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Entscheidungen

StPO

Nachtrunkbehauptung, Beweiswürdigung, Doppelblutentnahme

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Itzehoe, Beschl. v. 19.02.2024 - 14 Qs 9/24

Eigener Leitsatz:

1. Zur Nachtrunkbehauptung.
2. Ein Rückschluss von einer gemessenen Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt ist grundsätzlich dann möglich, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden kann; Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten. In geeigneten Fällen kann eine Nachtrunkbehauptung jedoch durch die Ergebnisse einer Doppelblutentnahme widerlegt werden.


14 Qs 9/24

Landgericht Itzehoe

Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Verdachts der Trunkenheit im Verkehr

hat das Landgericht Itzehoe - 14. Große Strafkammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht pp., den Richter am Landgericht pp. und die Richterin pp. am 19. Februar 2024 beschlossen:

1. Auf die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Itzehoe vom 23.11.2023 wird dieser aufgehoben.
2. Der sichergestellte Führerschein ist der Beschuldigten herauszugeben.
3. Die Staatskasse hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Itzehoe vom 23.11.2023 ist gern. § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Gemäß § 111a StPO ordnet das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis an, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis gern. § 69 StGB entzogen werden wird. Dies erfordert einen dringenden Tatverdacht in Bezug auf eine nach § 69 Abs. 1 StGB relevante Tat und einen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit dafür, dass das erkennende Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und die Maßregel anordnen wird. Zunächst muss nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis eine große Wahrscheinlichkeit für eine Anlasstat im Sinne des § 69 StGB bestehen; lediglich hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO genügt nicht (vgl. Hauschild in: MüKoStPO, 2. Aufl. 2023, StPO § 111a Rn. 7).

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Nach den bisherigen Ermittlungen fehlt es an dem erforderlichen dringenden Tatverdacht, dass sich die Beschwerdeführerin einer-jedenfalls fahrlässigen - Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, 2 StGB schuldig gemacht hat. Nach Auffassung der Kammer fehlt es an der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit, dass sie das Fahrzeug im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit (1.) oder im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit bei alkoholbedingten Ausfallerscheinungen (2.) geführt hat.

Der Nachweis, dass die Beschwerdeführerin das Fahrzeug im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit geführt hat, wird sich nicht mit großer Wahrscheinlichkeit führen lassen. Der Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit, ab welcher die absolute Fahrunsicherheit unwiderleglich vermutet wird, liegt bei Kraftfahrern bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,1 °/00 (vgl. Fischer, 70. Aufl, § 316 Rn. 25).

Vorliegend kann nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen zwar angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin am 12.11.2023 gegen 21:14 Uhr in Lutzhorn das Kraftfahrzeug Mercedes-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen pp. nach dem vorherigen Genuss alkoholischer Getränke geführt hat - es kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Ermittlungen indes nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sie zum Zeitpunkt der Fahrt auch eine Butalkoholkonzentration von mindestens 1,1 °/00 aufwies.

Der dahingehende Tatverdacht beruht derzeit ausschließlich auf der Aussage des Ehemannes der Beschuldigten gegenüber der Polizei, welcher am Tattag um 21:05 Uhr die Dienststelle in Elmshorn kontaktierte und angab, seine Ehefrau habe sich nach einem Streit stark alkoholisiert und schwankend mit dem Fahrzeug entfernt, sowie den damit korrespondierenden Angaben der Zeugen PK pp. und POM pp., welche die Beschuldigte am Tattag um 22:34 Uhr an der antrafen und einen Atemalkoholgeruch feststellten sowie den Analyseergebnissen der um 23:42 Uhr und 00:12 Uhr bei der Beschwerdeführerin entnommenen Blutproben, die einen BAK-Wert von 1,85 und 1,72 °/00 aufwiesen.

Diese Beweismittel sind jedoch nicht ohne weiteres geeignet, den dringenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gern. § 316 Abs. 1, 2 StGB zu begründen, denn der unmittelbare Schluss, dass die Beschwerdeführerin bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt der Autofahrt eine Blutalkoholkonzentration von über 1,1 °/00 aufwies, kann daraus nicht gezogen werden.

a) Die Beschwerdeführerin selbst hat den Tatvorwurf bestritten und sich gegenüber den Polizei-beamten zuletzt dahingehend eingelassen, sie habe vor Fahrtantritt zwischen 17:00 Uhr und 20:00 Uhr in einem Restaurant 0,5 I Bier und drei bis vier 2 cl Gläser Ouzo getrunken - größere Mengen Alkohol, nämlich 0,33 I Bier und etwa 15 cl Ouzo, habe sie hingegen erst nach Fahrtende bei ihrer Freundin, der Zeugin pp. konsumiert. Diese Einlassung, nach der sich die Beschwerdeführerin während der Autofahrt allenfalls im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit befunden hat, wird sich nicht ohne Weiteres widerlegen lassen.

Der Ehemann der Beschuldigten, der bisher keine Angaben zur Trinkmenge der Beschuldigten gemacht hat, gibt nunmehr an, diese habe vor Fahrtantritt in einem Restaurant zwei Bier und drei bis vier Ouzo getrunken, er habe die Polizei lediglich aus Verärgerung und Wut nach der Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau gerufen. Die Zeugin pp. hat darüber hinaus an Eides statt versichert, die Beschwerdeführerin habe nach ihrer Ankunft bei ihr gegen 21:00 Uhr bis 22:00 Uhr ein Bier getrunken und den Großteil einer Ouzo-Flasche geleert. Diese Aussagen stützen die Einlassung der Beschwerdeführerin und sind nicht geeignet, den gegen sie erhobenen Vorwurf der Trunkenheitsfahrt im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit zu begründen.

Die Kammer verkennt dabei nicht, dass das Aussageverhalten der Zeugen und die Einlassung der Beschuldigten inkonsistent sind und es sich auch um nachträglich abgesprochene Aussage handeln kann. So gab die Beschuldigte selbst zunächst an, sie habe nach der Fahrt in ihrem Fahrzeug Alkohol konsumiert, wenig später korrigierte sie die Aussage dahingehend, sie habe nach Fahrtende mit ihrer Freundin drei bis vier Bier getrunken und nach Durchführung des Atemalkoholtests gab sie schließlich an, gegen 17:30 Uhr zwei Weißweinschorlen und einen Ouzo und gegen 21:15 Uhr bei Frau pp. zwei bis drei Bier getrunken zu haben. Auch wirft es jedenfalls Fragen auf, dass die Zeugin pp. gegenüber der Polizei zunächst angegeben haben soll, dass beide Frauen bei ihr keinen Alkohol konsumiert hätten. Sofern sie nunmehr behauptet, sie habe die Frage nach etwaigem Alkoholkonsum lediglich auf sich bezogen beantwortet, da es darum gegangen sei, die Beschwerdeführerin im Verlaufe der Nacht mit dem Fahrzeug von der Wache abzuholen, muss der Wahrheitsgehalt dieser Aussage ggf. nach Anhörung der Vernehmungsbeamten ermittelt werden. Die Kammer hält die Frage nach einer (ausschließlichen) Alkoholisierung der Zeugin im Rahmen der gegen die Beschwerdeführerin geführten Ermittlungen wegen einer Trunkenheitsfahrt für wenig wahrscheinlich; es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Niederschrift der Aussage der Zeugin pp. nicht von den vernehmenden Beamten (PKW POM pp.) selbst, sondern von dem Zeugen POMA pp. gefertigt worden ist.

In diesem Zusammenhang muss auch berücksichtigt werden, dass der Ehemann der Beschuldigten die erste Aussage gegenüber der Polizei im Streit mit der Beschwerdeführerin getätigt hat, was eine kritische Würdigung der Aussage erfordert, da eine Belastungstendenz und eine etwaige Dramatisierung der Umstände jedenfalls nicht fernliegend erscheint. Für letzteres würde auch sprechen, dass er gegenüber der Polizei zunächst angab, die Beschwerdeführerin habe einen schwankenden Gang aufgewiesen, wohingegen die Polizeibeamten PK pp. und POM pp. bei der Beschwerdeführerin keinerlei Ausfallerscheinungen feststellen konnten.

Letztlich sind die Unstimmigkeiten innerhalb der Aussagen allenfalls geeignet einen hinreichenden Tatverdacht einer Trunkenheitsfahrt gem. § 203 StPO zu begründen, es kann indes nicht mit der notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin diese Tat auch begangen hat.

b) Auch die Ergebnisse der doppelten Blutprobenentnahme sind nicht geeignet, die Nachtrunkbehauptung der Beschwerdeführerin zu widerlegen.

Ein Rückschluss von einer gemessenen Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme auf die relevante Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt ist grundsätzlich dann möglich, wenn in der dazwischenliegenden Zeit ein regelhafter Verlauf der Blutalkoholkurve unterstellt werden kann; Nachtrunkeinlassungen erschweren diesen Rückschluss zugunsten des Beschuldigten (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 - 4 Qs 155/22 m.w.N.). In geeigneten Fällen kann eine Nachtrunkbehauptung jedoch durch die Ergebnisse einer Doppelblutentnahme widerlegt werden. Dem liegt zugrunde, dass die Zeitspanne während welcher die Blutalkoholkonzentration nach dem letzten Alkoholkonsum bis zur Erreichung ihres Maximums steigt - die sog. Anflutungsphase - im Regelfall etwa 30 Minuten bis zu zwei Stunden beträgt, wenngleich sie im Einzelfall von Person zu Person variiert (LG Oldenburg, Beschluss vom 24. Mai 2022 - 4 Qs 14 Qs 9/24 m.w.N.). In dieser Phase ist mithin mit steigenden Blutalkoholkonzentrationswerten zu rechnen, sodass in Fällen, in denen die Analysen einer ersten, in zeitlich engem Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Tatgeschehen entnommenen Blutprobe, und einer zweiten, im Abstand von 30 Minuten entnommenen Blutprobe, eine sinkende Blutalkoholkonzentration ergibt, die Nachtrunkbehauptung in der Regel als widerlegt angesehen werden kann (vgl. a.a.O.). Für einen solchen Rückschluss muss die Entnahme der ersten Blutprobe allerdings spätestens 45 Minuten nach Trinkende erfolgen (zu den weiteren Voraussetzungen vgl. ausführlich a.a.O. m.w.N.). Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt, denn das Blut für die erste Blutprobe zur Bestimmung der Blutalkoholkonzentration wurde der Beschwerdeführerin erst um 23:42 Uhr entnommen - und mithin knapp 1,5 Stunden nach dem behaupteten Trinkende um 22:15 Uhr. In diesem Fall verbietet sich der Rückschluss, dass die sinkenden Werte belegen, dass die Nachtrunkbehauptung unwahr ist, da auch im Falle des Nachtrunks die Anflutungsphase zum Zeitpunkt der zweiten Blutprobenentnahme bereits beendet wäre und die „Abbauphase“ begonnen hätte.

Der Nachweis einer absoluten Fahruntüchtigkeit zum maßgeblichen Zeitpunkt der Fahrt lässt sich vor diesem Hintergrund nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit führen.

2. Auch der Nachweis einer Trunkenheitsfahrt im Zustand relativer Fahruntüchtigkeit wird sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit führen lassen. Die sogenannte relative Fahruntüchtigkeit wird bejaht, wenn die Blutalkoholkonzentration unter dem absoluten Grenzwert von 1,1 ‰ liegt und die konkreten Umstände der Tat erweisen, dass die Rauschmittelwirkung zur Fahruntüchtigkeit geführt hat (vgl. Fischer, 70. Aufl. 2023, § 316 Rn. 14.). Bedeutendes Indiz für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit sind alkoholbedingte Ausfallerscheinungen während der Fahrt. Solche alkoholbedingten Ausfallerscheinungen können zum gegenwärtigen Stand der Ermittlungen indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit angenommen werden. Zwar hat der Ehemann der Beschwerdeführerin in seiner ersten Aussage gegenüber der Polizei angegeben, die Beschwerdeführerin habe bei Fahrtantritt einen schwankenden Gang aufgewiesen; diese Aussage findet indes keinerlei weitere Stütze. Insbesondere konnten die Polizeibeamten bei der Beschwerdeführerin keinerlei Ausfallerscheinungen feststellen.

Die Gesamtumstände vermögen hier allenfalls den hinreichenden Tatverdacht einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, Abs. 2 StGB zu begründen. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen kann indes nicht mit der für eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis notwendigen hohen Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sich diese auch mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit feststellen lassen wird. Letztlich muss die Klärung des Sachverhalts einer etwaigen Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 467 StPO analog.


Einsender: RA T. Frings, Itzehoe

Anmerkung:


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