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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Vergewaltigung, erzwungener Oralverkehr

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 27.12.2023 - 4 ORs 72/23

Leitsatz des Gerichts:

Auch ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter kann unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen. Es genügt für die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB, dass eine vor der Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Opfers so nachhaltig ist, dass sie die Kraft hat, den durch die Vornahme der sexuellen Handlung entstehenden Eindruck der „Freiwilligkeit“ zu überwinden. Die Beweiswürdigung hat sich in diesen Fällen besonders sorgfältig mit dem gewichtigen Umstand auseinanderzusetzen.


KAMMERGERICHT

Beschluss
4 ORs 72/23161 Ss 133/23

In der Strafsache
gegen pp.

wegen Vergewaltigung

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 27. Dezember 2023 beschlossen:

1. Auf die Revision des Angeklagten S wird das Urteil des Landgerichts Berlin – Jugendkammer – vom 6. April 2023 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
2. Seine weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an eine andere Strafkammer des Landgerichts Berlin – Jugendkammer – zurückverwiesen.
4. Die Revision des Angeklagten B wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
5. Der Angeklagte B hat die Kosten seines Rechtsmittels und die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die der Neben- und Adhäsionsklägerin in der Revisionsinstanz entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagten mit Urteil vom 5. November 2021 – 429 Ls 21/21 – von dem Vorwurf der Vergewaltigung, begangen am 9. Juli 2019, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen und von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag der Neben- und Adhäsionsklägerin (im Folgenden Nebenklägerin) abgesehen. Auf die hiergegen eingelegten Berufungen der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenklägerin hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 6. April 2023 das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten aufgehoben und die Angeklagten der Vergewaltigung für schuldig befunden. Gegen den Angeklagten S hat es eine Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, gegen den Angeklagten B eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es die Angeklagten gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst Zinsen zu zahlen, und festgestellt, dass die Forderung auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruht.

Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren Revisionen vom 6. April 2023 (B) und 11. April 2023 (S), mit denen sie jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügen und hierzu nähere Ausführungen machen.

Mit ihrer Zuschrift vom 18. August 2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revisionen gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Der Schriftsatz der Verteidigung des Angeklagten S hierzu vom 25. August 2023 lag vor.

II.

1. Die Revisionen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Für den heranwachsenden Angeklagten S stellte das auf die Berufungen der Staatsanwaltschaft sowie der Nebenklage gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 5. November 2021 ergangene Urteil des Landgerichts Berlin eine erstmalige Beschwer dar, §§ 55 Abs. 2 i. V. m. 109 Abs. 2 JGG.

2. Die Revision des Angeklagten S hat im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen sind seine Revision sowie die des Angeklagten B im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO offensichtlich unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils deckt insoweit keine die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

a) Die Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler zulasten der Angeklagten auf.

Die Feststellungen beruhen auf der glaubhaften Aussage der Nebenklägerin, die durch die Angaben der polizeilichen Sachbearbeiterin hinsichtlich der Entstehung der Aussage sowie deren Inhalt verifiziert wurde.

Das Landgericht hat plausibel ausgeführt, warum es der Aussage der Nebenklägerin gefolgt ist (UA S. 13). Hierbei hat es die Genese der Aussage, deren Inhalt und Konstanz ausführlich dargelegt sowie kritisch gewürdigt. Widersprüche zwischen den Aussagen hat es aufgezeigt, jedoch erläutert, dass diese nicht das Kerngeschehen betrafen und zudem durch die Nebenklägerin nachvollziehbar erklärt werden konnten. Darüber hinaus hat sich das Landgericht zutreffend mit der Möglichkeit einer absichtlichen Falschbelastung auseinandergesetzt. Es hat auf die enge emotionale Bindung der Nebenklägerin an den Angeklagten S verwiesen, die es unter anderem darin begründet sah, dass sie ihm zuliebe Geld stahl, sich in sexueller Hinsicht auf demütigende Praktiken (Schlagen und Bespucken) einließ und selbst nach dem Schlag durch den Angeklagten S in ihr Gesicht den Sexualverkehr mit ihm zunächst, da sie allein mit ihm war, freiwillig ausübte. Es hat daraus zu Recht gefolgert, dass sie sich nicht ohne triftigen Grund von dem Angeklagten abwenden und ihm im Bewusstsein der Unwahrheit ein dem Anklagevorwurf entsprechendes Verhalten – den Sexualverkehr gegen ihren Willen – unterstellen würde. Ebenso hat die Kammer rechtsfehlerfrei festgestellt, dass auch hinsichtlich des Angeklagten B, zu dem die Geschädigte zuvor keinerlei Beziehung hatte, ein Motiv für eine Falschbelastung fehlt (UA S. 13). Die nach der Tat gestellte Frage, ob der Nebenklägerin der „Dreier“ gefallen habe und ihre verneinende Antwort können zutreffend keineswegs nur dahingehend verstanden werden, die Nebenklägerin habe dem „Dreier“ freiwillig zugestimmt (UA S. 13). Ebenso kann die Frage des Angeklagten S einem Gefühl der Überlegenheit, nun seinen Willen durchgesetzt zu haben, entsprungen sein.

Soweit der Angeklagte B in seiner Revisionsschrift ein Motiv für eine Falschbelastung damit begründen will, dass die Nebenklägerin eine „Lügnerin“ sei und „Rachesex“ ausgeübt habe – wobei unklar bleibt, mit wem und was sich der Leser darunter vorzustellen hat –, nimmt er eine eigene Beweiswürdigung mittels urteilsfremden Vorbringens vor. Ergibt sich die Aussage jedoch nicht aus dem Urteil selbst, kann er mit der Behauptung, das Tatgericht habe sich mit einer bestimmten Aussage einer Beweisperson nicht auseinandergesetzt, mangels Erhebung einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO entsprechenden Verfahrensrüge (insbesondere der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO) im Revisionsverfahren im Rahmen der Sachrüge nicht gehört werden (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 148, 149).

b) Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten S wegen Vergewaltigung, §§ 177 Abs. 1, 6 S. 2 Nr. 1 StGB.

aa) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte S den entgegenstehenden Willen der Nebenklägerin in Bezug auf Sex zu dritt erkannt hat. Es wird ausführlich dargelegt (UA S. 14), dass die Nebenklägerin das Ansinnen zunächst beiden Angeklagten gegenüber vehement abgelehnt hatte, weil für sie Sex nur mit dem Angeklagten S, nicht aber mit dem Angeklagten B in Frage kam. Auch Sex mit dem Angeklagten S vor dem Angeklagten B habe sie ausdrücklich abgelehnt, da sie keine „Schlampe“ sei. Erst als sie schließlich mit dem Angeklagten S allein gewesen sei, habe sie sich auf Sex mit ihm eingelassen und in das Schlafzimmer begeben. Auch hier auf dem Bett habe sie auf den erneut geäußerten Wunsch des Angeklagten S ihm gegenüber mehrfach erklärt, dass sie den Geschlechtsverkehr zu dritt ablehne. Dennoch habe er den Angeklagten B hinzugerufen und die fortbestehende ausdrücklich ausgesprochene Weigerung der Nebenklägerin ignoriert. Schließlich habe sie sogar während des Oralverkehrs an ihm geweint, was der Angeklagte ebenfalls wahrgenommen habe. Auch den Vorsatz hat das Gericht zutreffend begründet.

bb) Der Auffassung der Verteidigung, ein Oralverkehr des Opfers an dem Täter könne nicht unter § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB fallen, da der Oralverkehr dessen aktives Handeln erfordere und damit stets dem natürlichen Willen des Opfers entspreche, kann sich der Senat nicht anschließen.

(1) Tatsächlich wird in der Literatur teilweise die aktive Vornahme sexueller Handlungen durch das in seiner Selbstbestimmung nicht beeinträchtigte Tatopfer, zugleich aber gegen dessen erkennbaren Willen, als unauflösbarer Widerspruch angesehen (vgl. Renzikowski in Münchener Kommentar, StGB 4. Aufl., § 177 Rn. 55; Löffelmann StV 2017, 413, 415). Andere sehen aus ähnlichen Erwägungen keinen sinnvollen Anwendungsbereich neben § 177 Abs. 2 StGB (vgl. Eisele in Schönke/Schröder, StGB 30. Aufl., § 177 Rn. 16; siehe auch Heger in Lackner/Kühl, StGB 30. Aufl., § 177 Rn. 5; Wolters in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB. 5. Aufl., § 177 Rn. 24 f.) oder negieren die Strafwürdigkeit der erfassten Handlungen (vgl. Fischer, StGB 70. Aufl., § 177 Rn. 16 f.).

Ein Vornehmenlassen liege nicht bei reiner Passivität oder bloßem Dulden des Täters vor, da der Gesetzgeber insoweit kein Unterlassungsdelikt habe statuieren wollen (vgl. Eisele a. a. O.). Die Fälle, in denen das Opfer auf Veranlassung des Täters handele, setzten allesamt irgendeine Form von Einschüchterung oder Druck voraus (vgl. Renzikowski a. a. O.). Anderenfalls liefe man Gefahr, dass der Richter zwischen selbstbestimmten und nicht selbstbestimmten Motiven des Opfers unterscheiden müsste und damit selbst entscheiden könne, welchen Ablauf sexueller Interaktion er für angemessen halte (vgl. Renzikowski a. a. O.). Folglich sei die Vornahme sexueller Handlungen durch das Opfer selbst nur strafwürdig, wenn ein nötigendes Element im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 4 oder 5 StGB hinzutrete. Dies wird auch systematisch begründet: Würde § 177 Abs. 1 StGB alle Fälle erfassen, in denen nicht alle Voraussetzungen des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB vorliegen, so liefe letztere Tatbestandsvariante gänzlich leer (vgl. Wagner NStZ 2021, 592, 595). Zwar sei es grundsätzlich möglich, die Vorschrift des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB als speziellen Ausschnitt des Anwendungsbereichs des § 177 Abs. 1 StGB zu begreifen, wenn ein berechtigtes Interesse gegeben sei. Dies sei aber nicht erkennbar, da beide Tatbestände denselben Strafrahmen androhten und der Tenor identisch sei (vgl. Wagner a. a. O.).

(2) Dieser Ansicht kann sich der Senat nicht anschließen.

(a) Nach dem Willen des Gesetzgebers ist Voraussetzung des in Absatz 1 verwirklichten „Nein heißt Nein“-Modells, dass es Personen zumutbar ist, gegebenenfalls ihren entgegenstehenden Willen zum Ausdruck zu bringen (vgl. BT-Drs. 18/9097 S. 23). Das Opfer muss also den eigenen Willen äußern, wenn sexuelle Handlungen unerwünscht sind (vgl. Hörnle in Leipziger Kommentar, StGB 13. Aufl., § 177 Rn. 8)

Hat es diesen entgegenstehenden Willen eindeutig geäußert und nimmt es dennoch aktiv eine Handlung vor, bedeutet das nicht zwangsläufig – wie die Gegenmeinung aber offenbar annimmt –, dass dies (nunmehr) dem eigenen Willen entspricht. Es wäre verfehlt, allein von der Vornahme aktiver Körperbewegungen darauf zu schließen, dass kein entgegenstehender Wille vorgelegen hat (vgl. Hörnle a. a. O. Rn. 36). Denn der Wille als wertende innere Einstellung hinsichtlich des Gesamtgeschehens ist das Ergebnis sexueller Selbstbestimmung und vom Handlungsentschluss abzugrenzen (vgl. Schönauer JR 2020, 30, 34). Der Entschluss, eine Körperbewegung auszuführen, kann auch dann gefasst werden, wenn die sexuelle Interaktion unerwünscht ist (vgl. Hörnle a. a. O. Rn. 31). Folgte man der Gegenauffassung, wären sexuelle Übergriffe nur gegenüber passiv duldenden Opfern möglich, was offensichtlich dem Wortlaut des § 177 Abs. 1 StGB widerspricht, der eindeutig auch Handlungen des Opfers an dem Täter einbezieht (vgl. Hörnle a. a. O. Rn. 24). Anderenfalls liefe diese Tatbestandsvariante leer.

Letztlich spricht hierfür vor allem der gesetzgeberische Wille: Hat das Opfer seinen entgegenstehenden Willen wie in Absatz 1 gefordert eindeutig zum Ausdruck gebracht, erschließt sich nicht, wieso zusätzlich eine Drohung, Gewalt oder eine schutzlose Lage erforderlich sein sollte. Denn gerade hiervon wollte der Gesetzgeber mit der neuen Vorschrift abrücken (vgl. BT-Drs. 18/9097 S. 23) und hat sie Absatz 2 vorbehalten. Die weiteren Tatbestände in § 177 Abs. 2 StGB sind dementsprechend nicht Ausprägung des „Nein-heißt-Nein“-Ansatzes, sondern dessen notwendige Ergänzung für Konstellationen, in denen es dem Opfer entweder objektiv nicht möglich oder aber unzumutbar ist, seinen entgegenstehenden Willen zu erklären (vgl. BT-Drs. 18/9097 S. 23).

(b) Der BGH hat zu der neuen Rechtslage bereits konstatiert, dass der Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB keine Nötigung mehr voraussetzt, wobei er jedoch eine Differenzierung nach den Tatbestandalternativen nicht vorgenommen hat (vgl. i. E. BGHSt 63, 220, 224). Auch im Falle des Oralverkehrs durch das Opfer schließt er die Anwendung des § 177 Abs. 1 StGB nicht aus, sondern stellt lediglich eingehende Anforderungen an die Würdigung der Umstände, aus denen der Täter schließen konnte, dass die Handlung gegen den Willen des Opfers erfolgte (vgl. BGH NStZ 2019, 717, 718; Hörnle a. a. O. Rn. 24). In dem dort zugrundeliegenden Fall hatte die Geschädigte objektiv wahrnehmbar zunächst ihre Ablehnung zum vorgeschlagenen Oralverkehr zum Ausdruck gebracht, aber sodann nach nochmaliger Bitte des Täters – ohne ihre ablehnende Haltung weiterhin zum Ausdruck zu bringen und ohne Einwirkung von Zwang – mit der Ausübung desselben begonnen, was sich für einen objektiven Dritten bei losgelöster Betrachtung im eigentlichen Tatzeitpunkt nicht als ein Handeln gegen ihren Willen und damit als Abkehr von ihrer früheren Haltung dargestellt habe (vgl. BGH a. a. O.).

Dies ist mit dem vorliegenden Fall, in dem die Nebenklägerin ausweislich der Urteilsgründe unmittelbar vor dem Oralverkehr nochmals ihre Ablehnung zum Ausdruck gebracht und das Glied des Angeklagten S schließlich weinend in den Mund genommen hat, nicht vergleichbar: Mochte sich in dem Fall des BGH dem objektiven Beobachter die Frage der Überredung des Opfers zu einer schließlich freiwilligen Handlung aufgedrängt haben, liegt eine solche Willensänderung im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.

In einem weiteren Fall hat der BGH (kontrovers diskutiert u. a. von Wagner NStZ 2021, 592) in einem Fall der Selbstpenetration durch die Geschädigte, in dem diese sich zunächst ausdrücklich weigerte, sodann jedoch auf Aufforderung des Täters – der sich selbst wahrheitswidrig als Opfer einer Erpressung ausgab – und in der Furcht, ihr und einer (in Wahrheit nicht existenten) Dritten könne Unheil durch den Täter der Erpressung geschehen, sich selbst mit verschiedenen Gegenständen penetrierte (und dabei filmte), entschieden, dass hier § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB nicht vorliegen könne, da der Täter aus der Sicht des Erklärungsempfängers den Eintritt des drohenden Übels nicht habe beeinflussen können. Stattdessen sei ein Fall des § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB gegeben, da die Geschädigte die verlangten sexuellen Handlungen aus der Perspektive eines objektiven Dritten entgegen ihrem ausdrücklich erklärten und damit erkennbaren Willen vorgenommen habe. Ihre Entscheidung, die verlangten sexuellen Handlungen vorzunehmen, sei nur aus Angst vor der von dem Täter vorgespiegelten Gefahr getroffen worden, sie selbst sowie die Dritte würden andernfalls gravierende Nachteile erleiden. Diesem als nötigend empfundenen Zwang habe sich die Geschädigte gebeugt, sodass dieser Handlungsentschluss vollständig fremdbestimmt gewesen sei. Eine Willensänderung habe sie hierdurch nicht zum Ausdruck gebracht (vgl. BGH NStZ-RR 2020, 276, 277).

(3) Dies zugrundelegend genügt es für die Verwirklichung des § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB, dass eine vor der Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Ablehnung des Opfers so nachhaltig ist, dass sie die Kraft hat, den durch die Vornahme der sexuellen Handlung entstehenden Eindruck der „Freiwilligkeit“ zu überwinden (vgl. BeckOK/Ziegler, StGB Stand: 1. August 2023, § 177 Rn. 9). Die Beweiswürdigung hat sich in diesen Fällen besonders sorgfältig mit dem gewichtigen Umstand auseinanderzusetzen. Dies hat die Kammer wie beschrieben (s. o. II. 2. b) aa)) eingehend getan. Das in der Gegenerklärung beschriebene „passive Dulden der oralen Befriedigung“ durch den Angeklagten S stellt dagegen in Verkennung des Tatgeschehens eine Umkehr des Täter-Opfer-Verhältnisses dar.

Der Oralverkehr der Nebenklägerin an dem Angeklagten S unterfällt somit, wie von der Kammer festgestellt, § 177 Abs. 1 Var. 2 StGB.

cc) Auch die besondere Erniedrigung durch den (erzwungenen) Oralverkehr (vgl. BGH NStZ 2000, 254) gegen den Willen der Nebenklägerin hat das Landgericht rechtsfehlerfrei bejaht (UA S. 15).

c) In Bezug auf den Angeklagten B bestehen im Hinblick auf die Verurteilung wegen einer Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 1, 6 S. 2 Nr. 1 StGB ebenfalls keine Bedenken.

aa) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ergab sich der entgegenstehende Wille der Nebenklägerin für den Angeklagten B konkludent aus dem Vorgeschehen und ihrem Verhalten während der Tat. Denn die Äußerung des Willens muss zwar eindeutig sein, ist aber nicht an bestimmte Formen gebunden. Sie kann sich auch aus Erfahrungen, Vereinbarungen oder schlüssigem Verhalten ergeben (vgl. Fischer a. a. O. Rn. 13). Das Landgericht hat hier zu Recht darauf abgestellt (UA S. 14), dass die Nebenklägerin zum einen bereits zuvor wegen ihres ablehnenden Verhaltens von dem Angeklagten S in Gegenwart des Angeklagten B geschlagen worden war. In der konkreten Tatsituation im Schlafzimmer habe sie sich zum anderen von dem Angeklagten S, auf dem sie zuvor gesessen habe, wegbewegt, den Geschlechtsverkehr mit ihm abgebrochen und versucht, ihre Blöße vor dem eintretenden Angeklagten B zu verdecken, ihr Gesäß an sich und von dem Angeklagten B weggezogen. Dies habe der Angeklagte B auch erkannt, zumal er anschließend ihr Gesäß wieder zu sich gezogen habe. Daraus hat die Kammer zutreffend gefolgert, dass die Nebenklägerin ihren inneren Widerwillen gegen den Sexualverkehr mit dem Angeklagten B auch äußerlich zum Ausdruck gebracht hat. Entgegen der Revisionsschrift des Angeklagten B hat die Nebenklägerin ausweislich der Urteilsgründe nicht behauptet, dass sie nicht sicher sei, ob der Angeklagte B ihre Weigerung mitbekommen habe, sondern lediglich, dass sie nicht sicher sei, dass er ihre ausdrückliche – wörtliche – Weigerung bzw. ihr Weinen akustisch vernommen habe (UA S. 8, 12). Hiervon unberührt bleibt die konkludente, mithilfe des Körpers verdeutlichte Äußerung ihres entgegenstehenden Willens, der auch für einen objektiven Dritten vor allem unter Berücksichtigung des vorhergehenden Schlages gerade aufgrund der Ablehnung der sexuellen Praktik erkennbar war. Das Landgericht hat aus diesen Umständen zutreffend darauf geschlossen, dass dem Angeklagten B bewusst war, dass die vorhergehend ausdrücklich ausgesprochene Weigerung der Nebenklägerin in Bezug auf Sex mit ihm und Sex zu dritt fortbestand und er sich – dies in Kauf nehmend – hierüber hinwegsetzte (UA S. 14).

Sofern die Revisionsschrift des Angeklagten S dahingehend zu verstehen sein soll, dieser habe den Angeklagten B darüber getäuscht, dass die Nebenklägerin (nunmehr) aufgrund seiner Überredungskünste mit dem „Dreier“ einverstanden sei, so ist dies mit den Urteilsgründen nicht vereinbar. Diesen sind wie erläutert keine Umstände zu entnehmen, unter denen der Angeklagte B auf eine geänderte Willenslage bei der Nebenklägerin im Sinne einer Zustimmung zu dem Sexualverkehr vor oder mit ihm geschlossen haben könnte.

bb) Die Kammer hat zutreffend festgestellt, dass sowohl die Einführung des Fingers in den Anus sowie die Vagina als auch der – ungeschützte – Vaginalverkehr besonders erniedrigende, mit einem Eindringen in den Körper der Nebenklägerin verbundene sexuelle Handlungen im Sinne des § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 StGB darstellen (vgl. BGH bei Pfister NStZ-RR 1999, 325 Nr. 24 und Nr. 25; NStZ 2000, 254, 255). Eine weitergehende Erörterung der erniedrigenden Wirkung im Urteil ist bei eindringenden Handlungen nicht geboten (vgl. BGH NStZ 2001, 598).

d) Die Feststellungen des Landgerichts tragen auch die Verurteilung wegen eines gemeinschaftlichen sexuellen Übergriffs, §§ 177 Abs. 1, 6 S. 2 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB.

Das Landgericht hat das Regelbeispiel zutreffend bejaht, da beide Angeklagte als Mittäter sexuelle Handlungen am Opfer vorgenommen haben bzw. an sich haben vornehmen lassen. Es hat seiner Würdigung erkennbar einen gemeinsamen Tatentschluss der beiden Angeklagten im Sinne des §§ 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 2, 25 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt und festgestellt, dass beide Angeklagte die Tat als eigene wollten und sämtliche Tatbestandsmerkmale sogar jeweils eigenständig verwirklicht haben (UA S. 7 ff.), wobei es ihnen gerade darauf ankam, für eine gesteigerte sexuelle Stimulation in Anwesenheit des jeweils anderen gleichzeitig sexuelle Handlungen mit der Nebenklägerin auszuüben (s. o.), was – wie durch das Landgericht zu Recht festgestellt (UA S. 8, 11) – das Gefühl des „Ausgeliefertseins“ in der Nebenklägerin hervorrief, d. h. deren Verteidigungsmöglichkeiten herabsetzte und ihre Schutzlosigkeit erhöhte. Dabei hat die Kammer sowohl den ursprünglichen Tatplan der Angeklagten zum Zeitpunkt des Anrufs als auch das konkrete Verhalten während der Tat und das Nachtatverhalten in die Würdigung eingestellt. Es kam den Angeklagten ausweislich der Urteilsgründe in den vorherigen Gesprächen gerade darauf an, den Geschlechtsverkehr zu dritt in dem Sinne auszuüben, dass die beiden Angeklagten gleichzeitig sexuelle Handlungen mit der Nebenklägerin vornehmen wollten, weil sie sich gerade hierdurch eine besondere sexuelle Stimulation versprachen. Nur aus diesem Grund hatte sich der Angeklagte B mit dem Angeklagten S in den frühen Morgenstunden getroffen und der Angeklagte S der Nebenklägerin einen Schlag ins Gesicht versetzt, nachdem sie das Ansinnen abgelehnt hatte. Und nur zu diesem Zweck rief der Angeklagte S, nachdem er die Nebenklägerin wiederum ausdrücklich auf den „Dreier“ angesprochen hatte, während des Geschlechtsverkehrs mit ihr den Angeklagten B dazu. Letztlich ergäbe – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (UA S. 13) – die Frage des Angeklagten S, ob der Nebenklägerin der „Dreier“ gefallen habe, keinen Sinn, wenn es beiden nicht darauf angekommen wäre, gezielt gleichzeitig sexuelle Handlungen an der Nebenklägerin auszuführen oder durch sie an sich ausführen zu lassen. Vor diesem Hintergrund kann die Ausführung in der Gegenerklärung des Angeklagten S, es habe zwei separate Tatentschlüsse gegeben, die lediglich gleichzeitig realisiert worden seien, nicht überzeugen.

e) Das Landgericht hat die Möglichkeit des Entfallens der Regelwirkung erkannt und sie verneint (UA S. 15). Da der Wegfall eines besonders schweren Falles angesichts des Tatbildes fernlag, war eine weitergehende Erörterung nicht geboten.

3. Der Rechtsfolgenausspruch war jedoch hinsichtlich des Angeklagten S aufzuheben.

a) Das Landgericht hat hinsichtlich des Angeklagten S zutreffend erkannt, dass die Jugendstrafe im Zeitpunkt der Verhängung des Urteils noch erforderlich sein muss und dabei sowohl den Zeitablauf seit der Tat als auch den Umstand berücksichtigt, dass der Angeklagte seither nicht mehr strafrechtlich auffällig geworden ist (UA S. 15).

b) Auch die konkrete Strafzumessung ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen. Dies ist der Fall, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, von unzutreffenden Tatsachen ausgehen, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe so weit von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein, dass sie nicht mehr innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraums liegt. Eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen. Die revisionsrichterliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich dabei am sachlichen Gehalt der Ausführungen des Tatgerichts zu orientieren, nicht an dessen – möglicherweise missverständlichen oder sonst unzureichenden – Formulierungen (vgl. BGHSt 34, 345, 349 f.; NStZ 2023, 340, 341).

aa) Da die rechtliche Würdigung sich als zutreffend erwiesen hat, ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Strafzumessung hierauf fußt. Das Landgericht hat daran anknüpfend die wesentlichen strafmildernden und strafschärfenden Umstände korrekt benannt, gewertet und im Rahmen des festgestellten Erziehungsbedarfs berücksichtigt.

Entgegen dem Vorbringen in der Revisionsbegründung hat die Kammer nicht die gemeinschaftliche Begehungsweise straferhöhend berücksichtigt (was eine unzulässige Doppelverwertung entgegen § 46 Abs. 3 StGB darstellen würde), sondern lediglich den Umstand, dass aufgrund der gegenseitigen Zurechnung der Tatbeiträge die ausgeübten Varianten des Sexualverkehrs, die sämtlich besonders erniedrigend waren, besonders zahlreich waren und in ihrer Gesamtheit die Nebenklägerin daher in besonderem Maße zum bloßen Objekt sexueller Befriedigung herabsetzten. Denn erforderlich für die Verwirklichung des § 177 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 StGB ist nur das aktive Zusammenwirken von mindestens zwei gleichzeitig anwesenden Personen als Täter am Tatort, die sich Tathandlungen des anderen jeweils zurechnen lassen müssen, nicht aber, dass alle Mittäter sexuelle Handlungen an dem Opfer vornehmen oder an sich vornehmen lassen (vgl. BGH NJW 1999, 2909, 2910; StV 2017, 378, 388; Fischer, a. a. O. Rn. 140). Auch den Vertrauensbruch hat das Landgericht zutreffend als strafschärfenden Umstand gewertet, da sich dieser hier als zusätzliche Belastung der Nebenklägerin auswirkte (vgl. BGH NStZ 2023, 340, 343).

bb) Dass die Kammer das Wort „verbüßen“ in Bezug auf die Untersuchungshaft des Angeklagten im Zusammenhang mit dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Februar 2019 benutzt hat und sie folglich – in Verkennung der Unschuldsvermutung – als Sanktion missgedeutet haben könnte, ist nicht zu befürchten. Es geht der Kammer ersichtlich um den Umstand, dass auch die Untersuchungshaft trotz deren grundsätzlichen Zwecks der Sicherung des Verfahrens eine Form des Freiheitsentzugs darstellt. In diesem Sinne könnte das Wort „Verbüßung“ auch durch das Wort „Vollzug“ ohne Änderung des Sinngehalts der Aussage ersetzt werden. Auch der BGH benutzt im Übrigen die Worte „verbüßen“ und „Untersuchungshaft“ in direktem Zusammenhang (vgl. z. B. BGH NStZ 2006, 620).

d) Allerdings weist das Urteil ein Begründungsdefizit auf, sofern es die Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Februar 2019 allein mit der Begründung unterlässt, die Bewährungszeit sei bereits seit zwei Jahren abgelaufen (UA S. 17). Es ist zudem widersprüchlich, wenn die Kammer einerseits die Einbeziehung aus dem genannten Grund unterlässt, andererseits gleichzeitig den drohenden Widerruf strafmildernd einstellt. Dies wirkt sich – trotz der strafmildernden Berücksichtigung – auch potenziell zu Lasten des Angeklagten S aus, denn im Falle des Widerrufs droht dem Angeklagten die Vollstreckung weiterer zehn Monate Jugendstrafe, was im Fall der Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe keineswegs zwingend gewesen wäre.

aa) § 31 Abs. 2 JGG i. V. m. § 105 Abs. 1 S. 1 JGG sieht grundsätzlich eine Einbeziehung bereits rechtskräftiger Entscheidungen, solange sie noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt (z. B. im Falle der Vollstreckungsverjährung) sind, in ein neues Urteil und die Verhängung einer einheitlichen Maßnahme für alle Taten vor. Ob die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten bereits erlassen ist, hat das Landgericht nicht konkret festgestellt, geht aber angesichts „des drohenden Widerrufs“ (UA S. 16) wohl nicht davon aus. Von der Einbeziehung einer früheren Verurteilung kann zwar aus erzieherischen Zweckmäßigkeitserwägungen (§ 31 Abs. 3 S. 1 JGG) abgesehen werden, hierfür müssen aber Gründe vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der Erziehung von ganz besonderem Gewicht sind und zur Verfolgung dieses Zwecks über die üblichen Strafzumessungsgesichtspunkte hinaus das Nebeneinander zweier Jugendstrafen notwendig erscheinen lassen (vgl. BGH NStZ 1997, 387, 388). Erst wenn solche Gründe festgestellt sind, ist der tatrichterliche Ermessensspielraum eröffnet (vgl. BGH NStZ 2022, 556, 557). Das Abstellen allein auf den Ablauf der Bewährungszeit genügt diesen Anforderungen nicht. Etwaige zugrundeliegende erzieherische Erwägungen, die das Nebeneinander zweier Sanktionierungen notwendig erscheinen lassen, sind dem Urteil des Landgerichts nicht zu entnehmen.

Soweit in der Literatur vereinzelt vertreten wird (vgl. Kölbel in Eisenberg/Kölbel, JGG 24. Aufl., § 31 Rn. 24), die Einbeziehung eines früheren Urteils müsse im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 31 Abs. 3 JGG unterbleiben, wenn die Bewährungszeit abgelaufen, aber noch kein Erlass der Jugendstrafe erfolgt sei, kann dies vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Pflicht zur Bildung einer einheitlichen Jugendstrafe nur für die Fälle gelten, in denen die neue Straftat nach dem Ablauf der Bewährungszeit begangen wurde und daher ein Widerruf grundsätzlich nicht mehr in Betracht kommt. Denn dann widerspräche es dem Gerechtigkeitsempfinden und damit erzieherischen Gründen, eine „durchgestandene“ Bewährung nachträglich zu widerrufen und die Sanktion nunmehr zu vollstrecken. Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben. Der Angeklagte S hat die Tat gerade fünf Monate nach der Verurteilung zu einer zehnmonatigen Jugendstrafe, deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt worden war (UA S. 5), und damit innerhalb der Bewährungszeit begangen, so dass der zeitliche Ablauf insoweit für eine Einbeziehung des früheren Urteils spricht. Für ein – erzieherisch ebenfalls relevantes – Vertrauen des Angeklagten, die Bewährung werde angesichts des langen Zeitablaufs nach Ende der Bewährungsfrist nicht mehr widerrufen und die noch nicht erlassene Strafe sei daher so zu behandeln, als sei sie erlassen, finden sich in den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte. Denn zum Zeitpunkt des Ablaufs der zweijährigen Bewährungsfrist am 26. Februar 2021 war das hiesige Verfahren ausweislich der Urteilsgründe bereits weit vorangeschritten: Die Nebenklägerin hatte bereits im Dezember 2019 Anzeige erstattet (UA S. 9), die Anklage erfolgte schließlich am 25. März 2021 (UA S. 3). Soweit aber bei Ablauf der Bewährungszeit noch Strafverfahren gegen den Verurteilten anhängig sind, ist deren Ausgang abzuwarten und die Entscheidung über den Erlass zurückzustellen, damit sich das Gericht Gewissheit über das endgültige Fehlen der Widerrufsvoraussetzungen verschaffen kann (vgl. BGH NStZ 1993, 235). Ein Vertrauen des Angeklagten, die Strafe aus dem früheren Urteil werde erlassen oder sei zumindest so zu behandeln, liegt daher fern.

Die entsprechende Entscheidung kann das Revisionsgericht dennoch nicht analog § 354 Abs. 1 StPO selbst treffen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Mai 2009 – 3 StR 177/09 –, juris Rn. 3), da auch die Einbeziehung des früheren Urteils (z. B. aufgrund der Verschiedenartigkeit der Taten) nicht zwingend erscheint.

bb) Eine nachträgliche Entscheidung gemäß § 66 JGG i. V. m. §§ 105 Abs. 1, 109 Abs. 2 S. 1 JGG scheidet ebenfalls aus, § 66 Abs. 1 S. 2 JGG. Wurde – wie hier – von der Einheitsrechtsfolge bewusst aus erzieherischen Gründen Abstand genommen, ist die sogenannte Entscheidungsergänzung i. S. v. § 66 JGG ausgeschlossen (vgl. Ostendorf/Drenkhahn in Ostendorf, JGG 11. Aufl., § 66 Rn. 4). Dass die Kammer in Anlehnung an die oben angesprochene Auffassung in der Literatur (vgl. Kölbel a. a. O.) die Entscheidung über das Ob sowie die Höhe einer einheitlichen Rechtsfolge einer nachträglichen Entscheidung „vorbehalten“ wollte, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.

cc) Der dargelegte Mangel, auf dem das Urteil beruht (§ 337 Abs. 1 StPO), begründet eine Verletzung sachlichen Rechts. Der Senat hebt das Urteil daher in dem tenorierten Umfang auf (§ 349 Abs. 4 StPO) und verweist die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Kammer des Landgerichts Berlin – Jugendkammer – zurück (§ 354 Abs. 2 S. 1 StPO). Die zugehörigen Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); die neue Jugendkammer ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die mit den bisherigen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen.

4. Hinsichtlich des Angeklagten B begegnet die Strafzumessung keinen rechtlichen Bedenken.

III.

Die zulässig erhobene Sachrüge erwirkt auch die revisionsgerichtliche Kontrolle der Adhäsionsentscheidung (Wenske in Löwe-Rosenberg, StPO 27. Aufl., § 406 Rn. 65). Sie begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.


IV.

Die Kostenentscheidung hinsichtlich des Angeklagten B beruht auf §§ 473 Abs. 1 S. 1, 2 StPO. In Bezug auf das Adhäsionsverfahren ergibt sich die Kosten- und Auslagenentscheidung aus § 472a StPO.


Einsender: VorRiKG R. Fischer, Berlin

Anmerkung:


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