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Entscheidungen

Haftfragen

Ladung im Ausland, Androhung von Zwangsmaßnahmen, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 04.09.2023 - 2 Ws 93/23

Leitsatz des Gerichts:

Der Erlass eines Haftbefehls nach § 329 Abs. 3 StPO setzt bei einem dauerhaft im Ausland lebenden Angeklagten voraus, dass seine Ladung zum Termin nicht nur gemäß § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO die Warnung vor den Folgen seines unentschuldigten Ausbleibens enthielt, sondern darüber hinaus den eindeutigen Hinweis, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt.

Der Hinweis steht dem Erlass eines Europäischen Haftbefehls nicht entgegen, da dieser die Souveränität des ausländischen Staates nicht berührt, weil der ersuchte Staat im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung und der dort geltenden Befugnisse eigenständig über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und die Auslieferung der gesuchten Person entscheidet.


2 Ws 93/23121 AR 165/23

In der Strafsache
gegen pp.

wegen schweren Bandendiebstahls u.a.

hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 4. September 2023 beschlossen:

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Landgerichts Berlin vom 25. April 2023 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe :

I.

Mit Urteil vom 15. Januar 2020 verhängte das Schöffengericht Tiergarten gegen den Angeklagten wegen schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen eine unbedingte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Ein sichergestelltes Smartphone wurde eingezogen und die (gesamtschuldnerische) Einziehung des Wertes des Erlangten in Höhe von 200,- Euro angeordnet.

Die Berufung der Staatsanwaltschaft verwarf das Landgericht Berlin mit seinem Urteil vom 6. Mai 2020 mit der Maßgabe, dass der Angeklagte des schweren Bandendiebstahls in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit schwerem Wohnungseinbruchdiebstahl schuldig ist. Auf die Berufung des Angeklagten hat es – unter Aufrechterhaltung der vom Amtsgericht getroffenen Einziehungsentscheidungen – die Vollstreckung der erkannten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt; die weitergehende Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht.

Mit Urteil vom 11. November 2020 hat sodann das Kammergericht auf die Revision der Staatsanwaltschaft das Urteil des Landgerichts vom 6. Mai 2020 im Ausspruch über die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Nach vorangegangenen Versuchen, das Berufungsverfahren weiterzuführen, hat das Landgericht am 23. Januar 2023 einen Hauptverhandlungstermin für den 25. April 2023 angesetzt. Zu diesem Termin wurde der Angeklagte entsprechend der Verfügung der Vorsitzenden durch internationales Einschreiben mit Rückbrief sowie öffentlich geladen, wobei die Ladung in spanischer Sprache erfolgt ist und folgenden, ebenfalls übersetzten, Zusatz enthielt: „Soweit einer Verwerfung ihrer Berufung entgegensteht, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen wurde, gilt folgendes: wenn Sie ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, kann unabhängig von der Anwesenheit einer Verteidigerin/eines Verteidigers mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht Ihre Vorführung oder Ihre Verhaftung angeordnet werden. Die Vollstreckung sämtlicher mit dieser Ladung angedrohten Zwangsmaßnahmen erfolgt ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland.“

Ausweislich des Rückscheins ist dem Angeklagten diese Ladung am 20. Februar 2023 zugestellt worden. Die in deutscher und spanischer Sprache verfasste Benachrichtigung über die öffentliche Zustellung war darüber hinaus in der Zeit vom 10. bis zum 28. Februar 2023 an der Gerichtstafel des Landgerichts Berlin ausgehängt. Zu der Berufungshauptverhandlung am 25. April 2023 ist der Angeklagte ohne Entschuldigung nicht erschienen. Auf eine Vertretungsvollmacht hat sich der anwesende Verteidiger nicht berufen. Daraufhin hat die Kammer nach Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung einen Haftbefehl gemäß § 329 Abs. 3 StPO erlassen und die Verhaftung des Angeklagten angeordnet. Die Hauptverhandlung wurde anschließend ausgesetzt.

Am 7. Juni 2023 hat die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des Haftbefehls vom 25. April 2023 die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls beantragt, welcher erlassen und der Staatsanwaltschaft Berlin vom Landgericht Berlin am 9. Juni 2023 übersandt worden ist. Mit Verfügung vom 22. Juni 2023 hat die Generalstaatsanwaltschaft Berlin auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls die Einleitung der internationalen Fahndung veranlasst. Am 14. Juli 2023 wurde der Angeklagte durch die spanischen Behörden festgenommen und nach zwei Tagen mit der Maßgabe wieder freigelassen, sich am 29. August 2023 seiner Auslieferung zu stellen. Tatsächlich erfolgte die Auslieferung, der sich der Angeklagte entsprechend der vorherigen Ankündigung freiwillig gestellt hat, jedoch erst am 31. August 2023. Er wurde per Flugzeug nach München überführt und dort um 14.40 Uhr festgenommen. Anschließend wurde er noch am selben Tag nach Berlin überführt, wo ihm am 1. September 2023 der Haftbefehl verkündet worden ist.

Gegen den Haftbefehl vom 25. April 2023 wendet sich der Angeklagte mit der undatierten Beschwerde seines Verteidigers, die bereits am 21. Juli 2023 beim Landgericht Berlin eingegangen ist. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 24. Juli 2023 nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat ihre Verwerfung beantragt.

II.

Die Beschwerde des Angeklagten ist zulässig (§ 304 Abs. 1 StPO), aber unbegründet.

1. Der Angeklagte ist zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladen worden, zu dieser ist er ohne Entschuldigung nicht erschienen und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden. Da im Hinblick auf die im Raum stehende Bewährungsentscheidung die Anwesenheit des Angeklagten und der persönliche Eindruck vom Angeklagten unerlässlich war, war die Anordnung der Verhaftung des Angeklagten auch geboten und mithin verhältnismäßig (§ 329 Abs. 3 StPO).

2. Auf diese Folge war der Angeklagte mit der Ladung auch ausdrücklich hingewiesen worden – so wie es § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorschreibt. Lebt der Angeklagte dauerhaft im Ausland, wird diese Warnung in Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, für zulässig (und erforderlich) angesehen, wenn sie den für den Zustellungsempfänger eindeutigen Hinweis enthält, dass die Vollstreckung der angedrohten Zwangsmaßnahmen ausschließlich im Geltungsbereich der Strafprozessordnung erfolgt (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 29. Februar 2008 – I Ws 60/08 –, juris; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG, Beschluss vom 10. November 2010 – 3 Ws 459/10 –, juris mwN – auch hinsichtlich der gegenteiligen Auffassungen). Denn bereits die Androhung von Zwangsmaßnahmen auf dem Territorium eines fremden Staates ist geeignet, dessen Souveränität zu berühren (vgl. KG aaO).

Ebenfalls zutreffend ist die Ansicht des Landgerichts, dass der Erlass eines Europäischen Haftbefehls die Souveränität des ausländischen Staates nicht berührt, da der ersuchte Staat im Rahmen seiner nationalen Rechtsordnung und der dort geltenden Befugnisse eigenständig über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und die Auslieferung der gesuchten Person entscheidet. Erst mit der Überstellung nach Deutschland wird der deutsche Haftbefehl – entsprechend der Warnung – vollstreckt.
Anders als das Landgericht Kleve in seiner von der Verteidigung herangezogenen Entscheidung (vgl. LG Kleve, Beschluss vom 24. August 2018 – 120 Qs 45/18 –, juris) meint, ist es auch nicht widersprüchlich und stellt schon gar keine Täuschung des Angeklagten dar, wenn die Justizbehörden eine Warnung aussprechen, wonach Zwangsmaßnahmen gegen den säumigen Angeklagten nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ergriffen werden, dann aber diese Zwangsmaßnahmen mit Hilfe eines Europäischen Haftbefehls ermöglichen. Die Warnung vor Zwangsmaßnahmen soll dem Angeklagten die Chance eröffnen, sich dem Verfahren freiwillig zu stellen, um Zwangsmaßnahmen gegen sich zu vermeiden. Sie soll ihm keinen Weg aufzeigen, sich dem Verfahren zu entziehen. Die Einschränkung, dass eventuelle Zwangsmaßnahmen nur auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vollstreckt werden, dient in diesem Zusammenhang – was das Landgericht Kleve verkennt – keineswegs dazu, den Angeklagten wider besseren Wissens in Sicherheit zu wiegen, sondern alleine dazu, die Souveränität des Aufenthaltsstaates zu respektieren.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiKG D. Neumann, Berlin

Anmerkung:


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