Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Oldenburg, Beschl. v. 15.02.2024 - 2 ORbs 22/24
Eigener Leitsatz:
Die Urteilsgründe müssen im Fall der Identifizierung des Betroffenen anhand eine Lichtbildes vom Verkehrsverstoß so gefaßt sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.
OLG Oldenburg
Beschluss
2 ORbs 22/24
In der Bußgeldsache
gegen
Verteidiger:
hat das Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg) durch den Richter am Oberlandesgericht am 15.02.2024 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Cloppenburg vom 25.10.2023 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen von der Aufhebung werden die objektiven Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit. Insoweit wird die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe:
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes zu einer Geldbuße von 520 € und einem 2-monatigen Fahrverbot verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 OWiG statthaften und auch zulässig begründeten Rechtsbeschwerde.
Diese hat entsprechend des Antrages der Generalstaatsanwaltschaft teilweise Erfolg.
Keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen lassen dabei allerdings die Feststellungen zur gefahrenen Geschwindigkeit erkennen. Der Zeuge pp. ist nicht dadurch, dass er zunächst im Sitzungssaal verblieben war ein ungeeignetes Beweismittel geworden. Er konnte vielmehr als Zeuge vernommen werden (vgl. Becker, L-R StPO 27. Aufl., § 243 RN 222: § 243 Abs. 2 S. 1 StPO ist (lediglich) Ordnungsvorschrift).
Demgegenüber werden die Urteilsgründe im Hinblick auf die Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gerecht werden.
Insoweit wird verwiesen auf die grundlegende Entscheidung BGHSt 41, 376 ff:
„Daraus folgt für die Anforderungen an die Urteilsgründe: Diese müssen so gefaßt sein, daß das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.
aa) Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, daß er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Aufgrund der Bezugnahme, die deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein muß (Kleinknecht/Meyer-Go ßner StPO 42. Aufl. § 267 Rdn. 8; vgl. auch BayObLG NZV 1995, 163, 164), wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 267 Rdn. 10) und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist (vgl. OLG Gelle VM 1985, 53; OLG Stuttgart VRS 77, 365; OLG Karlsruhe DAR 1995, 337).
Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto - wie etwa ein (Front-) Radarfoto, das die einzelnen Gesichtszüge erkennen läßt - zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist. Es bedarf weder einer Auflistung der charakteristischen Merkmale, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betroffenen stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. Solche Ausführungen wären auch überflüssig und ohne Wert: Die Überprüfung, ob der Betroffene mit dem abgebildeten Fahrer identisch ist, steht dem Rechtsmittelgericht ohnehin nicht zu und wäre ihm zudem unmöglich. Als Grundlage für die Überprüfung der generellen Ergiebigkeit des Fotos könnten Beschreibungen der Abbildung dem Rechtsmittelgericht keine besseren Erkenntnisse vermitteln, als sie ihm aufgrund der ¬durch die Bezugnahme ermöglichten - eigenen Anschauung zur Verfügung stehen.
Daraus, daß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO eine Verweisung nur 'Wegen der Einzelheiten" erlaubt, folgt nicht, daß der Tatrichter auch im Falle der Bezugnahme die abgebildete Person (nach Geschlecht, geschätztem Alter, Gesichtsform und weiteren, näher konkretisierten Körpermerkmalen) zu beschreiben habe. Mit der Beschränkung der Verweisungsbefugnis auf "die Einzelheiten" will das Gesetz sicherstellen, daß die Schilderung des "Aussagegehalts" der in Bezug genommenen Abbildung nicht ganz entfällt; die Urteilsgründe müssen aus sich selbst heraus verständlich bleiben (LR-Gollwitzer StPO 24. Aufl. § 267 Rdn. 11). In den hier zu beurteilenden Fallgestaltungen - Foto aus einer Verkehrsüberwachung - reicht es dazu aber aus, wenn das Urteil mitteilt, daß es sich bei dem in Bezug genommenen Lichtbild um ein - nach Aufnahmeort und -zeit näher bezeichnetes - Radarfoto (Foto einer Rotlichtüberwachungsanlage usw.) handelt, das das Gesicht einer männlichen oder weiblichen Person zeigt. Weitere Angaben sind, um den Verständniszusammenhang zu wahren, nicht erforderlich (OLG Stuttgart VRS 77, 365). Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts Gegenteiliges. Die vom vorlegenden Oberlandesgericht angeführte Entscheidung vom 4. September 1979 - 5 StR 445/79 (bei Pfeiffer NStZ 1981, 296) - betrifft nicht den Fall einer Bezugnahme auf Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Auch das Urteil vom 20. November 1990 - 1 StR 588/90 (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 3 Verweisung 1) - verhält sich nicht dazu, wie der Begriff "Einzelheiten" im Sinne dieser Vorschrift zu verstehen ist.
Ist das Foto - etwa aufgrund schlechterer Bildqualität (z.B. erhebliche Unschärfe) oder aufgrund seines Inhalts - zur Identifizierung eines Betroffenen nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind um so höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die - auf dem Foto erkennbaren - charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu beschreiben.
bb) Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muß er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muß das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere ldentifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, daß dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird. Die Zahl der zu beschreibenden Merkmale kann dabei um so kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrer Zusammensetzung geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher zu erkennen. Dagegen muß die Beschreibung um so mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die eine Identifizierung erschweren können, sind ebenfalls zu schildern."
(BGH, Beschluss vom 19. Dezember 1995 — 4 StR 170/95 —, BGHSt 41, 376-385, Rn. 21 - 26)
Das Amtsgericht hat betreffend die Identifizierung aber weder auf das Messfoto verwiesen (der Verweis erfolgt lediglich im Zusammenhang mit den „übrigen Feststellungen"), so dass es dem Senat nicht zugänglich ist, noch hat es das Foto in einer Art und Weise beschrieben, dass dem Senat allein anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung
des Fotos die Prüfung ermöglicht worden wäre, ob das Foto generell zur Identifizierung
geeignet ist. Damit sind die Ausführungen des Amtsgerichtes, eine Identifizierung des Betroffenen als Fahrzeugführer sei aufgrund der guten Qualität des Lichtbildes ohne weiteres möglich gewesen, für den Senat nicht nachvollziehbar und überprüfbar.
Im Umfang der Aufhebung war die Sache daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. In Anbetracht der mitgeteilten Voreintragungen erschließt sich dem Senat nicht, weshalb dem
Betroffenen die sogenannte 4-Monatsfrist nicht zugebilligt wurde, da zwischen der Rechtskraft der Verurteilung vom 29.07.2020 und dem hier vorliegenden Verkehrsverstoß mehr als 2 Jahre liegen.
Einsender: RA K. Spangenberg, Cloppenburg
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