Gericht / Entscheidungsdatum: LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 14.03.2024 – 12 Qs 7/24
Leitsatz des Gerichts:
Ist eine Zustellungsvollmacht nur für ein Ermittlungsverfahren erteilt worden, kann auf ihrer Grundlage in anderen Ermittlungsverfahren nicht wirksam zugestellt werden.
In pp.
1. Auf sofortige Beschwerde der Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 27.12.2023 aufgehoben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz benannte die Angeklagte am 06.10.2020 den M mit dessen Zustimmung als Zustellungsbevollmächtigten. In dem Vollmachtformular fand sich dazu folgender Eintrag:
„Zustellungsvollmacht ... wegen (Straftat(en) / Ordnungswidrigkeiten(en) / verletzte Bestimmung(en) / Fundstelle(n): PflVersG i.S. NEA - ...
Ich erteile hiermit unwiderruflich Herrn/Frau M … die Vollmacht zum Empfang sämtlicher gerichtlicher/staatsanwaltlicher Mitteilungen, Zustellungen oder Ladungen ...“
Die Polizei nahm dieses Formular auch zur Akte des hiesigen Vorgangs gegen die Angeklagte, in dem es um einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz geht. In diesem Verfahren erließ das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch am 20.11.2020 Strafbefehl gegen die Angeklagte. Dieser wurde am 25.11.2020 an M zugestellt.
Die Angeklagte nahm am 12.07.2023 auf der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth Einsicht in hiesige Verfahrensakte. Mit Schreiben vom 15.08.2023 wandte sie sich gegen den in der Akte enthaltenen Strafbefehl.
Das Amtsgericht Neustadt a.d. Aisch verwarf mit Beschluss vom 27.11.2023 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet und den Einspruch gegen den Strafbefehl als unzulässig. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin „Beschwerde“ ein. Zur Begründung führte sie aus, dass der Zustellungsbevollmächtigte „völlig unrichtig“ sei, insbesondere sei die Zustellungsvollmacht für M auf die Angelegenheit des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz beschränkt gewesen.
Die Staatsanwaltschaft beantragte die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unbegründet.
II.
Die zulässig erhobene sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
1. Der Angeklagten war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1, § 46 Abs. 1 StPO analog). Wiedereinsetzung erfolgt auch dann, wenn der Betroffene zwar keine Frist versäumt hat, aber irrtümlich so behandelt wurde und dementsprechend auf das Rechtsmittel angewiesen ist (BGH, Beschl. v. 02.09.2015 - 2 StR 294/15, juris Rn. 2; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.09.2023 - 12 Qs 66/23, juris Rn. 10). Einer weiteren Sachprüfung des Wiedereinsetzungsgesuchs bedarf es nicht. So liegen die Dinge hier, weil das Amtsgericht die Angeklagte so behandelt hat, als hätte sie die Einspruchsfrist versäumt, was tatsächlich nicht der Fall war.
a) Die Zustellung des Strafbefehls an M entfaltete keine Rechtswirkungen zum Nachteil der Angeklagten. Voraussetzung der Wirksamkeit der Zustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten auch gegenüber dem Vollmachtgeber ist, dass erster vom letzteren wirksam benannt wurde und der Bevollmächtigte mit seiner Bestellung auch einverstanden war (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 11.01.2017 - 1 Ws 274/06, juris Rn. 7). Beides war nicht der Fall.
aa) M wurde von der Beschwerdeführerin schon nicht für Zustellungen im hiesigen Verfahren wegen Verstößen gegen das TierSchG benannt. Bei der Benennung einer Person als Zustellungsbevollmächtigten handelt es sich um die Erteilung einer rechtsgeschäftlichen Empfangsvollmacht, die entweder generell oder aber auch nur für einzelne Fälle erteilt werden kann. Nur soweit sie erteilt ist, kann auch wirksam an die benannte Person zugestellt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.09.2016 - VI ZB 21/15, juris Rn. 45 m.w.N.). Ist eine Zustellungsvollmacht nur für ein Ermittlungsverfahren erteilt worden, kann auf ihrer Grundlage in anderen Ermittlungsverfahren nicht wirksam zugestellt werden. Vorliegend hat die Beschwerdeführerin, wie sie in ihrem Schreiben vom 15.08.2023 ausführt, allein eine Empfangsvollmacht für Zustellungen im Verfahren wegen des Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz erteilt und nicht auch bezüglich des hiesigen Schuldvorwurfs. Wenn es in der Urkunde heißt, dass die Vollmacht „zum Empfang sämtlicher ... Zustellungen oder Ladungen“ berechtige, dann ist das nämlich dahin zu verstehen, dass damit der Empfang sämtlicher Schriftstücke gemeint ist, der den im Formular umrissenen Gegenstand („wegen ...: PflVersG i.S. NEA -...“) betrifft. Eine Auslegung dahin, dass jedweder Schriftverkehr mit den Strafverfolgungsbehörden ohne eine zeitliche und gegenständliche Begrenzung umfasst sein sollte, hat den Wortlaut der Vollmachtsurkunde gegen sich und wird weder dem Interesse des Vollmachtgebers noch dem des Bevollmächtigten gerecht.
bb) Im Übrigen war M auch nicht damit einverstanden, dass Zustellungen an ihn gerichtet werden, die nicht den Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz betreffen. Das ergibt sich aus dem Telefonvermerk der Justizangestellten K des Amtsgerichts Neustadt a.d. Aisch vom 09.01.2024, wonach M mitteilte, gar nicht zu wissen, wie es zu seiner Benennung als Zustellungsbevollmächtigter gekommen sei. Die Kammer hat ergänzend dazu telefonisch bei M angefragt. Er teilte mit, nur einmal der Bevollmächtigung im Zusammenhang mit der Entstempelung eines Kfz der Angeklagten zugestimmt zu haben und ansonsten nicht.
b) Der Zustellungsmangel wurde nicht gem. § 37 StPO i.V.m. § 189 ZPO durch die von der Angeklagten genommene Akteneinsicht geheilt (vgl. BayObLG Beschluss vom 16.06.2004 - 2Z BR 253/03, juris Rn. 9; LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.08.2021 - 12 Qs 58/21, juris Rn. 12).
2. Der Einspruch gegen den Strafbefehl ist zulässig, insbesondere wurde er form- und fristgerecht eingelegt (§ 410 Abs. 1 Satz 1, § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO). Seiner Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der Strafbefehl der Angeklagten noch nicht zugestellt wurde, da gegen einen bereits erlassenen Strafbefehl auch vor seiner Zustellung wirksam Einspruch eingelegt werden kann (BGH, Beschluss vom 16.05.1973 - 2 StR 497/72, juris Rn. 12).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.
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