Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Dresden, Beschl. v. 02.01.2024 - 1 (S) AR 40/23
Eigener Leitsatz:
Bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht kann ab einem Aktenumfang von 800 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Für einen Umfang zwischen 2.000 und 3.000 Blatt ergibt sich eine 2-fache Erhöhung der Grundgebühr.
1 (S) AR 40/23
BESCHLUSS
In dem Strafverfahren
gegen pp
Verteidiger:
Rechtsanwalt
wegen Landfriedensbruchs
hier: Antrag auf Festsetzung einer Pauschvergütung gemäß § 51 RVG
hat der 1. Strafsenat - der Einzelrichter - des Oberlandesgerichts Dresden am 02.01.2024
beschlossen:
Herrn Rechtsanwalt pp. wird für seine Tätigkeit als gerichtlich beigeordneter Verteidiger des Angeklagten im Verfahren erster Instanz vor dem Amtsgericht Leipzig eine an die Stelle der gesetzlichen Gebühren tretende Pauschvergütung in Höhe von 1.052.00 € (eintausendzweiundfünfzig Euro) bewilligt.
Gründe:
I.
In vorliegendem Verfahren ist Rechtsanwalt pp. am 08. August 2018 nach Anklageerhebung als Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden. Nach rechts-kräftigem Abschluss des Verfahrens hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 25. August 2023 die Bewilligung einer Pauschgebühr zunächst in Höhe von 4.800,00 € beantragt. Er ist der Auffassung, das Verfahren sei besonders umfangreich und besonders schwierig gewesen. sichtlich der Einzelheiten wird auf den genannten Schriftsatz Bezug genommen.
Die Bezirksrevisorin bei dem Oberlandesgericht ist zu dem Antrag gehört worden. Sie hat ihn wegen des (Akten-)Umfangs der Sache in Höhe von 240,00 € über den gesetzlichen Gebühren befürwortet und ist einer Bewilligung einer Pauschvergütung in Höhe von 972,00 nicht entgegengetreten. Ihre Stellungnahme ist dem Verteidiger zur Kenntnis gegeben worden. Er hat hierauf mit Schriftsatz vom 02. Dezember 2023 erwidert, auf den ebenfalls Bezug genommen wird. Er hat insbesondere klargestellt, die ihm übersandte „Kiste mit drei Bänden Sachakten nebst neun Ordnern" durchgearbeitet zu haben. Er stellt nunmehr die Höhe der Pausch-vergütung in das Ermessen des Senats.
Der zulässige Antrag auf Festsetzung einer Pauschvergütung in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet.
1. Gemäß § 51 Abs. 1 RVG kann dem beigeordneten Verteidiger eine über die gesetzlichen Gebühren hinausgehende Pauschgebühr bewilligt werden, wenn die Strafsache besonders um-fangreich oder besonders schwierig ist und die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG bestimmten Gebühren dem Verteidiger nicht zumutbar sind (vgl. Gerold/Schmidt- Burhoff, RVG 26. Aufl., § 51 RVG Rdnrn. 9 ff.). Nicht ausreichend ist somit, dass Umfang oder Schwierigkeit der Sache über dem Durchschnitt liegen. Es muss sich viel-mehr um eine anwaltliche Tätigkeit handeln, die sich in besonderer Weise von sonstigen, auch überdurchschnittlichen Sachen abhebt, so dass unzumutbar wäre, dem Verteidiger nur die gesetzlichen Gebühren zuzuerkennen. Diese Einschränkung ist nach der amtlichen Be-gründung (vgl. BT-Drs. 15/1971 S. 201) gerechtfertigt, weil in das Gebührenverzeichnis zum RVG neue Gebührentatbestände aufgenommen worden sind, bei denen die zugrundeliegenden Tätigkeiten in der Vergangenheit häufig bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt worden sind. Das gilt zum Beispiel für die Teilnahme an Vernehmungen im Ermittlungsverfahren oder die Teilnahme an Haftprüfungsterminen. Für diese Tätigkeiten steht dem Pflichtverteidiger nach neuem Recht ein gesetzlicher Gebührenanspruch zu. Gleiches gilt für die Dauer der Hauptverhandlung, da das Vergütungsverzeichnis für den Pflichtverteidiger für mehr als fünf bzw. acht Stunden dauernde Hauptverhandlungstermine Zuschläge zu den ° Hauptverhandlungsgebühren vorsieht. Maßgebend für die Beurteilung, ob ein Verfahren besonders umfangreich oder besonders schwierig im Sinne des § 51 RVG war, ist ein Vergleich mit einem entsprechenden durchschnittlichen Verfahren vor dem jeweiligen Gericht. Dabei ist insbesondere abzustellen auf den zeitlichen Aufwand, den der Verteidiger auf die Sache verwenden muss, und den Grad der Schwierigkeit der Strafsache in rechtlicher und tatsächlicher Hin-sicht. Anhaltspunkte für die Bemessung des zeitlichen Aufwandes sind vor allem der Umfang der Akten und die Dauer der Hauptverhandlung, wobei ein als unterdurchschnittlich zu qualifizierender Aspekt des Verfahrens einen überdurchschnittlichen anderen Aspekt zu kompensieren vermag, da es auf eine Gesamtbetrachtung ankommt (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 63 f.).
Weitere Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschvergütung ist nach dem Gesetzes-wortlaut, dass die gesetzlichen Gebühren unzumutbar sind. Damit soll verhindert werden, dass der Pflichtverteidiger ein Sonderopfer erbringt. Zur Stellung des Pflichtverteidigers hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung ausgeführt: „Die Bestellung zum Pflichtverteidiger ist eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Ihr Zweck besteht aus-schließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwer-wiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird (BVerfGE 39, 238, 341 f.; 68, 237, 253 f.). Angesichts der umfassenden Inanspruchnahme des Pflichtverteidigers für die Wahrnehmung dieser im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe hat der Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern den Pflichtverteidiger honoriert. Dass sein Vergütungsanspruch unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen vom Gesetzgeber im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist (BVerfGE 68, 237, 253 ff.). In Strafsachen, die die Arbeitskraft der Pauschvergütung für längere Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, gewinnt die Höhe des Entgelts für den Pflichtverteidiger existentielle Bedeutung. Für solche besonderen Fallkonstellationen gebietet das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung eine Regelung, die sicherstellt, dass ihm die Verteidigung kein unzumutbares Opfer abverlangt (vgl. BVerfGE 68, 237, 255). Dieses Ziel stellt § 51 Abs. 1 RVG sicher (BVerfG, NStZ-RR 2007, 359; BVerfG, AGS 2009, 66; BVerfG NJW 2005, 1264 f.; BVerfG, NStZ 2001, 211 f.).
Sinn und Zweck der Pauschgebühr ist danach nicht, dem Verteidiger einen zusätzlichen Gewinn zu verschaffen; sie soll nur eine unzumutbare Benachteiligung verhindern (vgl. auch Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl., § 51 RVG Rdnr. 2). Die Bewilligung einer Pauschgebühr kommt nach alledem nur noch in Ausnahmefällen in Betracht (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2006, 63 f.).
2. Gemessen an diesen Maßstäben ist der Antrag auf Bewilligung einer Pauschvergütung lediglich in der ausgesprochenen Höhe gerechtfertigt.
a) Vorliegend ist das Verfahren aufgrund des Aktenumfangs als besonders umfangreich im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG auszugehen. So ist bis zum Beginn der Hauptverhandlung von einem wesentlichen Aktenumfang von über 2.000 Blatt auszugehen. Diese setzen sich aus den drei Bänden Sachakten (291 Blatt) und neun Ordnern aus dem Ausgangsverfahren (über 2.000 Blatt) zusammen. Auf die Ausführungen der Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 14. November 2023 wird insofern Bezug genommen. Die von den Strafsenaten des Oberlandesgerichts für vergleichbare Fälle nach § 51 Abs. 1 RVG aufgestellten Grundsätze sehen vor, dass bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Amtsgericht ab einem Aktenumfang von 800 Blatt eine Pauschvergütung bewilligt werden kann. Danach ist je nach Umfang der Akte eine Staffelung der zusätzlich zur Grundgebühr zu gewährenden Gebühren vorzunehmen. Für einen Umfang zwischen 2.000 und 3.000 Blatt ergibt sich danach eine 2-fache Erhöhung der Grundgebühr. Nachdem der Verteidiger in seiner Erwiderung vom 02. Dezember 2023 klargestellt hat, dass er die gesamten ihm übersandten Akten durchgearbeitet hat, war auch der gesamte Umfang und nicht nur die Anzahl der angefertigten Kopien zu berücksichtigen.
b) Besondere Umstände, die unabhängig davon eine Erhöhung im Rahmen der Pauschvergütung veranlasst hätten, vermochte der Antragsteller nicht aufzuzeigen. Soweit das Amtsgericht umfangreiche Unterlagen zum Gegenstand des Selbstieseverfahrens gemacht hat, waren diese Unterlagen ohnehin im Rahmen der Einarbeitung des Verfahrens zur Kenntnis zu nehmen (OLG Hamm, Beschluss vom 05. Mai 2022, Az.: 111-5 RVGs 16/22).
3. Eine besondere Schwierigkeit weist das Verfahren nicht auf.
4..Der Einzelrichter hält deshalb - unter Berücksichtigung aller Umstände - eine Pauschvergütung (lediglich) in der ausgesprochenen Höhe für angemessen.
Die Erstattung der Auslagen und der Mehrwertsteuer bleibt von der Festsetzung unberührt. Bereits ausbezahlte oder festgesetzte Gebühren sowie Vorschüsse sind anzurechnen.
Einsender: RA Dr. G. Herzogenrath-Amelung, Alteglofsheim
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