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Entscheidungen

Klimaaktivisten

Straßenblockade, Nötigung, Verwerflichkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Karlsruhe, Urt. v. 20.02.2024 – 2 ORs 35 Ss 120/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Bei Blockadeaktionen mit Versammlungscharakter ist bei der Prüfung der Verwerflichkeit (§ 240 Abs. 2 StGB) eine Beurteilung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlicher Umstände und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht im jeweiligen Einzelfall vorzunehmen, ohne dass das mit der Blockade verfolgte inhaltliche Anliegen bewertet werden darf.
2. Um die so vorgenommene Bewertung nachvollziehbar zu machen, müssen die tatsächlichen Grundlagen der im Einzelfall wesentlichen Umstände im Urteil festgestellt sein.


In pp.

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 21.11.2022 mit den Feststellungen aufgehoben. Davon ausgenommen sind die Feststellungen zu den Tathandlungen und der Motivation des Angeklagten.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Freiburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

Auf den Strafbefehlsantrag der Staatsanwaltschaft Freiburg vom 27.7.2022 hin beraumte das Amtsgericht Freiburg Hauptverhandlung gemäß § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO an. Mit dem angefochtenen Urteil vom 21.11.2022 sprach es den Angeklagten vom Vorwurf der Nötigung in drei Fällen frei.

Nach den getroffenen Feststellungen beteiligte sich der Angeklagte am 7.2.2022, am 11.2.2022 und am 15.2.2022 an jeweils nicht angemeldeten und nicht angekündigten Straßenblockaden des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation“ in Freiburg. Blockiert wurden am 7.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kronenbrücke einschließlich der Abfahrt zur Kronenstraße, am 11.2.2022 ab ca. 8:20 Uhr die Lessingstraße/B 31a in Höhe der Kaiserbrücke in östlicher Richtung sowie am 15.2.2022 ab ca. 8:14 Uhr die Fahrbahn des Autobahnzubringers A 5 Freiburg Nord an der Einmündung zur L 187/B 294. Der Angeklagte setzte sich jeweils mit weiteren Beteiligten auf die Straße. Bei den Blockaden am 7.2.2022 und am 15.2.2022 klebten sich drei bzw. zwei weitere Beteiligte mit Sekundenkleber am Asphalt der Fahrbahn so versetzt fest, dass jeweils die Möglichkeit zur Bildung einer Rettungsgasse bestand. Polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn kam der Angeklagte jeweils nicht nach, weshalb er jeweils ohne Gegenwehr von der Polizei von der Fahrbahn getragen wurde, bei der Aktion am 7.2.2022 um 9:43 Uhr. Die polizeiliche Räumung der Fahrbahn war am 11.2.2022 um 8:57 Uhr und am 15.2.2022 um 9:15 Uhr beendet.

Zu den Auswirkungen der Blockaden sind im Urteil folgende Feststellungen getroffen:

− 7.2.2022: Der Verkehr kam vollständig zum Erliegen. Es entstanden innerhalb kürzester Zeit ein mehrere Kilometer langer Rückstau bis hin zur Berliner Allee und eine Zeitverzögerung von mindestens 30 – 45 Minuten.

− 11.2.2022: Trotz sofort durch die Polizei eingeleiteter Umleitungsmaßnahmen kam es zu vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen.

− 15.2.2022: Es kam zu erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen. Der Verkehr auf der BAB A 5 staute sich in südlicher Richtung bis auf ungefähr 18 Kilometer. Der Verkehr normalisierte sich erst gegen 10:08 Uhr wieder.

Mit den Sitzblockaden wollte der Angeklagte auf das Problem der Lebensmittelverschwendung hinweisen und für ein entsprechendes „Essen-Retten-Gesetz“, nach dem große Supermärkte genießbares Essen nicht mehr wegwerfen dürften, sondern weiterverteilen müssten, eintreten. Durch die Demonstrationen wollte der Angeklagte sowohl mediale Aufmerksamkeit als auch bei den Autofahrern für die Verschwendung von Lebensmitteln und den zu hohen CO2-Ausstoß insgesamt schaffen. Ziel sei es, durch ein entsprechendes Gesetz die Ernährungssicherheit für die Zukunft zu schaffen und die Freisetzung von Treibhausgasen zu reduzieren. Zudem tritt die „Letzte Generation“ auch für eine Mobilitätswende ein und fordert u.a. eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h auf Autobahnen. Das Aktionsbündnis möchte mit den Blockaden auch darauf hinweisen, dass die Bundesregierung aktuell zu wenig für den Klimaschutz unternehme. Ein „Deeskalationsteam“ versuchte dazu mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und verteilte entsprechende Flyer.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Es hat zwar jeweils den Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) als verwirklicht angesehen, jedoch in allen Fällen die die Rechtswidrigkeit begründende Verwerflichkeit gemäß § 240 Abs. 2 StGB verneint.

Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO).

1. Dabei ist zunächst der vom Amtsgericht vorgenommenen Bewertung beizutreten, dass auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nach der sog. „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ (BGHSt 41, 182 und 231 BVerfG NJW 2011, 3020) in allen drei Fällen der Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht ist. Soweit das Amtsgericht dabei, ohne dies ausdrücklich zu erörtern, dem Angeklagten auch das Handeln der jeweils weiteren Beteiligten gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet hat, ist dies im Hinblick auf die sich aus den Feststellungen ergebende gemeinschaftliche Planung und Ausführung der Tat ebenfalls rechtsfehlerfrei. Darauf, ob die Blockade bereits wegen des Festklebens anderer Beteiligter an der Fahrbahn als Gewalt im Sinn des § 240 Abs. 1 StGB zu bewerten ist (KG NJW 2023, 2792 - zu § 113 StGB; vgl. auch BVerfGE 104, 92 [bei juris Rn. 33]; OLG Karlsruhe NStZ 2016, 32 - jeweils zum Sich-Anketten), kommt es danach für die Verwirklichung des Tatbestands nicht mehr an.

2. Die Bewertung des Amtsgerichts, dass alle drei Taten nicht als verwerflich im Sinn des § 240 Abs. 2 StGB einzustufen sind, hält dagegen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Teilweise fehlt es bereits an für die Beurteilung wesentlichen Feststellungen; im Übrigen sind bei der vorgenommenen Bewertung die dazu in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe nicht vollständig beachtet worden.

a) Eine Rechtfertigung von Straßenblockaden, mit denen allein Aufmerksamkeit für das Anliegen des Klimaschutzes geweckt werden soll, durch allgemeine Rechtfertigungsgründe, insbesondere § 34 StGB, scheidet aus (dazu OLG Celle NStZ 2023, 113; BayObLG StV 2023, 543; OLG Schleswig NStZ 2023, 740; Horter/Zimmermann GA 2023, 440 und 481; Erb NStZ 2023, 577; Homann JA 2023, 554), weshalb eine nähere Erörterung im angefochtenen Urteil nicht geboten war. Auch ist das Handeln des Angeklagten nicht allein deshalb als gerechtfertigt anzusehen, weil er und die anderen Beteiligten bei den Taten von ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) Gebrauch gemacht haben (BVerfGE 73, 206 [bei juris Rn. 88 f.], 104, 92 [bei juris Rn. 53 f.]).

b) Eine den Tatbestand des § 240 Abs. 1 StGB verwirklichende Handlung ist jedoch nur dann rechtswidrig, wenn die Anwendung des Nötigungsmittels - hier: Gewalt - zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist (§ 240 Abs. 2 StGB).

aa) Verwerflichkeit ist dabei nicht im Sinn eines moralischen Werturteils zu verstehen, sondern meint sozialwidriges Verhalten. Die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB ist dabei Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Sie untersagt übermäßige Sanktionen und schützt insbesondere davor, dass die Strafandrohung ein übermäßiges Risiko bei der Ausübung von Grundrechten - in der vorliegenden Konstellation des Rechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) - bewirkt (BVerfGE 104, 92 [bei juris Rn. 57, 62, 67].

Nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 73, 206; 104, 92; NJW 2011, 3020) müssen deshalb bei der Beurteilung alle für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen erfasst und eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation vorgenommen werden. Ausgangspunkt der Prüfung ist dabei der mit der Nötigungshandlung verfolgte Zweck. Besteht dieser - wie vorliegend - darin, in Form einer kollektiven Äußerung auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken, muss die vorzunehmende Abwägung dem Umstand Rechnung tragen, dass dadurch der Schutzbereich des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) berührt wird. Der dadurch gewährte Schutz entfällt erst bei Unfriedlichkeit der Versammlung, die sich vorliegend jedoch weder daraus ergibt, dass die Behinderung anderer das Ziel des Handelns des Angeklagten war, noch daraus, dass das Handeln des Angeklagten dem weiten Gewaltbegriff des § 240 Abs. 1 StGB unterfällt (BVerfGE 73, 206 [bei juris Rn. 88]; 104, 92 [bei juris Rn. 48 f.]; BGHSt 34, 71). Teil der Gewährleistung des Art. 8 GG ist dabei auch das Recht der Träger des Grundrechts, selbst über Art und Umstände der Ausübung ihres Grundrechts zu bestimmen, also zu entscheiden, welche Maßnahmen sie zur Erregung der öffentlichen Aufmerksamkeit für ihr Anliegen einsetzen wollen. Vom Selbstbestimmungsrecht ist jedoch nicht die Entscheidung umfasst, welche Beeinträchtigungen die Träger anderer kollidierender Rechtsgüter hinzunehmen haben. Bei der Angemessenheitsprüfung haben die Gerichte daher auch zu fragen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist. Der Einsatz des Mittels der Beeinträchtigung dieser Interessen ist zu dem angestrebten Versammlungszweck bewertend in Beziehung zu setzen, um zu klären, ob eine Strafsanktion zum Schutz der kollidierenden Rechtsgüter angemessen ist. In diesem Rahmen sind insbesondere auch Art und Maß der Auswirkungen auf betroffene Dritte und deren Grundrechte zu berücksichtigen. Wichtige Abwägungselemente sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten und der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand. Stehen die äußere Gestaltung und die durch sie ausgelösten Behinderungen in einem Zusammenhang mit dem Versammlungsthema oder betrifft das Anliegen auch die von der Demonstration nachteilig Betroffenen, kann die Beeinträchtigung ihrer Freiheitsrechte unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände möglicherweise eher sozial erträglich und dann in größerem Maße hinzunehmen sein, als wenn dies nicht der Fall ist. Demgemäß ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, ob und wie weit die Wahl des Versammlungsortes und die konkrete Ausgestaltung der Versammlung sowie die von ihr betroffenen Personen einen auf die Feststellung der Verwerflichkeit einwirkenden Bezug zum Versammlungsthema haben. Im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung eine Bewertung des mit der Blockade verfolgten inhaltlichen Anliegens vorzunehmen, ist den Gerichten dagegen versagt (BVerfGE 104, 92 [bei juris Rn. 64]; BGHSt 35, 270).

bb) Eine nach diesen Maßstäben vorgenommene Abwägung kann vom Revisionsgericht nur auf der Grundlage der dazu im Urteil getroffenen Feststellungen nachvollzogen werden, das deshalb die für die einzelnen Abwägungskriterien maßgeblichen tatsächlichen Grundlagen mitteilen muss (KG NJW 2023, 2792). Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei einer Straßenblockade das Ausmaß der dadurch herbeigeführten Beeinträchtigung von der jeweiligen durch die örtlichen und zeitlichen Verhältnisse bestimmten Verkehrssituation im Einzelfall abhängt, weshalb auch dazu Feststellungen geboten sind (KG, Beschluss vom 5.5.2023 - 3 ORs 12/23, juris).

cc) Bei Anwendung des vorstehenden Prüfungsmaßstabes erweist sich das angefochtene Urteil als lückenhaft, weil nicht zu allen für die Abwägung maßgeblichen Umständen hinreichende Feststellungen getroffen sind, was eine abschließende Beurteilung durch den Senat unmöglich macht.

So reicht die zur Tat am 7.2.2022 allein getroffene Feststellung, dass der Angeklagte um 9:43 Uhr von der Fahrbahn getragen wurde, zur Bestimmung der Dauer der Blockade nicht aus, nachdem auch bei den weiteren Taten die Blockade nicht mit dem Wegtragen des Angeklagten beendet war. Im Hinblick auf den festgestellten Beginn der Blockade am 7.2.2022 um 8:20 Uhr kann auch aus der Feststellung, dass durch die Blockade eine Zeitverzögerung von 30 – 45 Minuten bewirkt wurde, nicht auf die Dauer der Blockade geschlossen werden.

Die zur Tat am 11.2.2022 getroffene Feststellung, dass die Blockade zu „vorübergehenden Verkehrsbeeinträchtigungen“ führte, lässt auch unter Berücksichtigung der Feststellung, dass die blockierte Fahrbahn um 8:57 Uhr wieder freigegeben werden konnte, eine überprüfbare Bestimmung der Art und des Ausmaßes dieser Beeinträchtigungen als wesentlichem Abwägungsgesichtspunkt überhaupt nicht zu.

Bei allen Taten fehlt es zudem über eine pauschale Aussage hinaus an hinreichenden Feststellungen zu Ausweichmöglichkeiten. Die zur Tat 2 getroffenen Feststellungen lassen zudem eine nachvollziehbare Beschreibung der von der Polizei eingeleiteten Umleitungsmaßnahmen vermissen. Auch wenn der Umstand, dass es sich bei der bei den Taten 1 und 2 blockierten B 31a um die zentrale in Ost-West-Richtung verlaufende Verkehrsachse in Freiburg handelt, als gerichtsbekannt vorausgesetzt werden kann, trifft dies auf die sonstigen örtlichen Verhältnisse nicht zu, weshalb es grundsätzlich auch dazu Feststellungen im Urteil bedarf, um dem Revisionsgericht eine Beurteilung zu ermöglichen, in welchem Umfang etwa Umfahrungen der blockierten Straßen möglich waren. Der Umfang der dazu gebotenen Feststellungen ist allerdings eine Frage des Einzelfalls.

dd) Im Übrigen ist der verfassungsgerichtlich vorgegebene Prüfungsmaßstab auch sonst nicht vollständig vom Amtsgericht beachtet worden.

Zwar weist das Amtsgericht bei der Wiedergabe des rechtlichen Maßstabs zurecht darauf hin, dass es dabei auch darauf ankommt, ob der Versammlungszweck einen Bezug zu den von der Blockade betroffenen Personen hat. Soweit das Amtsgericht einen solchen Bezug bejaht hat, wird jedoch nicht ausreichend in den Blick genommen, dass die blockierten Autofahrer nach den getroffenen Feststellungen zwar auch, wenn auch nicht allein, die Adressaten der Aktionen waren, aber nur zu einem Teil des verfolgten Anliegens - nämlich als CO2-Emittenten und zur Forderung nach einem Tempolimit auf Autobahnen - einen direkten Bezug aufwiesen. Bezüglich des Themas Lebensmittelverschwendung bestand ein solcher Bezug dagegen allenfalls mittelbar. Die getroffenen Feststellungen legen es zudem nahe, dass die Autofahrer nicht gerade wegen ihres Sachbezugs ausgewählt wurden, sondern die Erzielung medialer Aufmerksamkeit im Vordergrund stand.

Soweit im angefochtenen Urteil aus dem sog. Klimaschutz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 157, 30) zitiert wird, ist zunächst noch einmal daran zu erinnern, dass den Gerichten eine Bewertung des mit der Blockade verfolgten inhaltlichen Anliegens im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nicht gestattet ist. Zudem hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Adressat der sich aus Art. 2 Abs. 2, 20a GG ergebenden Schutzpflichten allein die staatlichen Organe sind.

Außerdem beschränkt sich das angefochtene Urteil auf eine bloße Aufzählung einzelner in eine Abwägung einzustellender Gesichtspunkte, ohne dass jedoch eine eigentliche gewichtende Bewertung vorgenommen wird. Die die Beurteilung jedes Einzelfalls abschließende Formulierung, wonach eine „Grenze zur Verwerflichkeit [..] nach Ansicht des Gerichts im Hinblick auf die Intensität einer solchen Aktion jedenfalls ohne Weiteres überschritten wäre, wenn andere Verkehrsteilnehmer abstrakt oder konkret gefährdet [wären]“, lässt zudem besorgen, dass das Amtsgericht nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits die Beeinträchtigung der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Bewegungsfreiheit der von der Blockade betroffenen Personen als solche die Abwägung mit dem Recht des Angeklagten auf Versammlungsfreiheit gebietet.

Nach alledem kann die angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben und ist deshalb aufzuheben (§ 353 StGB). Von der Aufhebung ausgenommen werden können nur die nach den Urteilsgründen auf dem Geständnis des Angeklagten beruhenden (BGH NJW 1992, 382) Feststellungen zu den Tathandlungen (einschließlich der auf gemeinsamer Planung beruhenden Tatbeiträge der anderen Beteiligten) und zur Tatmotivation. Insoweit sind in der neuen Hauptverhandlung, zu der die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO zurückzuverweisen ist, ergänzende Feststellungen zulässig, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen. Vollständig neue Feststellungen sind dagegen zu den Auswirkungen der Taten zu treffen.

In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass ungeachtet der noch im Einzelnen zu treffenden Feststellungen jedenfalls bei einer unangekündigten Blockade einer Hauptverkehrsstraße über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinaus, die mangels hinreichender Ausweichmöglichkeiten zu einem erheblichen Rückstau mit erheblicher Zeitverzögerung für die davon betroffenen Personen führt, angesichts des nur teilweisen Bezugs der von der Blockade betroffenen Personen zu den von dem Angeklagten und seinen Mitstreitern verfolgten Zielen die Verneinung der Verwerflichkeit eher fernliegen dürfte.


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