Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.02.2024 - III-1 Ws 31/24
Eigener Leitsatz:
Erschöpft sich hinsichtlich der „Begründung" der Erledigung der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt der Beschluss der Strafvollstreckungskammer in einer Bezugnahme auf einen - weder dem Beschwerdeführer noch seiner Verteidigerin bekanntgemachten - Vermerk über eine Anhörung des Verurteilten ist die Strafvollstreckungskammer der ihr obliegenden Verpflichtung, eine eigenständige Prognoseentscheidung im Sinne der § 67d Abs. 5 i.V.m. § 64 Satz 2 StGB n.F. zutreffen, in keiner Weise gerecht geworden.
III-1 Ws 31/24
OBERLANDESGERICHT DÜSSELDORF
BESCHLUSS
In der Strafvollstreckungssache
gegen pp.
zurzeit in der LVR-Klinik pp.,
wegen besonders schweren Raubes
hat der 1. Strafsenat durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft am 26. Februar 2024 beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird die in dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf vom 12. Dezember 2023 (055 StVK 514/23) zu Nr. 1 getroffene Entscheidung zur Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aufgehoben.
2. Die übrigen Entscheidungen zu Nr. 2 bis Nr. 7 des vorgenannten Beschlusses werden hierdurch gegenstandslos.
3. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Düsseldorf zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht Duisburg verurteilte den Beschwerdeführer durch Urteil vom 7. Februar 2022 wegen besonders schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Zudem ordnete es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an. Die Maßregel wird nach Untersuchungs- und Organisationshaft seit dem 9. Juni 2022 in der LVR-Klinik Pp. vollzogen.
Nachdem die LVR-Klinik Pp. zunächst über einen positiven Behandlungsverlauf berichtet hatte, regte sie vor dem Hintergrund eines Suchtmittelrückfalls des Verurteilten mit Kokain sowie synthetischen Cannabinoiden in ihrer Stellungnahme vom 6. September 2023 die Erledigung der Maßregel wegen „Aussichtslosigkeit" an. Auf den der ärztlichen Anregung entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft hat die Strafvollstreckungskammer den Beschwerdeführer am 7. Dezember 2023 mündlich angehört sowie am 12. Dezember 2023 hierüber einen Vermerk verfasst und durch Beschluss vom gleichen Tage die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus dem zuvor genannten Urteil des Landgerichts Duisburg für erledigt erklärt (Nr. 1), insoweit die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt (Nr. 6), eine Rückführung des Verurteilten in den Strafvollzug nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses angeordnet (Nr. 2) und ferner Begleitanordnungen zu der von Gesetzes wegen eintretenden Führungsaufsicht getroffen (Nr. 3 bis Nr. 5 sowie Nr. 7). Die Entscheidung zur Erledigung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Strafvollstreckungskammer wie folgt gerechtfertigt:
„Die Kammer hat einen Anhörungstermin auf den 07.12.2023 bestimmt. Im Rahmen dieser Anhörung hat sich der Eindruck bestätigt, dass die Unterbringung für erledigt zu erklären sei. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Vermerk der Anhörung verwiesen."
Mit seiner sofortigen Beschwerde wendet sich der Verurteilte ausschließlich gegen die Entscheidung zur Erledigung des Maßregelvollzugs.
Das gemäß § 463 Abs. 6 Satz 1, § 462 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte, auch fristgemäß eingelegte und damit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache vorläufigen Erfolg. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und - abweichend von § 309 Abs. 2 StPO - ausnahmsweise zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts. Denn die Entscheidung ist mit einem derart schwerwiegenden Fehler behaftet, dass von einer ordnungsgemäßen Justizgewährung nicht mehr gesprochen werden kann.
1. Der angefochtene Beschluss ist entgegen § 34 StPO nicht begründet worden, sondern erschöpft sich hinsichtlich der „Begründung" der Erledigung der Unterbringung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt in einer Bezugnahme auf einen - weder dem Beschwerdeführer noch seiner Verteidigerin bekanntgemachten - Vermerk über die am 7. Dezember 2023 erfolgte Anhörung des Verurteilten. Damit ist die Strafvollstreckungskammer der ihr obliegenden Verpflichtung, eine eigenständige Prognoseentscheidung im Sinne der § 67d Abs. 5 i.A. § 64 Satz 2 StGB n.F. zutreffen, in keiner Weise gerecht geworden. So lässt die „Begründung" bereits die rechtlichen Erwägungen (zu diesem Erfordernis MüKo-Valerius, StPO, 2. Auflage [2023], § 34 Rdnr. 9) nicht erkennen, auf denen die Entscheidung beruht. Die Entscheidung lässt jegliche Subsumtion des Sachverhalts unter die in Betracht kommenden gesetzlichen Vorschriften vermissen. Ferner sind auch das in Bezug genommene Anhörungsprotokoll sowie das Bemerken der Kammer, „[i]m Rahmen dieser Anhörung hat sich der Eindruck bestätigt, dass die Unterbringung für erledigt zu erklären sei", letztlich inhaltsleer, denn weder sind insofern eigene prognostische Erwägungen der Kammer erkennbar noch wird der von der Kammer im Rahmen der mündlichen Anhörung gewonnene - offenbar als mitentscheidungserheblich erachtete - persönliche Eindruck von dem Beschwerdeführer in einer für den Senat nachvollziehbaren Weise dargestellt. Zuletzt setzt sich der Beschluss auch nicht ansatzweise mit der in dem Anhörungsprotokoll angedeuteten aktuellen Lebenssituation des Verurteilten sowie der in diesem Zusammenhang geäußerten Argumentation seiner Verteidigerin auseinander. Dies lässt zudem Zweifel daran aufkommen, ob das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör, dessen Verwirklichung die mündliche Anhörung dienen soll, gewahrt wurde. Die Ausführungen der Kammer verfehlen damit gänzlich die an eine Entscheidung nach § 67d Abs. 5 StGB zu stellenden Begründungserfordernisse. Sie lassen jegliche Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, ob bei der gebotenen Gesamtschau des bisherigen Behandlungsverlaufs eine mit therapeutischen Mitteln des Maßregelvollzugs nicht mehr aufbrechbare Behandlungsunwilligkeit oder Behandlungsunfähigkeit des Verurteilten vorliegt (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss 1 Ws 304/19 vom 22. Januar 2020 in: BeckRS 2020, 16399 Rdnr. 19).
2. Der vorbezeichnete Verfahrensfehler zwingt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung über die Erledigung des Maßregelvollzugs mangels Erfolgsaussicht. Hierdurch werden die weiteren Anordnungen im angefochtenen Beschluss gegenstandslos. Dies gilt auch für die Ablehnung der Aussetzung der Vollstreckung der noch offenen Reststrafe zur Bewährung (Nr. 6 des angefochtenen Beschlusses), denn auch insoweit kann erst dann eine Entscheidung getroffen werden, wenn feststeht, dass die nach § 67 Abs. 1 StGB vorab zu vollziehende Maßregel nicht weiter zu vollstrecken ist.
3. Der Senat sieht abweichend von § 309 Abs. 2 StPO von einer eigenen Entscheidung ab und verweist die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurück. Außerhalb der Hauptverhandlung ergangene Entscheidungen, die nicht nur mangelhaft, sondern — wie hier — überhaupt nicht begründet worden sind, unterliegen der Zurückweisung an das erstinstanzlich zuständige Gericht (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss 1 Ws 92/15 vom 6. Juli 2015 in: BeckRS 2015, 12793 Rdnr. 19; OLG Oldenburg NJW 1971, 1098, 1099; KK-Schneider-Glockzin, StPO, 9. Auflage [2023], § 34 Rdnr. 11). Die Inhaltsleere der „Beschlussbegründung" gibt dem Senat nämlich Anlass zu der Besorgnis, dass die Kammer der ihr obliegenden Pflicht zur Anstellung einer eigenen Prognoseentscheidung nicht nachgekommen, sondern ohne eigene Sachprüfung der ärztlichen Anregung sowie dem Erledigungsantrag der Staatsanwaltschaft gefolgt ist. Bei dieser Sachlage ist der Senat an einer eigenen Sachentscheidung gehindert, denn diese würde im Ergebnis eine Kompetenzverlagerung darstellen und der Senat würde praktisch in erster Instanz tätig werden. Es versteht sich indes von selbst, dass eine derartige Kompetenzverlagerung nicht in Betracht kommen kann (vgl. hierzu OLG Gelle, Beschluss 2 Ws 18/20 vom 27. Januar 2020 Rdnr. 9
Einsender: RAin Yvonne Dyllong Düsseldorf
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