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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Aufhebung, Wegfall der Beiordnungsgründe, Verfahren, Anhörung, Ermessen des Gerichts

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Halle, Beschl. v. 15.02.2024 - 3 Qs 11/24

Eigener Leitsatz:

1. Die Aufhebung der Bestellung des Pflichtverteidigers wegen Wegfall der Anordnungsvoraussetzungen steht im Ermessen des Gerichts ("Kann-Bestimmung"). Den Gründen der Aufhebungsentscheidung muss daher zu entnehmen sein, dass sich das aufhebende Gericht seines Ermessensspielraums bewusst gewesen ist.
2. Ist seit dem Wegfall der Bestellungsvoraussetzung bis zur Entscheidung, die Pflichtverteidigerbestellung aufzuheben, ein längerer Zeitraum vergangen (hier: knapp acht Monate), in denen weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft den Wegfall der Voraussetzung der notwendigen Verteidigung problematisiert haben, sondern vielmehr auf Aktivitäten des Pflichtverteidigers reagiert haben, kommt eine Aufhebung nicht (mehr) in Betracht.


Landgericht Halle

3 Qs 11/24

Beschluss

In dem Strafverfahren
gegen pp.

Verteidiger:

wegen Verstoßes gegen das BtMG

hat die 3. große Strafkammer des Landgerichts Halle – Beschwerdekammer - durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, den Richter am Landgericht und die Richterin am Landgericht am 15. Februar 2024 beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 11. Januar 2024 wird der Beschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 15. Dezember 2025 (Az: 13 Cs 561 Js 40537/21 (27/23)) aufgehoben.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Halle führte das am 20. Oktober 2021 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten ursprünglich wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Unter dem 25. Februar 2022 ordnete das Amtsgericht Halle (Saale) dem Angeklagten Rechtsanwalt Pp. als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO bei, weil ihm ein Verbrechen zur Last gelegt wurde.

Mit Verfügung vom 27. März 2023 stellte die Staatsanwaltschaft Halle das Verfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO ein, soweit ein Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Betracht kam. Gleichzeitig beantragte sie bei dem Amtsgericht Merseburg den Erlass eines Strafbefehls bezüglich des Besitzes von 1,07 Gramm Marihuana gem. §§ 1, 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, 33 BtMG.

Das Amtsgericht Merseburg erließ den Strafbefehl unter dem 05. April 2023. Hiergegen legte der Angeklagte, vertreten durch seinen Verteidiger, rechtzeitig Einspruch ein. Nach erfolgter Akteneinsicht meldete der Verteidiger sich mit Schriftsätzen vom 09. Mai 2023, 17. Oktober 2023 und 05. November 2023 bei dem Amtsgericht Merseburg, wobei er u. a. auf eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO hinzuwirken versuchte sowie Kritik an der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, wegen der o. g. Tat einen Strafbefehl zu beantragen ("steuergeldverschwendendes Verfahren"), übte.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2023 hob das Amtsgericht Merseburg – ohne vorherige Anhörung der Verfahrensbeteiligten – die Beiordnung auf, weil kein Fall der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 StPO mehr gegeben sei. Gleichzeitig bestimmte das Amtsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 26. März 2024.

Der die Pflichtverteidigerbestellung aufhebende Beschluss wurde dem Verteidiger am 11. Januar 2024 zugestellt. Mit Schriftsatz vom gleichen Tag legte er hiergegen sofortige Beschwerde ein. Unter dem 25. Januar 2024 beantragte die Staatsanwaltschaft Halle, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Merseburg vom 15. Dezember 2023 ist gemäß §§ 143 Abs. 3, 311 Abs. 2 StPO zulässig, insbesondere binnen der Wochenfrist bei Gericht eingegangen. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

Gemäß § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. Dies ist anzunehmen, wenn sich im Lauf des Verfahrens ergibt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen, die zur Annahme eines Falles der notwendigen Verteidigung im Sinne von § 140 Abs. 1 Nr. 1 bis 10, Abs. 2 StPO geführt haben, nicht mehr gegeben sind (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, StPO, 66. Auflage, § 143 Rn 3).

Dies ist zwar vorliegend, nachdem die Staatsanwaltschaft der Verfahren hinsichtlich des Vorwurfs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eingestellt hat, mittlerweile der Fall. Seit dem 27. März 2023 wird dem Angeklagten kein Verbrechen mehr vorgeworfen, sodass kein Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO mehr vorliegt.

Allerdings steht die Aufhebung der Bestellung im Ermessen des Gerichts ("Kann-Bestimmung"). Dem liegt nach der Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde, dass Aspekte des Vertrauensschutzes trotz Wegfalls der Voraussetzungen einer Pflichtverteidigerbestellung die Fortdauer der Beiordnung rechtfertigen können (vgl. BT-Drucks. 19/13829, S. 45; KG Berlin, Beschl. vom 15.5.2020 – 5 Ws 65/20, BeckRS 2020, 36749).

Den Gründen des angegriffenen Beschlusses ist indes nicht zu entnehmen, dass sich das Amtsgericht seines Ermessensspielraums bewusst gewesen ist. Dies folgt unter anderem aus der vom Gericht in den Gründen des Beschlusses verwendeten Formulierung, dass die Bestellung aufzuheben "ist". Die Verwendung des Verbes "ist" impliziert ohne nähere Begründung, dass die Aufhebung der Beiordnung als Automatismus in dem Fall, dass die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen, verstanden worden ist. Ein solcher Automatismus besteht hier aber gerade nicht.

Die fehlende Ermessensausübung des Amtsgerichts zwingt im vorliegenden Fall jedoch nicht zu einer Zurückverweisung der Sache, vielmehr kann die Kammer selbst in der Sache entscheiden. Eine Zurückverweisung durch das Beschwerdegericht kommt nur in eng begrenzen Ausnahmefällen in Betracht (vgl. Meyer-Goßner/Schmidt, a.a.O., § 309 Rn 7), welche die Kammer hier nicht annimmt. Grundsätzlich hat das Beschwerdegericht gemäß § 309 Abs. 2 StPO eine eigene Sachentscheidung zu treffen, wobei an die Stelle des Ermessens des Erstgerichts das Ermessen des Beschwerdegerichts tritt (vgl. Münchener Kommentar zur StPO, 1. Auflage, § 309 Rn 28).

Dies führt zur Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Merseburg vom 15. Dezember 2023, da der Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung gemäß § 143 Abs. 2 S. 1 StPO ein berechtigtes Vertrauen des Angeklagten entgegen steht.

Seit der Teileinstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft – durch die die Voraussetzung des § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO weggefallen ist – bis zur Entscheidung des Amtsgerichts, die Pflichtverteidigerbestellung aufzuheben, sind knapp acht Monate vergangen, in denen weder das Gericht noch die Staatsanwaltschaft den Wegfall der Voraussetzung der notwendigen Verteidigung jemals problematisiert haben. Vielmehr hat der Verteidiger des Angeklagten in dieser Zeit weiterhin Tätigkeiten für ihn im dem Verfahren entfaltet, insbesondere versucht, auf eine Einstellung gem. § 153 StPO hinzuwirken. Staatsanwaltschaft und Gericht haben auf diese Tätigkeiten jeweils – beispielsweise mit der Veranlassung der Einholung eines Substanzgutachtens – reagiert, ohne zu erkennen zu geben, dass eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung in Betracht kommen könnte. Erst im unmittelbaren Zusammenhang mit der Terminierung der Hauptverhandlung für den 26. März 2024 hat das Amtsgericht – ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor anzuhören – die Bestellung aufgehoben. Durch das der Aufhebung vorhergehende Verhalten hat das Amtsgericht jedoch ein schutzwürdiges Vertrauen des Angeklagten dahingehend geschaffen, dass die einmal getroffene Entscheidung der Beiordnung auch unter den nach der Teileinstellung geänderten Umständen aufrechterhalten bleiben soll. Aufgrund dessen war der Aufhebungsbeschluss des Amtsgerichts aufzuheben, sodass die Pflichtverteidigerbeiordnung fortdauert.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.


Einsender: RA W. Siebers, Braunschweig

Anmerkung:


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