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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Rücktritt, Freiwilligkeit, erhebliche Eigenfährdung, unvorhergesehene Umstände, Geldautomatensprengung

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 16.10.2023 - 3 ORs 29/23

Leitsatz des Gerichts:

1. Die Freiwilligkeit des Aufgebens der weiteren Tatausführung i.S.d. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB ist ausgeschlossen, wenn sich durch vom Täter unvorhergesehene Umstände das mit der Tatbegehung verbundene Risiko beträchtlich erhöht.
2. Neben dem Risiko, angezeigt und bestraft zu werden, fehlt es an der Freiwilligkeit auch in Fällen, in denen der Täter die Tat nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen ohne erhebliche Eigengefährdung ausführen kann.
3. Die aus der Sicht der Täter durch Müdigkeit verursachte Gefahr, bei der vorgesehenen Flucht mit einem PKW (hier: nach der Sprengung eines Geldautomaten) zu verunglücken, ist ein die Freiwilligkeit ausschließender Fall nachträglicher Risikoerhöhung.


3 ORs 29/23

OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN

Beschluss

In der Strafsache
gegen pp.

hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main - 3. Strafsenat - am 16.10.2023 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen - 8. kleine Strafkammer - vom 19.09.2022 werden als unbegründet verworfen.

Die Angeklagten haben die Kosten ihres jeweiligen Rechtsmittels zu tragen.


Gründe

I.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Friedberg (Hessen) hat die Angeklagten mit Urteil vom 19.9.2022 wegen Vorbereitung zu einem Explosions- oder Strahlungsverbrechen schuldig gesprochen. Es hat den Angeklagten V deswegen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten, den Angeklagten W zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten und den Angeklagten X zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es dem Angeklagten V die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von einem Jahr keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Schließlich hat das Amtsgericht „die sichergestellten Tatmittel“ eingezogen. Den Tatvorwurf wegen versuchten „Freirammens“ eines Polizeifahrzeugs gegen die Angeklagten und weitere Btm-Delikte (vgl. Bl. 518 Bd. IV) hat das Amtsgericht im Hauptverhandlungstermin vom 19.09.2022 gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt (Bl. 913R Bd. V). Zudem wurde die Strafverfolgung gem. § 154a Abs. 2 StPO auf § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB unter Ausschluss einer Tat nach § 30 Abs. 2 i.V.m. § 308 Abs. 1 StGB beschränkt. Gegen das Urteil des Amtsgerichts Friedberg (Hessen) vom 19.9.2022 haben alle drei Angeklagten form- und fristgerecht Berufung bzw. unbezeichnete Rechtsmittel eingelegt.

Das Landgericht Gießen - 8. kleine Strafkammer - hat mit Urteil vom 3.5.2023 auf die Berufung der Angeklagten das angefochtene Urteil des Amtsgerichts vom 19.9.2022 im Strafausspruch sowie hinsichtlich der Einziehung von Tatmitteln (wegen Verzichts) aufgehoben. Es hat den Angeklagten V zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, den Angeklagten W zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat und den Angeklagten X zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren zwei Monaten verurteilt. Es hat weiter entschieden, dass „die Maßregelanordnungen und die weitere Einziehungsentscheidung“ betreffend den Angeklagten V „unberührt bleiben“. Die weitergehende Berufung der Angeklagten hat das Landgericht verworfen.
Hiergegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten und gleichermaßen begründeten Revisionen aller drei Angeklagten. Die Angeklagten rügen die Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die auf die Sachrüge der Angeklagten erfolgte Überprüfung des Urteils hat keinen
Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.

1. a) Insbesondere ist es frei von Rechtsfehlern, dass das Landgericht - auf Grundlage seiner beanstandungsfreien Beweiswürdigung - nicht den persönlichen Strafaufhebungsgrund (vgl. nur Schönke/Schröder/Heine/Bosch, StGB, 30. Aufl. 2019, § 314a Rn. 1) der tätigen Reue gem. § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB angenommen hat.

Materiell-rechtlich ist, wie beim Rücktritt gem. § 24 StGB, die Freiwilligkeit dann ausgeschlossen, wenn sich durch vom Täter unvorhergesehene Umstände das mit der Tatbegehung verbundene Risiko beträchtlich erhöht (BGH, Beschl. v. 16.03.2011 - 2 StR 22/11, juris Tz. 9; gegen die Unvorhersehbarkeit als notwendige Bedingung NK-StGB/Engländer, 6. Aufl. 2023, § 24 Rn. 60). Risikoerhöhend bedeutet indes noch nicht, dass die Tatausführung dem Täter durch den Auftritt des unvorhergesehenen Umstands unmöglich gemacht werden muss; insoweit läge bereits ein im Ganzen nicht mehr rücktritts- oder reuefähiger Fehlschlag vor. Das Risiko kann darin liegen, dass der Täter glaubt, durch die weitere Tatausführung Gefahr zu laufen, „geschnappt zu werden“ (BGH, Urt. v. 01.09.1992 - 1 StR 484/92, NStZ 1993, 76) bzw. seine Flucht zu vereiteln (BGH, Beschl. v. 20.11.2013 - 3 StR 325/13, NStZ 2014, 202). Neben dem Risiko, angezeigt und bestraft zu werden, sind auch Fälle umfasst, in denen sich das durch die Tatausführung eingegangene Risiko auf andere Rechtsgüter des Täters wie sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit bezieht, er die Tat also nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen ohne erhebliche Eigengefährdung ausführen kann (vgl. BGH, Urt. v. 15.09.2005 - 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 30. Aufl. 2019, § 24 Rn. 49; NK-StGB/Engländer aaO., § 24 Rn. 60).

b) Der risikoerhöhende Umstand lag nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Vorderrichters in der die Angeklagten überkommenden großen Müdigkeit. Dadurch bestand aus der maßgeblichen Sicht der Angeklagten bei der nach der Sprengung vorgesehenen Flucht mit dem PKW eine von ihnen nachvollziehbar befürchtete, signifikant erhöhte Gefahr, zu verunglücken. Es genügt, dass die Angeklagten die Tat nach § 308 Abs. 1 StGB ihrer Vorstellung nach nicht mehr ohne erhebliche Selbstgefährdung durchführen konnten (so auch BGH, Urt. v. 15.9.2005 - 4 StR 216/05, NStZ-RR 2006, 168, 169). Ihr Entschluss zur Tataufgabe erfolgte daher nicht freiwillig i.S.d. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB.

Dass die Selbstgefährdung nicht durch die Tatausführung selbst, sondern die sich anschließende Flucht begründet worden wäre, steht der Unfreiwilligkeit nicht entgegen, weil dieses Risiko unmittelbar durch die Tatausführung gesetzt wurde. Nicht anders ist es in Fällen des durch unvorhergesehene Umstände erhöhten Entdeckungs- bzw. Bestrafungsrisiko, da die dem Täter unerwünschten Folgen, Festnahme, (Freiheits-)Strafe etc., ihn naturgemäß erst nach der Tatausführung treffen (vgl. nochmals BGH, Beschl. v. 16.03.2011 - 2 StR 22/11, juris Tz. 10).

c) Es kann deshalb auch offenbleiben, ob tätige Reue gem. § 310 Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 314a Abs. 3 Nr. 2 StGB auch vorausgesetzt hätte, dass es die Angeklagten auch aufgegeben hätten, ihren Hinterleuten den Sprengstoff für künftige ähnliche Taten zu überlassen.

2. Das Landgericht war auch nicht gehalten, den unfreiwilligen Abbruch der Tatausführungen in seinen - auch im Übrigen rechtsfehlerfreien - Strafzumessungserwägungen darzulegen (§ 267 Abs. 3 S.1 StPO). Ob es bei einem Vorbereitungsdelikt denknotwendig ausgeschlossen ist, das Ausbleiben der vorbereiteten Tat als Strafmilderungsgrund zu berücksichtigen, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift ausführt, kann dahinstehen. Jedenfalls handelt es sich nicht um einen Strafmilderungsgrund, der sich dem Landgericht bei der nach § 46 StGB gebotenen Abwägung nach Lage des Falles hätte aufdrängen müssen. Eine erschöpfende Aufzählung aller in Betracht kommenden Erwägungen ist weder vorgeschrieben noch möglich (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 02.08.2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336, 337).

III.

Die Kostenentscheidung beruht jeweils (vgl. BGH, Beschl. v. 18.04.2023 - 6 StR 417/22, juris; OLG Hamm, Urt. v. 10.10.2013 - 1 RVs 40/13, juris) auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


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