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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Verwendens einer ein Hakenkreuz enthaltenden Karikatur, Teilen auf Twitter, Strafbarkeit nach § 86a StGB wegen

Gericht / Entscheidungsdatum: BayObLG, Beschl. v. 29.11.2023 - 202 StRR 88/23

Leitsatz:

1. Das „Teilen“ einer Abbildung mit einem Hakenkreuz, das dem Angeklagten von einem Dritten auf seinem Twitter-Account eingestellt wurde, mit seinen ca. 13.000 „Followern“ stellt ein öffentliches Verwenden des Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation dar.
2. Eine auf Grund des Schutzzwecks des § 86a Abs. 1 StGB erforderliche Einschränkung des Tatbestands ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich auf Anhieb aus der Abbildung in eindeutiger und offenkundiger Weise die Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie ergibt.
3. Eine Verhaltensweise dient der staatsbürgerlichen Aufklärung im Sinne des § 86 Abs. 4 i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB, wenn es um die Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbildung geht.
4. Ein Ausschluss der Strafbarkeit wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen aufgrund der Kunstfreiheit (§ 86 Abs. 4 i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB) kommt nur dann in Betracht, wenn das Handeln des Angeklagten dem Werkbereich oder dem Wirkbereich künstlerischen Schaffens unterfällt, was dann nicht der Fall ist, wenn er weder Hersteller des Werks ist noch von diesem mit der Verbreitung betraut wurde.
5. Die Meinungsäußerungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG wird durch § 86a StGB als allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG eingeschränkt. Der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit wird dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass durch die teleologische Reduktion des Straftatbestands Fälle, in denen die Gegnerschaft des Handelnden zu der verfassungswidrigen Organisation zweifelsfrei und auf Anhieb ersichtlich wird, von der Strafbarkeit ausgenommen werden.


In pp.

I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 27. Juli 2023 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schuldig gesprochen, aber von der Verhängung einer Strafe abgesehen. Auf die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, hat das Landgericht mit Urteil vom 27.07.2023 das erstinstanzliche Urteil dahin abgeändert, dass der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt wird. Die Berufung des Angeklagten wurde als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Berufungskammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Am 23.06.2022 entdeckte der Angeklagte, der Mitglied der AfD ist, auf seinem Twitter-Account einen Beitrag eines anderen Twitter-Nutzers mit einem Bild. Diesen „Tweet“ mit dem Bild teilte der Angeklagte auf seinem Twitter-Account mit seinerzeit ca. 13.000 „Followern“. Das Bild zeigt die realistische Zeichnung des Körpers einer Frau, die ein blaues Kleid mit EU-Flagge auf dem Bauch trägt. Das Kleid wird nach oben geweht, so dass das rote Innenfutter mit einem Hakenkreuz in einem weißen Kreis auf Höhe des Oberschenkels deutlich erkennbar ist. Über dem Bild ist der Kommentar „Bin mal auf den shitstorm gespannt...“ zu lesen.

III.
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

1. Die erhobene Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

2. Der auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhende Schuldspruch wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Das abgebildete Hakenkreuz stellt zweifelsfrei ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation, nämlich der NSDAP, im Sinne des § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 i.V.m. § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar, das der Angeklagte auf seinem Twitter-Account mit seinen „Followern“ teilte und damit einer unbestimmten Vielzahl von Personen zugänglich machte (vgl. BayObLG, Urt. v. 07.10.2022 - 202 StRR 90/22 = NStZ-RR 2023,10 = MMR 2023,143 = OLGSt StGB § 86a Nr 15). Unter Verwenden ist jeder Gebrauch zu verstehen, der das Kennzeichen optisch oder akustisch wahrnehmbar macht (BGH, Beschl. v. 19.08.2014 – 3 StR 88/14 = NStZ 2015, 81 = MMR 2015, 200 = BGHR StGB § 9 Erfolg 4 = BGHR StGB § 9 Abs 1 Tatort 6 = BGHR StGB § 86a Abs 1 Öffentlich 2 = ZUM-RD 2015, 444 = StV 2016, 106). Entscheidend für die Öffentlichkeit der Verwendung ist die Wahrnehmbarkeit für einen größeren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Personenkreis (BGH, Urt. v. 27.07.2017 – 3 StR 172/17 = NStZ 2018, 37 = BGHR StGB § 86a Abs 1 Öffentlich 3). Der Umstand, dass die inkriminierte Abbildung lediglich mit den „Followern“ des Angeklagten geteilt wurde, steht dem nicht entgegen, weil es sich bei diesen von vornherein nicht um einen durch persönliche Beziehungen zusammenhängenden Personenkreis handelte, der überdies wegen der hohen Anzahl nicht überschaubar war.

b) Die Berufungskammer hat mit rechtsfehlerfreien Erwägungen unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung (BVerfG [1. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 23.03.2006 - 1 BvR 204/03 = BVerfGK 7, 452 = NJW 2006, 3052 = BeckRS 2006, 22584; BGH, Urt. v. 15.03.2007 - 3 StR 486/06 = BGHSt 51, 244 = NJW 2007, 1602 = StraFo 2007, 244 = JA 2007, 551 = NStZ 2007, 466 = BGHR StGB § 86a Kennzeichen 3 = JZ 2007, 849 = NStZ 2007, 698 = JR 2007, 521 = BeckRS 2007, 5206; 18.10.1972 – 3 StR 1/71 = BGHSt 25, 30, 33 = NJW 1973, 106; 14.02.1973 - 3 StR 1/72 = BGHSt 25, 128; 25.04.1979 - 3 StR 89/79 = DB 1979, 1034 = MDR 1979, 686 = DRiZ 1979, 254 = NJW 1979, 1555 = BeckRS 1979, 108747), der sich der Senat angeschlossen hat (BayObLG, Urt. v. 07.10.2022 - 202 StRR 90/22 a.a.O.), von einer Restriktion des Tatbestands abgesehen.

aa) Die weite Fassung des Tatbestandes der als abstraktes Gefährdungsdelikt ausgestalteten Strafrechtsnorm, die nach ihrem Wortlaut - von Fällen der sog. Sozialadäquanzklausel nach § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB abgesehen - jegliches Verwenden eines solchen Kennzeichens betrifft, würde bei wortgetreuer Auslegung auch Handlungen erfassen, die diesem Schutzzweck nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken sollen, was eine Restriktion des Tatbestandes erfordert, die derartige Verwendungen von der Strafbarkeit ausnimmt (vgl. BGH, Urt. v. 15.03.2007 - 3 StR 486/06 [a.a.O.] m.w.N.).

(1) Nach dieser Rechtsprechung ist Schutzzweck des Straftatbestandes die Abwehr einer Wiederbelebung der verbotenen Organisation oder der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Bestrebungen, auf die das Kennzeichen symbolhaft hinweist. Daneben dient die Vorschrift aber auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, dass jeder Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei in- und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens in der Bundesrepublik Deutschland vermieden werden soll, in ihr gebe es eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden. Denn auch ein solcher Eindruck und die sich daran knüpfenden Reaktionen können den politischen Frieden empfindlich stören. § 86a StGB will darüber hinaus verhindern, dass die Verwendung von Kennzeichen verbotener verfassungsfeindlicher Organisationen – ungeachtet der damit verbundenen Absichten – sich wieder derart einbürgert, dass das Ziel, solche Kennzeichen aus dem Bild des politischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich zu verbannen, nicht erreicht wird, mit der Folge, dass sie schließlich auch wieder von den Verfechtern der politischen Ziele, für die das Kennzeichen steht, gefahrlos gebraucht werden können.

(2) Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kann im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen der Gebrauch eines Kennzeichens einer verfassungswidrigen Organisation in einer Darstellung, deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt, dem Schutzzweck ersichtlich nicht zuwiderlaufen und wird daher vom Tatbestand des § 86a StGB nicht erfasst. Da sich in einem derartigen Fall die gegnerische Zielrichtung bereits aus dem Aussagegehalt der Darstellung selbst ergeben muss, erstreckt sich der Tatbestandsausschluss grundsätzlich auf jeglichen Gebrauch der Kennzeichen. Auf die Umstände des Gebrauchs kommt es dabei zur Begründung eines Tatbestandsausschlusses nicht an. Jedoch ist ein Tatbestandsausschluss nur dann gerechtfertigt, wenn die Gegnerschaft sich eindeutig und offenkundig ergibt und ein Beobachter sie somit auf Anhieb zu erkennen vermag. Für diese Wertung sind die gesamten Umstände der Tat zu berücksichtigen. Ist dagegen der Aussagegehalt einer Darstellung mehrdeutig oder die Gegnerschaft nur undeutlich erkennbar, ist der Schutzzweck des § 86a StGB verletzt (BGH a.a.O.; BayObLG, Urt. v. 07.10.2022 - 202 StRR 90/22 a.a.O. m.w.N.). Die Einschränkung des Straftatbestandes in solchen Fällen trägt nicht nur dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG, sondern auch der allgemeinen Handlungsfreiheit Rechnung (BGH, Beschl. v. 01.10.2008 - 3 StR 164/08 = BGHSt 52, 364 = NStZ 2009, 88 = JZ 2009, 161 = StraFo 2009, 27 = NJW 2009, 928 = BGHR StGB § 86a Kennzeichen 4 = BeckRS 2008, 23816). Zwar handelt es sich bei § 86a StGB um ein allgemeines Gesetz i.S.v. Art. 5 Abs. 2 GG. Läuft jedoch ein Handeln dem Schutzzweck des § 86a StGB nicht zuwider, wäre es auch verfassungsrechtlich bedenklich, ein solches Verhalten gleichwohl zu inkriminieren und dadurch die Freiheit von Bürgern zu beschränken, die gegen die Wiederbelebung von nationalsozialistischen Bestrebungen in der Weise protestieren wollen, dass sie gerade die Kennzeichen angreifen, die eben diese unerwünschten Bestrebungen symbolisieren (st.Rspr.; vgl. neben BGH, Urt. v. 15.03.2007 - 3 StR 486/06 [a.a.O.] u.a. BGH, [Vorlage-] Beschl. v. 01.10.2008 - 3 StR 164/08 = BGHSt 52, 364 = NStZ 2009, 88 = JZ 2009, 161 = StraFo 2009, 27 = NJW 2009, 928 = BGHR StGB § 86a Kennzeichen 4 = BeckRS 2008, 23816; Urt. v. 09.07.2015 - 3 StR 33/15 = BGHSt 61, 1 = NJW 2015, 3590 = StV 2016, 113 = JZ 2016, 154 = NStZ 2016, 86 = BeckRS 2015, 17433; BVerfG [1. Kammer des 1. Senats], Beschl. v. 23.03.2006 - 1 BvR 204/03 a.a.O.; EGMR, Entsch. v. 13.03.2018 - 35285/16 [Nix/Deutschland] bei juris [a.a.O. Rn. 48]).

bb) Die Berufungskammer ist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben mit sorgfältigen Erwägungen und in der Sache überzeugend zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Restriktion des Tatbestandes auszuscheiden hat. Der Umstand, dass es sich, wie die Revision meint, bei der Abbildung um „Satire“ handelte, ist insoweit ohne Bedeutung. Kennzeichnend für die Annahme einer Satire ist die spöttische, gegebenenfalls mit Übertreibungen oder auch Untertreibungen gepaarte Anprangerung von Zuständen oder Geschehnissen. Selbst wenn man dies auf die im konkreten Fall verwendete Abbildung noch annehmen möchte, wenngleich sich der vom Angeklagten der Abbildung beigemessene Aussageinhalt, wonach der EU wegen ihrer Unterstützung der Ukraine eine angeblich „nazifreundliche Haltung“ attestiert werden sollte, schon wegen der Abwegigkeit einer solchen Interpretation nicht auf Anhieb entnehmen lässt, wird hieraus aber eine etwaige Gegnerschaft des Angeklagten zur NS-Ideologie keineswegs eindeutig und auf Anhieb ersichtlich.

c) Die Veröffentlichung der Abbildung durch den Angeklagten diente nicht der staatsbürgerlichen Aufklärung oder der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen sozialadäquaten Zwecken im Sinne von § 86 Abs. 4 StGB i.V.m. § 86a Abs. 3 StGB.

aa) Eine Verhaltensweise dient der staatsbürgerlichen Aufklärung, wenn es um die Vermittlung von Wissen zur Anregung der politischen Willensbildung und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers und damit der Förderung seiner politischen Mündigkeit durch Information geht, wobei die Aufklärung neben allgemeinen Bildungseinrichtungen auch durch Presse, Rundfunk, Fernsehen oder Parteien wahrgenommen werden kann (vgl. BeckOK-StGB/v. Heintschel-Heinegg [57. Edit. Stand: 01.05.2023], Rn. 29 ff. m.w.N.). Von einer Wissensvermittlung kann aufgrund der bewusst auf einseitige Meinungsbeeinflussung ausgerichteten Aussage der verwendeten Abbildung keine Rede sein.

bb) Ebenso wenig stellt die Veröffentlichung der Abbildung einen Beitrag zur Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dar. Denn es ging dem Angeklagten gerade nicht um die (objektive) Vermittlung von zutreffenden Fakten, was er auch nicht im Ansatz getan hat, sondern nach seiner Einlassung um die Kundgabe einer eigenen Meinung im Sinne einer gänzlich ideologisch geprägten und inhaltlich schlechterdings abwegigen Anprangerung politischen Verhaltens, nämlich der Unterstützung eines Staates, der sich gegen einen rechtswidrigen Angriffskrieg verteidigen möchte. Mit einer Berichterstattung über tatsächliche Geschehnisse hat dies nichts zu tun.

d) Das Verhalten des Angeklagten diente ebenso wenig der „Kunst“ im Sinne des § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB.

aa) Nach den vom Bundesverfassungsgericht geprägten und seiner ständigen Rechtsprechung zugrunde gelegten Maßstäben gilt für den (materiellen) Kunstbegriff Folgendes:

„Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Alle künstlerische Tätigkeit ist ein Ineinander von bewussten und unbewussten Vorgängen, die rational nicht aufzulösen sind. Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck, und zwar unmittelbarster Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Künstlers“ (st.Rspr.; vgl. grundlegend BVerfG, Beschl. v. 24.02.1971 - 1 BvR 435/68 [„Mephisto“] = BVerfGE 30, 173, 188 f. = NJW 1971, 1645 = BeckRS 1971, 106399 = DÖV 1971, 554 = JZ 1971, 544; ferner u.a. BVerfGE 67, 213, 226 und 119, 1, 20 f., jeweils m.w.N.).

bb) Der Senat braucht nicht darüber zu befinden, ob es sich bei der vom Angeklagten veröffentlichten Abbildung, auf der sich das Hakenkreuz befand, überhaupt um Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG handelt. Das Bundesverfassungsgericht hat immerhin konstatiert, dass nicht jede Satire und nicht jede Karikatur zugleich dem Kunstbegriff unterfallen (BVerfG, stattgebender Kammerbeschl. v. 10.07.2002 – 1 BvR 354/98 = NJW 2002, 3767 = ZUM 2002, 920). Selbst wenn man aber die Abbildung als solche dem Kunstbegriff unterwerfen wollte, wäre jedenfalls der Angeklagte nicht vom Schutzbereich der Grundrechtsnorm erfasst. Denn der Angeklagte ist weder deren Schöpfer oder Urheber, noch war er mit deren Verbreitung betraut. Zwar wird vom Gewährleistungsbereich neben dem „Werkbereich“ auch der „Wirkbereich“ des künstlerischen Schaffens umfasst (vgl. hierzu nur BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss v. 28.01.2019 – 1 BvR 1738/16 = NJW 2019, 1277 = GRUR 2019, 757 = ZUM-RD 2019, 505 = BeckRS 2019, 2391). Über den Wirkbereich fallen auch solche Tätigkeiten von Personen in den Schutzbereich, die eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Kunstwerk und Publikum ausüben (BVerfG, Beschl. v. 24.09.1984 - 1 BvR 976/84 = NJW 1985, 263 = BeckRS 1984, 110544 m.w.N.; Jarass/Pieroth GG 17. Aufl. Art. 5 Rn. 120, 122), wie etwa Betreiber von Ausstellungen, Museen oder mit der Veröffentlichung oder Vermittlung von Kunstwerken betraute Personen. Eine derartige Mittlerfunktion hatte der Angeklagte hinsichtlich der für seine Zwecke verwendeten Karikatur gerade nicht inne.

cc) Hinzu kommt, dass dem Angeklagten mit der Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß § 86a Abs. 1 Nr. 1, Abs. i.V.m. § 86 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB weder die Äußerung eines bestimmten Gedankeninhalts oder irgendeine Form einer (etwaigen) künstlerischen Betätigung des Werk- oder Wirkungsbereichs verboten, sondern lediglich eine bestimmte Form der Meinungsäußerung sanktioniert worden ist (BVerfG, Beschl. v. 24.09.1984 - 1 BvR 976/84 a.a.O.). Das mit der Revision angegriffene Urteil ist deshalb am Grundrecht auf Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu messen.

e) Das Verhalten des Angeklagten ist aber auch nicht von der Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) gedeckt. Zwar wird dieses Grundrecht durch die Strafbestimmung des § 86a StGB, ein allgemeines Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG, eingeschränkt. Dies ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Dem Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit wird durch die teleologische Restriktion des Tatbestands in Fällen, in denen die Gegnerschaft des Handelnden zur NS-Ideologie zweifelsfrei und auf Anhieb erkennbar wird, hinreichend Rechnung getragen. Ist das - wie hier - nicht der Fall, muss das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zurücktreten (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 23.03.2006 – 1 BvR 204/03 = BVerfGK 7, 452 = NJW 2006, 3052).

3. Der Rechtsfolgenausspruch hält ebenfalls der rechtlichen Nachprüfung stand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Berufungsgericht von einem (vermeidbaren) Verbotsirrtum ausgegangen ist und deshalb den Strafrahmen des § 86a Abs. 1 StGB gemäß §§ 17 Satz 2, 49 Abs. 1 Nr. 2 StGB gemildert hat.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.


Einsender: RiBayObLG Dr. G. Gieg, Bamberg

Anmerkung:


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