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Entscheidungen

Gebühren/Kosten/Auslagen

Terminsvertreter, Beiordnung für den verhinderten Pflichtverteidiger, Umfang der Tätigkeiten in der Hauptverhandlung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Ulm, Beschl. v. 12.03.2024 - 1 Qs 7/24

Eigener Leitsatz:

Hat in einem Hauptverhandlungstermin ein aussagepsychologischer Sachverständiger sein Gutachten erstattet, ist eine weitere Zeugin vernommen worden und wurden die Plädoyers gehalten, ist der für diesen Termin als Vertreter des verhinderten Pflichtverteidigers beigeordnete Rechtsanwalt nicht bloß Terminsvertreter, so dass ihm nicht nur die Terminsgebühr, sondern auch Grundgebühr und Verfahrensgebühr zustehen.


1 Qs 7/24

Landgericht Ulm

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern

hier: Beschwerde des Pflichtverteidigers pp.

hat das Landgericht Ulm - 1. Große Strafkammer - am 12. März 2024 durch Richter am Landgericht pp. beschlossen:

1. Auf die Beschwerde von Rechtsanwalt Pp2. werden die Beschlüsse der Kostenbeamtin beim Amtsgericht Göppingen vom 24. November 2023 und des Amtsgerichts Göppingen vom 19. Januar 2024 aufgehoben.
2. Dem Beschwerdeführer ist für die Verteidigung des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Göppingen im Termin vom 14. Juni 2023 eine Vergütung in Höhe von 787,76 Euro zu gewähren.
Das Verfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Vor dem Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Göppingen fand am 12. Juni 2023 und 14. Juni 2023 die Hauptverhandlung gegen pp. statt. Er wurde am letzten Termin wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Der Vorsitzende hatte ihm Rechtsanwalt pp1. als Verteidiger beigeordnet. Wegen dessen Verhinderung am 14. Juni 2023 bestellte er im Termin am 14. Juni 2023 Rechtsanwalt pp2. zum Verteidiger. Die Verfügung lautet wie folgt:

„Herr Rechtsanwalt pp2. wird für die heutige Sitzung dem Angeklagten pp. als notwendiger Verteidiger wegen der Verhinderung des Rechtsanwalts pp1. zum heutigen Termin beigeordnet.

Mit Schriftsatz vom 5. November 2023 beantragte Rechtsanwalt pp2., ihm eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG, eine Terminsgebühr nach Nr. 4108 VV RVG, die Post- und Telekommunikationspauschale nach Nr. 7002 VV RVG, Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG, Fahrtkosten nach Nr. 7003 und 7004 VV RVG sowie Parkkosten in Höhe von 14,50 Euro zu gewähren. Am 24. November 2023 setzte die Kostenbeamtin eine Vergütung in Höhe von lediglich 381,97 Euro fest, da Rechtsanwalt Pp2. als Vertreter für Rechtsanwalt pp1. aufgetreten sei, sodass weder eine Grund- und Verfahrensgebühr noch eine Kostenpauschale angefallen sei.

Gegen diese Entscheidung hat Rechtsanwalt Pp2. am 07. Dezember 2023 Erinnerung eingelegt. Das Amtsgericht Göppingen hat durch den angegriffenen Beschluss vom 19. Januar 2024 die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Die Beiordnung von Rechtsanwalt Pp2. sei lediglich wegen der Verhinderung von Rechtsanwalt pp1. an dem Sitzungstag am 14. Juni 2023 erfolgt und hätte sich auch nicht auf einen außerplanmäßigen Fortsetzungstermin erstreckt. Eine unbeschränkte Beiordnung eines weiteren Pflichtverteidigers sei nicht erfolgt. Tatsächlich handele es sich bei der Tätigkeit von Rechtsanwalt Pp2. um eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG. Eine Verschlechterung sei indes nicht möglich. Eine Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr entstehe nur bei einer Beiordnung über die Einzeltätigkeit hinaus. Dies sei hier nicht der Fall.

Rechtsanwalt Pp2. hat gegen den Beschluss des Amtsgerichts Göppingen Be-schwerde eingelegt. Er hält unter Berufung auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe die Festsetzung auch einer Grund- und einer Verfahrensgebühr sowie der Kastenpauschale für gerechtfertigt.

Das Amtsgericht Göppingen hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Dem Beschwerdeführer stehen neben der Terminsgebühr eine Grundgebühr sowie eine Verfahrensgebühr und darüber hinaus auch die Kostenpauschale zu.

1. Ob eine zeitlich befristete Bestellung zu einem weiteren Verteidiger oder eine auf einen Sitzungstag beschränkte Bestellung zum Vertreter vorliegt, hängt in erster Linie von der Formulierung der Verfügung des Vorsitzenden ab. Jedoch kann auch von Be-deutung sein, ob der zusätzlich bestellte Verteidiger gehalten ist, sich umfassend in den Verfahrensstoff einzuarbeiten und/oder eine zeitaufwendige den Termin vorbereitende Tätigkeit zu entfalten. In diesen besonderen Fällen liegt keine bloße Vertretung mehr vor. Dann können über die Terminsgebühr hinaus weitere Gebühren (Grundgebühr, Verfahrensgebühr) anfallen. Ob dies der Fall ist, ist gegebenenfalls im Verfahren über die Festsetzung der dem Verteidiger zustehenden Gebühr zu ermitteln. Sofern dies angezeigt ist, sind Stellungnahmen der beteiligten Rechtsanwälte und des Vorsitzenden einzuholen. Auf diese Weise können auch etwaige Veränderungen, die sich wider Erwarten nach der Bestellung des weiteren Verteidigers ergeben haben, berücksichtigt werden. Lediglich eine Vertretung des Pflichtverteidigers liegt beispielhaft in folgenden Fällen vor: Der zunächst bestellte Verteidiger ist in der letzten Stunde eines Termins verhindert und die Beweiserhebung betrifft weitgehend einen Mitangeklagten. Der Verteidiger ist an einem sogenannten „Schiebetermin" verhindert, an dem lediglich Registerauszüge oder Urteile aus früheren Verfahren verlesen werden. In einem Verfahren gegen mehrere Angeklagten betrifft die Beweisaufnahme ganz überwiegend einen Mitangeklagten, nicht aber den vom bestellten Verteidiger vertretenen Angeklagten (OLG Stuttgart, Beschluss vom 03. Februar 2011 - 4 Ws 195/10, BeckRS 2011, 3142).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Verfahren der Beschwerdeführer nicht als Vertreter des ursprünglich bestellten Verteidigers, sondern als zweiter Pflichtverteidiger anzusehen. Zwar spricht der Wortlaut der Verfügung lediglich für eine Beiordnung als Vertreter, jedoch besteht hier die Besonderheit, dass im Termin am 14. Juni 2023 die aussagepsychologische Sachverständige Dr. pp ihr Gutachten erstattete, eine weitere Zeugin vernommen wurde und die Plädoyers gehalten wurden. Angesichts dieses Umfangs der Hauptverhandlung kann nicht von einem bloßen Terminsvertreter ausgegangen werden.

Dies hat zur Folge, dass Rechtsanwalt Pp2. über die Terminsgebühr hinaus eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG und eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 VV RVG sowie die Kostenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG zustehen.

3. Die Kammer weist darauf hin, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23. Januar 2023 (Az. 4 Ws 13/23) für den vorliegenden Fall nicht einschlägig ist. Bereits aus dem amtlichen Leitsatz dieser Entscheidung ergibt sich, dass diese sich allein zu den Gebühren verhält, die dem ausschließlich für die Vorführung und Vernehmung vor den zuständigen Richter (§ 115 Abs. 1 und Abs. 2 StPO) beigeordneten Verteidiger zustehen. Dass diesbezüglich die Oberlandesgerichte Stuttgart und Karlsruhe unterschiedliche Auffassungen vertreten, ist hinzunehmen. Maßgeblich für die im Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart ansässigen Gerichte ist dabei die Rechts-auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart.

Eine Übertragung des Verfahrens auf die Kammer gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG ist nicht veranlasst. Die mit der Entscheidung verbundenen Rechtsfragen sind durch das Oberlandesgericht Stuttgart für seinen Zuständigkeitsbereich geklärt. Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art liegen nicht vor.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG.

V.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2, § 33 Abs. 6 Satz 4, Abs. 4 Satz 4 RVG.


Einsender: RA. J. Leibold, Schorndorf

Anmerkung:


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