrag nach § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO nicht um ein Rechtsmittel im engeren Sinne, da dieser nicht auf die Anfechtung der Bestellung des Pflichtverteidigers, sondern zukunftsgerichtet auf die Auswechslung desselben gerichtet ist. Jedoch gebietet eine entsprechende Anwendung des § 35a Abs. 1 Satz 1 StPO die Belehrung über die Möglichkeit der Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist. Eine solche Belehrung ist zwingend erforderlich, um dem Recht des Beschuldigten auf Auswechslung des Pflichtverteidigers Geltung zu verschaffen. Denn es entstünde sonst mit der Bestellung des Verteidigers für den Beschuldigten der Eindruck einer abschließenden Entscheidung, zumal eine Belehrung über die sofortige Beschwerde aufgrund Entfallens derselben infolge der Möglichkeit der Stellung eines Antrags auf Auswechslung nicht erfolgt, § 142 Abs. 7 Satz 2 StPO (OLG Koblenz, Beschluss vom 28.10.2020 - 4 Ws 639/20). Der Antrag auf Auswechslung ist daher mangels Fristbeginn weiterhin zulässig. Einer Geltendmachung dieses Rechts steht auch nicht etwa eine widerspruchslose Hinnahme der Verteidigung durch den bisher bestellten Pflichtverteidiger über einen wesentlichen Zeitraum entgegen (OLG Koblenz aaO).
Schließlich ist auch kein wichtiger Grund ersichtlich, der eine Auswechslung des Pflichtverteidigers hindert.
Rechtsanwalt Dr. pp. war daher von der Pflichtverteidigerbestellung zu entbinden und statt
seiner Rechtsanwalt pp. als Pflichtverteidiger zu bestellen.
3. Die Kosten- und Auslagenentscheidung gründet sich auf § 467 Abs. 1 StPO analog.
Einsender: RA Jörg Jendricke, Amberg,
Anmerkung:
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