Gericht / Entscheidungsdatum: LG Trier, Beschl. v. 06.02.2024 – 1 Qs 4/24
Leitsatz des Gerichts:
1. Eine noch nicht erlassene Durchsuchungsanordnung kann zeitlich vor ihr liegende Rechtseingriffe nicht rechtfertigen. Grundlage der Maßnahmen ist eine indes eigene Anordnung der Ermittlungspersonen, die diese im Rahmen der Eilzuständigkeit aus §§ 103, 105 Abs. 1 S. 1 HS 2 StPO gegenüber dem Beschwerdeführer getroffen haben.
2. Es entspricht ggf. dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, eine Durchsuchung zunächst nicht durchzuführen, sondern sich bis zu einer richterlichen Entscheidung auf weniger eingreifende Sicherungsmaßnahmen in eigener Kompetenz zu beschränken.
3. Auf diese Weise kann die Beachtung des Richtervorbehalts aus § 105 Abs. 1 S. 1 StPO trotz gegebener Gefahr im Verzug gewahrt bleiben.
In pp.
Die Beschwerde des Beschwerdeführers M. A. vom 20.12.2023 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Trier vom 20.11.2023 betreffend die Art und Weise der Durchsuchung der Räumlichkeiten in der pp. wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Die Staatsanwaltschaft pp. führt gegen die Beschuldigten A. und H. App. und weitere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Abrechnungsbetruges aus dem Betrieb verschiedener Teststellen. Am 11.05.2023 wurden durch Ermittlungsbeamte der Kriminaldirektion pp. mehrere Durchsuchungsbeschlüsse zeitgleich vollstreckt. U.a. sollte für die Wohnung des Beschuldigten H. App. ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss für dessen Meldeadresse, pp. vollzogen werden. Dabei wurde an der Eingangstür ein Zettel festgestellt mit dem Hinweis, dass ein Umzug stattgefunden habe und Post in die pp. geliefert werden solle. Daraufhin wurde über die Staatsanwaltschaft Trier durch die Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts pp. um 9:57 Uhr mündlich die Durchsuchung der Räumlichkeiten in der pp., gem. § 103 StPO angeordnet. Laut Einwohnermeldesystem war für diese Anschrift zu diesem Zeitpunkt niemand gemeldet. Eine Überprüfung ergab, dass der Beschwerdeführer dort wohnhaft ist. Die Durchsuchung wurde anschließend vollzogen.
Der Beschwerdeführer wendete sich mit Schreiben vom 19.08.2023 gegen die Art und Weise der Vollstreckung dieses Durchsuchungsbeschlusses. Zur Begründung wies er darauf hin, er sei zu Unrecht gehindert worden, sein Haus zu betreten und sich fortzubewegen. So sei es ihm im Zeitraum von kurz nach 9:00 Uhr bis 9:57 Uhr nicht gestattet gewesen, sein Haus zu betreten. Er habe sich in einer Videokonferenz befunden, die gegen 8:45 Uhr unterbrochen worden sei. Im Rahmen dieser Pause habe er Zigaretten aus seinem vor der Tür geparkten Fahrzeug holen wollen. Nach Verlassen des Hauses sei er von Polizeibeamten angesprochen worden, die ein Betretungsverbot für das Haus ausgesprochen hätten. Zudem sei es ihm nicht erlaubt gewesen, den Bereich im Umkreis von ca. 7 – 8 Metern vor dem Hauseingang zu verlassen. Trotz mehrfachen Hinweises, dass er arbeiten müsse und daher Zugang zu seinem Computer benötige, sei ihm dies verwehrt worden. Es handele sich hierbei um unzulässigen präventiven Zwang. Zur näheren Darstellung des Beschwerdevorbringens wird auf den Schriftsatz des Verteidigers vom 19.08.2023 verwiesen. Seitens der Staatsanwaltschaft pp. wurde die Stellungnahme der KHK’in Kpp. eingeholt. Diese gab an, der Beschwerdeführer sei aus dem Haus getreten und durch Polizeibeamte angesprochen worden. Auf sein Bitten sei ihm der Grund des Erscheinens genannt worden. Sodann sei ihm das Verbot ausgesprochen worden, das Haus zu betreten. Auf Nachfrage habe er angegeben, bei der Wohnadresse des Beschuldigten H. App. handele es sich um die pp.. Auf Vorhalt, dass dies unzutreffend sei, habe der Beschwerdeführer angegeben, dass er nicht wisse, wo sein Bruder wohne. Dieser könne vielleicht bei seiner Freundin sein. Einen Hinweis, dass er sich in laufender Videokonferenz befinde, habe er nicht erteilt. Im Übrigen wird zur näheren Darstellung der Stellungnahme auf das Schreiben der KHK’in Kpp. vom 18.09.2023 verwiesen.
Die Staatsanwaltschaft pp. wertete das Schreiben des Beschwerdeführers vom 19.08.2023 als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog und hat die Sache zur Entscheidung dem Amtsgericht pp. vorgelegt. Das Amtsgericht hat die Art und Weise der Durchsuchung mit Beschluss vom 20.11.2023, Az. 35c Gs 4487/23, bestätigt. Die hiergegen mit Schreiben des Verteidigers vom 20.12.2023, eingegangen beim Amtsgericht pp. am 21.12.2023, eingelegte Beschwerde hat das Amtsgericht pp. am 26.01.2024 nach Nichtabhilfe der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Aus dem Aktenstand ist nicht ersichtlich, ob der Beschwerdeführer, wie er behauptet, durch die eingesetzten Ermittlungspersonen angewiesen wurde, seine Wohnung bis zur Entscheidung über die Erweiterung des bestehenden Durchsuchungsbeschlusses auf die Adresse pp. nicht zu betreten. Weder dem Durchsuchungsbericht der KHK’in Kpp. vom 12.05.2023, noch ihrer Stellungnahme vom 18.09.2023, ist eine solche Anordnung zu entnehmen. Gleiches gilt, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die ihm auferlegte Verpflichtung, den Bereich vor der Eingangstür seiner Wohnung nicht zu verlassen, rügt und angibt, er habe offenbart, dass er sich in einer laufenden Videokonferenz befinde.
2. So solche Anordnungen gegenüber dem Beschwerdeführer getroffen worden sein sollten, waren sie rechtmäßig und verletzen ihn nicht in seinen Rechten. Die Maßnahmen finden ihre Rechtsgrundlage in den §§ 103, 105 Abs. 1 S. 1 HS 2 StPO.
Die angegriffenen Maßnahmen (Verweisung aus dem Bereich der eigenen Wohnung; Gebot, sich in der Nähe aufzuhalten) stützten sich nicht auf den mündlichen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts pp. vom 11.05.2023. Dieser war zum Zeitpunkt der Maßnahmen noch nicht erlassen. Vielmehr war Ziel der Maßnahmen, die Durchführung und den Zweck der Durchsuchung zu einem späteren Zeitpunkt, nach Vorliegen des mündlichen Durchsuchungsbeschlusses, zu sichern. Eine noch nicht erlassene Durchsuchungsanordnung kann zeitlich vor ihr liegende Rechtseingriffe nicht rechtfertigen.
Grundlage der Maßnahmen ist eine indes eigene Anordnung der Ermittlungspersonen, die diese im Rahmen der Eilzuständigkeit aus §§ 103, 105 Abs. 1 S. 1 HS 2 StPO gegenüber dem Beschwerdeführer getroffen haben. Den Beamten stand als Ermittlungspersonen die Eilkompetenz gem. §§ 103, 105 Abs. 1 S. 1 HS 2 StPO zu. Deren Voraussetzungen lagen vor. Die Kammer hat mit Beschluss vom 10.10.2023, Az. 1 Qs 37/23, die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die mündliche Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts pp. vom 09.05.2023 betreffend die Räumlichkeiten in der pp. als unbegründet verworfen. Die Sachlage im Zeitpunkt der hier angegriffenen Anordnung war mit derjenigen, die dem mündlichen Durchsuchungsbeschluss zugrunde lag identisch, so dass die Gründe aus dem Beschluss der Kammer auch in Bezug auf die hiesige Anordnung tragen. Somit lagen die allgemeinen Anordnungsvoraussetzungen vor.
Es lag Gefahr im Verzug vor. Dies ist der Fall, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr eingeholt werden kann, ohne dass der Zweck der Maßnahme (regelmäßig die Sicherstellung von Beweismitteln) gefährdet wird (BVerfG NJW 2015, 2787; NJW 2019, 1428; BGH NStZ-RR 2018, 146). Vorliegend war aufgrund des an dem ursprünglichen Durchsuchungsobjekt angebrachten Schildes zu vermuten, dass sich für das Verfahren relevante Schriftstücke, insbesondere Post des Beschuldigten H. App., in der Wohnadresse des Beschwerdeführers befinden. Der Beschwerdeführer hat den Ermittlungspersonen den Zutritt zu seiner Wohnung nicht freiwillig gewährt. Er hat überdies versucht, den Wohn- und Aufenthaltsort des Beschuldigten zu verschleiern. Er gab gegenüber den Polizeibeamten die ehemalige Wohnadresse des Beschuldigten in der pp. an, obwohl ihm wegen des eigenen Umzugs bewusst war, dass sich der Beschuldigte dort nicht aufhielt. Aufgrund dieses Verhaltens musste sich den Beamten der Verdacht aufdrängen, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Wohnung weitere Verschleierungshandlungen vornehmen könnte, um für das Ermittlungsverfahren relevante Beweismittel beiseite zu schaffen oder zu vernichten. Die Beamten waren mithin befugt, die Maßnahmen im Vorfeld der Durchsuchung in eigener Kompetenz anzuordnen. Derartige Maßnahmen stellen sich dabei als Minus-Maßnahme dar, deren Anordnungsgrundlage aus der Eilkompetenz zur Anordnung einer Durchsuchung folgt.
Die §§ 103, 105 StPO enthalten die Befugnis, alle unerlässlichen und verhältnismäßigen Begleitmaßnahmen bis hin zur Anwendung unmittelbaren Zwangs zu ergreifen, um die Durchsuchung absichern und durchsetzen zu können (vgl. MüKo- StPO/Hausschild, 2. Aufl. 2023, § 105 Rn. 31 m.w.N.). Zwar enthalten die §§ 103, 105 StPO insoweit keine explizite Regelung, sie sind indes derart auszulegen, dass in der Anordnung der Durchsuchung konkludent auch die Ermächtigung zu solchen Vorbereitungs- und Begleitmaßnahmen ausgesprochen ist, die mit der Durchführung der Maßnahmen typischerweise unerlässlich verbunden sind (BGH StraFo 2019, 66 f.; BGH StV 1997,400). Wenn es der Durchsuchungszweck erfordert, umfasst die Durchsuchungsanordnung auch die Befugnis, den Betroffenen bei konkreten Anhaltspunkten für Verdunkelungshandlungen kurzfristig der zu durchsuchenden Räume zu verweisen, ihn festzunehmen, zu durchsuchen und kurzfristige Telefonsperren bzw. Überwachungen vorzunehmen (HK-GS/Arthur Hartmann, 5. Aufl. 2022, StPO § 105 Rn. 14). All diese Maßnahmen sind grundsätzlich nur in dem Maß zulässig, in dem dies notwendig ist, um eine andernfalls konkret zu befürchtende Beeinträchtigung oder Vereitelung des Zwecks der Durchsuchung zu verhindern (BGH StraFo 2019, 67; SK-StPO/Wohlers/Jäger, 5. Aufl., § 105 Rn 68; vgl. auch MüKo-StPO/Hauschild, § 105 Rn 31; Meyer-Goßner/Schmitt, 61. Aufl., § 105 Rn 13).
In Beachtung dieser Grundsätze ist die Anordnung der Ermittlungspersonen nicht zu beanstanden. Vor dem Hintergrund der im hiesigen Anordnungszeitpunkt bereits laufenden Beantragung einer richterlichen Entscheidung, entsprach es dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, eine Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers zunächst nicht durchzuführen, sondern sich bis zu einer richterlichen Entscheidung auf weniger eingreifende Sicherungsmaßnahmen in eigener Kompetenz zu beschränken. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers handelte es sich hierbei nicht um präventiven unmittelbaren Zwang. Dies schon deshalb nicht, weil eine Störung des Beschwerdeführers durch eine Verschleierungshandlung bereits stattgefunden hatte. Zudem haben die Beamten keine körperliche Zwangswirkung gegen den Beschwerdeführer entfaltet, so dass kein unmittelbarer Zwang ausgeübt wurde. Vielmehr handelte es sich um eine kurzfristige Verweisung aus dem Bereich der eigenen Wohnung sowie das Gebot, sich bis zur richterlichen Klärung in der Nähe aufzuhalten. Diese Maßnahmen weisen eine deutlich geringere Eingriffstiefe als eine mit der vollständigen Aufhebung der Bewegungsfreiheit verbundene Sistierung des Beschwerdeführers oder die ihn ggf. an der körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigende Anwendung unmittelbaren Zwangs auf. Letztlich konnte auf diese Weise die Beachtung des Richtervorbehalts aus § 105 Abs. 1 S. 1 StPO trotz gegebener Gefahr im Verzug gewahrt bleiben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
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