Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, rückwirkende Bestellung, Zulässigkeit, Beschwer

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Limburg, Beschl. v. 26.01.2024 - 2 Qs 4/24

Eigener Leitsatz:

Auch nach der Neuregelung der §§ 140 ff. StPO durch die Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26.10.2016 (sog. „PKH-Richtlinie") und deren Umsetzung durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 verbleibt es dabei, dass eine sog. rückwirkende Beiordnung als Pflichtverteidiger ausgeschlossen ist.


Landgericht Limburg a. d. Lahn

2 Qs 4/24

Beschluss

In dem ehemaligen Strafverfahren
gegen pp.

Verteidigerin

wegen Bedrohung

hier wegen Bestellung eines Pflichtverteidigers

hat das Landgericht Limburg a. d. Lahn - 2. Strafkammer als Beschwerdekammer - auf die sofortige Beschwerde des ehemaligen Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 24.11.2023 am 26.01.2024 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des ehemaligen Beschuldigten verworfen.

Gründe:

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht die Beiordnung der Wahlverteidigerin abgelehnt, da es sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt handele und keine längere Freiheitsstrafe zu erwarten sei.

Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwer ist auf Grund prozessualer Überholung entfallen. Die Staatsanwaltschaft Limburg a. d. Lahn - Zweigstelle Wetzlar - hat mit Verfügung vom 26.10.2023 das unter dem Aktenzeichen 2 Js 57624/23 gegen den Beschwerdeführer laufende Ermittlungsverfahren gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt.

Auch nach der Neuregelung der §§ 140 ff. StPO durch die Richtlinie (EU) 2016/1919 vom 26.10.2016 (sog. „PKH-Richtlinie") und deren Umsetzung durch das Gesetz zur Neuregelung der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 verbleibt es dabei, dass eine sog. rückwirkende Beiordnung als Pflichtverteidiger ausgeschlossen ist (so auch OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.07.2023 - 5a Ws 1/21; LG Berlin, Beschl. v. 20.06.2023 - 534 Qs 97/23; LG Frankfurt a. M., Beschl. v. 12.06.2023 - 5/27 Qs 22/23, jew. zit. n. juris.).

Nach einer in Teilen der Rechtsprechung und der Literatur vertretenen Ansicht wird eine rückwirkende Bestellung bei bestehendem Beiordnungsgrund zwar zumindest dann für zulässig erachtet, wenn vor Verfahrensabschluss ein Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung vorlag und über diesen aus vom Beschuldigten nicht zu vertretenden Gründen nicht unverzüglich entschieden wurde (OLG Nürnberg, Beschl. v. 06.11.2020 - Ws 962/20; OLG Bamberg, Beschl. v. 29.04.2021 - 1 Ws 260/21; OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.12.2022 - 4 Ws 529/22 - zit. jew. n. juris; Krawczyk in: BeckOK-StPO, 49. Ed., Stand 01.10.2023, § 142 Rn. 30; Kämpfer/Tra-vers in: MüKo-StPO, 2. Aufl. 2023, § 142 Rn. 14).

Begründet wird diese Auffassung damit, dass mit der Reform der §§ 140 ff. StPO zum 10.12.2019 aufgrund der sog. PKH-Richtlinie die Annahme eines Rückwirkungsverbotes nicht mehr tragfähig sei. Die Richtlinie regele über ihren Art. 4 Abs. 1, Art. 3 nunmehr auch die finanziellen Grundlagen der Verteidigung und zwar dergestalt, dass nicht nur die tatsächliche Verteidigung, sondern auch die Bezahlung des Rechtsbeistandes gesichert werden solle (OLG Bamberg a.a.O.; OLG Nürnberg a.a.O.). Dafür spreche auch, dass Art. 6 Abs. 3 lit. c) EMRK -den die PKH-Richtlinie in ihrem Erwägungsgrund 17 in Bezug nimmt - ausdrücklich den mittellosen Beschuldigten und damit dessen Kosteninteresse in seinen Schutzzweck aufnehme (OLG Stuttgart a.a.O.).

Die Kammer schließt sich dieser Auffassung nicht an. Gegen sie spricht bereits, dass der konzeptionelle Zweck der Pflichtverteidigung ausschließlich darin besteht, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BGH, Beschl. v. 18.08.2020 -StB 25/20, zit. n. juris). Dieser Zweck der Verfahrenssicherung kann durch rückwirkende Bestellung nach Abschluss des Verfahrens jedoch nicht mehr erreicht werden. Finanzielle Erwägungen, insbesondere hinsichtlich des Kosteninteresses des Beschuldigten und damit - indirekt - auch anwaltlicher Vergütungsansprüche, sind dem System der §§ 140 ff. StPO dagegen fremd (BT-Drucksache 19/13829, S. 21).

Dies gilt auch nach der Neuregelung der §§ 140 ff. StPO. Zwar soll Art. 4 Abs. 1, Art. 3 der PKH-Richtlinie sicherstellen, dass der Beschuldigte Zugang zu einem Rechtsbeistand erhält und dieser nicht an fehlenden finanziellen Mitteln scheitern dürfe, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich sei. Eine generelle Freihaltung von Kosten der Verteidigung oder eine nachträgliche Bestellung eines bereits tätigen Verteidigers ist dagegen nicht vorgesehen. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie stellt den Anspruch auf Prozesskostenhilfe vielmehr ausdrücklich unter den Vorbehalt, dass dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Ein solches Erfordernis besteht jedoch nach Abschluss des Verfahrens gerade nicht mehr (u.a. OLG Dresden, Beschl. v. 24.02.2023 - 2 Ws 33/23; LG Frankfurt a. M. a.a.O., jew. zit. n. juris).

Auch das in Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie normierte Unverzüglichkeitsgebot erfordert keine rückwirkende Beiordnung, um dessen Einhaltung durch Gerichte und Staatsanwaltschaft sicher-zustellen und so - generell - die ordnungsgemäße Verteidigung zu sichern. Denn die Beachtung dieser zeitlichen Vorgabe der Richtlinie für die Beiordnungsentscheidung durch Staats-anwaltschaft und Gericht wurde durch ihre Umsetzung - etwa in §§ 141 Abs. 1 S. 1, 142 Abs. 1 S. 2 StPO - grundsätzlich sichergestellt (BT-Drs. 19/13829, S. 23, 37). Die Konsequenzen einer fehlerhaft unterbliebenen Beiordnung sind dagegen weder Gegenstand der PKH-Richtlinie, noch der §§ 140 ff. StPO. Dies spricht dafür, dass auch mit der Neuregelung, die in Kenntnis der o.g. BGH-Rechtsprechung erfolgte - gerade keine Abkehr von der ursprünglichen Rechtslage erfolgen sollte und folglich auch nach Umsetzung der Richtlinie die ordnungsgemäße Verteidigung lediglich für das jeweilige laufende Verfahren sichergestellt werden soll (LG Leipzig, Beschl. v. 11.09.2023 - 17 Qs 48/23, zit. n. juris).

Für die Führung der Verteidigung besteht demnach nach Einstellung des Verfahrens kein Bedürfnis mehr.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.


Einsender: RAin C. Bender, Wetzlar

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".