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Entscheidungen

StPO

Messengerdienst ANOM", Verwertbarkeit der Erkenntnisse

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Arnsberg, Beschl. v. 22.01.2024 – 2 KLs-412 Js 287/22-36/23

Eigener Leitsatz:

Die Erkenntnisse aus der Auswertung gesicherter Chatverläufe des Krypto-Messengerdienstes "Anom" sind in einem deutschen Strafverfahren nicht verwertbar.


In pp.

Die E röffnung des Hauptverfahrens wird in folgendem Umfang abgelehnt:
1. betreffend den Angeklagten E. bezüglich der Anklagevorwürfe zu Ziffer 1 - 7 unter der Überschrift "Taten des F. E." (S. 4 - 5 der Anklageschrift)
2. betreffend den Angeklagten J. bezüglich der Anklagevorwürfe zu Ziffer 1 - 3 unter der Überschrift "Taten des V. J. (S. 6 - 7 der Anklageschrift)
3. betreffend die Angeklagte I. B. insgesamt
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft wird das Hauptverfahren gegen sie im Übrigen vor der 2. Großen Strafkammer des Landgerichts eröffnet.
Das Gericht ist in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt.
Die gegen die Angeklagten N. R., F. E. und V. J. angeordnete Untersuchungshaft dauert aus den Gründen der Anordnung fort.
Bezüglich des Angeklagten N. R. bleibt der Haftbefehl nach Maßgabe des Beschlusses vom 19.12.2023 außer Vollzug gesetzt.

Gründe

1. Teilweise Nichteröffnung bzgl. E. und J.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens setzt gem. § 203 StPO voraus, dass die Angeschuldigten der angeklagten Straftaten hinreichend verdächtig erscheinen. Dies bedeutet, dass nach dem gesamten Akteninhalt bei vorläufiger Tatbewertung die Verurteilung des / der Angeschuldigten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein muss. Es ist also im Rahmen einer Prognose zu prüfen, ob angesichts der im Rahmen einer Hauptverhandlung voraussichtlich zur Verfügung stehenden Beweismittel ein Tatnachweis voraussichtlich zu erbringen sein wird.

Die Verdachtslage gegen die Angeklagten E. und J. ergibt sich hinsichtlich der Anklagepunkte, bezüglich derer die Hauptverhandlung nicht eröffnet wird, allein aus der Auswertung der Chat-Inhalte des Krypto-Systems "Y.". Andere Beweismittel sind - jedenfalls nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen - nicht ersichtlich, insbesondere haben sich die Beschuldigten nicht zur Sache eingelassen. Objektive Beweismittel dürften rückwirkend kaum zu erlangen sein. Die Ergebnisse der Auswertung unterliegen jedoch nach Ansicht der Kammer einem Beweisverwertungsverbot.

a) Die Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus der Auswertung gesicherter Chatverläufe des Krypto-Messengerdienstes "Y." wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt und ist höchstrichterlich bisher noch nicht entschieden.

Die Oberlandesgerichte Frankfurt am Main (Beschlüsse vom 22.11.2021, 1 HEs 427/221, NJW 2022, 710 und 14.02.2022, 1 HEs 509/21 pp., BeckRS 2022, 5572) und Saarbrücken (Beschluss vom 30.12.2022, 4 HEs 35/22) gehen in Haftentscheidungen von einer Verwertbarkeit der Erkenntnisse aus, wohingegen das Landgericht Memmingen (Urteil vom 21.08.2023, 1 KLs 401 Js 10121/22, BeckRS 2023, 26989) und das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 19.10.2023, 1 Ws 525/23), deren Argumentation sich die Verteidigung zu Eigen macht, die Erkenntnisse mangels Überprüfbarkeit für nicht verwertbar halten.

Der verfahrensrechtliche Sachverhalt stellt sich nach dem Vermerk der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 20.05.2021 (Bl. 12 ff. des SB Abtrennung) wie folgt dar:

"Der Gang des Verfahrens stellt sich nach den Auskünften des FBI wie folgt dar:
Nach Ermittlungen gegen den Vertreiber eines (anderen) Kryptohandys entwickelte das FBI eine eigene verschlüsselte Geräteplattform namens "Y.". Y.-Geräte wurden an kriminelle Organisationen als neues, hoch entwickeltes und insbesondere abhörsicheres Gerät vermarktet. Tatsächlich konnte die stattfindende Kommunikation vom FBI jedoch vollständig mitgelesen werden.
Seit Oktober 2020 stellte das FBI einer bei Europol gebildeten Task Force den Inhalt aller Nachrichten von Y.-Benutzern zur Verfügung. Die gesicherten Nachrichten umfassen Textnachrichten, Fotos, Videos und Audio-Nachrichten.
Die Prüfung der Inhalte ergab, dass die Mobiltelefone nahezu ausschließlich von der Kommando- und Kontrollleitung von kriminellen Gruppierungen verwendet werden, um den Drogenhandel und Geldwäschetransaktionen in mehreren Ländern zu koordinieren.
Eine individuelle Zuordnung der Geräte wird dadurch ermöglicht, dass jedem Y.-Nutzer eine eindeutige Jabber-ldentifikation (JID) zugewiesen ist. Diese kann nicht geändert werden. Das FBI führt eine Liste aller aktiven und deaktivierten JIDs.
Die Daten werden auf einem Server, der in einem Mitgliedsstaat der EU belegen ist, aufgrund einer gerichtlichen Anordnung erhoben und von den US-Strafverfolgungsbehörden aufgrund eines Rechtshilfeersuchens erlangt.
Allerdings wurde durch das FBI die Verwendung der Daten zunächst nur informatorisch und lediglich bei Gefahr für Leib und Leben oder bei sonstigen Sachverhalten von besonderer Bedeutung nach Einzelabsprache mit dem FBI für operative, insbesondere präventivpolizeiliche Zwecke genehmigt.
Zur Vorbereitung operativer Maßnahmen wurde - nach Absprache mit BKA und FBI - am 31.03.2021 das hiesige Rahmenverfahren eingeleitet.
Am 21.04.2021 wurde ein Rechtshilfeersuchen zur Erlangung der Daten in gerichtsverwertbarer Form gestellt. Durch die US-amerikanischen Behörden wurde eine positive Bescheidung des Rechtshilfeersuchens zwar angekündigt, jedoch zugleich mitgeteilt, dass die Gewährung der Rechtshilfe nicht vor dem geplanten "Action Day" am 07.06.2021 erfolgen könne, um die Maßnahmen nicht zu gefährden.
Nachdem dem FBI verdeutlicht wurde, dass ohne eine vorherige Genehmigung der Verwertung der Daten für operative Zwecke weder Ermittlungsverfahren gegen die Nutzer eingeleitet noch die für den "Action Day" erforderlichen Beschlüsse beantragt werden könnten, haben die US-Behörden die justizielle Verwertbarkeit für bestimmte Plattformnutzer genehmigt."

Einzelheiten zur Datenlieferung, Übernahme, Speicherung und Auswertung des Datenbestandes ergeben sich aus dem Datenlieferungsbericht des BKA (EKHK M.) vom 26.11.2021 (Bl. 3 ff. SB Abtrennung), der Strafanzeige des LKA NRW vom 10.03.2022 (Bl. 1-4 HA), dem Vermerk des BKA (EV O.) vom 17.06.2021 (KOK D.) (Bl. 5-7 HA) sowie aus dem Vermerk des LKA NRW (EV O.) vom 04.08.2021 (KHKin Q.) (Bl. 17-30 HA).

aa) Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung zum Krypto-Messengerdienst "G." (Beschluss vom 02.03.2022, 5 StR 457/21, Beck RS 2022, 5306) die Leitlinien und den Überprüfungsmaßstab für die Verwertbarkeit von im Wege der Rechtshilfe von einem Mitgliedsstaat der europäischen Union erlangten Krypto-Chat-Daten herausgearbeitet.

Verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Verwertung in der Hauptverhandlung erhobener Beweise ist § 261 StPO, unabhängig davon, ob diese zuvor im Inland oder auf sonstige Weise - etwa im Wege der Rechtshilfe - erlangt worden sind (BGH, a.a.O, Rn. 25 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2011 - 2 BvR 2500/09 und 857/10, BVerfGE 130, 1 ff. Rn. 120, 137 ff. mwN). Ausdrückliche Verwendungsbeschränkungen für im Wege der Rechtshilfe aus dem Ausland erlangte Daten sieht das deutsche Recht nicht vor, insbesondere ist § 100e Abs. 6 StPO hierauf nicht unmittelbar anwendbar; lediglich die dort verkörperte Wertung ist aus von Verfassungs wegen gebotenen Verhältnismäßigkeitsgründen entsprechend heranzuziehen. Das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbots ist nach nationalem Recht zu bestimmen. Ein solches kann sich aus rechtshilfespezifischen Gründen oder aus nationalem Verfassungs- oder Prozessrecht ergeben. Darüber hinaus sind die Vorgaben der EMRK zu beachten.

Die Frage, ob im Wege der Rechtshilfe erlangte Beweise verwertbar sind, richtet sich ausschließlich nach dem nationalen Recht des um Rechtshilfe ersuchenden Staates, soweit der um Rechtshilfe ersuchte Staat die unbeschränkte Verwendung der von ihm erhobenen und übermittelten Beweisergebnisse gestattet hat (BGH, a.a.O. Rn. 26 m.w.N.). Demgegenüber ist die Rechtmäßigkeit von Ermittlungshandlungen nach dem Recht des ersuchten Staates zu bewerten. Eine Überprüfung hoheitlicher Entscheidungen des ersuchten Staates am Maßstab von dessen Rechtsordnung durch die Gerichte des ersuchenden Staates findet dabei grundsätzlich nicht statt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2012 - 1 StR 310/12, BGHSt 58, 32 Rn. 34 mwN; vom 9. April 2014 - 1 StR 39/14, NStZ 2014, 608). Im Rechtshilfeverkehr ist es vielmehr geboten, Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und -anschauungen grundsätzlich zu achten, auch wenn sie im Einzelnen nicht mit den innerstaatlichen - hier deutschen - Auffassungen übereinstimmen (BVerfG, Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1258/19 und 1497/19 Rn. 55 m.w.N.).

bb) Die Kammer ist aufgrund des derzeitigen Ermittlungsstandes, wie er sich aus den vorgelegten Akten darstellt, nicht in der Lage, die Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensgrundsätze zu überprüfen. Darüber hinaus ist nicht zu erwarten, dass dieser erhebliche Mangel im Laufe des Hauptverfahrens behoben werden könnte.

Bei dem Krypto-Messengerdienst "Y." handelt es sich um ein verschlüsseltes Informationssystem, welches durch das US-amerikanische Federal Bureau of Investigation (FBI) entwickelt und offenbar gezielt in kriminelle Organisationen eingeschleust worden ist. Dabei sollen die überwiegenden Nutzer der "Y."-Handys weder Staatsbürger der USA, noch dort wohnhaft gewesen sein. Der Server, an welchen die entschlüsselte Kommunikation ausgeleitet werden sollte, durfte nicht in den USA stehen und das FBI durfte mit dieser Methode keine US-amerikanischen Staatsbürger überwachen (OLG München, Beschluss vom 19.10.2023, BeckRS 2023, 30017, Rn. 59). Ein erster Server wurde deswegen in Australien gehostet, dessen Gerichte untersagten jedoch die Weitergabe der Daten an die USA und weitere Staaten (a.a.O.) Weitere Erkenntnisse ergeben sich hierzu aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion "Die Linke", BT-Drucks. 20/1249 vom 29.03.2022. Nach dem Informationsstand der Bundesregierung habe das FBI die Daten per Rechtshilfe von einem nicht bekannten Mitgliedsstaat der Europäischen Union erhalten, da die Daten zunächst an einen dort befindlichen Server ausgeleitet worden seien. Erst von dort seien sie aufgrund eines Rechtshilfeersuchens an einen Server des FBI in den Vereinigten Staaten weitergeleitet worden. Dieser Drittstaat sei dem Bundeskriminalamt ebenso wenig bekannt wie der Grund für dessen Geheimhaltung durch das FBI. Das FBI wiederum habe die Daten dem Bundeskriminalamt und Europol zur Verfügung gestellt (BT-Drucks. 20/1249, S. 6 f.).

Mangels Offenlegung des Verlaufs der Ermittlungen, der im einzelnen durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen, und deren zugrundeliegenden richterlichen Anordnungen ist eine Überprüfung der Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit auch unter Beachtung der eingeschränkten Prüfungskompetenz nicht möglich.

Nach Auffassung der Kammer ist der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, welcher den Rechtshilfeverkehr innerhalb der EU prägt, nicht anwendbar. Zudem ist diese Vermutung widerlegbar, weshalb der Vollstreckungsstaat die Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung verweigern kann, wenn berechtigte Gründe für die Annahme eines nicht kompensierten Grundrechtsverstoßes sprechen (Erwägungsgrund Nr. 19 Sätze 2 und 3, Art. 11 RL EEA) (BGH Beschl. v. 2.3.2022 - 5 StR 457/21, BeckRS 2022, 5306 Rn. 28, beck-online).

Die aus den "Y."-Chats gewonnen Daten sind den deutschen Strafverfolgungsbehörden hier jedoch nicht unmittelbar von einem anderen EU-Mitgliedsstaat, sondern auf dem Umweg über das US-amerikanische FBI zur Verfügung gestellt worden. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Datenübergabe an das Bundeskriminalamt jedenfalls nicht unmittelbar auf einer ermittlungsrichterlichen Anordnung eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union, sondern auf einer Ermittlungshandlung der US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden beruht. Eine solche fällt nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie über Europäische Ermittlungsanordnungen.

Die Ausgangssituation unterscheidet sich insoweit erheblich von der Dechiffrierung des Kryptosystems "G.", deren Ergebnisse die Kammer in einem anderen Verfahren für verwertbar gehalten hat, und deren Verwertbarkeit inzwischen auch vom Bundesgerichtshof bestätigt worden ist.

In den Verfahren betreffend die Erkenntnisse aus "G." waren nämlich der gesamte Verfahrensablauf des ermittelnden Drittstaates, hier Frankreich einschließlich der zugrundeliegenden ermittlungsrichterlichen Beschlüsse bekannt (vgl. hierzu die ausführliche Darstellung im Beschluss des Bundesgerichtshofs v. 2.3.2022 - 5 StR 457/21). Sie waren somit einer tat- und revisionsrichterlichen Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit und Einhaltung der rechtsstaatlichen Verfahrensstandards zugänglich.

Demgegenüber unterliegen in der hier zu beurteilenden Konstellation der Gang der Ermittlungen, die hierzu ergangenen gerichtlichen Entscheidungen und der beteiligte Drittstaat der Geheimhaltung durch die US-amerikanischen Behörden. Die entsprechenden Beschlüsse dieses Drittstaates liegen nicht vor.

Sie werden sich voraussichtlich auch nicht ermitteln lassen.

Das Landgericht Memmingen hat in einem Strafverfahren (1 KLs 401 Js 10121/22) trotz entsprechender Bemühungen keine weiteren Erkenntnisse im Rahmen der Beweisaufnahme gewinnen können (Urteil vom 21.08.2023, BeckRS 2023, 26989). Es ist nicht zu erwarten, dass der Kammer eine weitere Aufklärung möglich sein wird, zumal das FBI nach den sich aus den weiteren Entscheidungen ergebenden Informationen die Nennung des Drittstaates auch zukünftig ausgeschlossen hat.

cc) Darüber hinaus kann der sich anhand tatsächlicher Anhaltspunkte ergebende Verdacht, es könne sich um eine anlasslose Massenüberwachung - und damit nicht um eine strafprozessuale, sondern geheimdienstliche Maßnahme handeln - nicht widerlegt werden. Auch insofern unterscheidet sich die Sachlage deutlich von derjenigen betreffend das System "G.". Das deutsche Strafprozessrecht setzt für die Anordnung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen den konkreten Verdacht einer schweren Straftat aus dem Katalog des § 100a Abs. 2 StPO voraus. Ausgangspunkt für die Überwachung der G.-Kommunikation war ein bei den französischen Behörden geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen die unbekannten Betreiber des Systems. Demgegenüber scheint es sich bei dem vom FBI initiierten Inverkehrbringen der "Y."-Geräte um eine präventive Maßnahme zu handeln, um Erkenntnisse über Straftaten zu erlangen, die erst künftig begangen werden würden. Bei Beginn der Abhörmaßnahmen lag ein individualisierter Tatverdacht gegen die betroffenen Personen nicht vor. Aus diesem Grund bestehen erhebliche Zweifel daran, ob für die Datenerhebungen nach US-amerikanischen oder deutschem Recht eine Ermächtigungsgrundlage besteht (so auch OLG München, Beschluss vom 19.10.2023, 1 Ws 525/23, BeckRS 2023, 30017, Rn. 63).

dd) Auch eine bewusste Umgehung strengerer inländischer Anordnungsvoraussetzungen, die ebenfalls ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2022, 5 StR 457/21, Beck RS 2022, 5306, Rn. 75), lässt sich letztlich nicht sicher ausschließen. Anhaltspunkte für ein "Befugnisshopping" der US-amerikanischen Behörden ergeben sich aber daraus, dass eine Überwachung der eigenen Staatsbürger nicht zulässig war und ein Serverstandort in einem Drittstaat gefunden werden musste. Auch der Umstand, dass die zunächst ersuchten australischen Gerichte die Herausgabe der Daten verweigert haben sollen, und man dann offenbar weiter "gesucht" hat, bis man den unbekannten Drittstaat "gefunden" hat, in dem eine Datenerhebung möglich gemacht wurde, ist kritisch zu bewerten.

ee) Die Entscheidungen der Oberlandesgerichte Saarbrücken und Frankfurt am Main stehen dieser Bewertung nicht entgegen. Die Entscheidung des OLG Saarbrücken geht von einem "bislang" nicht näher benannten EU-Mitgliedsstaat aus. Dabei setzt sich der Beschluss allerdings nicht damit auseinander, dass die Datenlieferung nicht unmittelbar aus dem Mitgliedsstaat, sondern auf dem Umweg über das FBI erfolgte, so dass der innereuropäische Vertrauensschutz fraglich ist.

Die Entscheidungen des OLG Frankfurt am Main stellen darauf ab, dass die Chatprotokolle nach "derzeitigem" Stand "mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit" verwertbar seien. Dabei stellt das Gericht ebenfalls auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Rechtshilfeverkehr mit anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ab. In einer Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. standen zudem weitere Beweismittel zur Verfügung, die auf der Grundlage der Erkenntnisse gewonnen worden waren, darunter auch die Angaben zweier Mitbeschuldigter. Darüber hinaus hat das OLG seine Prüfung ausdrücklich auf den Stand der Ermittlungen beschränkt, wie er sich nach Aktenlage darstellte.

Die bisherigen Bemühungen der Tatgerichte, die Umstände weiter aufzuklären, sind jedoch gescheitert (vgl. LG Memmingen a.a.O.).

b) Zusammenfassend kann nochmals auf die Ausführungen in der Enrochat-Entscheidung des BGH (Beschluss vom 02.03.2022, 5 StR 457/21) verwiesen werden. Dort wird darauf hingewiesen, dass das Strafverfahrensrecht keinen allgemein geltenden Grundsatz kennt, wonach jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht. Ob ein solches eingreift, ist vielmehr jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Dabei ist zu beachten, dass die Annahme eines Verwertungsverbots eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Deshalb handelt es sich bei einem Beweisverwertungsverbot um eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist. Maßgeblich beeinflusst wird das Ergebnis der danach vorzunehmenden Abwägung einerseits durch das Ausmaß des staatlichen Aufklärungsinteresses, dessen Gewicht im konkreten Fall vor allem unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit weiterer Beweismittel, der Intensität des Tatverdachts und der Schwere der Straftat bestimmt wird. Andererseits ist das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes von Belang, das sich vor allem danach bemisst, ob der Rechtsverstoß gutgläubig, fahrlässig oder vorsätzlich begangen wurde. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist ein Beweisverwertungsverbot geboten, wenn die Auswirkungen des Rechtsverstoßes dazu führen, dass dem Angeklagten keine hinreichenden Möglichkeiten zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des Verfahrens verbleiben, die Mindestanforderungen an eine zuverlässige Wahrheitserforschung nicht mehr gewahrt sind oder die Informationsverwertung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht führen würde (Rn. 43 des o. g. Beschlusses).

Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall von einem Verwertungsverbot hinsichtlich der übermittelten Daten auszugehen, da die Auswirkungen dergestalt sind, dass dem Angeklagten jegliche Möglichkeit genommen wird, die Rechtmäßigkeit der Informationsgewinnung in dem unbekannten Drittstaat zu überprüfen und ihm somit jegliche Möglichkeit, zur Einflussnahme auf Gang und Ergebnis des auf diesen Informationen beruhenden Verfahrens genommen wird. Ob die Mindestanforderungen an eine zulässige und zuverlässige Informationsgewinnung gewahrt sind, kann eben weder vom Angeklagten noch durch die Kammer auch nur ansatzweise geprüft werden, es fehlen hierzu jegliche konkreten Informationen, während sich gleichzeitig aus den verfügbaren Informationen - wie oben dargelegt - Anhaltspunkte für mögliche verfahrensrechtliche Verstöße ergeben.

2. Nichteröffnung bzgl. B.

Der Angeschuldigten B. wird zur Last gelegt, am 19.08.2023 Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge geleistet zu haben, indem sie dem Angeschuldigten E., ihrem Ehemann, dabei geholfen habe, den Erhalt der Betäubungsmittel durch Verstauen zu sichern. Konkret sei dies geschehen, indem sie den Kofferraum ausgeräumt und eine Kofferraumabdeckung herbeigeschafft habe, um eine Einsichtnahme von außen zu verhindern und die Betäubungsmittel zu verstecken.

Auch hier fehlt es an einem hinreichenden Tatverdacht, also einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, dass mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln im Rahmen einer Hauptverhandlung ein Tatnachweis insbesondere hinsichtlich des Gehilfenvorsatzes gelingen wird.

Die in der Anklageschrift aufgeführten objektiven Handlungen der Angeschuldigten B. werden sich voraussichtlich durch die Ergebnisse der Observation der Anschrift K.-straße in H. nachweisen lassen (vgl. insbesondere Sonderband Observation, Bl. 132 - 136). Dort ist zu erkennen, dass eine große Tasche - dem optischen Eindruck nach die Tasche, in der nach der Festnahme des Angeschuldigten E. die in der Anklage genannten Betäubungsmittel gefunden wurden - übergeben und zunächst auf die Rücksitzbank gestellt wird. Die Angeschuldigte B. räumt sodann den Kofferraum aus und bringt einige Gegenstände, vermutlich Eimer, ins Haus. Währenddessen verstaut der Angeschuldigte E. die fragliche Tasche im Kofferraum. Die Angeschuldigte B. kommt mit der zu dem Fahrzeug passenden Kofferraumabdeckung zurück, baut diese in das Fahrzeug ein und schließt den Kofferraumdeckel.

In objektiver Hinsicht hätte sie mit diesen Handlungen die Verwirklichung der Haupttat gefördert. Allerdings ist schon an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass es nach der Observation der Angeschuldigte E. war, der die Tasche in den Kofferraum gestellt hat. Durch die von der Angeschuldigten B. angebrachte Kofferraumabdeckung und das Verschließen der Heckklappe wurde die Tasche jedoch besser gegen Blicke und damit gegen zufällige Entdeckung oder auch gegen einen gezielten Zugriff anderer Personen geschützt.

Für eine Strafbarkeit als Gehilfin wäre außerdem erforderlich, dass die Angeschuldigte E. mit doppeltem Gehilfenvorsatz gehandelt hätte, d. h., sie müsste die wesentlichen Merkmale der Haupttat erkennen und die Handlung des Haupttäters fördern wollen. Dabei ist nicht erforderlich, dass sie von allen Einzelheiten der Haupttat Kenntnis hätte (vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 27, Rn. 22 mwN).

Diese subjektive Komponente lässt sich aus den Aufnahmen im Rahmen der Observation nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ableiten. Es ist der Angeschuldigte E., dem die Tasche offensichtlich durch den Angeschuldigten R. um 20:09 Uhr übergeben wird und durch den sie zunächst auf der Rückbank verstaut wird. Der Angeschuldigte E. holt anschließend die Angeschuldigte B. herbei, die mit dem Ausräumen des Kofferraums beginnt. Sie war also zunächst bei Übergabe der Tasche und dem anschließenden Gespräch noch nicht zugegen, sondern kommt erst anschließend mit einem Kind auf dem Arm hinzu. Nicht sie, sondern der Angeschuldigte E. nimmt die Tasche von der Rückbank, deckt sie zunächst mit einer Decke ab und stellt sie anschließend in den Kofferraum. Letzteres geschieht offensichtlich, während die Angeschuldigte B. nicht direkt daneben steht, sondern sich auf dem Weg ins Haus befindet, um die Eimer wegzubringen und die Abdeckung zu holen. Als die Angeschuldigte B. zurückkehrt, befindet sich die Tasche bereits im Kofferraum.

Dieser konkrete Geschehensablauf lässt auch die Möglichkeit offen, dass der Angeschuldigte E. zwar die Absicht hatte, die Tasche vor Blicken geschützt im Kofferraum zu verstauen, dies der Angeschuldigten B. aber nicht mitgeteilt hat und diese auch sonst keine Kenntnis von dem konkreten Inhalt der Tasche hatte. Aus den nach Sicherstellung der Tasche gefertigten Aufnahmen ergibt sich, dass die darin enthaltenen Betäubungsmitteln mehrfach verpackt und bei einem bloßen Blick in die Tasche nicht auf Anhieb erkennbar waren. Sie angefasst oder sich sonst näher mit der Tasche beschäftigt hat die Angeschuldigte B. nicht. Es bleibt die Möglichkeit, dass es sich aus Sicht der Angeschuldigten B. lediglich darum handelte, ihrem Mann dabei zu helfen, den Kofferraum des Fahrzeugs aufzuräumen und allgemein die Abdeckung wieder anzubringen. Dass sich zum relevanten Zeitpunkt angesichts der Umverpackung der Betäubungsmittel und des Umstandes, dass sich das Geschehen im Freien abspielte, ein starker Marihuanageruch verbreitet hätte, den die Angeschuldigte B. hätte wahrnehmen und identifizieren müssen, lässt sich ebenfalls nicht sicher feststellen.

Weitere Beweismittel außerhalb der Bilder, aus denen sich Rückschlüsse auf die subjektive Vorstellung der Angeschuldigten B. zum fraglichen Zeitpunkt ziehen ließen, sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergibt sich insoweit nichts aus der Telekommunikationsüberwachung. Es erscheint zwar nicht fernliegend, dass die Angeschuldigte B. eine grundsätzliche Kenntnis über die Verstrickung ihres Ehemannes in Betäubungsmittelgeschäfte hatte, dies begründet aber noch keinen Gehilfenvorsatz und keinen sicheren Nachweis, dass ihr in der hier relevanten Situation bewusst war, sie es zumindest für möglich hielt oder sich überhaupt Gedanken darüber machte, dass sich in der Tasche Betäubungsmittel befanden und sie gerade mithalf, diese sicher zu verstauen.

Schließlich liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich im Rahmen der Hauptverhandlung weitere Erkenntnisse zu diesem Punkt gewinnen lassen würden, insbesondere ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Angeschuldigte B. durch zu erwartende Aussagen belastet werden könnte.

3. Eröffnung im Übrigen

Soweit das Verfahren eröffnet und die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen wurde, ist eine Begründung entbehrlich. Es wird daher nur auf die Ausführungen in den jeweiligen Haftbefehlen verwiesen. Das angenommene Verwertungsverbot bzgl. der Erkenntnisse aus den Y.-Chats entfaltet keine Fernwirkung dergestalt, dass die Erkenntnisse aus den weiteren, in der Folge durchgeführten Untersuchungshandlungen nicht verwertbar wären.


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