Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 09.04.2024 - 5 Ws 19/24
Leitsatz des Gerichts:
Die "nicht geringe Menge" in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG ist bei einer Menge von Cannabisprodukten erfüllt, deren Wirkstoffanteil bei mindestens 7,5 g THC liegt. Veränderungen an diesem vom Bundesgerichtshof zum BtMG festgelegten Grenzwert der "nicht geringen Menge" bei Cannabisprodukten sind durch die geänderte Gesetzeslage seit Inkrafttreten des KCanG zum 1. April 2024 nicht veranlasst.
5 Ws 19/24
In pp.
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2023 in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Hamburg, vom 18. März 2024, wird auf Kosten des Beschwerdeführers mit der Maßgabe verworfen, dass der Haftbefehl dahingehend abgeändert wird, dass
- der Angeklagte dringend verdächtig ist, gemeinschaftlich gewerbsmäßig unerlaubt mit Cannabis Handel getrieben zu haben;
- es zu den angewendeten Vorschriften lautet: Vergehen, strafbar gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr.1, Nr. 4 KCanG, § 25 Abs. 2 StGB.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg – Ermittlungsrichter – vom 13. Juni 2023, der am selben Tag verkündet worden ist, in Untersuchungshaft in der Untersuchungshaftanstalt Hamburg. Mit dem vorgenannten Haftbefehl wird dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemeinschaftlich unerlaubt Handel getrieben zu haben (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB). Das Amtsgericht Hamburg hat den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 1 Nr. 2 StPO) bejaht.
Das Amtsgericht Hamburg-Wandsbek hat den Beschwerdeführer am 4. Oktober 2023 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, § 25 Abs. 2 StGB) zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Zugleich hat es die Fortdauer der Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls vom 13. Juni 2023 aus fortbestehenden Haftgründen nach Maßgabe der Verurteilung angeordnet. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts handelte der Beschwerdeführer mit 72,01 g Marihuana mit einer Gesamtmenge von 10,21g Tetrahydrocannabinol (im nachfolgenden THC). Strafschärfend ist die festgestellte gewerbsmäßige Begehung berücksichtigt worden.
Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Beschwerdeführer haben gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt, wobei die Staatsanwaltschaft die Berufung mit der Berufungsrechtfertigungsschrift auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte.
Das Landgericht hat die Berufungen der Staatsanwaltschaft und des Beschwerdeführers mit Urteil vom 18. März 2024 verworfen und zugleich den Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer vom 13. Juni 2023 nach Maßgabe der Verurteilung aufrechterhalten. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor. Der Beschwerdeführer hat über seinen Verteidiger Revision eingelegt.
Er wendet sich mit seiner Beschwerde vom 25. März 2024 gegen den Haftfortdauerbeschluss der Kammer. Nach den Neuerungen durch Inkrafttreten des Konsumcannabisgesetzes am 1. April 2024 sei eine deutlich geringere Strafe nach Durchführung des Revisionsverfahrens zu verhängen. Es sei nicht zu erwarten, dass der sich seit über neun Monaten in Untersuchungshaft befindende Beschwerdeführer zu einer diesen Zeitraum überschreitenden Freiheitsstrafe verurteilt würde, weshalb die Haftfortdauer unverhältnismäßig sei.
Das Landgericht hat der Haftbeschwerde nicht abgeholfen. Insbesondere sei mit einer Herabsetzung der Freiheitsstrafe auch nach den erwarteten Neuerungen des Cannabisgesetzes (zum Zeitpunkt der Nichtabhilfeentscheidung war der Zeitpunkt des Inkrafttretens noch unklar) nicht zu rechnen. Ergänzend zu den in dem Haftbefehl vom 13. Juni 2023 aufgeführten Umständen habe eine über das Amt für Migration eingeholte Auskunft ergeben, dass sich der vollziehbar ausreisepflichtige, im Juni 2022 illegal eingereiste Beschwerdeführer im Asylverfahren als unwillig zur Zusammenarbeit mit den Behörden gezeigt habe, woraufhin das Asylverfahren – bestandskräftig – eingestellt worden sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Insbesondere sei angesichts der Schwere des Tatvorwurfs der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig, obgleich nach geänderter Rechtslage ein Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge nicht mehr vorliegen dürfte. Insoweit sei im Lichte der legalisierten Mengen der bisherige Grenzwert (von 7,5 g THC) auf 15 g THC zu verdoppeln.
Der Senat hat die Ausführungen in dem Schriftsatz des Verteidigers vom 5. April 2024 gewürdigt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 304 Abs. 1, 306 Abs. 1 StPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg, da die Voraussetzungen der Untersuchungshaft fortbestehen.
1. Gegen den Angeklagten besteht der dringende Tatverdacht,
in Hamburg am 12. Juni 2023
gemeinschaftlich gewerbsmäßig mit Cannabis in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben,
indem er
in der Absicht, sich durch fortgesetzten unerlaubten Umgang mit Cannabis eine Einnahmequelle einigen Umfangs und einiger Dauer zu verschaffen, im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem ehemals Mitangeklagten A. – in der Berufungsinstanz rechtskräftig verurteilt – gegen 20:15 Uhr in der Gubener Straße 1, 22043 Hamburg an den gesondert Verfolgten M. einen Gripbeutel mit Marihuana für 20,- Euro verkaufte, wobei der Angeklagte das Umfeld beobachtete und die Verkaufshandlung des ehemals Mitangeklagten A., der sich mit dem Erwerber zur Übergabe in ein Gebüsch begab, absicherte und der Angeklagte und der ehemals Mitangeklagte im Gebüsch zwei Plastikbehälter und in einem Gullydeckel in unmittelbarer Nähe eine Papiertüte mit insgesamt 54 Gripbeuteln Marihuana (110 g brutto) zum gewinnbringenden Weiterverkauf lagerten. Daneben führte der ehemals Mitangeklagte A. 160,- Euro in szenetypischer Stückelung als Gewinn aus den Betäubungsmittelgeschäften bei sich.
Der Angeklagte hat sich damit hochwahrscheinlich wegen eines
Vergehens gemäß § 34 Abs. 1, Abs. 3 S. 2 Nr.1, Nr. 4 KCanG, § 25 Abs. 2 StGB, strafbar gemacht.
2. Das Beschwerdegericht hatte angesichts der seit 1. April 2024 geänderten Rechtslage und damit geänderten rechtlichen Bewertung der Tat den Haftbefehl des Amtsgerichts Hamburg vom 13. Juni 2023 in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses der Kammer durch ergänzenden Beschluss im tenorierten Umfange anzupassen, § 114 Abs. 2 StPO.
3.a) Der Angeklagte ist der haftbefehlsgegenständlichen Tat dringend verdächtig. Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis in seiner Gesamtheit eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte - nach dem Stand der Ermittlungen zum Zeitpunkt der Haftentscheidung - als Täter oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat. So liegt es hier. Die Verurteilung durch das Berufungsgericht weicht insbesondere auch nicht vom Vorwurf des Haftbefehls des Amtsgerichts vom 13. Juni 2023 ab, so dass dem Beschwerdegericht auch bei schlichtem Verweis auf die noch nicht vorliegenden schriftlichen Urteilsgründe eine Nachprüfung möglich ist. Die lediglich rechtliche Neubewertung ab 1. April 2024 steht bei unveränderter Tatsachengrundlage nicht entgegen. a. Ist bereits eine noch nicht rechtskräftige Verurteilung ausgesprochen, so ist für die Annahme des dringenden Tatverdachts vor allem auf die Würdigung im Urteil zurückzugreifen. Wird der Angeklagte verurteilt, so setzt die gleichzeitige Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß § 268b StPO keine gesonderte Prüfung und Begründung des dringenden Tatverdachts voraus; denn dieser wird bereits durch die verurteilende Erkenntnis hinreichend belegt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2004 - 2 StE 4/02-5 - StB 20/03 = StV 2004, 142). Nachdem das Berufungsurteil vorliegend auf die Revision des Beschwerdeführers lediglich auf Rechtsfehler zu überprüfen sein wird (§ 337 StPO) unterliegt die Bewertung des dringenden Tatverdachts einer entsprechend eingeschränkten Überprüfung durch das Beschwerdegericht.
b) Das haftbefehlsgegenständliche Geschehen erfüllt den Tatbestand des unerlaubten Handels mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) sowie die für die Annahme eines besonders schweren Falles normierten Regelbeispiele der Gewerbsmäßigkeit (§ 34 Abs. 3 Nr. 1 KCanG) und des Handels mit einer "nicht geringen Menge" (§ 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG).
aa) Bei Marihuana handelt es sich um ein Produkt der Cannabispflanze, das nach den Begriffsbestimmungen des KCanG als "Cannabis" erfasst wird (§ 1 Nr. 4 KCanG).
bb) Das vorgeworfene Tatgeschehen stellt sich auch als "Handeltreiben" im Sinne der Neuregelung dar. Die in § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG gewählte Bezeichnung der Tathandlung als "Handeltreiben" unterscheidet sich begrifflich nicht von derjenigen des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 3. Var. BtMG; auch hinsichtlich des Verbotszwecks sind Unterschiede nicht ersichtlich. Vielmehr handelt es sich insoweit offensichtlich um eine Übernahme des Regelungsregimes des BtMG, so dass die Grundsätze, die von der Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs des Handeltreibens i.S.d. § 29 Abs. 1 S.1 Nr.1 BtMG entwickelt wurden, auf § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG übertragen werden können (so auch die Regierungsbegründung, vgl. BT-Drs. 20/8794, S. 94).
cc) Entsprechendes gilt für das in § 34 Abs. 3 Nr. 1 KCanG normierte Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit, so dass auch insoweit davon auszugehen ist, dass gerwerbsmäßig handelt, wer die Absicht hat, sich durch wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (st. Rspr. zu § 29 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 BtMG, vgl. die Nachweise bei Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, Rn. 1644 zu § 29 BtMG). Diese Voraussetzungen erfüllt das haftbefehlsgegenständliche Tatgeschehen, insbesondere im Hinblick auf die vorausgegangene Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vom 22. März 2023 und die vorliegend festgestellten Tatmodalitäten, die beinhalten, dass der Beschwerdeführer und der Mitangeklagte A. das Marihuana in insgesamt 54 Gripbeuteln, verteilt auf verschiedene Depots, zum Verkauf bereit hielten.
dd) Zudem ist das in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG normierte Regelbeispiel des Handels mit Cannabis in "nicht geringer Menge" vorliegend erfüllt. Der Gesetzgeber hat dabei von der Möglichkeit, den Begriff der "nicht geringen Menge" cannabisspezifisch zu definieren, keinen Gebrauch gemacht und hat insbesondere keine Konkretisierung durch einen Grenzwert vorgenommen. Stattdessen hat er die Bestimmung eines solchen Wertes ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen (vgl. BT-Drs. 20/8704, S. 132). Der Senat geht davon aus, dass der Grenzwert für die nicht geringe Menge Cannabis – wie zuvor unter dem Regelungsregime des BtMG – bei einer Cannabismenge vorliegt, deren Wirkstoffanteil bei mindestens 7,5 g THC liegt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
(1) Auch unter Geltung des BtMG war die nähere Bestimmung der "nicht geringen Menge" der Rechtsprechung überlassen. Diese Bestimmung hat der BGH in seinem Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84 (NJW 1985, 1404) dahingehend vorgenommen, dass der Grenzwert bei einer Mindestwirkstoffmenge von 7,5 g THC erreicht ist. Auf einen Vorlagebeschluss des Schleswig-Holsteinischen OLG hat der BGH diese Grenzziehung mit Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95 (NJW 1996, 794) bestätigt und gegen Einwände verteidigt. Diesen Entscheidungen lag die Erwägung zugrunde, dass der Grenzwert für die "nicht geringe Menge" eines bestimmten Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Intensität festzulegen ist. Maßgeblich ist danach zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs. Lässt sich eine solche Dosis – wie bei Cannabis – sachverständig nicht oder nicht hinreichend sicher feststellen, so errechnet sich der Grenzwert ausgehend von der Menge einer durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss der Droge gewöhnten Konsumenten als ein Vielfaches dieses Wertes, wobei das Maß der Vervielfachung nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst gesundheitsschädigenden Potentials zu bestimmen ist. Der BGH ist insoweit – sachverständig beraten – davon ausgegangen, dass eine durchschnittliche Konsumeinheit Cannabis bei einer THC-Menge von 15 mg anzusetzen ist. Als Maß der Vervielfachung dieses Wertes hat der BGH in den vorgenannten Entscheidungen den Faktor 500 gewählt, wobei der Wahl dieses Faktors ein Abgleich mit der – als weitaus höher angenommenen und mit dem Faktor 150 bemessenen – Gefährlichkeit von Heroin zugrunde liegt (vgl. im Einzelnen BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, unter I.1.d) der Urteilsgründe). Dies führt zu einer Menge von 500 x 15 mg, mithin 7,5 g. Soweit der BGH sich zur Bemessung des Faktors der Vervielfachung auf Fragen der Gefährlichkeit gestützt hat, ist er im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 9. März 1994 – 2 BvL 43/92 (BVerfGE 90, 145 ff.) von Folgendem ausgegangen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 1995 – 3 StR 245/95, Rn. 16 bis 18):
"Danach wird eine körperliche Abhängigkeit von Cannabis wohl nicht hervorgerufen; die unmittelbaren gesundheitlichen Schäden bei mäßigem Genuss werden als eher gering angesehen. Jedoch wird die Möglichkeit einer psychischen Abhängigkeit kaum bestritten, wenn auch das Suchtpotential der Cannabisprodukte zu Verhaltensstörungen, Lethargie, Gleichgültigkeit, Angstgefühlen, Realitätsverlust und Depressionen führen; gerade das vermag die Persönlichkeitsentwicklung von Jugendlichen nachhaltig zu stören. [...] Hinzu kommen die durch Cannabisgebrauch für die Sicherheit des Straßenverkehrs entstehenden Gefahren. [...] Neben typischen Rauschverläufen werden [...] nach gesicherten Erkenntnisses der medizinischen Wissenschaft auch atypische Rauschverläufe beschrieben "mit psychopathologischen Störungen wie z.B. Angst, Panik, innere Unruhe, Verwirrtheit, Halluzinationen, Größenverzerrungen", [...] die also auch schon bei einem einzigen Rausch auftreten können".
Dieser vom BGH vorgenommenen Grenzziehung für die "nicht geringe Menge" Cannabis i.R.d. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist die Instanzrechtsprechung praktisch ausnahmslos gefolgt, so dass bislang von einer insoweit gefestigten Rechtslage ausgegangen werden konnte.
(2) Der Senat sieht keinen Anlass, durch die Neuregelung in § 34 KCanG Veränderungen an dieser Grenzziehung vorzunehmen. Die Regelung in § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG knüpft hinsichtlich des Wortlauts ohne jegliche Änderungen an die Regelung in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG an. Auch das Ziel der Regelung entspricht derjenigen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG. Die Intention des Gesetzes besteht ausweislich der Regierungsbegründung darin, eine kontrollierte und kontrollierbare Qualität der Cannabisprodukte zum Schutz von Konsumenten und so insgesamt einen verbesserten Gesundheitsschutz zu erreichen. Hierzu sollen der illegale Markt eingedämmt sowie die cannabisbezogene Aufklärung und Prävention gleichsam mit dem Kinder- und Jugendschutz gestärkt werden (vgl. BT-Drs. 20/8704, S. 1). Das Ziel der strafschärfenden Berücksichtigung des Handels mit einer nicht geringen Menge Cannabis liege darin, dass hierdurch "insbesondere gefördert wird, dass Cannabis in einem nicht geringen Ausmaß illegal in den Verkehr kommt bzw. in ihm bleibt". Es geht mithin – wie im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – um die Verhinderung eines erhöhten Gefahrenpotentials, das sich aus der Ansammlung einer erhöhten (und unkontrollierten) Drogenmenge ergibt (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, Rn. 35 zu § 29a BtMG m.w.N.).
Wohl lässt sich dem Gesetz entnehmen, dass der Gesetzgeber den Handel mit Cannabis in nicht geringer Menge nunmehr für weniger strafwürdig hält als vormals unter Geltung des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, denn dies folgt bereits daraus, dass die Mindeststrafe von vormals einem Jahr auf nunmehr drei Monate Freiheitsstrafe abgesenkt wurde. Daraus ergeben sich aber keine Folgerungen für die Frage, ab welcher Mengengrenze der Handel mit Cannabis der gegenüber dem Grundtatbestand verschärften Strafandrohung des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG unterliegen soll.
Soweit die Gesetzesbegründung die Erwartung an die Rechtsprechung formuliert, dass der konkrete Wert einer nicht geringen Menge "aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln" sein werde, und dass man "im Lichte der legalisierten Mengen an der bisherigen Definition der nicht geringen Menge nicht mehr festhalten" könne, der Grenzwert also im Ergebnis "deutlich höher liegen [müsse] als in der Vergangenheit" (BT-Drs. 20/8704, S. 132), folgt der Senat dem nicht. Die Regierungsbegründung verhält sich nicht klar dazu, worin die "geänderte Risikobewertung" von Cannabis liegt. Wie oben ausgeführt, beruht die vom BGH vorgenommene Festlegung der Grenze auf 7,5 g THC auf einer bestimmten, auch sachverständig vermittelten Einschätzung der Menge einer Konsumeinheit und der Gefährlichkeit von Cannabis. Dass sich an diesen wissenschaftlichen Grundlagen der Einschätzung etwas geändert hätte, ist weder dem KCanG selbst, noch den zur Auslegung heranzuziehenden Gesetzesmaterialien zu entnehmen. Auf die (unveränderten) Gesundheitsrisiken weist die Regierungsbegründung schließlich auch hin (BT-Drs. 20/8704, S. 68):
"Wie bei anderen psychoaktiven Substanzen auch, ist der Konsum von Cannabis mit gesundheitlichen Risiken, wie beispielsweise cannabisinduzierte Psychosen, verbunden. [...] Beim Konsum von Cannabis sind junge Altersgruppen besonderen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Solange die Gehirnentwicklung noch nicht vollständig abgeschlossen ist, kann die Gedächtnisleistung nachhaltig beeinträchtigt werden. Dies gilt insbesondere bei einem früh einsetzenden regelmäßigen Konsum und bei einem Konsum von Cannabis mit einem hohen THC-Gehalt. Zudem bringt regelmäßiger Konsum im jungen Alter besondere gesundheitliche Risiken mit sich".
Auch "im Lichte der legalisierten Mengen" (BT-Drs. 20/8704, S. 132) muss der durch den BGH zum BtMG wirkstoffbezogen festgelegte Grenzwert von 7,5 g THC für die "nicht geringe Menge" an Cannabis nicht geändert, gar erhöht werden, um die mit dem KCanG bezweckte Entkriminalisierung des Besitzes von Cannabis - bis zu einer Menge von 25 g bzw. 50 g Cannabis (§ 3, § 1 Nr. 16 KCanG) - zu erreichen. Soweit argumentiert wird, dass die Grenze zur nicht geringen Menge einen Abstand zu den erlaubten Besitzmengen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) wahren müsse, ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die vorbenannten Besitzmengen gerade nicht wirkstoffbezogen festgelegt hat. In Anbetracht der vorkommenden Variationsbreite beim Wirkstoffgehalt werden in der Praxis regelmäßig (strafbare) Besitzmengen vorkommen, deren THC-Gehalt den Grenzwert von 7,5 g THC unterschreiten, so dass gegen die hier vorgenommene Grenzziehung nicht eingewandt werden kann, dass der Besitz einer gerade eben strafbaren Menge Cannabis – also geringfügig mehr als 60 g – stets auch das Regelbeispiel des § 34 Abs. 3 Nr. 4 KCanG verwirklicht.
Das KCanG bezweckt zudem lediglich, den Konsumenten zu privilegieren. Demgegenüber bleibt das Handeltreiben mit Cannabis strafbar, ohne dass es hierfür einer Mindestmenge bedarf.
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass sich die zitierte Erwartung des Gesetzgebers, dass eine Neufestlegung des Grenzwerts geboten sei, die zudem zu einem deutlich höheren Wert führen müsse, keinen hinreichenden Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden hat. Sie findet sich weder bei der Formulierung des Regelbeispiels des Handels mit einer "nicht geringen Menge" wieder, noch hat der Gesetzgeber die Kriterien für die Festlegung des Grenzwerts neubestimmt, oder gar einen Grenzwert selbst vorgegeben. Vor diesem Hintergrund erschiene jede Neufestsetzung des Grenzwerts unter Ansatz eines höheren Multiplikators willkürlich. Eine Erhöhung des Grenzwertes liefe dem Ziel, den Markt für illegal gehandelte Cannabisprodukte einzudämmen, zuwider.
4. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Fluchtgefahr ist gegeben, wenn bei Würdigung der Umstände des Falles aufgrund bestimmter Tatsachen eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich – zumindest für eine gewisse Zeit – dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde am Verfahren teilnehmen. So liegt es hier. Bereits in der Straferwartung liegt ein erheblicher Anreiz zur Flucht für den Beschwerdeführer, dem mit Blick auf den gemäß § 34 Abs. 3 KCanG eröffneten Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren (weiterhin) eine Straftat von einigem Gewicht vorgeworfen wird. Dabei wirkt sich erschwerend aus, dass dem Beschwerdeführer die Verwirklichung zweier Regelbeispiele zur Last gelegt wird. Er hat mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen, zumal er erst am 22. März 2023 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Kokain) in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten mit Aussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Die in dem vorgenannten Verfahren erlittene, knapp viermonatige Untersuchungshaft hat den Beschwerdeführer zudem offenbar nicht nachhaltig beeindruckt. Der Fluchtanreiz erhöht sich zudem dadurch, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich der Vorverurteilung den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung zu befürchten hat.
Dem aus der Straferwartung folgenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichend belastbaren fluchthemmenden Umstände entgegen. Der recht junge Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos und verfügt über keine nennenswerten sozialen Bindungen. Er lebt ohne festen Wohnsitz in Deutschland. Das Asylverfahren ist eingestellt worden. Nach Auslaufen der Aufenthaltsgestattung bis zum 8. Juni 2023 hat das Amt für Migration auch erst aufgrund der erbetenen Auskunftserteilung an das Landgericht eine Duldung bis zum 27. Mai 2024 erteilt. Ein Interesse an der Legalisierung seines Aufenthaltes hat der Beschwerdeführer eigeninitiativ nicht gezeigt. Im Falle der Haftentlassung ist daher auch eher mit seinem Untertauchen zu rechnen.
5. Vor diesem Hintergrund kann der Zweck der Untersuchungshaft nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden (§ 116 StPO).
6. Die Fortdauer der – mittlerweile seit nahezu zehn Monaten vollzogenen – Untersuchungshaft steht nach alledem auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 S. 1 StPO). Insbesondere liegt nicht nahe, dass die Dauer der Untersuchungshaft die zu erwartende – unbedingte – Freiheitsstrafe annährend erreicht oder übersteigt.
7. Dem aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 5 Abs. 3 S. 1 EMRK folgenden Beschleunigungsgebot in Haftsachen wurde bislang genügt.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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