Gericht / Entscheidungsdatum: LG München II, Beschl. v. 01.12.2023 - 6 Qs 7/23
Eigener Leitsatz:
Zur Kosten- und Auslagenentscheidung im Adhäsionsverfahren, wenn der Angeklagte seinen Einspruch gegen einen Strafbefehl teilweise zurückgenommen hat und durch die Einspruchsrücknahme bzw. -beschränkung dem Gericht damit eine Entscheidung über die nach § 472a StPO vorgesehene Billigkeitsentscheidung entzogen ist.
Landgericht München II
6 Qs 7/23
In dem Strafverfahren
gegen pp.
Verteidiger:
Adhäsionskläger:
pp.
Adhäsionsklägervertreter:
pp.
hier: sofortige Beschwerde des Wahlverteidigers pp.
erlässt das Landgericht München II - 6. Strafkammer - durch die unterzeichnenden Richter am 1. Dezember 2023 folgenden
Beschluss:
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 05.08.2023 in Ziff. 3. aufgehoben, soweit dem Angeklagten die Kosten des Adhäsionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Adhäsionsantragstellers auferlegt wurden.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die hierdurch veranlassten notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.
1. Unter dem 15.02.2023 beantragte die Staatsanwaltschaft gegen den Beschwerdeführer den Erlass eines Strafbefehls wegen fahrlässiger Körperverletzung. Dem Angeklagten wurde darin vorgeworfen, als Fahrer eines Pkws an einem Fußgängerweg den Geschädigten pp. verletzt zu haben, indem er das Vorderrad des vom Geschädigten geschobenen Fahrrads erfasste, wodurch der Geschädigte zu Boden ging. Der Strafbefehl wurde am 01.03.2023 vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck erlassen. Der Angeklagte legte über seinen Verteidiger am 07.03.2023 form- und fristgerecht Einspruch ein. Am 21.03.2023 bestimmte das Amtsgericht Termin zur Hauptverhandlung auf den 22.06.2023, 11:00 Uhr.
Am 22.06.2023 um 08:26 Uhr ging ein Adhäsionsantrag des Geschädigten ein, mit dem dieser ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens 700,00 € forderte. Mit einem am selben Tag um 08:46 Uhr eingegangenen Schreiben geschränkte der Angeklagte seinen Einspruch auf die Tagessatzhöhe und erklärte sein Einverständnis mit der Entscheidung im Beschlusswege. Daraufhin wurde der Termin am 22.06.2023 abgesetzt.
Der Angeklagte nahm über seinen Verteidiger zum Adhäsionsantrag Stellung und machte geltend, dieser sei bereits unzulässig.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 05.08.2023 änderte das Amtsgericht die Tagessatzhöhe ab, sah von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag ab und legte dem Angeklagten die Kosten des Adhäsionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers auf. Zur Begründung führte es aus, dass der Adhäsionsantrag nach vorläufiger Würdigung zulässig und begründet gewesen sei, weshalb die Kosten nach pflichtgemäßem Ermessen gem. § 472a Abs. 2 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen seien. Der Beschluss wurde dem Verteidiger des Angeklagten am 09.05.2023 zugestellt.
Mit Verteidigerschreiben vom 06.09.2023 legte der Angeklagte gegen die Kostenentscheidung im Beschluss vom 05.08.2023 sofortige Beschwerde ein, soweit dem Angeklagten die Kosten des Adhäsionsverfahrens und die notwendigen Auslagen des Adhäsionsklägers auferlegt wurden. Zur Begründung führte er aus, der Antrag sei schon nicht wirksam gestellt, da der an den Antragsteller nicht zugestellt worden sei. Auch wäre der Antrag im Adhäsionsverfahren ungeeignet, da dem Angeklagten Art und Umfang der Regulierung durch den eintrittspflichtigen Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer unbekannt gewesen seien.
Der Adhäsionskläger hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Zur Begründung führte er aus, der Adhäsionsantrag sei 22.06.2023 von Anwalt zu Anwalt zugestellt worden. Er habe das Empfangsbekenntnis des Verteidigers am 22.06.2023 um 08:55 Uhr zurück-erhalten.
2. Die statthafte Beschwerde des Angeklagten (vgl. BeckOK, 49. Ed., Stand 01.10.2023, Rz. 6 zu § 472a StPO) ist zulässig und in der Sache erfolgreich.
Eine Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen im Adhäsionsverfahren war nicht veranlasst, da aufgrund der Einspruchsbeschränkung keine Entscheidung mehr über den Adhäsionsantrag ergehen konnte.
Endet das Strafverfahren, so ist dem Adhäsionsverfahren die Grundlage entzogen, einer danach getroffene Anordnung dahingehend, dass von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag abgesehen wird, kommt lediglich deklaratorische Bedeutung zu (OLG Stuttgart vom 30.09.2022, 1 Ws 201/22, Rz. 10 bei Juris). Dasselbe gilt im vorliegenden Fall für die Beschränkung des Einspruchs auf die Tagessatzhöhe. Denn eine zusprechende Adhäsionsentscheidung kann gem. § 406 Abs. 1 StPO nur erfolgen, wenn der Angeklagte wegen einer Straftat schuldig gesprochen wird. Ein solcher Schuldspruch erfolgt nach Einspruchsbeschränkung nicht mehr, weshalb mit der Einspruchsbeschränkung der Adhäsionsantrag unzulässig wird (AG Kehl vom 09.10.2018, 2 Cs 503 Js 14484/17, bei Juris). Schon deshalb hatte im vorliegenden Fall eine Zustellung des Adhäsionsantrags durch das Gericht nicht mehr zu erfolgen. Aber auch auf die Zustellung des Adhäsionsantrags von Anwalt zu Anwalt kommt es daher nicht an. Zudem ist diese Zustellung - nach Angaben des Adhäsionsklägervertreters laut Empfangsbekenntnis um 08:55 Uhr - nach der Beschränkung des Einspruchs um 08:46 Uhr erfolgt.
Den Fall der späteren Einspruchsrücknahme bzw. -beschränkung, in dem die Adhäsions-klage ursprünglich zulässig war, nun aber unzulässig geworden ist, hat der Gesetzgeber nicht geregelt. Die nach § 472a StPO vorgesehene Billigkeitsentscheidung ist nicht möglich. Die dafür notwendige Bewertung der Erfolgsaussichten der Adhäsionsklage kann das Gericht nicht mehr vornehmen: Durch die Einspruchsrücknahme bzw. -beschränkung ist der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und dem Gerichte eine Entscheidung darüber entzogen, so dass die Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Adhäsionsklage entfallen ist (LG Dortmund, 16.04.2018, 32 Qs - 269 Js 1213/16 V A - 45/18, bei Juris). Zwar erscheint es unbillig, einen Adhäsionskläger mit den Kosten des Adhäsionsverfahrens zu belasten, wenn die Adhäsionsklage erst nachträglich durch die Rücknahme bzw. Beschränkung des Einspruchs unzulässig wird, zumal ein Adhäsionskläger darauf keinen Einfluss hat. § 472a Abs. 1 StPO setzt jedoch die Zuerkennung eines aus der Straftat erwachsenen Anspruchs voraus. Darüber enthält der Strafbefehl jedoch keine Entscheidung. Nach alldem bleibt dem Gericht wegen der festgestellten Regelungslücke nur, von einer Entscheidung über die Verteilung der Kosten des Adhäsionsverfahrens abzusehen. Im Ergebnis muss dies für den Adhäsionskläger nicht unbillig sein, da in Betracht kommt, seine notwendigen Auslagen für die Adhäsionsklage als Rechtsverfolgungskosten im ohnehin anzustrengenden zivilgerichtlichen Verfahren geltend zu machen. (Vgl. zu allem AG Kehl, a.a.O., OLG Stuttgart vom 30.09.2022, 1 Ws 201/22).
Dementsprechend ist vorliegend keine Entscheidung gemäß § 472a Abs. 2 StPO veranlasst.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.
Einsender: RA S. Kabus, Bad Saulgau
Anmerkung:
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