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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Rückwirkung, Bestellung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Verden (Aller), Beschl. v. 11.03.2024 - 9a Gs 2875 Js 43559/23 (874/24)

Eigener Leitsatz:

Eine rückwirkende Beiordnung des Verteidigers nach Beendigung eines Verfahrens (durch Einstellung) ist ausnahmsweise dann geboten, wenn aufgrund von Umständen, die nicht in der Sphäre des Beschuldigten liegen, die Entscheidung über einen vor Beendigung des Verfahrens gestellten Beiordnungsantrag gänzlich unterblieben ist oder erst mit Verzögerung bearbeitet wurde.


Amtsgericht Verden (Aller)

Beschluss

11.03.2024

9a Gs 2875 Js 43559/23 (874/24)

In dem Ermittlungsverfahren
gegen

wegen Körperverletzung

wird dem Beschuldigten Herr Rechtsanwalt Martin Voß als Verteidiger bestellt.

Gründe:

Der Verteidiger beantragte mit Datum vom 21.11.2023 seine Beiordnung.

Zu diesem Zeitpunkt lagen die Voraussetzungen einer Beiordnung vor.

Dem Beschuldigten befand sich aufgrund richterlicher Anordnung in einer Anstalt (§ 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO).
Das Verfahren wurde sodann seitens der Staatsanwaltschaft mit Datum vom 20.02.2024 gem. § 170 StPO eingestellt.

Eine rückwirkende Beiordnung des Pflichtverteidigers ist auf Grundlage der seit dem 13.12.2019 geltenden Rechtslage (BGBl. 2019 I, S. 2128; dazu Böß, NStZ 2020, 185) zumindest dann zulässig, wenn - wie hier - der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig gestellt wurde und trotzdem vor der Verfahrenseinstellung die Bestellung eines Pflichtverteidigers unterblieb.

Zwar ist eine rückwirkende Beiordnung nach auf der früheren Rechtslage beruhenden höchstrichterlicher und weit überwiegender obergerichtlicher Rechtsprechung unzulässig und unwirksam (BGH NStZ-RR 2009, 348; OLG München, Beschl. v. 13.01.2012 - 1 Ws 25/12; OLG Hamm NStZ-RR 2009, 113; OLG Köln NStZ-RR 2011, 325). Dies gelte auch dann, wenn der Antrag rechtzeitig gestellt, aber versehentlich nicht über ihn entschieden wurde, weil die Beiordnung im Strafprozess nicht im Kosteninteresse des Beschuldigten erfolgt, sondern allein dem Zweck dient, die ordnungsgemäße Verteidigung in einem noch ausstehenden Verfahren zu gewährleisten.
Nach der Rechtsprechung einzelner Landgerichte gilt dies nicht ausnahmslos (LG Potsdam StraFo 2004, 381; LG Schweinfurt StraFo 2006, 25; LG Hamburg StV 2000, 207; umfassender Nachweis bei KG StV 2007, 372; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt § 141 Rn. 8). Eine rückwirkende Beiordnung des Verteidigers nach Beendigung eines Verfahrens (durch Einstellung) sei ausnahmsweise dann geboten, wenn aufgrund von Umständen, die nicht in der Sphäre des Beschuldigten liegen, die Entscheidung über einen vor Beendigung des Verfahrens gestellten Beiordnungsantrag gänzlich unterblieben ist oder erst mit Verzögerung bearbeitet wurde.
Nach Ansicht des Gerichtes ist jedenfalls in der vorliegenden Konstellation die rückwirkende Beiordnung zulässig.

Ein Ausschluss der rückwirkenden Bestellung ist vorliegend nicht sachgerecht, zumal die rechtzeitige Bearbeitung des Antrages allein aufgrund justizinterner Vorgänge unterblieb.

Auch nach einer Einstellung kann der Zweck der Bestellung (sinnvolle Wahrnehmung der Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren) grundsätzlich noch erreicht werden (vgl. Entscheidungen nach dem StrEG; Klärung von Kostenfragen §§ 467, 469 StPO).


Einsender: RA M. Voß, Braunschweig

Anmerkung:


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