Gericht / Entscheidungsdatum: LG Karlsruhe, Beschl. v. 23.10.2023 – 11 O 19/23
Leitsatz des Gerichts:
1. Die Grundentscheidung des Strafgerichts nach § 8 Abs. 2 StrEG muss die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird. Eine Ergänzung der Entschädigungsentscheidung im Betragsverfahren kommt nur ausnahmsweise in Betracht.
2. Wenn das Gericht die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder eines Strafrestes (§ 57 StGB) widerruft, aber die Widerrufsentscheidung später abgeändert wird, gibt es für eine Teilvollstreckung zwischen Widerruf und Aufhebung keine Entschädigung nach dem StrEG, selbst wenn das Strafgericht mit rechtskräftigem Beschluss dem Grunde nach eine Entschädigung "für die erlittene Strafhaft" zugesprochen hat.
In pp.
1. Der Antrag des Antragstellers vom 27.03.2023 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage auf Strafverfolgungsentschädigung.
Er wurde mit Urteil des Amtsgerichts pp. vom 18.12.2014 (Az. pp.) wegen Vollstreckungsvereitelung und Bankrott zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten, ausgesetzt zur Bewährung auf 3 Jahre verurteilt. Das Urteil wurde am 21.03.2017 nach Rücknahme der hiergegen eingelegten Berufungen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft rechtskräftig.
Nachdem die Bewährungsauflagen nicht erfüllt wurden, widerrief das Amtsgericht pp. mit Beschluss vom 01.07.2020 (pp.) die Bewährung. Daraufhin begann die Vollstreckung der Strafhaft ab dem 14.10.2020.
Mit Beschluss vom 17.02.2021 gewährte das Amtsgericht pp. eine Anhörung nach § 33a StPO und unterbrach die Vollstreckung. Der Antragsteller wurde noch am selben Tag aus der Strafhaft entlassen.
Mit Beschluss vom 28.07.2021 hob das Amtsgericht pp. den Widerrufsbeschluss vom 01.07.2020 auf und erließ die ausgesetzte Strafe.
Mit inzwischen rechtskräftigem Beschluss vom 27.05.2022 sprach das Amtsgericht pp. „für die erlittene Strafhaft“ eine Entschädigung zu.
Mit Schreiben vom 31.10.2022 beantragte der Antragsteller eine Entschädigung für die erlittene Strafhaft, deren Einzelpositionen die Staatsanwaltschaft pp. in ihrer ablehnenden Entscheidung vom 27.12.2022 wie folgt zusammenfasste:
1.) Strafhaft (127 Tage zu je 75.- €) 9.525.- €
2.) Anwaltskosten Vollstreckungsverfahren: 799,48 €
3.) Anwaltskosten Entschädigungsverfahren 1054,10.- €
Summe: 11.378,58 €
Für eine Klage über letztgenannte Summe nebst Prozesszinsen begehrt der Antragsteller Prozesskostenhilfe.
II.
Der Prozesskostenhilfeantrag war zurückzuweisen.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
Aus der Grundentscheidung des Amtsgerichts pp. ergibt sich nicht, dass der Antragsteller für eine bestimmte Anzahl von Hafttagen (geltend gemacht sind: 127 Tage) zu entschädigen ist.
Der Tenor und die Gründe der Entscheidung schweigen zur Länge der „erlittenen Strafhaft“.
Die Grundentscheidung des Strafgerichts muss indes nach § 8 Abs. 2 StrEG die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird. Eine Ergänzung der Entschädigungsentscheidung im Betragsverfahren kommt allenfalls dann in Betracht, wenn sich die fehlenden Angaben zum Entschädigungszeitraum aus den Gründen der die Entschädigungspflicht feststellenden Entscheidung oder ihrem unmittelbaren Aktenzusammenhang ohne jeden Zweifel eindeutig entnehmen lassen (OLG Düsseldorf, JMBl NW 1986, 30). Ist dies – wie hier – nicht möglich und bleibt der Zeitraum offen, für den eine Entschädigung zu gewähren ist, scheitert der Entschädigungsanspruch im Betragsverfahren insgesamt an der Unvollständigkeit der Grundentscheidung (OLG Düsseldorf, JMBl NW 1987, 198: Urt. v. 21. 5. 1987 – 18 U 249/86; v. 5. 11. 1987 – 18 U 86/87; v. 23. 11. 1989 – 18 U 137/89), auf deren fristgerechte Ergänzung bei der zuständigen Stelle nicht beantragt wurde.
Im Übrigen kann weder der amtsgerichtlichen Grundentscheidung noch dem Klageentwurf noch sonstigen Aktenbestandteilen entnommen werden, dass der Antragsteller überhaupt „durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat“, wie § 1 Abs. 1 StrEG dies voraussetzt. Denn wenn das Gericht die Aussetzung einer Strafe (§ 56 StGB) oder eines Strafrestes (§ 57 StGB) widerruft, aber die Widerrufsentscheidung später abgeändert wird, gibt es für eine Teilvollstreckung zwischen Widerruf und Aufhebung keine Entschädigung nach dem StrEG (vgl. KG 25.2.2005 – 5 Ws 67/05, juris Rn. 5 ff.; MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 1 Rn. 29). § 1 Abs. 1 StrEG setzt vielmehr voraus, dass eine rechtskräftige Verurteilung später fortfällt oder gemildert wird. Beide Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die hier zugrunde liegende strafrechtliche Verurteilung hat in dem genannten Sinne keine Korrektur erfahren (vgl. KG Beschluss vom 25.2.2005 – 5 Ws 67/05, BeckRS 2005, 11575, beck-online).
Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Entschädigung bei einem vergleichbaren Sachverhalt nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG 24.7.1973 – 2 BvR 440/73, unveröffentlicht). Der deswegen angerufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Beschwerde für nicht begründet erklärt und eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 5 EMRK ebenfalls abgelehnt, weil der Betroffene nach der Verurteilung durch ein zuständiges Gericht rechtmäßig in Haft gehalten worden war (Entsch. vom 9.3.1978, Appl. No. 7629/76).
Eine analoge Anwendung der Norm auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation kommt nicht in Betracht – es fehlt an einer Regelungslücke, insbesondere verlangt höherrangiges Recht eine solche Gleichstellung nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GKG, § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
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