Gericht / Entscheidungsdatum: VG Düsseldorf, Urteil vom 21.12.2023 - 6 K 939/23
Eigener Leitsatz:
Zum Umfang der den Halter treffenden Mitwirkungspflichten und des Ermittlungsaufwandes der Verwaltungsbehörde, wenn mit einem Firmenfahrzeug ein Verkehrsverstoß begangen worden ist.
In pp.
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin war Halterin des Kraftfahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000. Mit letzterem wurde am 23. August 2022 um 14:23 Uhr auf der Bahnhofstraße in K.-J. auf der Höhe der Hausnummer 00 in Fahrtrichtung W. ein Verkehrsverstoß begangen. Der Fahrer überschritt die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 22 km/h (nach Toleranzabzug).
Die Stadt K. als zuständige Ordnungswidrigkeitenbehörde übersandte unter dem 29. August 2022 an die Klägerin einen Zeugenfragebogen zur Aufklärung der Verkehrsordnungswidrigkeit unter Beifügung des angefertigten Radarlichtbildes. In dem Schreiben bat die Behörde die Klägerin, die Personalien des verantwortlichen Fahrzeugführers mitzuteilen. Hierauf reagierte die Klägerin nicht. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2022 erinnerte die Behörde die Klägerin an die Beantwortung des Zeugenfragebogens. Der von der OWi-Behörde beauftragte Ermittlungsdienst versuchte vergeblich, bei einem Besuch am Firmensitz den Fahrzeugführer festzustellen. Der Außendienstmitarbeiter notierte: "Der Fahrzeughalter konnte angeblich keine Personen auf dem Foto erkennen." Die OWi-Behörde stellte das Ermittlungsverfahren in der Folge am 30. November 2022 ein, weil der Fahrer nicht ermittelt werden könnte.
Auf die Anhörung zum Erlass einer Fahrtenbuchanordnung teilte der Geschäftsführer der Klägerin am Folgetag mit, dass der Leasingvertrag für das Tatfahrzeug am 15. Dezember 2022 auslaufe und daher kein Fahrtenbuch geführt werden könne. Es existiere auch kein Ersatzfahrzeug, sondern es handele sich um ein zusätzliches Fahrzeug.
Der Beklagte verpflichtete die Klägerin mit Bescheid vom 9. Januar 2023 zur Führung eines Fahrtenbuches für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000 für die Dauer von 6 Monaten ab Bestandskraft der Verfügung. Gleichzeitig erstreckte er die Anordnung auf etwaige Ersatzfahrzeuge. Darüber hinaus setzte er unter Verweis auf einen mittleren Verwaltungsaufwand Verwaltungskosten in Höhe von 113,50 Euro (110,00 Euro Gebühren und 3,50 Euro Postauslagen) fest. Der Bescheid wurde der Klägerin am 11. Januar 2023 zugestellt.
Die Klägerin hat am 9. Februar 2023 hiergegen Klage erhoben. Sie trägt zur Klagebegründung im Wesentlichen vor:
Im Fahrzeugbestand der Klägerin befänden sich etliche Kraftfahrzeuge, die von verschiedenen Personen, vornehmlich, aber nicht ausschließlich Mitarbeitern geführt würden. Aus Gründen der schlechten Qualität des Fotos habe die Klägerin den verantwortlichen Fahrer nicht zu erkennen und daher auch nicht benennen können. Das gelte auch für die persönliche Vorsprache eines Ermittlungsbeamten.
Die OWi-Behörde habe nicht ausreichend ermittelt. Die bloße Nachfrage bei der Klägerin, sei es via Zeugenfragebogen oder persönlich vor Ort, genüge der Nachforschungspflicht nicht. Hier hätten weitere Ermittlungsmaßnahmen, etwa durch Befragung von Mitarbeitern oder Nachbarn, erfolgen können und müssen, um den verantwortlichen Fahrer zu ermitteln.
Zudem sei die Anordnung nicht ermessensfehlerfrei ergangen. Es fehle an einem Verkehrsverstoß von einigem Gewicht. Die Klägerin sei als Fahrzeughalterin ist bislang weder straf- noch ordnungswidrigkeitenrechtlich in Erscheinung getreten. Die Fahrtenbuchauflage erweise sich als unverhältnismäßig, da zwar die mit dem Fahrzeug der Klägerin begangene Ordnungswidrigkeit im Fahreignungsregister des Kraftfahrtbundesamtes mit einem Punkt bewertet worden wäre, hier allerdings nicht berücksichtigt wird, dass es sich nicht um das einzige Fahrzeug der Klägerin handelt, was nach bei der Gewichtung und Ermessensausübung hätte berücksichtigt werden müssen. So erkenne die Beklagte zwar, dass von dem zum Tatzeitpunkt benutzen Fahrzeug keine weitere Gefahr ausgehe, da dieses nicht mehr im Fahrzeugbestand der Klägerin vorhanden sei und die Beklagte ein Ersatzfahrzeug aus dem Fahrzeugbestand der Klägerin wähle, empfände sie dieses als unrechtmäßige Sanktion. Es sei zu berücksichtigen, dass es nicht im Verschuldensbereich der Klägerin liegt, wenn das im Zusammenhang mit der Verkehrsordnungswidrigkeit erstellte Lichtbild nicht aussagekräftig genug ist, um den verantwortlichen Fahrzeugführer zu identifizieren.
Wäre sie die Halterin verpflichtet, aufgrund der Tatsache, dass sie mehrere Fahrzeuge in ihrem Bestand hat, quasi im Vorfeld für jedes Fahrzeug eine Fahrerliste anzufertigen, um für den Fall des Vorliegens einer Verkehrsordnungswidrigkeit hierauf zurückgreifen zu können, um der Behörde die Ermittlungen des verantwortlichen Fahrers erst zu ermöglichen, so würde hierdurch die Mitwirkungspflicht eines Fahrzeughalters überstrapaziert. Es sei der Klägerin nicht vorzuwerfen, dass sie ihren Mitwirkungspflichten nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei, es sei vielmehr so, dass sich die ermittelnde Behörde allein auf eine mögliche Mitwirkung der Klägerin zur Fahrerermittlung zurückgezogen habe.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Bescheid des Beklagten vom 9. Januar 2023 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Gründe
Der Einzelrichter ist zuständig, nachdem ihm die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat, § 6 Abs. 1 VwGO. Das Urteil kann im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die angefochtene Fahrtenbuchauflage ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Fahrtenbuchauflage ist § 31a Abs. 1 Satz 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO). Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war.
Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage ist formell rechtmäßig. Der Beklagte war gemäß § 68 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StVZO i.V.m. § 12 Abs. 1 der Verordnung über Zuständigkeiten im Bereich Straßenverkehr und Güterbeförderung NRW für ihren Erlass zuständig, da die Klägerin ihren Sitz in K. und damit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten hat.
Zudem hat der Beklagte der Klägerin mit Schreiben Gelegenheit zur Stellungnahme zu der beabsichtigen Anordnung eines Fahrtenbuches gegeben und sie somit im Einklang mit § 28 Abs. 1 VwVfG NRW angehört.
Die Fahrtenbuchauflage ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO sind erfüllt (1.). Der Beklagte hat auch das ihm bei Erlass der Fahrtenbuchauflage zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt (2.).
1. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO liegen vor.
Die Klägerin ist Halterin des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000. Mit dem vorgenannten Fahrzeug wurde die im Tatbestand bezeichnete Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften - hier eine Unterschreitung des Mindestabstands - begangen. Dieser Verkehrsverstoß steht zur Überzeugung des Gerichts mit einer für das Fahrtenbuchverfahren ausreichenden Sicherheit fest.
Die Behörde, die die Auferlegung eines Fahrtenbuchs prüft, muss dabei ebenso wie das Verwaltungsgericht in einem sich anschließenden Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit der Fahrtenbuchauflage alle objektiven Tatbestandsmerkmale der Bußgeld- bzw. Strafvorschrift selbstständig prüfen. Dabei genügt es - anders als im Strafprozess - wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass ein Verkehrsverstoß begangen worden ist. Dabei dürfen Messergebnisse, die mit amtlich zugelassenen Geräten in standardisierten Verfahren gewonnen werden, nach Abzug der Messtoleranz von Behörden und Gerichten im Regelfall ohne Weiteres zu Grunde gelegt werden. Mögliche Fehlerquellen brauchen in einem solchen Fall nur erörtert werden, soweit der Einzelfall dazu konkrete Veranlassung gibt, weil der Betroffene substantiierte Angaben macht, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 4. Januar 2021 - 8 B 1781/20 -, juris, Rn. 7 ff., vom 30. Juni 2020- 8 A 1423/19 -, juris, Rn. 7, vom 20. Dezember 2018 - 8 B 1018/18 -, juris, Rn. 4 ff., vom 25. Januar 2018 - 8 A 1587/16 -, juris, Rn. 5 ff., vom 18. Dezember 2017 - 8 B 1104/17 -, juris, Rn. 5, vom 20. Oktober 2016 - 8 B 410/16 -, n.v., S. 3 des amtlichen Abdrucks, vom 17. September 2015- 8 A 645/15 -, n.v., S. 3 des amtlichen Abdrucks, vom 17. Juni 2014 - 8 B 183/14 -, und vom 16. Juni 2010 - 8 B 594/10 -; Urteil vom 31. März 1995 - 25 A 2798/93 -, juris (= NJW 1995, 3335); Kammerbeschluss vom 20. Februar 2017 - 6 K 391/17 -, n.v., S. 5 des amtlichen Abdrucks.
Das hier verwendete Laserscanner-Geschwindigkeitsmessgerät TraffiStraf S350 ist infolge der Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) (Baumusterprüfbescheinigung: DE-15-MPTB-0030) ein standardisiertes Messverfahren im o.g. Sinne.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Januar 2017 - 8 B 1234/16 -, n.v.; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 18. Januar 2010 - 14 L 2/10 -, juris, Rn. 17;
Die Klägerin hat weder Messfehler dargelegt noch behauptet.
Die Feststellung des Fahrzeugführers im Zeitpunkt der Begehung des Verkehrsverstoßes war der
zuständigen Bußgeldbehörde nicht möglich. Unmöglichkeit im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO ist anzunehmen, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Die Angemessenheit der Aufklärung beurteilt sich danach, ob die Behörde mit sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen ergriffen hat, die der Bedeutung des aufzuklärenden Verkehrsverstoßes gerecht werden und in gleichgelagerten Fällen erfahrungsgemäß Erfolg haben.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 - 11 B 113.93 -, juris, Beschluss vom 21. Oktober 1987 - 7 B 162.87 -, Buchholz 442.16 § 31a StVZO Nr. 18, jeweils m.w.N., OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 8 B 1465/14 -, juris.
Zu den angemessenen Ermittlungsmaßnahmen gehört grundsätzlich, dass der Halter möglichst umgehend - im Regelfall innerhalb von zwei Wochen - von dem mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoß benachrichtigt wird, damit er die Frage, wer zur Tatzeit sein Fahrzeug geführt hat, noch zuverlässig beantworten kann und der Täter Entlastungsgründe vorbringen kann.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 1978 - VII C 77.74 -, DÖV 1979, 408, juris, Rn. 18, Beschluss vom 25. Juni 1987 - 7 B 139.87 -, DAR 1987, 393, juris, Rn. 2; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Juli 2020 −8 B 892/20 −, juris, Rn. 15, vom 9. Dezember 2013 - 8 A 2113/13 -, vom 4. April 2013 - 8 B 173/13 -, juris, Rn. 3 f. und vom 7. April 2011 - 8 B 306/11 -, juris, Rn. 6 f.
Auf die Einhaltung der Zweiwochenfrist, die ohnehin weder ein formales Tatbestandsmerkmal des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO noch eine starre Grenze darstellt, kann sich der Halter nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung nicht bei Verkehrsverstößen berufen, die mit einem Firmenfahrzeug im geschäftlichen Zusammenhang begangen worden sind.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2020 - 8 A 1423/19 -, juris, Rn. 15 ff. sowie Beschluss vom 10. September 2019 - 8 B 774/19 -, juris, Rn. 5, jeweils m.w.N.
Die Anhörung begründet für den Halter, auch wenn sie nicht sofort erfolgt, eine Obliegenheit, zur Aufklärung des mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört, dass er den bekannten oder auf einem vorgelegten Radarfoto erkannten Fahrer benennt. Ist ihm das nicht möglich, obliegt es ihm sämtliche sachdienliche Hinweise mitzuteilen. Hierzu zählt insbesondere, den möglichen Täterkreis einzugrenzen und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten zu fördern.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 - 8 B 1465/14 -, juris, Rn. 17, vom 20. Juli 2011 - 8 A 927/10 -, juris, Rn. 22 f. und vom 15. Oktober 2009 - 8 A 817/09 -; Urteil vom 30. November 2005 - 8 A 280/05 -, juris, Rn. 25 ff.
Wenn der Fahrzeughalter den Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet oder weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht, rechtfertigt dies bereits regelmäßig, auf seine fehlende Bereitschaft zur Mitwirkung zu schließen. Die OWi-Behörde darf dann im Regelfall davon ausgehen, dass weitere Ermittlungsmaßnahmen keinen Erfolg versprechen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 20. Mai 2020 - 8 B 407/20 -, juris, Rn. 3 f. m.w.N., vom 9. Mai 2006 - 8 A 3429/04 -, juris sowie vom 5. April 2006 - 8 B 274/06 -;OVG Niedersachsen, Beschlüsse vom 4. Dezember 2003 - 12 LA 442/03 -, DAR 2004, 607 und vom 2. November 2004 - 12 ME 413/04 -, ZfS 2005, 268, jeweils juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juli 2014 - 14 L 1505/14 -, juris, Rn. 36 m.w.N.
Aus welchen Gründen der Halter keine Angaben zur Sache macht, ist dabei unerheblich. Die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage nach § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt insbesondere nicht voraus, dass der Halter seine Mitwirkungsobliegenheiten schuldhaft nicht erfüllt hat oder die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers sonst zu vertreten hat. Die Fahrtenbuchauflage hat eine präventive und keine strafende Funktion. Sie stellt eine der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dienende Maßnahme der Gefahrenabwehr dar, mit der dafür Sorge getragen werden soll, dass künftige Feststellungen eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften ohne Schwierigkeiten möglich sind.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 - 8 A 1423/19 -, juris, Rn. 27, vom 30. Juni 2015 - 8 B 1465/14 -, juris, Rn. 25 f. m.w.N. und vom 21. März 2016 - 8 B 64/16 -, juris, Rn. 13.
Gemessen an diesen Grundsätzen war hier die Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Die Ordnungswidrigkeitenbehörde war nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht in der Lage, den Fahrer des Fahrzeugs, mit dem der Verkehrsverstoß begangen worden war, bis zum maßgeblichen Eintritt der Verfolgungsverjährung (vgl. § 26 Abs. 3 StVG) zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen getroffen hat. Ein für das negative Ermittlungsergebnis ursächliches Ermittlungsdefizit der Ordnungswidrigkeitenbehörde liegt nicht vor.
Ein Ermittlungsdefizit folgt insbesondere nicht auf dem Umstand, dass die Klägerin eine Vielzahl von Fahrzeugen hält und ihr Geschäftsführer angibt, den Fahrer zu erkennen. Bei Firmenfahrzeugen fällt es in die Sphäre der Geschäftsleitung, organisatorische Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle einer Verkehrszuwiderhandlung ohne Rücksicht auf die Erinnerung Einzelner festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Geschäftsfahrzeug benutzt hat. Es entspricht − unabhängig von der Reichweite gesetzlicher Buchführungspflichten − sachgerechtem kaufmännischen Verhalten, die mit einem Firmenwagen vorgenommenen Fahrten längerfristig zu dokumentieren. Die Geschäftsleitung kann deshalb ihrer Verpflichtung als Fahrzeughalterin, bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Ordnungswidrigkeiten- bzw. Verwaltungsverfahren mitzuwirken, regelmäßig nicht mit der Behauptung genügen, es sei nicht möglich, den Fahrzeugführer - zeitnah − ausfindig zu machen.
Vgl. OVG NRW, Urteile vom 31. März 1995 − 25 A 2798/93 −, NJW 1995, 3335 = juris, Rn. 17, und vom 29. April 1999 − 8 A 699/97 −, NJW 1999, 3279 = juris, Rn. 16, sowie Beschlüsse vom 29. Juni 2006 − 8 B 910/06 −, juris, Rn. 16 ff., vom 15. März 2007 − 8 B 2746/06 −, juris, Rn. 16, vom 13. November 2013 − 8 A 632/13 −, juris, Rn. 9, m.w.N.
Soweit die Klägerin vorträgt, dass aufgrund der schlechten Qualität des Fotos auf dem Zeugenfragebogen keine eindeutige Zuordnung habe erfolgen können, rechtfertigt dies ebenfalls keine andere Bewertung. Die Mitwirkungsobliegenheit besteht vor dem Hintergrund, dass ein Foto für die Verfolgung einer Verkehrsordnungswidrigkeit nicht erforderlich ist und oftmals auch gar nicht gefertigt werden kann, grundsätzlich unabhängig davon, ob dem Halter ein Foto vorgelegt wird. Nichts anderes kann gelten, wenn zwar ein Lichtbild vorgelegt wird, dieses aber − gleich aus welchen Gründen − keine Identifikation ermöglicht. Erst recht ist dies vor dem Hintergrund der aufgezeigten erhöhten Mitwirkungspflicht für den Halter eines Firmenfahrzeuges anzunehmen.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Juni 2020 - 8 A 1423/19 -, juris, Rn. 23 sowie vom 9. Dezember 2013 − 8 A 2166/13 −, Seite 3 des Beschlussabdrucks, und vom 12. März 2015 - 8 B 1163/14 -, Seite 9 des Beschlussabdrucks, beide nicht veröffentlicht.
Abgesehen davon, dass die Kammer überzeugt ist, dass das der Klägerin übermittelte und dem Geschäftsführer vom Außendienst vorgelegte Foto so deutlich ausgefallen ist, dass der Fahrer von jedermann, der ihn kennt, ohne Weiteres zu identifizieren ist, kommt es auf die Qualität des Lichtbildes nicht an. Hiervon ausgehend kommt es auch nicht darauf an, ob der Klägerin die Digitalfotos bzw. der Fotosatz übersandt wurden. Hätte die Klägerin ihre Dokumentationsobliegenheit erfüllt, hätte es für eine ordnungsgemäße Mitwirkung nicht des Fotosatzes bzw. der Akteneinsicht bedurft.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juni 2020 - 8 A 1423/19 -, juris, Rn. 20 und 22 f.
Aufgrund der fehlenden rechtzeitigen Mitwirkung der Klägerin und des daraus resultierenden Fehlens weiterer Ermittlungsansätze konnte die Ordnungswidrigkeitenbehörde von weiteren zeitaufwändigen und wenig erfolgversprechenden Ermittlungsmaßnahmen absehen.
BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1982 - 7 C 3.80 -, juris, Rn. 7; OVG NRW, Beschlüsse vom 22. Juli 2020 - 8 B 892/20 −, juris, Rn. 15 , vom 15. Mai 2018 - 8 A 740/18 -, juris, Rn. 35 sowie vom 23. Mai 2014 - 8 B 396/14 -, n.v.
Das gilt auch für die von der Klägerin angemahnten Befragungen von anderen Mitarbeitern oder Nachbarn.
Soweit die Klägerin vorträgt, es sei überzogen, vom Halter von Firmenfahrzeugen zu verlangen, dass dieser den Fahrer jederzeit nennen kann, überzeugt das nicht. Der Klägerin als Halterin von Fahrzeugen, die sie Dritten (z.B. Mitarbeitern) überlässt, kann sie vertraglich aufgeben, ihr den Fahrer zur Tatzeit mitzuteilen. Unterlässt sie das oder setzt sie entsprechende Vertragspflichten nicht durch, treffen sie die Halterpflichten nicht unangemessen.
2. Der Beklagte hat auch das ihm bei Erlass der Fahrtenbuchauflage zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Steht eine Entscheidung im Ermessen der Behörde, überprüft das Gericht gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind und ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
Eine Ermessensfehlerhaftigkeit der Verfügung des Beklagten ist nicht erkennbar. Es liegt insbesondere keine Ermessensüberschreitung in Form eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor. Die mit der Führung des Fahrtenbuches verbundene, geringfügige Belastung der Klägerin, die nicht über eine mit etwas - eher geringem - Zeitaufwand verbundene Lästigkeit hinausgeht, steht in einem angemessenen Verhältnis zu dem mit der Anordnung verfolgten Zweck, die Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr zu gewährleisten und sicherzustellen, dass zukünftige Verkehrsverstöße nicht ungeahndet bleiben.
Vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Mai 2014 - 8 B 396/14 -, vom 7. April 2011 - 8 B 306/11 -, juris, Rn. 26 (= NZV 2011, 470), vom 5. November 2009 - 8 B 1456/09 - und vom 14. März 1995- 25 B 98/95 -, juris, Rn. 17 (= NJW 1995, 2242).
Kriterium für die Verhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage und insbesondere die Bemessung ihrer Dauer ist vor allem das Gewicht des Verkehrsverstoßes, der den Anlass für sie bildet. Nur ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht rechtfertigt die Anordnung eines Fahrtenbuches. Je schwerer das mit dem Kraftfahrzeug des Betroffenen begangene Verkehrsdelikt wiegt, desto eher ist es gerechtfertigt, dem Fahrzeughalter eine längere Überwachung der Nutzung seines Fahrzeugs zuzumuten. Denn mit zunehmender Schwere der ungeahndet gebliebenen Verkehrszuwiderhandlung wächst das Interesse der Allgemeinheit, der Begehung weiterer Verkehrsverstöße vergleichbarer Schwere entgegenzuwirken.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Dezember 2017 - 8 B 1104/17 -, juris, Rn 32 f. und vom 13. Januar 2016 - 8 A 1030/15 -, juris, Rn. 7; OVG Lüneburg, Urteil vom 10. Februar 2011 - 12 LB 318/08 -, juris, Rn. 21; VGH BW, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 10 S 1408/01 -, juris, Rn. 7; OVG Saarlouis, Beschluss vom 18. Juli 2016 - 1 B 131/16 -, juris, Rn. 31 f.; BayVGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 11 CS 10.357 -, juris, Rn. 13.
Für die Beurteilung der Schwere eines Verkehrsverstoßes kann sich die Behörde in ermessensfehlerfreier Weise an dem zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung jeweils geltenden Punktesystem in der Anlage 13 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) orientieren.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Dezember 2017 - 8 B 1104/17 -, juris, Rn 32 f. m.w.N.
Dabei ist bereits ab einem Punkt und auch schon bei der ersten derartigen Zuwiderhandlung von einem erheblichen Verstoß auszugehen. Dies gilt umso mehr nach der Reform des Punktesystems im Jahr 2014, wonach Punkte nur noch für Verstöße vergeben werden, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen (vgl. BT-Drs. 17/12636, S. 1, 17). Mit der Umstellung des vormaligen 18-Punkte-Systems des Verkehrszentralregisters auf die Entziehung der Fahrerlaubnis bei acht in das Fahreignungsregister eingetragenen Punkten gem. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG und der damit einhergehenden Änderung der Anlage 13 zur FeV ist die Bedeutung der (weiterhin) mit einem oder mehreren Punkten bewehrten Zuwiderhandlungen zumindest gleichgeblieben.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Januar 2016 - 8 A 1030/15 -, juris (= NJW 2016, 968), vom 15. Juli 2015 - 8 B 597/15 - und vom 30. Juni 2015 - 8 B 1465/14 -, jeweils mit weiteren Nachweisen.
In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Fahrtenbuchauflage ist hinsichtlich ihrer Dauer zudem anerkannt, dass eine Zeitspanne von sechs Monaten im unteren Bereich einer effektiven Kontrolle liegt. Durch die Fahrtenbuchauflage soll der Fahrzeughalter zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes angehalten werden. Dazu ist eine gewisse Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Mai 2015 - 3 C 13.14 -, juris, Rn. 26 (= BVerwGE 152, 180) und vom 17. Mai 1995 - 11 C 12.94 -, juris, Rn. 11 (= BVerwGE 98, 227); OVG NRW, Beschluss vom 17. Januar 2006 - 8 B 2036/05 -,S. 4 des amtlichen Abdrucks.
Angesichts dessen stellt die mit dem Fahrzeug der Klägerin begangene Geschwindigkeitsüberschreitung einen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht dar, welcher die Anordnung der Fahrtenbuchauflage für die Dauer von sechs Monaten nicht als unverhältnismäßig erscheinen lässt. Denn die Tat wäre mit einem Punkt in das Fahreignungsregister einzutragen gewesen.
Dass der Beklagte, erschwerend berücksichtigt hat, dass Klägerin bereits hinsichtlich eines Verkehrsverstoßes am 21. Juli 2021 ihrer Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei und damit ein Wiederholungsfall vorliege, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Denn das Bedürfnis, durch die mit einer Fahrtenbuchauflage verbundene präventive Kontrolle weiteren vergleichbaren Vorfällen entgegenzuwirken, ist dabei größer, wenn es bereits zum wiederholten Mal zu unaufgeklärt gebliebenen Zuwiderhandlungen gegen Verkehrsvorschriften gekommen ist.
Vgl., OVG NRW, Beschluss vom 13. Januar 2016 - 8 A 1217/15 -, juris, Rn. 13 ff. m.w.N.
Auf der Grundlage von § 31a Abs. 1 Satz 2 StVZO konnte der Beklagte die Fahrtenbuchauflage zudem auch auf das Ersatzfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen XX-XX 000 erstrecken. Das Fahrzeug ist baugleich mit dem Tatfahrzeug und wird erkennbar zum Geschäftszweck der Klägerin eingesetzt. Die Klägerin hat trotz Anhörung nichts Substanziiertes dazu vorgetragen, dass das Fahrzeug kein Ersatzfahrzeug darstellt. Der Klägerin ist es unbenommen, das betroffene Fahrzeug dem Mitarbeiter zuzuweisen und ihn intern zu verpflichten, das Fahrtenbuch zu führen. Rechtlich ist indessen unerheblich, welcher Mitarbeiter intern von der Klägerin verpflichtet wird, das Fahrtenbuch zu führen, weil allein die klagende GmbH zur Führung des Fahrtenbuchs verpflichtet ist. Die interne Aufgabenverteilung entzieht sich dem staatlichen Zugriff und ist nicht Teil der Fahrtenbuchanordnung.
II. Die Gebührenfestsetzung in der angefochtenen Ordnungsverfügung begegnet ebenfalls keinen Bedenken. Die Gebühr für die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches gemäß Gebührenziffer 252 des Gebührentarifs ist eine Rahmengebühr, die von 21,50 Euro bis 200,00 Euro reicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen ist eine Ausübung des der Behörde innerhalb dieses Gebührenrahmens eingeräumten Ermessens immer dann notwendig, wenn - wie hier - nicht lediglich die Mindestgebühr festgesetzt wird. Dabei darf die Gebühr nicht ausschließlich nach dem konkret ermittelten Stundenaufwand berechnet werden. Vielmehr ist die Berechnung anhand einer Einordnung als einfache, mittlere oder aufwändige Fälle vorzunehmen. Anderenfalls würde die Rahmengebühr wie eine Zeitgebühr behandelt.
Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 7. Februar 2019 - 16 E 905/18 -, n.v., S. 4 des amtlichen Abdrucks und vom 24. März 2017 - 9 E 197/17 -, juris, Rn. 8 ff. sowie Urteil vom 14. Februar 2017 - 9 A 2655/13 -, juris, Rn. 108.
Diesen Anforderungen wird die Kostenfestsetzung des Beklagten gerecht. Der Beklagte hat Gebühren in Höhe von 110,00 Euro festgesetzt und diese ausdrücklich als "mittleren Verwaltungsaufwand" eingeordnet. Die Klägerin hat hiergegen auch keine Einwände erhoben. Die Festsetzung der Auslagenerstattung - hier 3,50 Euro - ist auf der Grundlage von § 2 Abs. 1 Nr. 1 GebOSt erfolgt und begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
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