Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Beiordnungsgrund, ausländischer Beschuldigter, drohende Ausweisung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Bremen, Beschl. v. 14.03.2024 - 2 Qs 3/24

Eigener Leitsatz:

Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers in einem Verfahren mit dem Vorwurf eines Verstoßes gegen § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG, wenn dem ausländischen Beschuldigten mit dem derzeitigen Status der Duldung im Fall der Verurteilung ggf. die Ausweisung droht.


Landgericht Bremen

Strafkammer 2

Beschluss

2 Qs 3/24

In der Strafsache
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Vergehens nach dem BtMG

hat die Strafkammer 2 des Landgerichts Bremen durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 14.03.2024 beschlossen:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Bremen vom 15.11.2023 aufgehoben. Dem Angeschuldigten wird Rechtsanwalt pp. zum Pflichtverteidiger bestellt.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeschuldigten in diesem Rechtszug entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.

Gründe

I.

Mit Beschluss vom 15.11.2023 hat Amtsgericht Bremen den Antrag des Angeschuldigten auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers abgelehnt, da die Mitwirkung eines Verteidigers aufgrund der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht geboten sei. Weder mangelnde Deutschkenntnisse des Angeschuldigten noch etwaige ausländerrechtliche Nachteile begründen einen Beiordnungsgrund. Im Übrigen enthalte der Vortrag im Hinblick auf etwaige ausländerrechtliche Nachteile lediglich vage Vermutungen. Hiergegen wendet sich der Angeschuldigte mit seiner Beschwerde und führt aus, dass unter Berücksichtigung der Vielzahl weiterer gegen den Angeschuldigten anhängiger Ermittlungs- und Strafverfahren der Verbleib des Angeschuldigten in Deutschland auch von dem Ausgang des hiesigen Verfahrens abhängig sei.

Die Kammer hat nach § 308 Abs. 2 StPO eine Stellungnahme der zuständigen Ausländerbehörde der Stadt - im Hinblick auf den gegenwärtigen Aufenthaltsstatus des Angeschuldigten und etwaigen aufenthaltsrechtlichen Nachteilen im Falle einer Verurteilung des Angeschuldigten eingeholt. Des Weiteren hat die Kammer bezüglich der Verfahren 94 Ds 540 Js 63207/21 beim Amtsgericht Bremen und 6 Cs 950 Js 40727/22 beim Amtsgericht Bersenbrück um Mitteilung des Verfahrensstandes gebeten.

Auf das Ergebnis der erhaltenen Stellungnahmen wird verwiesen.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Gemäß § 140 Abs. 2 StPO liegt ein Fall einer notwendigen Verteidigung auch dann vor, wenn wegen der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint. Dabei gilt, dass auch mittelbare schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge einer Verurteilung zu erwarten hat, bei der Beiordnungsentscheidung zu berücksichtigen sind (KG, Beschl. v. 28.02.2017 - 5 Ws 50/17-121 AR 36/17, BeckRS 2017, 109349; LG Oldenburg, Beschl. v. 15.10.2012 - 4 Qs 318/12, BeckRS 2013, 10658; sowie Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. (2023), § 140 Rn. 23c m.w.N.).
Ausweislich der Stellungnahme der Stadt El . als der für den Angeschuldigten
zuständigen Ausländerbehörde vom 26.02.2024 hat der Angeschuldigte in den letzten fünf Jahren seines Aufenthalts in Deutschland keinen aufenthaltsrechtlichen Status bzw. lediglich den Status eines sich unerlaubt aufhaltenden Ausländers im Bundesgebiet besessen. Ihm wurde von der Stadt X. am 01.12.2023 eine bis zum 31.03.2024 befristete Duldung (Aussetzung der Abschiebung) ausgestellt. Diese befristete Duldung sei vor dem Hintergrund erfolgt, da der Angeschuldigte angegeben habe, Vater eines deutschen, in Bremen lebenden Kindes zu sein und er sich zusammen mit der Kindesmutter um das Kind kümmere. Auf die Frage, ob zukünftige strafrechtliche Verurteilungen neben den bereits bekannten Verurteilungen Auswirkungen auf den aufenthaltsrechtlichen (Duldungs-)Status haben können, verweist die Stadt X. darauf, dass hierzu derzeit keine verbindliche Auskunft erteilt werden könne. Denn dem Ausweisungsinteresse des Staates stehe aufgrund der strafrechtlichen Verurteilungen und dem jahrelangen illegalen Aufenthalt das Bleibeinteresse des Ausländers - hier die schützenswerte familiäre Bindung zu seinem Kind - gegenüber.

Vor dem Hintergrund der eingeholten Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde ist derzeit eine Entscheidung bezüglich des aufenthaltsrechtlichen (Duldungs-)Status offen. Im Falle einer Entscheidung über eine Ausweisung ist in die zu treffende Abwägungsentscheidung einzustellen, dass nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG das Ausweisungsinteresse bereits schwer wiegt, wenn der Ausländer als Täter den Tatbestand des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG verwirklicht oder dies versucht. Im hiesigen Verfahren wird dem Angeschuldigten ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG vorgeworfen. Ungeachtet der Frage, in welchem Umfang das Bleibeinteresse des Angeschuldigten aufgrund des Umstands, dass er sich um sein Kind kümmert, in die Abwägungsentscheidung einzustellen ist, kann damit eine Verurteilung im hiesigen Verfahren schwerwiegende Nachteile für den Angeschuldigten entfalten. Es besteht mithin ein Fall einer notwendigen Verteidigung.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA J. Sürig, Bremen

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".