Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Vorabenscheidungsverfahren, Besetzungsmitteilungngsverfahren, Besetzungsmitteilung, Zeitpunkt, Besetzungsrüge, Begründung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 16.02.2024 – 2 Ws 58-61/24

Eigener Leitsatz:

Die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO reicht nur soweit, wie auch eine Rügeobliegenheit nach § 222b Abs. 1 S. 1 StPO besteht. Die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO setzt daher voraus, dass eine gebotene Besetzungsmitteilung nach §222 a StPO tatsächlich bis spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung im Sinne dieser Vorschrift erfolgt ist.


In pp.

Der Besetzungseinwand des Angeklagten vom 19.01.2024 sowie die Besetzungseinwände der Nebenkläger 1) - 3) vom 24.01.2024 werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 01.02.2024 beantragt, die Rügen der vorschriftswidrigen Besetzung der Strafkammer als unbegründet zurückzuweisen. Sie hat zum Verfahrensgang Folgendes ausgeführt:

"Die 4. große Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Köln hat den Angeklagten [geändert durch den Senat] am 17.03.2022 wegen Totschlags in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt. Auf die Revision der Nebenkläger hat der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Köln vom 17.03.2022 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (Bl. 3516 ff. d. ZA).

Der Vorsitzende der nunmehr zuständigen 5. großen Strafkammer - Schwurgericht - des Landgerichts Köln hat vom 12.01.2024 bis zum 12.04.2024 22 Termine zur Durchführung der Hauptverhandlung anberaumt. Als Hauptschöffin ist u. a. die Krankenschwester F. G. dem Verfahren zugelost worden und per Postzustellungsurkunde vom 07.12.2023 ordnungsgemäß geladen worden. [...]

Zu dem um 09:15 Uhr beginnenden ersten Hauptverhandlungstermin am 12.01.2024 ist die Schöffin G. nicht erschienen.

Die von dem Vorsitzenden daraufhin versuchte telefonische Kontaktaufnahme mit der Schöffin ist ebenso ohne Erfolg verlaufen wie eine Recherche im Telefonbuch und im Internet. Um 09:30 Uhr hat der Vorsitzende daraufhin die Aufnahme von polizeilichen Ermittlungen an der Wohnanschrift der Schöffin veranlasst und die Hauptverhandlung zunächst bis 10:45 Uhr unterbrochen. Um 10:20 Uhr hat die Geschäftsstelle des Landgerichts mitgeteilt, die Polizei habe Kontakt zu der Schöffin herstellen können. Die Schöffin habe mitgeteilt, sie habe bei Gericht angerufen und mitgeteilt, sie sei aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit an der Terminswahrnehmung gehindert und habe [ergänzt durch den Senat] daher ihre Teilnahme "abgesagt".

Der Versuch der Kammer, die Schöffin über die nunmehr bekannte Mobilfunknummer zu erreichen, ist zunächst [ergänzt durch den Senat] ohne Erfolg verlaufen, da der Anruf nicht entgegengenommen worden ist. In einem in der Folge zustande gekommenen Telefonat hat die Schöffin dem Vorsitzenden mitgeteilt, sie sei durch ihre Arbeitstätigkeit verhindert. Nachweise für ihre Verhinderung habe sie nicht. Der Dienstplan werde erst in der kommenden Woche erstellt. Sie könne zwar zum heutigen Hauptverhandlungstermin noch nachträglich erscheinen, aber alle Hauptverhandlungstermine könne sie unmöglich wahrnehmen, da ihr Chef damit nicht einverstanden sei. Der Vorsitzende hat daraufhin das Telefonat mit den Worten beendet, sie bleibe der Hauptverhandlung unentschuldigt fern und die Kammer werde über Ordnungsmaßnahmen befinden (Bl. 3775 d. EZA).

Der Vorsitzende hat aus diesem Anlass vermerkt und verfügt, die Schöffin G. werde von ihrer Dienstleistung in der Hauptverhandlung nach § 54 Abs. 2 S. 2 StPO entbunden. Sie habe sich zu Beginn der Hauptverhandlung nicht eingefunden und ihr Erscheinen könne ohne weitere erhebliche Verzögerungen des Beginns der Hauptverhandlung nicht sichergestellt werden. Ferner sei sie nicht gewillt zu den Folgeterminen zu erscheinen.

Nach der Entpflichtung der Schöffin G. ist der Strafkammer um 11:29 Uhr als nächste bereite Schöffin von der Ersatzschöffenliste Frau V. P. zugewiesen worden (Bl. 3776 d. EZA).

Da die Schöffin P. in einem sogleich durch den Vorsitzenden geführten Telefonat mitgeteilt hat, sie befinde sich vom 16.02. bis 26.02.2024 auf einer Schiffsreise, hat der Vorsitzende daraufhin vermerkt und verfügt, die Ersatzschöffin P. werde von ihrer Dienstleistung gemäß § 54 Abs. 1 S. 2 StPO entbunden. Die Reise der Schöffin betreffe vier Hauptverhandlungstage. Da diese mit umfangreichem Beweisprogramm und der Vernehmung des psychiatrischen Sachverständigen belegt seien, komme eine Aufhebung der Hauptverhandlung nicht in Betracht (Bl. 3777 d. EZA).

Nach der Entpflichtung der Hilfsschöffin P. ist der Strafkammer die Schöffin Z. um 11:45 Uhr als Ersatzschöffin zugewiesen worden (Bl. 3778 d. EZA). Nach Wiederbeginn der Hauptverhandlung um 14:00 Uhr hat die Schöffin Z. der Hauptverhandlung beigewohnt.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.01.2024 (Bl. 3770 ff. d. EZA), eingegangen bei dem Landgericht über das besondere elektronische Anwaltspostfach am selben Tag (Bl. 3767 d. EZA), hat der Angeklagte D. die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts mit der Schöffin E. F. Z. gerügt. Er ist der Ansicht, die Schöffin F. G. sei die richtige gesetzliche Richterin, da eine Entpflichtung nach § 54 Abs. 2 GVG zu Unrecht erfolgt sei. Das Gericht habe die wesentlichen Voraussetzungen einer Unerreichbarkeit im Sinne des § 54 Abs. 2 S. 2 GVG verkannt (Bl. 3778 ff. d. EZA).

Die Nebenkläger K., S. und H. haben sich der Besetzungsrüge angeschlossen.

Mit Beschluss vom 25.01.2024 hat die 5. große Strafkammer des Landgerichts Köln (105 Ks 90 Js 3/21 - 11/23) den Besetzungseinwand als unbegründet zurückgewiesen (Bl. 3791 ff. d. EZA)."

Hierauf nimmt der Senat Bezug.

Der Angeklagte hat mit anwaltlichen Schriftsätzen vom 05. und 06.02.2024 zu dem Beschluss der Strafkammer vom 25.01.2024 sowie der Vorlageverfügung der Generalstaatsanwaltschaft ergänzend Stellung genommen.

II.

Die Besetzungseinwände haben keinen Erfolg.

Das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO erweist sich auf der Grundlage der dem Senat unterbreiteten Sachlage für den Angeklagten bzw. die Nebenkläger 1) - 3) als nicht statthaft. Aufgrund des Rügevortrags kann der Senat nicht davon ausgehen, dass eine auf die Schöffin Z. bezogene Besetzungsmitteilung nach § 222a Abs. 1 StPO spätestens bis zu dem Beginn der Hauptverhandlung erfolgt ist.

1. Gemäß § 222b Abs. 1 S. 2 StPO sind bei der Geltendmachung des Einwands, dass das Gericht vorschriftswidrig besetzt sei, die Tatsachen anzugeben, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll. Das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO soll im Wesentlichen an das Revisionsverfahren angelehnt sein (BT-Drucks. 19/14747, S. 29). Das hat zur Folge, dass der Besetzungseinwand in der gleichen Form geltend zu machen ist wie die als Verfahrensrüge ausgestaltete Besetzungsrüge der Revision nach Maßgabe von § 344 Abs. 2 StPO (vgl. SenE v. 21.06.2021, 2 Ws 296/21; SenE v. 11.12.2020, 2 Ws 680/20; SenE v. 27.08.2020, 2 Ws 464/20; OLG Hamm, Beschl. v. 18.08.2020, III-1 Ws 325/20; OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20; KG Berlin, Beschl. v. 01.03.2021, 4 Ws 14/21; OLG München, Beschlüsse v. 12.02.2020, 2 Ws 138-139/20, und v. 10.03.2020, 2 Ws 283/20; OLG Celle, Beschl. v. 27.01.2020, 3 Ws 21/20; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 03.11.2021, 1 Ws 73/21; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 222b Rdn. 6). Der Besetzungseinwand muss ohne Bezugnahmen und Verweisungen (vgl. BGH, Urteil v. 04.09.2014, 1 StR 75/14; Schmitt a.a.O.) aus sich heraus Inhalt und Gang des bisherigen Verfahrens so konkret und vollständig wiedergeben, dass eine abschließende Prüfung durch das nach § 222b Abs. 3 S. 1 StPO zuständige Rechtsmittelgericht ermöglicht wird. Denn es ist nicht Aufgabe des Senats im Vorabentscheidungsverfahren gemäß § 222b Abs. 3 StPO, das revisionsrechtlichen Grundsätzen folgt, den Revisionsvortrag aus anderen Unterlagen zusammenzufügen oder zu ergänzen (vgl. BGH, Urteil v. 04.09.2014, 1 StR 75/14). Dabei sind als erforderlicher Inhalt des Besetzungseinwands auch Angaben anzusehen, aus denen sich dessen Statthaftigkeit ergibt. Widrigenfalls bedürfte es des bei einer revisionsähnlichen Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens nicht zulässigen Rückgriffs auf die Akten, um dem Rechtsmittelgericht die Prüfung zu ermöglichen, ob der Besetzungseinwand in statthafter Weise in Bezug auf eine spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung erfolgende Besetzungsmitteilung erhoben wurde (OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20).

Dem Rügevorbringen des Angeklagten, dem sich die beteiligten Nebenkläger lediglich ohne eigenen Sachvortrag angeschlossen haben, ist indes nicht zu entnehmen, dass spätestens bis zur Vernehmung des Angeklagten zur Person nach § 243 Abs. 2 S. 2 StPO (vgl. zur Maßgeblichkeit dieses Zeitpunkts im Rahmen der §§ 222a, 222b: BGH, Urteil v. 12.07.2001, 4 StR 550/00; BVerfG, Beschl. v. 19.03.2003, 2 BvR 1540/01) eine Besetzungsmitteilung erfolgt ist, die sich (auch) auf die Schöffin Z. bezog. Der Vortrag beschränkt sich vielmehr darauf, die Umstände darzulegen, die letztlich zu ihrer Zuweisung zu der Strafkammer führten, und mitzuteilen, dass sie seit "Sitzungsbeginn" um 14:00 Uhr des 12.01.2024 an der Hauptverhandlung teilnehme.

Dabei kann dem Vortrag bereits nicht entnommen werden, ob die Hauptverhandlung vor dem Eintritt der Schöffin Z. schon durch Aufruf der Sache im Sinne des § 243 Abs. 1 S. 1 StPO begonnen hatte und nach § 229 StPO unterbrochen worden war. In diese Richtung deutet allerdings die in der Rügeschrift verwendete Formulierung, der Vorsitzende habe "nach Unterbrechung der Hauptverhandlung zunächst bis 10:45 Uhr" das Tätigwerden einer Polizeistreife veranlasst. In diesem Fall wäre bereits fraglich, ob eine nach dem Aufruf der Sache eingetretene, gegenüber einer zuvor erteilten Besetzungsmitteilung - zu der der Angeklagte gleichfalls nichts vorträgt - geänderte Besetzung überhaupt noch dem Anwendungsbereich des § 222a StPO unterliegt. Hierfür dürfte allerdings sprechen, dass der Begriff des "Beginns der Hauptverhandlung" im Rahmen dieser Vorschrift bezogen auf den spätestmöglichen Mitteilungszeitpunkt den Zeitraum bis vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person umfasst (BGH, Urteil v. 12.07.2001, 4 StR 550/00; BVerfG, Beschl. v. 19.03.2003, 2 BvR 1540/01).

Selbst wenn aber davon auszugehen wäre, dass der Eintritt der Schöffin Z. zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, der noch eine Mitteilungspflicht nach § 222a StPO auslöste, kann der Senat auf Grund des hierzu schweigenden Rügevorbringens nicht zu Grunde legen, dass eine solche Mitteilung auch tatsächlich erfolgt ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich insoweit um eine wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 Abs. 1 StPO handelt, die ausdrücklich und eindeutig zu erfolgen hat. Bloß konkludentes Verhalten, etwa ein Aushang der Besetzung an der Türe des Sitzungssaals, genügt nicht (BGHSt 29, 162; BGH, Beschl. v. 06.01.2021, 5 StR 519/20, NStZ-RR 2021, 81; Ritscher in BeckOK StPO, 50. Edition, Stand: 01.01.2024, § 222a Rn. 7; vgl. auch Lantermann, HRRS 2022, 32, 33).

2. Steht somit zumindest das Fehlen einer Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO konkret im Raum, hat dies zur Folge, dass das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO nicht statthaft ist.

a) Für den - hier auf Grund des dargelegten defizitären Rügevorbringens zum genauen Ablauf der Hauptverhandlung am 12.01.2024 jedenfalls nicht auszuschließenden - Fall einer Besetzungsänderung, die erst zu einem Zeitpunkt in der Hauptverhandlung erfolgt, der schon vom Anwendungsbereich des § 222a StPO nicht mehr erfasst ist, entspricht dies der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschl. v. 02.02.2022, 5 StR 153/21, NJW 2022, 1470, insb. Tz. 11; vgl. dieser Entscheidung zu Grunde liegend OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20; vgl. zur Unstatthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens außerhalb des Anwendungsbereichs des § 222a StPO auch SenE v. 01.10.2020, 2 Ws 534/20).

b) Nach Ansicht des Senats setzt die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO aber auch in Konstellationen, in denen eine Besetzungs(änderungs)mitteilung nach § 222a StPO geboten ist, voraus, dass diese auch tatsächlich bis spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung im Sinne dieser Vorschrift erfolgt ist (so auch Lantermann, a.a.O., 34, 36, 41).

aa) Für dieses Verständnis sprechen zunächst bereits der Wortlaut und das Regelungsgefüge des § 222b StPO. So knüpft dessen Abs. 1 S. 1 StPO ausdrücklich an eine tatsächlich erfolgte Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO an. Dabei verkennt der Senat nicht, dass § 222b Abs. 1 S. 1 StPO unmittelbar nicht die Statthaftigkeit des Besetzungseinwandes als solchen, sondern die hierfür bestehende Rügefrist von einer Woche zum Gegenstand hat, die nur durch die erfolgte Besetzungsmitteilung ausgelöst wird. Ein Verständnis, wonach sich darüber hinaus auch die nachfolgenden Verfahrensbestimmungen des § 222b StPO gerade nur auf Einwände im Sinne des § 222b Abs. 1 S. 1 beziehen, mithin solche, die durch eine tatsächlich erfolgte Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO hervorgerufen worden sind, erscheint dem Senat aber als äußerst naheliegend. Soweit in der Literatur teilweise - ohne Eingehen auf die gesetzliche Einführung des § 222b Abs. 3 StPO in der Fassung vom 10.12.2019 - darauf hingewiesen wird, die Zulässigkeit des Besetzungseinwandes hänge nicht davon ab, dass die Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO tatsächlich erfolgt ist (Schmitt a.a.O., § 222b Rn. 2; Reichling in Gercke/Temming/Zöller, StPO, 7. Aufl. 2023, § 222b Rn. 2; Grube in SSW-StPO, 5. Aufl. 2022, § 222b Rn. 6; zur alten Fassung: Jäger in LR-StPO, 27. Aufl. 2019, § 222b Rn. 4), teilt der Senat dies jedenfalls für die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens durch das Rechtsmittelgericht nicht. Mit Blick darauf, dass das Tatgericht nach wohl überwiegender Meinung ohnehin verpflichtet ist, seine vorschriftsmäßige Besetzung in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen und gegebenenfalls auf eine Änderung hinzuwirken hat (BGH, Beschl. v. 25.04.1995, 4 StR 173/95, NStZ 1996, 48), mag es zutreffend sein, dass das V erfahren nach § 222b Abs. 2 StPO, das eine Selbstkorrektur der Besetzung ermöglicht, auf eine entsprechende Rüge hin auch dann durchzuführen ist, wenn es an einer Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO fehlt. Für das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO gilt dies nach Ansicht des Senats jedoch nicht in gleicher Weise.

bb) Denn hiermit hat der Gesetzgeber einen besonderen und zeitlich eingeschränkten Rechtsbehelf eingeführt, in dem das Rechtsmittelgericht über Fragen der Gerichtsbesetzung schon vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung anstelle des Revisionsgerichts nach revisionsrechtlichen Maßstäben abschließend entscheidet. Der Hintergrund für diese Neuregelung war die Erwägung, dass die Unsicherheit eines möglicherweise fehlerhaft besetzten Spruchkörpers der Hauptverhandlung im Unterschied zu anderen Revisionsgründen schon zu Beginn anhafte, was eine frühzeitige, abschließende Klärung zur Vermeidung des "Damoklesschwerts" einer späteren Aufhebung wegen Besetzungsfehlern als wünschenswert erscheinen lasse (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 29). Diese Zielrichtung und die Platzierung des neuen Verfahrens gerade in § 222b StPO sprechen nach Ansicht des Senats dafür, dass die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens auf solche Fälle beschränkt ist, in denen sichergestellt ist, dass dieses auch tatsächlich in einem frühen Verfahrensstadium stattfindet. Das aber ist nur dann der Fall, wenn eine Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO nicht nur vorgeschrieben, sondern auch tatsächlich erfolgt ist. Denn nur mit einer rechtzeitigen Besetzungsmitteilung nach dieser Vorschrift wird die Rügefrist von einer Woche ausgelöst, die gewährleistet, dass dem Verfahren die Unsicherheit eines bestandsgefährdenden Besetzungsfehlers durch eine entsprechende Rüge von Anfang an anhaftet und eine Entscheidung nach § 222b Abs. 3 StPO zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung angestoßen werden muss. Unterbleibt hingegen eine Mitteilung nach § 222a StPO bis zu dem dort geregelten spätestmöglichen Zeitpunkt, endet der zeitlich begrenzte Anwendungsbereich dieses Rechtsbehelfs, wobei es eines Besetzungseinwandes nach § 222b Abs. 1 S. 1 StPO zur Erhaltung der Besetzungsrüge in der Revision nicht bedarf (vgl. BGH, Beschl. v. 29.01.2013, 2 StR 497/12; Ritscher a.a.O., § 222b Rn. 5). Insoweit kann der Fehler auch nicht durch Wiederholung der Hauptverhandlung vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Person geheilt werden (Schmitt a.a.O., § 222a Rn. 6). Ließe man das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO auch für solche Fälle zu, in denen es an einer rechtzeitigen Besetzungsmitteilung nach § 222a StPO fehlt, hätte dies konsequenterweise - und schon mangels Vorliegens des fristauslösenden Ereignisses - zur Folge, dass dieses Verfahren fristungebunden auch noch zu späteren Zeitpunkten der Hauptverhandlung zulässig in Gang gesetzt werden könnte. Das gesetzgeberische Ziel, einer frühzeitigen Klärung von Besetzungsfragen zur Vermeidung eines "Damoklesschwerts" könnte so aber erkennbar nicht erreicht werden. Dass der Besetzungseinwand des Angeklagten hier in concreto zu einem frühen Zeitpunkt der Hauptverhandlung, nämlich im Falle einer - hier unterstellt - erfolgten Besetzungsmitteilung am 12.01.2024 - anders als die Besetzungseinwände der Nebenkläger - innerhalb der dann ausgelösten Wochenfrist, tatsächlich geltend gemacht worden ist, vermag diesen generellen Erwägungen den Boden nicht zu entziehen.

Zudem hätte die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens auch in Fällen unterbliebener Besetzungmitteilung zur Folge, dass es dem Rügenden frei stünde, dieselbe Frage entweder vorab, allerdings zu einem von ihm bis zur Urteilsverkündung frei bestimmbaren, auch späten Zeitpunkt durch das Rechtsmittelgericht des § 222b Abs. 3 StPO oder nach Abschluss der Hauptverhandlung durch das Revisionsgericht klären zu lassen. Eine derartige Alternativität von Rechtsbehelfen mit identischem Prüfungsgegenstand und Verfahren erscheint dem Senat als der Strafprozessordnung gänzlich systemfremd und vom Gesetzgeber nicht gewollt. Auch § 338 Nr. 1 b) aa) StPO scheint jedenfalls als Leitbild davon auszugehen, dass es im Falle der Verletzung von Vorschriften über die Besetzungsmitteilung nicht zu einer Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach § 222b Abs. 3 StPO kommt (vgl. auch BT-Drucks. 19/14747, S. 36: "wenn das Rechtsmittelgericht nicht über die Besetzung entschieden hat, weil [Hervorhebung durch den Senat] Vorschriften über die Mitteilung verletzt wurden".

Nach Ansicht des Senats reicht daher die Statthaftigkeit des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO nur soweit, wie auch eine Rügeobliegenheit nach § 222b Abs. 1 S. 1 StPO besteht (vgl. in diese Richtung auch BGH, Beschl. v. 02.02.2022, 5 StR 153/21, NJW 2022, 1470, Tz. 12: "einen nach §§ 222a und 222b StPO nicht erforderlichen und damit unstatthaften [Hervorhebung durch den Senat] Besetzungseinwand"; vgl. auch Gericke in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 9).

cc) Dem kann nicht durchgreifend entgegengehalten werden, dass die hiesige Ansicht dazu führen würde, dass dem Betroffenen bei bestehender, aber verletzter Mitteilungspflicht nach § 222a StPO durch ein insoweit fehlerhaftes Agieren des Gerichts eine Rechtsschutzmöglichkeit genommen würde. Denn insoweit ist zu konstatieren, dass hiermit für eine Revision aufgrund der fehlenden kurzfristigen Rügeobliegenheit mit Präklusionswirkung nach § 222b Abs. 1 S. 1 StPO erweiterte Angriffsmöglichkeiten einhergehen. Lediglich die Inanspruchnahme eines Vorabentscheidungsverfahrens durch ein Rechtsmittelgericht wird eingeschränkt. Allerdings ist es dem Betroffenen, dem es gerade hierauf ankommt, bereits unbenommen, auf eine rechtzeitige Mitteilung der Besetzung nach § 222a StPO durch das Gericht hinzuwirken, um die Rechtsschutzmöglichkeiten des Verfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO - mit der Folge einer dadurch ausgelösten kurzen Rügefrist - herbeizuführen. Kommt es dazu nicht, ist es nach Ansicht des Senats hinzunehmen, den Betroffenen allein auf das Revisionsverfahren zu verweisen. Zwar war es ein erklärtes gesetzgeberisches Ziel der Einführung des § 222b Abs. 3 StPO, dem Angeklagten die Möglichkeit zu eröffnen, seinen Anspruch auf Gewährleistung des gesetzlichen Richters schon vor Ende der Hauptverhandlung abschließend durch ein Rechtsmittelgericht überprüfen zu lassen (BT-Drucks. 19/14747, S. 29). Das gewählte Regelungsgefüge der §§ 222a, 222b StPO führt aber ohnehin dazu, dass diese Möglichkeit nicht umfassend für alle Konstellationen eröffnet wurde, in denen Derartiges wünschenswert erscheinen könnte, etwa für erstinstanzliche Verfahren vor den Amtsgerichten oder erst nach Beginn der Hauptverhandlung im Sinne des § 222a StPO eingetretene Besetzungsänderungen (vgl. BGH, Beschl. v. 02.02.2022, 5 StR 153/21, NJW 2022, 1470; OLG Bremen , Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20). Dass auch die hiesige Fallgestaltung aus dem Anwendungsbereich des § 222b Abs. 3 StPO herausfällt, kann vor diesem Hintergrund nicht als einer allgemeinen gesetzgeberischen Zielsetzung entgegenstehend bewertet werden, zumal die Einführung des § 222b Abs. 3 StPO nicht in erster Linie die Erweiterung der Rügemöglichkeiten der Verfahrensbeteiligten im Auge hatte, sondern die Zahl von Urteilsaufhebungen wegen einer Besetzungsrüge verringern wollte (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20). Die Betroffenen werden durch die hiesige Auffassung nicht grundsätzlich in ihrer Möglichkeit, fehlerhafte Besetzungen erfolgreich zu rügen, beschränkt, sondern lediglich auf die auch für Besetzungseinwände bis zur Einführung des § 222b Abs. 3 StPO und für alle übrigen Verfahrensbeanstandungen bis heute allein bestehenden Überprüfungsmöglichkeiten durch das Revisionsgericht verwiesen.

Erweist sich das Vorabentscheidungsverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO für den Besetzungseinwand des Angeklagten auf der Grundlage von dessen Tatsachenvortrag nach alldem als unstatthaft, so gilt dies auch für die Besetzungseinwände der Nebenkläger, die lediglich auf diesen Vortrag Bezug genommen haben. Es kommt daher nicht entscheidend auf die Frage an, ob deren Besetzungsrügen auch schon deshalb unzulässig waren, weil die bloße Bezugnahme auf Schriftsätze anderer Verfahrensbeteiligter den für das Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO zu stellenden Formerfordernissen gegebenenfalls nicht genügt (vgl. hierzu OLG München, Beschl. v. 12.02.2020, 2 Ws 138/20; s. demgegenüber Lantermann, a.a.O., 37).

Der Annahme der Unstatthaftigkeit der Besetzungseinwände steht es schließlich auch nicht entgegen, dass die Strafkammer sie mit ihrem Beschluss vom 25.01.2024 in der Sache beschieden hat. Denn eine Bindungswirkung ergibt sich hieraus für den Senat nicht (vgl. OLG Bremen, Beschl. v. 14.04.2020, 1 Ws 33/20).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO (vgl. BT-Drucks. 19/14747, S. 32; SenE v. 08.08.2023, 2 Ws 464/23; OLG München, Beschl. v. 12.02.2020, 2 Ws 138/20).


Einsender:

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".