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Entscheidungen

Haftfragen

Untersuchungshaft, Dauerbesuchserlaubnis, Telefonerlaubnis, Versagungsgründe, Verdunkelungsgefahr, Ehefrau

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.11.2023 – 7 Ws 207/23

Leitsatz des Gerichts:

Zu den Voraussetzungen von Beschränkungen gemäß § 119 Abs. 1 S. 1. StPO, insbesondere im Falle der Betroffenheit eines Ehegatten.


In pp.

Die (einfache) Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Wiesbaden - 4. kleine Strafkammer - vom 14. Juli 2023 wird auf seine Kosten (§ 473 Abs. 1 StPO) verworfen.

Gründe

I.

Der Angeklagte befindet sich aufgrund des auf den Haftgrund der Flucht (§ 119 Abs. 2 Nr. 1 StPO) gestützten Haftbefehls des Amtsgerichts Wiesbaden vom 3. Mai 2022 (Az. ...) seit dem 5. Oktober 2022 in Untersuchungshaft. Mit der Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Haftbefehls ordnete das Amtsgericht Wiesbaden am 6. Oktober 2022 verschiedene Beschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO an. Unter anderem wurde angeordnet, dass Besuche und die Telekommunikation der ausdrücklichen Erlaubnis bedürfen.

In erster Instanz wurde gegen den Angeklagten mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Wiesbaden vom 23. Februar 2023 wegen Betrugs in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verhängt. Ferner wurde ein Betrag in Höhe von 229.087,41 € eingezogen. Der vorgenannte Haftbefehl wurde aufrechterhalten. Der Angeklagte legte gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung ein; die Berufungshauptverhandlung vor dem Landgericht Wiesbaden hat noch nicht stattgefunden.

Die Staatsanwaltschaft Wiesbaden leitete nach der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wegen des dem Urteil zugrundeliegenden Sachverhalts ein Ermittlungsverfahren gegen die Ehefrau des Angeklagten, Vorname1 W, wegen Betrugs bzw. wegen Beihilfe zum Betrug ein.

Die Ehefrau des Angeklagten beantragte für Besuche und Telefonate bei bzw. mit ihrem Ehemann bei der nach der Einlegung der Berufung zuständigen Strafkammer mit Schreiben vom 8. Mai 2023 eine Dauerbesuchserlaubnis und eine Telefonerlaubnis.

Diesen Antrag hat die Strafkammer mit dem angegriffenen Beschluss wegen einer bestehenden Verdunkelungsgefahr abgelehnt. Zur Begründung hat die Kammer darauf abgestellt, dass eine Unterbrechung des Kontakts zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau - mit Ausnahme eines überwachten postalischen Kontakts - angezeigt sei, da eine Gesprächsüberwachung bei Telefonaten und Besuchen nicht ausreichend sei.

Der mit Schriftsatz des Verteidigers des Angeklagten vom 2. August 2023 eingelegten Beschwerde hat das Landgericht Wiesbaden nicht abgeholfen.

II.

Die gemäß §§ 119 Abs. 5 S. 1, 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die mit dem angegriffenen Beschluss erfolgte Versagung der Dauerbesuchs- und Telefonerlaubnis für die Ehefrau des Angeklagten ist nach Ausübung des dem Senat gemäß § 309 Abs. 2 StPO zukommenden eigenen Ermessens zur Abwehr der Verdunkelungsgefahr im Sinne von § 119 Abs. 1 S. 1 StPO erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 1964 - AnwSt (B) 4/64 = NJW 1964, 2119; KK-Zabeck StPO, 9. Auflage 2023, § 309 Rn 6; MüKo-Neuheuser StPO, 2016, § 309 Rn 26 ff.).

Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 StPO können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden, wenn dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr erforderlich ist. Die Beschränkungen zu Lasten eines Untersuchungsgefangenen können dabei nicht nur auf die im Haftbefehl ausdrücklich genannten Haftgründe gestützt werden, sondern sie kommen auch zur Abwehr aller übrigen in § 119 Abs. 1 S. 1 StPO aufgeführten Gefahren in Betracht. Das heißt, es kann - so wie hier geschehen - auch auf im Haftbefehl nicht genannte weitere Haftgründe zur Begründung einer Beschränkungsanordnung zurückgegriffen werden (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 - 3 Ws 391/22, vom 16. Februar 2023 - 3 Ws 25/23 sowie vom 11. Februar 2016 - 3 Ws 57/16 = BeckRS 2016, 11581 Rn 2; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 66. Auflage § 119 Rn 5). Für die Annahme einer solchen Gefahr genügt nicht die bloße Möglichkeit der Gefährdung eines Haftzwecks; hierfür sind konkrete Anhaltspunkte erforderlich (allg. Meinung, vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 30. Oktober 2014 - 2 BvR 1513/14 = NStZ-RR 2015, 79).

Das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte im vorgenannten Sinne erfordert allerdings keine konkreten Vertuschungs- oder Verdunkelungshandlungen (BeckOK-Krauß StPO, Stand: 1. Oktober 2023, § 119 Rn 12). Vielmehr ist angesichts der geringeren Eingriffsintensität solcher Beschränkungen gegenüber der Haft nicht dieselbe tatsächliche Verdichtung im Sinne eines dringenden Tatverdachts nötig (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 - 3 Ws 391/22 und vom 16. Februar 2023 - 3 Ws 25/23). Zur Beurteilung der einem Haftzweck zuwiderlaufenden Gefahr kann daher auch auf allgemeine kriminalistische Erfahrungen abgestellt werden (KG, Beschluss vom 7. August 2014 - 1 Ws 52/14 = NStZ-RR 2014, 377 m.w.N.). Insbesondere gilt der Erfahrungssatz, dass Absprachen unter Tatbeteiligten jedenfalls dann naheliegen, wenn diese nicht geständig sind (KG, Beschluss vom 20. Oktober 2022 - 5 Ws 41/22 - 121 AR 50/22 = BeckRS 2022, 38740; OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 - 3 Ws 391/22 und vom 16. Februar 2023 - 3 Ws 25/23). Dies gilt umso mehr, wenn Angehörige und Freunde involviert sind, da hier nicht nur ein gesteigertes Vertrauensverhältnis besteht, sondern diese sich zudem regelmäßig dem Angeklagten besonders emotional verpflichtet fühlen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 16. Februar 2023 - 3 Ws 25/23). Schließlich kann eine entsprechende Gefahr auch konkret-typisierend durch die Art der zu Last gelegten Taten und deren Begehung begründet sein (OLG Frankfurt am Main, Beschlüsse vom 3. November 2022 - 3 Ws 391/22 und vom 16. Februar 2023 - 3 Ws 25/23; BeckOK-Krauß StPO, a.a.O., § 119 Rn 12).

Daran gemessen liegen konkrete Anhaltspunkte für eine Verdunkelungsgefahr für den Fall eines persönlichen oder telefonischen Austauschs zwischen den Eheleuten W vor. Bereits die dem Angeklagten vorgeworfenen Straftaten des Betrugs durch das Einmieten in Hotels - im X gar über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren - sprechen für ein manipulatives Geschick des Angeklagten und damit für dessen grundsätzliche Bereitschaft zu aktiven Vertuschungshandlung. Entgegen der Auffassung des (vormaligen) Verteidigers in der Beschwerdeschrift spricht die Tatsache, dass der Angeklagte erstinstanzlich aufgrund von Zeugenaussagen und Urkunden verurteilt wurde, nicht gegen, sondern gerade für das Vorliegen der Verdunkelungsgefahr. Es ist davon auszugehen, dass die Motivation zu Verdunkelungshandlungen des in erster Instanz die Taten auf subjektiver Ebene in Abrede stellenden Angeklagten mit der erstinstanzlichen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten zugenommen hat, muss er doch bei unveränderter Beweislage mit der Verwerfung seiner Berufung rechnen. Dabei spricht auch die Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen die Ehefrau für ein gesteigertes Interesse sowohl des Angeklagten als auch seiner Ehefrau, einen Freispruch des Angeklagten im vorliegenden Verfahren zu erreichen, da beide anderenfalls nun mit einer Verurteilung auch von ihr wegen Betrugs bzw. Beihilfe zum Betrug rechnen müssen. Es kommt - abermals entgegen der Beschwerdeschrift - nicht darauf an, ob die Ehefrau des Angeklagten auf die bereits in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen einwirkt. Zu befürchten ist vielmehr eine Absprache zwischen den Eheleuten im Hinblick auf die ursprüngliche Zahlungsbereitschaft und die Zahlungsfähigkeit und nachfolgend eine entsprechend abgestimmte Aussage der - erstinstanzlich nicht vernommenen - Ehefrau als Zeugin in der noch bevorstehenden Berufungshauptverhandlung.

Die Versagung der Dauerbesuchs- und Telefonerlaubnis ist auch nicht unverhältnismäßig. Der Senat verkennt nicht, dass mit Blick auf den verfassungsrechtlich gewährten Schutz der Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) Besuchsanträge und Telefonerlaubnisse von Familienangehörigen nur aus schwerwiegenden Gründen abgelehnt werden dürfen und vorrangig mildere Maßnahmen der Überwachung, namentlich eine akustische Überwachung der Gespräche, zu prüfen sind (vgl. KK-Gericke StPO, 9. Auflage 2023, § 119 Rn 17). Bestehen allerdings - wie hier - konkrete Anhaltspunkte für eine Verdunkelungsgefahr, genügt eine akustische Überwachung in der Regel nicht, besteht bei einem unlauteren Informationsaustausch doch allenfalls die Möglichkeit, das Gespräch abzubrechen, während die einmal gesprochene und wahrgenommene Mitteilung nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 - 2 Ws 246/09 = NStZ-RR 2010, 159, 160; KK-Gericke, a.a.O., § 119 Rn 17). Außerdem ist zu bedenken, dass es aufgrund der langjährigen Ehe der Eheleute naheliegend ist, dass bloße Andeutungen oder vermeintlich unverbindliche Gesprächsinhalte genügen, um tatsächlich wichtige Informationen auszutauschen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24. November 2009 - 2 Ws 246/09, a.a.O.; KK-Gericke, a.a.O., § 119 Rn 17), zumal für den im Raum stehenden Betrugsvorwurf sowie die Einziehungsentscheidung der weite Bereich der Lebensverhältnisse der Eheleute in der Vergangenheit, welche Aufschluss über die wirtschaftliche Situation geben könnten, betroffen ist. Schließlich wird - anders als dies im Rahmen der Beschwerdeschrift vorgetragen wurde - dem Angeklagten nicht der einzige soziale Kontakt in die Freiheit genommen. Die Eheleute haben weiterhin die Möglichkeit des schriftlichen Austauschs, wobei hier die Briefkontrolle durch den mit dem Verfahren vertrauten Vorsitzenden gewährleistet ist.


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