Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 07.03.2024 - 2 ARs 10/22
Eigener Leitsatz:
Zur Ablehnung einer Pauschgebühr in einem Staatsschutzverfahren mit u.a. 244 Bände Akten und 45 Hauptverhandlungstagen.
2 ARs 10/22
Oberlandesgericht Frankfurt am Main
BESCHLUSS
Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung in der Strafsache
gegen pp.
wegen Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr
Auf Antrag des Verteidigers, Rechtsanwalt pp., hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 2. Strafsenat - durch den Einzelrichter nach Anhörung der Vertreterin der Staatskasse am 07. März 2024 gemäß § 51 RVG beschlossen:
Der Antrag vom 20. Januar 2022 auf Bewilligung einer Pauschgebühr wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist dem Angeklagten neben Rechtsanwältin pp. als weiterer Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vom 16. Juni 2020 bis zum 28. Januar 2021 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main an 45 Hauptverhandlungstagen statt. Das Urteil, mit dem der Angeklagte verurteilt worden ist, ist seit dem 25. August 2022 rechtskräftig.
Die Tätigkeit des Antragstellers ist von der Staatskasse in Höhe von rund € 41.000 an Gebühren und Auslagen honoriert worden. Der Antragsteller ist der Auffassung, ihm stünde insgesamt ein Betrag in Höhe von rund € 100.000 incl. Umsatzsteuer an Pauschvergütung unter Anrechnung der gesetzlichen Gebühren zu.
Hierzu trägt der Antragsteller mit Schriftsatz vom 20. Januar 2022 vor, dass das Verfahren besonders umfangreich gewesen sei. Der Aktenbestand habe 244 Bände an Akten umfasst und sei während des Verfahrens weiter angewachsen. Das Verfahren sei umfangreicher gewesen als übliche Staatsschutzverfahren, was sich schon daraus ergebe, dass es anstatt der ursprünglich prognostizierten 32 Verhandlungstage schließlich 45 Verhandlungstage bis zur Urteilsfindung gedauert habe.
Auch inhaltlich sei das Verfahren schwierig gewesen, weil es um den Tatvorwurf der psychischen Beihilfe gegangen sei.
Ferner sei es im vorliegenden Verfahren um den ersten rechtsradikalen Mord seit dem Anschlag auf Reichsaußenminister Rathenau im Jahr 1922 gegangen, daher sei der Antragsteller gezwungen gewesen, das diesbezügliche Urteil des Reichsgerichts in Leipzig, das in keinem gängigen Archiv aufbewahrt worden sei, auszuwerten. Er habe es nach mehreren Tagen Arbeitsaufwand dann aufgefunden.
Darüber hinaus seien viele Presseanfragen an den Antragsteller gerichtet worden. Auch sei es erforderlich gewesen, in zahlreichen Gerichtsverfahren gegen die aus Sicht des Antragstellers unfaire Berichterstattung durch Presse und die Veröffentlichungspraxis des Bundesgerichtshofes vorzugehen. Zudem habe er zwei Haftbesuche unternommen und eine „umfangreiche" Haftbeschwerde nebst Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Zudem habe ein Farbanschlag auf seine Kanzleiräume dazu geführt, dass ihm vom Hauseigentümer gekündigt worden sei. Auch die pp.-Bank habe ihre Geschäfts-beziehung mit ihm gekündigt. Schließlich sei gegen ihn so stark polemisiert worden, dass er aus dem örtlichen Kamevalsverein habe austreten müssen. Infolge des Prozesses sei der Antragsteller als gefährdete Person eingestuft worden und es seien durch die Polizei Sicherungsmaßnahmen an Kanzlei und Privathaus verstärkt worden.
Die Bezirksrevisorin hat mit Zuschrift vom 15. Juni 2023 zu dem Pauschantrag des Antragstellers Stellung genommen. Sie ist der Ansicht, ihm stünde wegen des Farbanschlags auf die Kanzleiräume und des damit verbundenen Aufwands umzuziehen eine Pauschvergütung in Höhe von € 5.000 zu.
Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr hat keinen Erfolg.
Der Anwendungsbereich der Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG ist gegenüber § 99 BRAGO erheblich eingeschränkt, wie der Senat in der Besetzung mit drei Richtern in seinem Grundsatzbeschluss vom 14. Dezember 2005 (2 ARs 154/05) ausgeführt hat. Nach dem derzeit geltenden Recht ist eine Pauschgebühr nur noch zu bewilligen, wenn die im Vergütungsverzeichnis bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar sind. Diese Einschränkung ist nach der amtlichen Begründung (vgl. BT-Dr. 15/1971 S.203) gerechtfertigt, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden sind, bei denen die zugrundeliegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt worden sind. Das gilt zum Beispiel für die Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren oder die Teilnahme an Haftprüfungsterminen. Für diese Tätigkeiten stehen der Pflichtverteidigerin bzw. der beigeordneten Rechtsanwältin nach neuem Recht ein gesetzlicher Gebührenanspruch gemäß VV Nummern 4102 Nr. 1 und Nr. 3 zu. Gleiches gilt für die Dauer der Hauptverhandlung, da das Vergütungsverzeichnis für Pflichtverteidiger bzw. beigeordnete Rechtsanwälte für mehr als 5 bzw. 8 Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine Zuschläge zu den Hauptverhandlungsgebühren vorsieht (vgl. VV Nummern 4122 und 4123). Die bisherigen Grundsätze für die Bewilligung einer Pauschgebühr sind damit nur noch sehr eingeschränkt anwendbar.
Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung ist demnach nach dem Gesetzeswortlaut, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar sind. Damit soll verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger bzw. der beigeordnete Rechtsanwalt ein Sonderopfer erbringen. Zur Stellung des Pflichtverteidigers hat das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 6. November 1984 - 2 BvL 16/83 u.a. ausgeführt:
„Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken (vgl. BVerfGE 39, 238 (241)). Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Vielmehr besteht ihr Zweck ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, daß der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfGE a.a.O. S. 242; vgl. auch BGHSt 3, 395 (398)). Der vom Gerichtsvorsitzenden ausgewählte und beigeordnete Rechtsanwalt darf die Übernahme der Verteidigung nicht ohne wichtigen Grund ablehnen (§ 49 in Verbindung mit § 48 Abs. 2 BRAO), sondern muss - gegebenenfalls unter Hintansetzung anderer beruflicher Interessen - die ihm übertragene Verteidigung führen. Ein Widerruf der Bestellung des Pflichtverteidigers ist ebenfalls nur aus wichtigem Grund zulässig (vgl. BVerfGE a.a.O. S. 244 m. w. N.). Im Gegensatz zum gewählten Verteidiger, der seine Aufgaben in der Hauptverhandlung im Falle kurzfristiger Verhinderung durch sonstige Geschäfte von einem anderen Verteidiger wahrnehmen lassen kann (vgl. BGHSt 15, 306 (308)), hat der Pflichtverteidiger stets und ununterbrochen an der Verhandlung teilzunehmen. Er darf zu seiner Entlastung weder Untervollmacht erteilen (vgl. BGH, Strafverteidiger 1981, S. 393) noch einem Referendar Verteidigerfunktionen übertragen (vgl. § 139 StPO; BGH, NJW 1958, S. 1308 f.). Im übrigen weist die Strafprozessordnung dem Pflichtverteidiger die gleichen Aufgaben zu wie dem Wahlverteidiger. Wie dieser hat er auch die gleichen standesrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen.
Angesichts dieser umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für Aufgaben, deren ordentliche Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht des Anwaltsstandes angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Der Vergütungsanspruch des Pflichtverteidigers aus § 97 BRAGO liegt indessen erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers. Diese Begrenzung ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt ist. In Strafsachen besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft des Pflichtverteidigers für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne dass er sich dieser Belastung entziehen könnte, gewinnt die Höhe des Entgelts für ihn existenzielle Bedeutung. Eine Verteidigung zu den verkürzten Gebühren des § 97 BRAGO könnte dann dem Pflichtverteidiger ein unzumutbares Opfer abverlangen. Schon das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 GG) gebietet für solch besondere Fallgestaltungen eine Regelung, die es, wie § 99 BRAGO, ermöglicht, der aufgezeigten Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten (vgl. BVerfGE 47, 285 (321 f.); 54, 251 (271))."
Diese Grundsätze gelten auch für das derzeitige Recht (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1264; 2005, 3699). Sinn und Zweck der Pauschgebühr ist es danach nicht, dem Verteidiger bzw. dem beigeordneten Rechtsanwalt einen zusätzlichen Gewinn zu verschaffen; sie soll nur eine unzumutbare Benachteiligung verhindern (vgl. auch Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., § 51 RVG Rdnr. 3). Die Bewilligung einer Pauschgebühr kommt nach alledem nur noch in Ausnahmefällen in Betracht. Dies ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. März 2007 - 2 BvR 51/07 - NJW 2007, 3420).
Gemessen an diesen Vorgaben hat der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung in dem vorliegenden Fall keinen Erfolg.
Wie der Bezirksrevisor zutreffend in seiner Stellungnahme ausführt, liegen insbesondere angesichts der festgesetzten Vergütung in Höhe von rund € 41.000 die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Pauschgebühr nicht vor.
Regelmäßig fanden die 45 Hauptverhandlungstermine an maximal zwei Sitzungstagen pro Woche statt, die durchschnittliche Dauer betrug lediglich 4 Stunden 53 Minuten, wobei in den meisten Fällen noch eine Mittagspause von einer Stunde und länger in Abzug zu bringen ist. Dabei gab es auch sitzungsfreie Zeiten (6. Juli bis 20. Juli, 23. September bis 19. Oktober nur ein Verhandlungstag, und 23. Dezember bis 11. Januar).
Auch ergibt sich weder aus dem Vortrag noch aus den sonstigen Umständen, dass das vorliegende Verfahren ein außergewöhnlich schwieriges Staatsschutzverfahren gewesen ist. Ein besonderer Einarbeitungsaufwand, die Komplexität der Beweisaufnahme und des Verfahrens sowie der Umfang der Akten schlägt sich regelmäßig in der Anzahl und Dauer der Hauptverhandlungstage nieder. Hierbei wird jeder Hauptverhandlungstag gesondert vergütet. Angesichts der durchschnittlichen Verhandlungsdauer von knapp fünf Stunden (in den meisten Fällen noch abzüglich einer Mittagspause von einer Stunde und mehr) unterscheidet sich das vorliegende Verfahren nicht von anderen Staatsschutzverfahren. Darüber hinaus sind die Akten im vorliegenden Verfahren besonders gut geordnet, die Anklageschrift verweist in Fußnoten auf Fundstellen in den Akten, diese lagen auch in elektronischer Form vor, sodass der große Umfang der Akten besonders leicht erschlossen werden konnte.
Hinsichtlich der von dem Antragsteller geltend gemachten rechtlichen Schwierigkeiten im Hinblick auf die seinem Mandanten vorgeworfene psychische Beihilfe sowie das Ermitteln eines Urteils aus dem Jahr 1922 - hinsichtlich letzterem macht die ebenfalls dem Angeklagten beigeordnete andere Verteidigerin auch geltend, sie habe es nach mehreren Tagen Arbeitsaufwand aufgefunden - ist lediglich zu bemerken, dass eine intensive und sorgfältige Vor- und Nachbereitung der Hauptverhandlung und das Erarbeiten des Prozessstoffs zu den selbstverständlichen Pflichten des Verteidigers gehört. Soweit der Antragsteller auch eine Beratung des Angeklagten im Hinblick auf die Pressearbeit vorgenommen hat, ist dies kein Umstand, der von der Bestellung als Pflichtverteidiger umfasst ist. Bezüglich der geführten weiteren Verfahren im Hinblick auf Veröffentlichungen und Pressearbeit richtet sich die Kostenerstattung der dort geleisteten Aufwendungen nach den dortigen Regelungen; sie können nicht gesondert noch einmal im hiesigen Verfahren geltend gemacht werden.
Die Erhöhung von Sicherungsmaßnahmen - in welchem Umfang bleibt im Dunkeln -auch wegen eines Farbanschlags auf die Kanzlei begründen ebenfalls kein gebührenrechtlich zu berücksichtigendes Sonderopfer. Die ordentliche Kündigung von Kanzleiräumen und die damit verbundene Notwendigkeit des Umzuges ist das allgemeine Geschäftsrisiko des Antragstellers. Sie führt nicht zu einer - letztlich vom verurteilten Angeklagten zu tragenden - auf das hiesige Verfahren zurückzuführenden Kompensation.
Dass der Antragsteller Tätigkeiten erbracht hat, die - auch in der Gesamtschau und unter Berücksichtigung der bereits festgesetzten Gebühren und Auslagen über insgesamt € 41.000 - die Annahme eines Sonderopfers begründen könnten, ist nicht ersichtlich, weshalb sein Antrag zurückzuweisen war.
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